Pavel Nikolaevič Evdokimov zum Gedächtnis

Robert Stupperich

Die Orthodoxie in Westeuropa ist im letzten Jahrzehnt kaum von jemand mit so viel Geist und Kraft vertreten worden wie von Pavel Evdokimov. Er hat spät angefangen zu schreiben, aber was er schrieb, war ausgereift. Da er in der östlichen Welt ebenso zu Hause war wie in der westlichen, erreichte er auch die Menschen, die er suchte. In weiten Kreisen haben seine Bücher Eindruck gemacht und werden nun, nachdem ihm der Tod am 16. September 1970 plötzlich die Feder aus der Hand nahm, nachwirken.

Pavel Evdokimov, geboren in St. Petersburg am 2. August 1901, entstammte einer Offiziersfamilie und war eigentlich für die Offizierslaufbahn bestimmt. Seit frühester Jugend innerlich dafür vorbereitet, trat er 1918 in die Geistliche Akademie in Kiev ein, musste aber nach dem Bürgerkrieg, an dem er teilgenommen hatte, seine Heimat verlassen. In Paris schlug er sich seit 1920 mit schwerer Arbeit durch, trat aber bei der Eröffnung des Theologischen Instituts des hl. Sergij gleich dort ein und schloss 1928 sein Studium ab. Ein geistliches Amt übernahm er nicht, trat vielmehr als Sekretär in die christliche Studentenarbeit ein. Mit seiner ersten Frau, die aus dem französischen Protestantismus kam, arbeitete er in Südfrankreich an der Annäherung der Orthodoxen und Protestanten und half vielen, besonders während des Krieges. Nach ihrem Tode (1945) ging er nach Paris; hier gehörte er zu den Begründern der Flüchtlingshilfsorganisation CIMADE (Comité intermouvements auprès des évacués), leitete Studentenhäuser und war vielen Studenten ein väterlicher Freund und Helfer. Nachdem er reiche Erfahrungen gesammelt und wieder geheiratet hatte, begann erst seine große theologische Wirksamkeit. Er wurde nach Bossey gerufen, und 1953 erhielt er den Lehrstuhl für Moraltheologie am Institut St. Serge. Sein Name wurde bekannt durch sein ökumenisches Wirken und durch seine literarische Arbeit. Zum 2. Vatikanischen Konzil wurde er als Beobachter eingeladen und lehrte in seinen letzten Jahren auch am katholischen Institut für ökumenische Studien in Paris.

Von P.Evdokimovs Büchern sind nur drei (1) ins Deutsche übersetzt: "Die Frau und das Heil der Welt" (1960, frz. 1958), "Der Abstieg in die Hölle. Gogol und Dostojewskij" (1965, frz. 1961) und "Gotteserleben und Atheismus" (1967, frz. 1964).

Die übrigen liegen im französischen Original vor: « Dostoievsky et le Problème du Mal » (1942), « Le Mariage, Sacrement de l'Amour » (1944), « L'Orthodoxie » (1959), « Le Sacrement de l'Amour. Le mystère conjugal à la lumière de la Tradition Orthodoxe » (1962), « La Prière de l'Eglise d'Orient. La Liturgie de Saint Jean Chrysostome » (1966), « La Connaissance de Dieu selon la Tradition Orientale » (1968), « L'Esprit Saint dans la Tradition Orthodoxe » (1969), « Le Christ dans la Pensée Russe » (1970) (2), « L'Art de l'Icône. Theologie de la Beauté » (1970), « La Sainteté dans la Tradition de l'Eglise Orthodoxe » (1971). (3)

Sein erstes aufsehenerregendes Buch "L'Orthodoxie" zeigte bereits seine Intention, die Orthodoxie dem für ihr Verständnis so wenig Äquivalente entgegenbringenden Westen nahezubringen. Bei der Sichtung der westlichen Literatur konnte er viel Gegensätzliches feststellen. Wie sollte da eine Synthese gefunden werden? Gerade hier sah er die Aufgabe der russischen Theologie und Kirche; dem slawischen Geist gelingt die Assimilierung der Überlieferung in eigener Weise.

P.Evdokimov kannte die Schrift, er kannte die Kirchenväter. Er ging von der Anthropologie aus, wenn er seine Dogmatik entwarf. Dem großen Geheimnis der Menschwerdung Gottes entspricht die Vergöttlichung des Menschen. Wirklichkeit wird das Geheimnis in der Kirche. Ihren Glauben wollte Evdokimov darstellen und verdeutlichen, wie die Ikonenmaler es in ihrer Weise tun. Nicht verständlich machen, sondern nahebringen und erleben lassen ist das wichtigste Werk, dem Evdokimov sich widmete. Glaube und Gebet waren für ihn Tatsachen des inneren Lebens, denen er im kirchlichen wie im weltlichen Schrifttum nachging.

P.Evdokimovs Bedeutung als Theologe besteht darin, dass er die kirchliche Überlieferung mit dem modernen Geist zu verbinden wusste. Er kannte das Dilemma zwischen Tradition und modernem Denken nicht, das so vielen jungen Menschen Not bereitet; er integrierte die Tradition in die Gegenwart, wie es seine Lehrer Berdjaev und Bulgakov in ihrer Weise getan hatten. Seine Synthese war kraftvoll und geradezu genial. Dabei tat er weder der Überlieferung noch der Gegenwart Gewalt an. Seine Darstellung der orthodoxen Glaubenswelt war dadurch nicht gemindert. In seinem letzten Werk über die Theologie der Schönheit bringt er seinen Gottesbeweis, den er "la preuve iconosophique" nennt, und erhebt sich zu den Höhen der mystischen Theologie.

P.Evdokimovs Art zu schreiben ist sprühend, ungewöhnlich, geleitet von der Bewunderung Gottes. Besonders in seinem letzten Buch zeigt er seinen eigenen Weg zu Gott und gibt damit Antwort auf die Fragen unserer Zeit.

Ave pia anima! (4)

Kirche im Osten 14 (1971), 15f

Anmerkungen von Heinrich Michael Knechten

(1) Bücher Evdokimovs in deutscher Sprache:

·        Christus im russischen Denken, Übers. v. H.Blersch, Sophia 12, Trier 1977.

·        Das Gebet der Ostkirche. Mit der Liturgie des hl. Johannes Chrysostomos, Übers. v. G.Bultmann, Graz, Wien u. Köln 1986.

·        Der Abstieg in die Hölle. Gogol und Dostojewskij, Übers. v. E.Krois, Salzburg 1965.

·        Die Frau und das Heil der Welt, Übers. v. E. v. Flotow, München 1960; Moers u. Aschaffenburg 21989.

·        Gotteserleben und Atheismus, Übers. v. M.Prager, Wien u. München 1967.

(2) Le Christ dans la pensée russe, Paris 1970; Traditions chrétiennes 22, Paris 21986.

(3) Weitere Werke von P.Evdokimov:

·        De la Nature et de la Grâce dans la Théologie de l'Orient, in: 1054-1954. L'Église et les églises, Bd. 2, Chevetogne 1955, 171-195.

·        Le devoir du féminin selon Nicolas Berdiaeff (Manuskript).

·        Les âges de la vie spirituelle. Des Pères du désert à nos jours, Paris 1964 (Nachdruck: Paris 1996).

·        Présence de l'Esprit Saint dans la tradition orthodoxe, Foi vivante 179, Paris 1977.

·        Quelques jalons sur un chemin de vie, Paris 1965.

·        Serafim di Sarov, uomo dello spirito. Con il testo integrale del Colloquio con Motovilov, Spiritualità orientale, Bose 1996.

·        Tu aimeras le réfugié comme toi-même (Manuskript).

Aufsatzsammlungen:

·        L'Amour fou de Dieu, Paris 1973.

·        La Nouveauté de l'Ésprit, Abbaye de Bellefontaine 1977.

·        Le Buisson ardent, Paris 1981.

(4) Sekundärliteratur:

·        Celora, G., Evdokimov – voce dell'ortodossia in Occidente, Nuovi saggi teologici 36, Bologna 1995.

·        Clément, C., Orient – Occident. Deux passeurs: Vladimir Lossky et Paul Evdokimov, Perspective orthodoxe 6, Genf 1985.

·        Gianazza, P.G., La teologia dello Spirito Santo in prospettiva ecumenica. Studio vomparativo sulla pneumatologia di Paul Evdokimov (ortodosso) e Yves Congar (cattolico), Diss. Rom 1980.

·        Gianazza, P.G., Paul Evdokimov cantore dello Spirito Santo, Biblioteca di scienze religiose 52, Rom 1983.

·        Giuliodori, C., Intelligenza teologica del maschile e del femminile. Problemi e prospettive nella rilettura di von Balthasar e P.Evdokimov (Diss. Rom 1990), Rom 1991.

·        Kockerols, J., L'extrême onction de Jésus. Éléments pour une pneumatologia crucis suggérés par P.Evdokimov, F.-X.Durrwell et J.Moltmann (Diss. Rom 1997), Teildruck 1998.

·        Manzoni, G., La spiritualità della chiesa ortodossa russa, Storia della spiritualità 9/B, Bologna 1993, 555-571 (Pavel Nikolaevič Evdokimov e il sacerdozio laicale).

·        Paleari, M., Il sacramento dell'eros. Una lettura simbolico-sapienziale dell'eros benedetto a partire da V.S.Solov'ëv e P.Evdokimov (Diss. Rom 1999), Mailand 2003.

·        Phan, P.C., Culture and Eschatology. The Iconographical Vision of Paul Evdokimov, American University Studies, Series 7, Theology and Religion 1, New York, Bern u. Frankfurt a.M. 1985.

·        Rigel Langella, M., Salvezza come illuminazione. Uno studio comparato di S.Bulgakov, V.Lossky, P.Evdokimov, Tesi gregoriana. Serie teologica 69, Rom 2000.

·        Roussel, J.-F., Paul Evdokimov. Une foi en exil, Brèches théologiques 31, Montréal 1999.

·        Vendrame, G., Mistero e gloria. Introduzione al pensiero religioso di Paul Evdokimov, Rom 1976.

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