Studien über Jakob Böhme
I. Studie. Die Lehre von Ungrund und Freiheit

Nikolaj A. Berdjaev, Clamart (a)

"Im Wasser lebt der Fisch, die Pflanzen in der Erden,
Der Vogel in der Luft, die Sonn im Firmament.
Der Salamander muß im Feur erhalten werden:
Und Gottes Herz ist Jakob Böhmens Element."
Angelus Silesius (b)

I.

[S. 47] Jakob Böhme (1) ist als der größte unter den christlichen Gnostikern anzuerkennen. Das Wort "Gnosis" gebrauche ich hier nicht im Sinne der Häresien der ersten Jahrhunderte des Christentums (2), sondern im Sinne einer Erkenntnis, [S. 48] die sich auf Offenbarung gründet und sich nicht der Begriffe, sondern der Symbole und Mythen bedient; im Sinne einer schauenden, nicht einer diskursiven Erkenntnis. Gerade das ist Religionsphilosophie oder Theosophie. Es ist für J.Böhme bezeichnend, dass er eine große Einfachheit des Herzens, eine kindliche Reinheit der Seele besaß. Darum konnte er vor seinem Tode ausrufen: "Nun fahre ich in's Paradeis". Er war kein Gelehrter und bezog seine wichtigsten Erkenntnisse nicht aus Büchern oder aus seiner Schulbildung. Er war einfacher Handwerker, Schuster. Er gehört zum Typus der Volksweisen. Er kannte weder Aristoteles, noch Dionysios Areopagita, auch die mittelalterliche Scholastik und Mystik waren ihm unbekannt. Es lassen sich bei ihm nicht, wie bei den meisten christlichen Mystikern, unmittelbare Einflüsse des Neuplatonismus feststellen. Er zehrte vor allem von der Bibel (3) und las außerdem Paracelsus, Sebastian Franck, Weigel, Schwenckfeld. Er lebte in der Atmosphäre der deutschen mystisch-theosophischen Strömungen seiner Zeit. Böhme ist kein Philosoph im schulmäßigen Sinne dieses Wortes, er ist vor allem Theosoph, Visionär und Mythenschöpfer, aber sein Einfluss auf die deutsche Philosophie ist außerordentlich. Er dachte nicht in klaren und ausgeprägten Begriffen, sondern in Symbolen und Mythen. Er war der Überzeugung, das Christentum sei entstellt worden durch die Gelehrten und Theologen, durch die Pfaffen und Kardinäle. Böhme war seiner Konfession nach evangelischer Christ und empfing als Sterbender das Abendmahl von einem Pastor. Aber die lutherische Geistlichkeit verfolgte und peinigte ihn; sie verbot den Druck seiner Werke. Eine für alle Konfessionen typische Erscheinung. Wie die Mehrzahl der Mystiker und Theosophen war auch er überkonfessionell. In seinen Werken finden sich starke katholische Elemente, trotz seiner extremen Feindschaft gegen den Papismus. Die Herkunft von Böhmes Erkenntnis ist ein sehr verwickeltes Problem. Es geht darum, ob [S. 49] persönliche gnostische Offenbarung und Erleuchtung, ein besonderes Charisma der Erkenntnis möglich sei. Wenn man auch heute zu der Annahme neigt, dass Böhme mehr gelesen habe als man früher meinte, so lässt sich doch Böhmes Lehre gewiss am allerwenigsten aus Entlehnungen und Einflüssen erklären (eine Erklärung, die zu keinem einzigen originellen und bedeutenden Denker passt). Eckehart war ein gelehrter und belesener Mann, er kannte Aristoteles, Dionysios Areopagita, Thomas von Aquin, die mittelalterliche Scholastik und Mystik. (c) Böhme verdankte alles sich selber, und er hat zweifelsohne ursprüngliche Intuitionen gehabt. Böhme selber sagt von den Quellen seiner Erkenntnis: "Ich brauche ihrer Art und Weise und ihrer Formeln nicht, weil ich es von ihnen nicht gelernt habe; ich habe einen andern Lehrmeister, und der ist die ganze Natur. Von dieser ganzen Natur mit ihrer instehenden Geburt habe ich meine Philosophie, Astrologie und Theologie studirt und gelernt, und nicht von oder durch Menschen" (Aurora, II, 255). Hier spürt man die Renaissance-Auflehnung gegen die Scholastik und die Hinwendung zur Natur selbst. Zugleich ist Böhme davon überzeugt, nicht durch seine eigenen menschlichen Kräfte, sondern mit Hilfe des Heiligen Geistes zur Erkenntnis zu gelangen: "In meinen eigenen Kräften bin ich so ein blinder Mensch, als irgend einer ist, und vermag nichts, aber im Geiste Gottes siehet mein eingeborner Geist durch Alles, aber nicht immer beharrlich; sondern wenn der Geist der Liebe Gottes durch meinen Geist durchbricht, alsdann ist die animalische Geburt und die Gottheit ein Wesen, eine Begreiflichkeit und ein Licht" (II, 260). Die Geheimnisse der Gottheit zu erkennen, ist ihm die Sophia selber behilflich. Er glaubt, Gott wird "dich zum lieben Kinde annehmen und dir ein neu Kleid der edeln Jungfrauen Sophiae anziehen, und einen Siegelring (Mysterii [S. 50] Magni) an deine Hand des Gemüths stecken; und in demselben Kleide (der neuen Wiedergeburt) hast du allein Macht, von der ewigen Geburt Gottes zu reden" (Die drei Principien göttlichen Wesens, III, 26f).

Im Unterschied zu den meisten Mystikern schreibt Böhme nicht von seiner eigenen Seele und nicht von seinem eigenen geistlichen Weg, nicht von dem, was ihm widerfuhr, sondern von dem, was mit Gott, mit der Welt und mit dem Menschen geschah. Das ist ein Zug, durch den sich die mystische Theosophie von der reinen Mystik unterscheidet. Böhmes Mystik gehört zum gnostischen Typus. Aber Böhme erkennt Gott und die Welt durch den Menschen, seine Erkenntnis geht vom Subjekt aus und nicht vom Objekt, obwohl Naturphilosophie und Kosmologie in ihr vorherrschen. Die sichtbare Welt ist eine Widerspiegelung der unsichtbaren Welt. "Und die sichtbare Welt ist eine Offenbarung der innern geistlichen Welt, aus dem ewigen Lichte und aus der ewigen Finsterniß, aus dem geistlichen Gewirke; und ist ein Gegenwurf der Ewigkeit, mit dem sich die Ewigkeit hat sichtbar gemacht" (Der Weg zu Christo, I, 144). Der Himmel offenbart sich im Menschen. "Ich bin auch nicht in den Himmel gestiegen und habe alle Werke und Geschöpfe Gottes gesehen, sondern derselbe Himmel ist in meinem Geiste offenbaret, daß ich im Geist erkenne die Werke und Geschöpfe Gottes" (Aurora, II, 19). Für Böhme sind die natürlichen physischen Elemente zugleich auch seelische Elemente. In der Natur sieht er das Gleiche wie im Geist. Der Mensch ist ein Mikrotheos und Mikrokosmos. In der Seele des Menschen sind Himmel und Hölle. Nur darum ist ja die Erkenntnis Gottes und der Welt möglich. Die unsichtbare geistliche Welt ist die Grundlage der sichtbaren materiellen Welt. Man kann Gott nur in der Tiefe seines eigenen Herzens finden. Man soll nicht in Akademien und Büchern [S. 51] nach der göttlichen Weisheit suchen. Böhme hat eine symbolische Weltanschauung: "Die ganze äußere sichtbare Welt mit all ihrem Wesen ist eine Bezeichnung oder Figur der inneren geistlichen Welt; alles was im Inneren ist, und wie es in der Wirkung ist, also hats auch seinen Charakter äußerlich" (De Signatura Rerum, IV, 346). Die physischen Eigenschaften bedeuten geistliche. Die Vorrede zu Böhmes größtem Werk, Mysterium Magnum, beginnt mit der Feststellung, die sichtbare Welt sei ein Symbol der unsichtbaren, geistlichen: "Denn die sichtbaren empfindlichen Dinge sind ein Wesen des Unsichtbaren; von dem Unsichtlichen, Unbegreiflichen ist kommen das Sichtbare, Begreifliche" (Mysterium Magnum, V, 3). Die Welt ist ein Symbol Gottes: "diese Welt ist ein Gleichniß nach Gottes Wesen, und ist Gott in einem irdischen Gleichniß offenbar" (De incarnatione verbi, VI, 319). Gotteserkenntnis ist die Geburt Gottes in der Seele. Solche Erkenntnis ist nur durch Erleuchtung der Seele vom Geiste Gottes möglich. Böhme versteht sehr gut die Grenzen der menschlichen Erkenntnis; er spricht von der Torheit der menschlichen Weisheit. Aber er hat zugleich einen sehr hohen Begriff von der Erkenntnis. Gotteserkenntnis ist Pflicht des Menschen, dazu ist er geschaffen. Böhme ist Symbolist, aber er ist kein Idealist im Sinne des deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts. Er ist Realist. Er hat den lebendigen Zusammenhang mit dem realen Sein nicht verloren, hat sich noch nicht eingeschlossen in der Welt des vom Sein abstrahierenden Denkens und in der Welt subjektiver Erlebnisse. Böhmes Meditation ist realistisch-symbolisch. Erkenntnis der geistlichen Welt war für ihn Verweilen, Leben in ihr. Das Sein verwandelte sich für ihn nicht in ein dem Subjekt gegenüberstehendes Objekt. Erkenntnis vollzieht sich für ihn im Sein selber, ist ein Geschehnis im Innern des Seins. [S. 52] Böhmes Gnosis war von seiner Erfahrung und seinem Leben geprägt. Sie entstand aus der Qual um das Schicksal des Menschen und der Welt. Böhme hatte eine kindlich reine, gütige, mitleidsvolle Seele. Aber sein Lebensgefühl war streng, unsentimental. Seine Grundintuition vom Sein war die Intuition des Feuers. Hierin war er Heraklit verwandt. Er hat ein ungewöhnlich geschärftes und starkes Gefühl für das Böse im Leben. Er sieht überall den Kampf entgegengesetzter Prinzipien,den Kampf zwischen Licht und Finsternis. Im Empfinden der Macht des Bösen und des Kampfes zwischen Gott und dem Teufel, zwischen Licht und Finsternis, ist er den Quellen der Reformation, der Erfahrung Luthers nahe. (4) Gott empfindet er nicht nur als Liebe, sondern auch als Zorn und Grimm. Er empfindet in Gott eine bittere und herbe Eigenschaft. Hier bedeuten physische Eigenschaften auch geistliche. Er sieht die finstere Natur, den irrationalen Abgrund in der Gottheit selber. Seinem Lebensgefühl nach steht Böhme bereits an der Schwelle der Neuzeit. Er wurzelt noch im Mittelalter, ihm ist der mittelalterliche mystische Realismus zu eigen. Aber in ihm brodelt bereits das Blut des Reformations- und Renaissancemenschen. Er hat eine renaissancemäßige Einstellung zum kosmischen Leben, zur Natur, und ein Selbstbewusstsein, das höher ist als das des mittelalterlichen Menschen. Was die Dynamik seiner Weltanschauung, sein Interesse für Genesis und Werden, sein Gefühl für den Kampf entgegengesetzter Prinzipien und die für ihn grundlegende Idee der Freiheit anbelangt, ist Böhme ein Mensch der Neuzeit. Er betrachtet die Welt nicht mehr als urewige statische Ordnung, nicht als starres hierarchisches System. Das Leben in der Welt ist ein Kampf, ein Werden, ein feuriger dynamischer Prozess. Das hat gar keine Ähnlichkeit mit der Weltanschauung des hl. Thomas von Aquin und Dantes. Böhme hat tiefer als die Menschen des Mittelalters über [S. 53] das Problem vom Ursprung des Bösen, über das Problem der Theodizee nachgedacht. Ihn quälte sehr die Frage, wieso Gott, Böses und Leiden voraussehend, die Welt schaffen konnte. Vor dem Bösen und der Qual des Lebens in der Welt, vor dem Zorn und Grimm des Vaters suchte er Rettung im Herzen des Sohnes, Jesus. Es gab einen Augenblick, da Böhme meinte, dass Gott die böse Welt verlassen habe. Da sucht er einen nahen Gott. Wie Koyré ganz richtig sagt, ging Böhme von den Qualen über das Problem des Bösen aus und suchte vor allem das Heil, und dann erst Erkenntnis. (5) Wie ist das Böse bei der Absolutheit der Gottheit zu verstehen? Wie soll man sich vor dem Bösen und vor dem Zorn, dem Grimm der Gottheit retten, die sich noch nicht im Sohne als Liebe offenbart hat? Seine Qual über das Problem des Bösen macht Böhme den alten Gnostikern verwandt. Aber seine Lösung unterscheidet sich von der gnostischen durch ihren unvergleichlich christlicheren Charakter. Jedenfalls gehörte Böhme zu jener Gattung tiefer Menschen, die durch das Böse und durch die Qual in diesem Leben verwundet sind. Böhme macht als erster in der Geschichte des neuzeitlichen Denkens die Entdeckung, welche später im deutschen Idealismus eine außerordentliche Rolle spielen wird, es könne alles sich nur durch ein anderes, durch den "Gegenwurf" offenbaren. Das Licht könne sich nicht offenbaren ohne Finsternis, das Gute nicht ohne das Böse, der Geist nicht ohne den Gegenwurf der Materie.

II.

Böhme möchte eine Frage lösen, die viele Philosophen beunruhigte: Wie ist der Übergang von Gott zur Welt, vom Einen zum Vielfachen, von der Ewigkeit zur Zeit möglich? Aber er stellte sich noch eine vermessenere Frage: Wie entstand die Göttliche Trinität, wie war aus dem Göttlichen Nichts, aus dem Absoluten, die [S. 54] Schöpfung der Welt möglich, wie trat der Schöpfer in Erscheinung, wie offenbarte sich die Persönlichkeit in Gott? Das Absolute der apophatischen Theologie und Metaphysik kann nicht Schöpfer der Welt sein. Der Schöpfer-Gott der kataphatischen Theologie ist mit der Schöpfung, dem Menschen korrelativ. So war das schon bei Eckehart. (6) Die Entfaltung von Böhmes Trinitätslehre gehört jetzt nicht zu meiner Aufgabe; das Thema meiner Studie ist begrenzt. Böhmes Formulierungen zeichnen sich in dieser Hinsicht nicht immer durch Genauigkeit aus und befriedigen den Dogmatiker nicht. Seine Stärke aber liegt darin, dass er überall in der Welt und im Menschen das Prinzip der Dreiheit, die Spiegelung der Göttlichen Trinität sieht. Die orthodoxe Theologie war stets durch das beunruhigt, was Böhme vom theogonischen Prozess, von der Gottesgeburt, von der Bewegung in Gott lehrte. Er fasste Gott im höchsten Grade dynamisch auf. Die christlichen theologischen Systeme arbeiteten eine Gotteslehre aus, indem sie sich der Denkkategorien der griechischen Philosophie bedienten. So baut sich die Lehre von Gott als einem reinen Akt, der keinerlei [S. 55] Potenz in sich berge, gänzlich auf Aristoteles auf. Die Lehre vom unbeweglichen, sich selber genügenden, statischen Gott entnahm die christliche Theologie nicht der Bibel, nicht der christlichen Offenbarung, sondern aus Parmenides, Platon, Aristoteles. Es spiegelte sich in ihr das Statische der griechischen Ontologie. Der unbewegliche Gott, Gott als reiner Akt, ist ein Gottbegriff, aber kein lebendiger Gott. Die vorherrschende theologische Doktrin beraubt Gott seines inneren Lebens, leugnet in Gott jeglichen Prozess, stellt ihn einem unbeweglichen Stein gleich. Das ist eine heidnische Idee. So ist der Gott der Bibel, der Gott der Offenbarung gerade nicht! Er ist voll inneren Lebens und voller Dramatik, in ihm ist Bewegung. Die Tragödie in Gott ist ja gerade die biblische und mythologische, wenn auch nicht die theologische Auffassung Gottes. Gott, der die Qual und Leiden des Kreuzes erlebt, der das Opfer der Liebe darbringt, ist nicht starr, sondern ein Gott in Bewegung. Dies erkannte in bestimmtem Sinne auch Augustinus an. L.Bloy definierte Gott als einsamen und unverstandenen Dulder, und er hatte eher recht als Thomas von Aquin. Die ungeheure Bedeutung Böhmes besteht darin, dass er nach der Herrschaft der griechischen Philosophie und der mittelalterlichen Scholastik mit deren statischer Gottesauffassung das dynamische Prinzip in das Verständnis von Gott hineinträgt, d.h. in Gott das innere Leben, die für jegliches Leben eigentümliche Tragik sieht. Das hing bei Böhme damit zusammen, dass er einerseits von der Bibel ausging und frei von den Kategorien des griechischen Denkens über sie meditierte, andererseits aber in seine Gottesschau die Erfahrung vom Bösen im Leben und von den die Welt zerreißenden Widersprüchen, vom Kampf des Lichtes mit der Finsternis, des Süßen mit dem Bitteren, der Liebe mit dem Hass hineintrug. Böhme war eine neue Seele, die dem Problem des Bösen von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat, sich aber nicht mehr unterwürfig beugen und auf das Bewusstsein der eigenen [S. 56] Sündigkeit beschränken konnte. Er strebte wagemutig danach, Ursprung und Sinn des Bösen zu erkennen. Hierin war er Gnostiker. Er sah das dunkle Prinzip in den Urquellen des Seins, tiefer als das Sein selbst. Er musste ein dunkles Prinzip in der Gottheit selber und einen positiven Sinn der Existenz des Bösen, das ihn so quälte, annehmen. Aber er verfiel nicht in manichäisch-gnostischen Dualismus, in die Annahme zweier Götter. Ohne das Böse kann das Gute nicht erkannt werden. Durch das Böse offenbart sich das Gute. In der Art seines Denkens über göttliche Dinge ist Böhme kein Neuplatoniker wie die Mehrzahl der christlichen Mystiker. Auch ist Böhme durchaus kein Monist und lehrt keineswegs eine Emanation. Überall sind bei ihm Wille und Widerspruch. Luthers sittliches Gefühl des Bösen verwandelte sich bei Böhme in ein metaphysisches. Böhmes Metaphysik ist voluntaristisch. Sie ist nicht intellektualistisch wie die griechische und mittelalterliche Metaphysik. Böhmes Voluntarismus ist das neue Prinzip, das er in die Philosophie hineintrug und das die deutsche Philosophie weiterentwickelt. Erst der Böhmesche Voluntarismus hat eine Philosophie der Freiheit möglich gemacht. Böhme ist ganz gesättigt von magischem Willen, der in seinem Urgrund noch dunkel und irrrational ist. Böhme hatte ein bis ins Letzte ernstes Verhältnis zum Problem des Bösen. Er trat an dieses Problem nicht von der pädagogischen und moralistischen Seite, nicht von jenem Standpunkt heran, mit dem man Kinder anleitet. Das Sein ist für ihn ein feuriger Strom. Und dieses Feuer in der Finsternis ist zugleich kalt und glühend. "Wir wissen, daß ein jedes Leben ein Feuer ist" (Die drei Principien göttlichen Wesens, III, 385). Das Feuer ist Wille. Lechzender, hungriger Wille ist der Urgrund des Seins. Licht und Liebe kommen ihm entgegen. Potentielle Finsternis liegt in der Urtiefe des Seins, in der Gottheit selber. (7) Sie hängt zusammen mit der meontischen (8) Freiheit. [S. 57] Böhmes geheimnisvolle Lehre vom Ungrund, vom grundlosen, finsteren und irrationalen Abgrund, der dem Sein vorausgeht, ist ein Versuch, die Grundfrage unter allen Fragen, die Frage nach der Entstehung der Welt und dem Ursprung des Bösen zu beantworten. Böhmes ganze Lehre vom Ungrund ist derart mit der Lehre von der Freiheit verflochten, dass man sie unmöglich trennen kann. Es ist ein und dieselbe Lehre. Ich neige dazu, den Ungrund als uranfängliche, nicht einmal von Gott determinierte meontische Freiheit auszudeuten. Wir werden sehen, dass Böhmes Lehre vom Ungrund sich nicht durch die einem Begriff eigentümliche Deutlichkeit auszeichnet. Aber man darf an sie auch nicht mit diesem Anspruch herantreten. So einen Begriff des Ungrundes kann es gar nicht geben! Es handelt sich hier um einen Bereich, der jenseits der rationalen Begriffe liegt. In welchem Verhältnis steht nun Böhmes Lehre zu der traditionellen rationalen Theologie, die von nichts etwas wissen will, das dem Ungrund entspräche? Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass die von den herrschenden Systemen der rationalen Theologie ausgearbeitete Theodizee das Verhältnis zwischen Gott und Welt zu einer Komödie, zu einem Spiel Gottes mit sich selber umwandelt. Sie ist ein Spiegelbild der alten Versklavung des Menschen, seiner Unterdrückung und Verängstigung. Sie ist eine Ontologie der Sünde. Böhme hingegen möchte das Geheimnis der Weltschöpfung als Tragödie auffassen, als eine Tragödie nicht nur des Menschen, sondern auch Gottes. Die rationale, kataphatische Theologie wird nur dadurch gerettet, dass sie sich in einem bestimmten Moment in eine apophatische Theologie verwandelt und behauptet, wir ständen vor einem unfassbaren und unaussprechlichen Geheimnis, vor dem wir uns zu beugen hätten. Aber die kataphatische Theologie nimmt zu spät Zuflucht zum Geheimnis, als der einzigen Rettung und dem einzigen Ausweg, nachdem sie bereits alles so sehr rationalisiert hat, dass einem der Atem vergeht. Die Theologie geht unvermittelt [S. 58] viel zu weit in der Rationalisierung der göttlichen Geheimnisse und proklamiert viel zu früh das Veto für die Erkenntnis. Damit sanktioniert sie den Agnostizismus. Darin unterscheidet sie sich von der Theosophie, die sowohl die Irrationalität und das Mysterium der göttlichen Dinge mehr anerkennt, als auch die Möglichkeit unendlicher Bewegung in der Erkenntnis dieser Geheimnisse, eine Erkenntnis jedoch nicht durch Begriffe, eher zulässt. Die Theologie hingegen arbeitet vornehmlich mit Begriffen, insbesondere die vortrefflich ausgearbeitete katholische Schultheologie. Ich bezeichne folgende Konzeption der rationalen, kataphatischen Theologie als Komödie: Gott, der vollkommene und unbewegliche, nichtsbedürftige, selbstzufriedene, allmächtige, allwissende und allgütige, hat die Welt und den Menschen zu seinem eigenen Ruhm und zum Wohle der Schöpfung geschaffen. Der Akt der Weltschöpfung war durch nichts hervorgerufen und entsprach keinem Bedürfnis Gottes. Er war ein Erzeugnis reinen und freien Wollens, er fügte zum göttlichen Sein nichts hinzu und bereicherte es durch nichts. Gott stattete das Geschöpf, den Menschen, mit der verhängnisvollen Eigenschaft der Freiheit aus. Gott sieht in der Freiheit die Würde seiner Schöpfung und ein Ebenbild seiner selbst. Der Mensch indes machte von seiner Freiheit einen schlechten Gebrauch. Er lehnte sich auf gegen seinen Schöpfer, fiel von Gott ab und riss in seinem Fall die ganze Schöpfung mit sich. Der Mensch, der den Willen Gottes verletzte, verfiel der Verdammnis und der Macht des Gesetzes. Die ganze Schöpfung seufzt und weint [vgl. Röm 8,22]. Soweit der erste Akt. Im zweiten Akt beginnt die Erlösung. Gott wird Mensch zur Rettung der Schöpfung. Die Gestalt des Schöpfers wird abgelöst durch die Gestalt des Erlösers. Bemerkenswert ist aber, dass diese ganze Kosmologie und Anthropologie nach dem Prinzip des reinen Monotheismus aufgebaut ist, ohne jegliche Beziehung zu Christus und vor der Offenbarung der Allheiligen Dreieinigkeit. Dies ist dualistischer Theismus, der nichts von der Dreiheit der Gottheit weiß, der nur eine monarchische Gotteslehre kennt, das heißt [S. 59] eine nicht christliche Lehre. Die Komödie oder das Spiel Gottes mit sich selber besteht hier darin, dass Gott, den Menschen mit der Freiheit ausstattend, in seiner Allwissenheit ja doch um alle Folgen dieser Freiheit wusste, um Sünde, Böses, Qual und Leiden in der Welt, ewige Verderbnis und ewige höllische Peinigungen einer unbestimmten und offenbar ungeheuren Anzahl einer von ihm zum Wohle erschaffener Wesen. Der Mensch erweist sich als nichtiges Spielzeug, das die Freiheit von außen erhält, und dem zugleich eine das Maß seiner Kräfte übersteigende Verantwortung auferlegt wird. Er ist groß nur in seinem Fall. Für Gott vollzieht sich alles in der Ewigkeit und im Akt der Weltschöpfung, in der Ewigkeit indes sind die zeitlichen wie auch die ewigen Qualen vorherbestimmt. Dies führt unvermeidlich zu der Lehre von der Prädestination der einen zum Heil, der anderen zu ewiger Verderbnis, einer Lehre, zu der schon Augustinus neigte, und die Calvin zu Ende führte. Gott, der den Menschen schuf, hat ihn zu ewiger Verderbnis vorherbestimmt, denn er kennt die Folgen der Freiheit, weiß, was der Mensch wählen wird. Der Mensch hat die Freiheit von Gott empfangen, er hat sie nicht aus sich selber, und diese Freiheit liegt ganz und gar in Gottes Macht, sie ist voll und ganz von ihm determiniert, d.h. letztlich fiktiv. Gott harrt auf eine Antwort der Kreatur auf seine Aufforderung, das Geschöpf möge Gott liebgewinnen und ein göttliches Leben führen, aber Gott erwartet eine Antwort von sich selber, er spielt mit sich selber; denn er selber schenkt ja die Freiheit und kennt die Folgen dieser für ihn glasklaren Freiheit. Das Problem des Ivan Karamazov stellt sich in größerer Tiefe und wird in die Ewigkeit übertragen. (d) Es ist nicht die Rede von einer Kinderträne im zeitlichen irdischen Leben, sondern von den zeitlichen wie auch ewigen Qualen einer ungeheuren Anzahl von Lebewesen, die das verhängnisvolle Geschenk der Freiheit von Gott empfingen, der darum weiß, was dieses Geschenk bedeutet und wozu es führt. Die Soteriologie der traditionellen theologischen Systeme lässt sich [S. 60] leicht ausdeuten als eine unwürdige Korrektur Gottes an dem von ihm begangenen Fehler, die zugleich die Form eines Strafprozesses annimmt. Die rationale kataphatische Theologie, die in ihrer Kosmologie und Anthropologie den dreieinigen Gott, Christus, den Gott der Liebe und des Opfers, vergisst und das Geheimnis der christlichen Offenbarung zum Erlösungsteil statt zum Weltschöpfungsteil rechnet, vermag sich über diese göttliche Komödie nicht zu erheben und konstruiert eine fiktive Theodizee. Die theologische Lehre von der Willensfreiheit trägt pädagogischen, moralisch-juridischen Charakter und dringt nicht in das Urgeheimnis der Freiheit ein. Sie ist nur dazu notwendig, um jemanden bestrafen zu können. In einer derartigen Konzeption sind apophatische und kataphatische Momente hoffnungslos miteinander vermengt. Jakob Böhme nun ist einer der wenigen gewesen, die so kühn waren, sich über diese rationale kataphatische Theologie zu erheben und das Geheimnis der Weltschöpfung nicht als Komödie, sondern als Tragödie aufzufassen. Er lehrt nicht nur von einem kosmogonischen und anthropogonischen Prozess, sondern auch von einem theogonischen. Theogonie aber bedeutet durchaus nicht, dass Gott einen Anfang habe, in der Zeit ins Sein träte, sie bedeutet nicht, dass er im Weltprozess entstehe wie bei Fichte oder Hegel, sondern sie bedeutet, dass das innere, ewige Leben Gottes sich als dynamischer Prozess, als Tragödie in der Ewigkeit, als Kampf mit der Finsternis des Nichtseins offenbart. Die Lehre von Ungrund und Freiheit ist eben ein vermessener Versuch, die Weltschöpfung aus dem inneren Leben der Gottheit zu verstehen. Die Weltschöpfung gehört zum inneren Leben der Göttlichen Dreieinigkeit, sie kann für diese nicht etwas ganz Äußerliches sein. Das Prinzip des Bösen erlangt so wahren Ernst und wirkliche Tragik. Böhmes Kosmogonie und Anthropogonie sind mit christlicher Offenbarung gesättigt, sie bleiben nicht alttestamentarisch, sie erscheinen in neutestamentlichem Licht, im Licht Christi. Böhme lehrt "die ernstliche Quall [sic] des [S. 61] Abgrundes" (Vom dreifachen Leben des Menschen, IV, 25), die Qual im finsteren Abgrund, den das Licht Christi besiegen muss.

Fortsetzung