Meister Eckhart

 

Abgeschiedenheit

 

Wie mag das gesin, das abgeschaidenhait des verstentniss sunder form vnd bild in im selber ållú ding verstát sunder uskeren vnd verwandlung sin selbes? Ich sprich, es kum von siner ainualtikait; wán ie luter ainualtiger der mentsch sin selbes in im selber ist, ie ainualteklicher er alle manigualtikait in im selber verstát vnd belibt vnwandelber in im selber (Predigt 15).

 

Armut

 

Gott wird nicht unbeschreiblich genannt, sondern über alle Beschreibung erhaben, gemäß den Worten: „Du hast deinen heiligen Namen über alles herrlich gemacht“ (Ps 137,2). Der Name, der über alle Namen ist (Phil 2,9) ist nicht unnennbar, sondern auf jede Weise nennbar. Daher sagt Augustinus: „Alles lässt sich von Gott sagen, aber keine Aussage ist Gottes würdig. Nichts ist reicher als diese Armut (nihil latius hac inopia). Du suchst nach einem passenden Namen und findest keinen; du suchst nach einem beliebigen Namen und findest alle.“ (Liber de causis 5,61; Augustinus, Über das Johannesevangelium, Sermo 13; Expositio libri Exodi 35).

 

Berufung

 

Die Menschen waren gehalten, der inneren Berufung nicht zu widerstehen (interiori vocationi non resistere), so wie Jesaja über sich sagt: „Der Herr hat mir das Ohr geöffnet, ich aber widerspreche nicht, ich habe mich nicht zurückgezogen“ (Jes 50,5), wie es von einigen heißt: „Ihr widerstehet immer dem Heiligen Geist“ (Apg 7,51; Expositio sancti evangelii secundum Iohanem 651).

 

Gott allein

 

Wer zeitliche Dinge erbittet, verdient nicht, von Gott erhört zu werden, weil er nicht auf den Herrn vertraut. Er glaubt nämlich nicht, ihm könne Gott an sich genügen (deum per se posse sufficere), im Gegensatz zu dem Wort: „Alles haben wir einzig in dir allein“ (Tob 10,5; Expositio sancti evangelii secundum Iohanem 607).

 

Gottesgeburt

 

Der vater gebirt sînen sun in der êwicheit im selber glîch. „Daz wort was bî gote, und got was daz wort“ (Joh 1,1): ez was daz selbe in der selben natûre. Noch spriche ich mêr: er hât in geborn in mîner sêle. Niht aleine ist si bî im noch er bî ir glîch, sunder er ist in ir, und gebirt der vater sînen sun in der sêle in der selben wîse, als er in in der êwicheit gebîrt, und niht anders (Predigt 6).

 

Das Gute

 

Jede Wirkung oder alles Hervorgebrachte gewinnt den vollen Gehalt des Guten aus zweierlei: erstens den Wesensgehalt durch seine Form, durch die es auch sein Sein hat; zweitens den formellen Gehalt aus der Übereinstimmung mit dem Willen des Hervorbringenden oder dem Wohlgefallen, das er (an dem Hervorgebrachten) hat, weil es seinem Sinnen und seiner Absicht entspricht. Gott aber, und er allein, ist im eigentlichen Sinne die Ursache dafür, dass die Dinge im Sein sind oder das Sein in den Dingen ist. Damit haben wir die erste, die seinen Wesensgehalt betreffende Bestimmung des Guten, da gut und seiend vertauschbar sind (bonum et ens convertuntur; Aristoteles, Metaphysik 1054a: eins und seiend). Was könnte aber dem Sein, das Gott ist, so gefallen wie das Sein der Dinge und das Sein in den Dingen, die Dinge im Sein und wegen des Seins? Das ist aber der zweite, der formelle Gehalt des Guten, dass nämlich (das Hervorgebrachte) dem Hervorbringenden gefällt und seinem Sinnen und Willen entspricht. Das besagen die Worte: „Gott sah, dass es gut war“ (Gen 1,10). Jede Wirkung und alles von einer Ursache Hervorgebrachte ist etwas Gutes. Denn das Böse ist keine Wirkung, sondern ein Abfall (vom Sein) und hat keine Ursache. Nach der Ursache des Bösen fragen heißt, nach der Ursache des Nichts fragen; denn das Böse ist ein Nichts (Boethius, Trost der Philosophie 3,12; Expositio libri Genesis 135f).

 

Da jedes Wirkende wirkt, insofern es seiend und insofern es gut ist, denn das Gute verströmt sich (bonum enim sui diffusivum est), ist notwendigerweise jedes Hervorgebrachte infolge der Hervorbringung seinem Hervorbringenden im Sein und im Guten ähnlich (Dionysios Areopagita, Über die göttlichen Namen 4,1; Expositio libri Sapientiae 229).

 

Herz

 

„Das beste ist, durch die Gnade das Herz fest zu machen“ (Hebr 13,9). Gut ist es nämlich, mit Hilfe der Gnade die Sünden zu vermeiden, besser, im Dienste Gottes fortzuschreiten, am besten aber, das Herz in Gott selber fest zu machen (cor in ipso deo stabilire; Sermo 12, 122).

 

Inkarnation

 

Die erste Frucht der Inkarnation des Wortes, welches Gottes Sohn von Natur ist, besteht darin, dass wir Gottes Kinder durch Annahme an Kindes statt werden. Denn wenig bedeutete es mir, dass das Wort für den Menschen Fleisch wurde in Christus, jener von mir verschiedenen Person, wenn es nicht auch in mir persönlich (Fleisch annähme), damit auch ich Gottes Kind wäre (Expositio sancti evangelii secundum Iohanem 117).

 

Jagd

 

Und daz dû vor suochtest, daz suochet nû dich; daz dû vor jagetest, daz jaget nû dich, und daz dû vor mohtest gevliehen, daz vliuhet nû dich (Augustinus, Ennarationes in Psalmos 49,6, PL 36, 871; Traktat 2,5).

 

Jetzt

 

Die gesamte Zeit mit ihren Unterschieden, die Vergangenheit und Zukunft nicht weniger als die Gegenwart, ist gleichmäßig im Jetzt der Ewigkeit (in nunc aeternitatis) eingeschlossen (Expositio libri Exodi 167).

 

Lassen

 

Daz hœhste und daz næhste, daz der mensche gelâzen mac, daz ist, daz er got durch got lâze (Predigt 12).

 

Leid

 

Wan sô der gelust ze ûzern dingen ie grœzer wære, sô daz vonkêren ie swærer wære, wan sô ie grœzer liep, ie grœzer leit, sô ez an ein scheiden gât (Predigt 104).

 

Liebe

 

Die Liebe bringt sich ganz zum Opfer, entbrennt ganz, steigt ganz empor, formt sich ganz in den Geliebten um, nämlich in Gott, ihm lebt sie, nicht sich selbst, nach dem Wort: „Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20) und: „für mich ist Leben Christus“ (Phil 1,21). Ihm also lebt sie, und durch ihn lebt sie, nach dem Wort: „mein Geliebter ist mein und ich bin sein“ (Hld 2,16). (Expositio libri Exodi 257).

 

Nachfolge

 

Gewiss gibt es viele, die Christus folgen, wenn er vorangeht und sie zu Gesundheit, Glück, Reichtum oder Wohlleben führt; wenn er sie aber in seiner Nachfolge in Schmerzen, Mühsal und dergleichen führt, dann sagen sie: „Diese Rede ist hart, wer kann sie hören?“ und wenden sich ab (Joh 6,61; Expositio sancti evangelii secundum Iohanem 230).

 

Ruhe

 

Das Sein ruht und ist in sich so ruhig und still, dass es jedes Ding in sich zur Ruhe bringt und als Seiendes unbeweglich macht (Expositio libri Genesis 165).

 

Schweigen

 

Die Gelehrten empfanden es als untragbar und unwürdig, als sie jemanden sogar im Gebet viele Worte über Gott machen hörten; denn Namen oder Worte haben etwas Unvollkommenes an sich und sind fern der Einfachheit Gottes, gemäß dem Wort: „Gott ist im Himmel, du aber bist auf der Erde, lass daher deiner Worte wenig sein“ (Qoh 5,1). Denn Schweigen ist Lob für ihn (Maimonides, Führer der Unschlüssigen 59; Expositio libri Exodi 174).

 

Seelenfünklein

 

Diu sêle tritet mê in got dan kein spîse in uns, mêr: ez wandelt die sêle in got: daz ist daz vünkelîn der sêle. Noch einer wirt mîn sêle mit gote dan diu spîse mit mînem lîbe (Predigt 20a).

 

Suche

 

Und dâ von sprichet er: „alsuslîche suochet der vater“ (Joh 4,23). Sehet, alsus liepkôset uns got, alsus vlêhet uns got, und got enmac niht erbeiten, biz sich diu sêle gesmucket und geschelete von der crêatûre, und ist ein sicher wârheit und ein nôtwârheit, daz gote alsô nôt ist, daz er uns suochet, rehte als ob alliu sîn gotheit dar ane hange, als si ouch tuot (Predigt 26).

 

Ungeteilt

 

Im Wesen des Ersten und Oberen liegt es, da es von Natur reich ist (dives per se: Liber de causis, propositio 10), das Niedere mit seinen Eigentümlichkeiten zu beeinflussen und zu berühren, zwischen denen Einheit und Ungeteiltheit besteht. Immer ist das im niederen Geteilte eins und ungeteilt im Oberen. Daraus folgt, dass das Obere in keiner Weise im Niederen geteilt wird, sondern es bleibt ungeteilt, bindet und eint das im Niederen Geteilte (Prologus generalis in opus tripartitum 10).

 

Versuchen

 

Si non vis credere, tempta (Predigt 12).

 

Wachsen

 

Suln wir dar în komen, sô müezen wir klimmen von natiurlîchem lichte in daz licht der gnâde und dar inne wahsen in daz licht, daz der sun selber ist (Predigt 75).

 

Werk

 

Der Anblick des Vorbildes darußen wird nur dann zum Ursprung des Kunstwerkes, wenn es (zugleich) die Seinsweise der innehaftenden Form annimmt. Sonst malte der Stümper ebensogut wie der Könner, da beide gleichmäßig das Vorbild draußen anschauen. Also muss das Werk, welches bei, außer und über dem Künstler ist, zum inneren Werk werden, und zwar dadurch, dass es zur inneren Form des Künstlers wird, die ihn das Kunstwerk schaffen lässt, gemäß dem Worte: „Der Heilige Geist wird von oben her in dich kommen“ (Lk 1,35), damit nämlich das Oben zum In werde. Das besagt dieser Ausspruch: Im Anfang war es, und der folgende: „und das Wort war bei Gott“ (Joh 1,1). Der erste drückt die Formursache aus, nämlich den Vater, der zweite die im Vorbild wirksame Form oder Ursache, beim Vater (Expositio sancti evangelii secundum Iohanem 41).

 

Wüste

 

Ich hân gesprochen von einer kraft in der sêle; an irm êrsten ûzbruche sô ennimet (erfasst) si got niht, als er guot ist, si ennimet niht got, als er diu wârheit ist: sie gründet und suochet vort und nimet got in sîner einunge und in sîner einœde; si nimet got in sîner wüestunge und in sînem eigenen grunde (Predigt 10).

 

Zuinnerst

 

Schöpfung ist Verleihung des Seins. Das darf man sich aber nicht so vorstellen, als ob das Sein gleichsam von außen in uns hineinkäme; denn Gott ist als die Erstursache den Seienden zuinnerst (intimus sit entibus; vgl. Augustinus, De vera religione 39,72). Was er als der Erste und Oberste wirkt oder beeinflusst, ist im höchsten Grade natürlich, angenehm und angemessen (Expositio libri Genesis 14).

 

 

 

Quellen

 

o       Die lateinischen Werke, hg. u. übersetzt v. E.Benz, C.Christ, B.Decker, H.Fischer, J.Koch, L.Sturlese, K.Weiß u. A.Zimmermann, 5 Bde., Stuttgart 1956.1964.1992.1994.2006.

o       Die deutschen Werke, hg. u. übersetzt v. J.Quint, G.Steer, W.Klimanek u. F.Löser, 5 Bde., Stuttgart 1958.1963.1976.1986.2000.

 

 

Verweise

 

o       Eckhart

o       Mystik

o       Maimonides

o       Neuplatonismus

o       Scholastik

 

 

Hauptseite