Das Leben im Geist Jesu Christi bei Theophan dem Klausner

Heinrich Michael Knechten

In der Taufe wird das Leben in Jesus Christus grundgelegt. Es soll sich nach der Taufe in einem Leben in Ihm, in Seinem Geist entfalten.

1. Das Leben in Jesus Christus

Gleichzeitig mit der Vergebung der Sünden setzt die Gnade den Beginn des neuen Lebens in Christus durch die Wiedergeburt. Wer seine Heilshoffnung allein auf den Herrn Jesus Christus setzt, wird von Ihm angenommen und empfängt in der Taufe die Gnade der Wiedergeburt und die Kraft zu einem neuen Leben in Christus. Die Heilshoffnung allein auf Ihn ist das Herz des Christentums. Wer seine Hoffnung auf etwas anderes als allein auf Ihn setzt, bei dem schwächt sich die Verbindung mit dem Herrn ab.

In der Taufe stirbt der Mensch nicht, um tot zu sein, sondern um ein anderes, vollkommeneres Leben zu führen. Mit Christus gekreuzigt zu sein bedeutet, von Ihm mit Seinem Leben erfüllt zu werden: Er beginnt im Menschen zu leben. Dies geschieht nicht nur auf eine ethische Weise, indem sich der Mensch ihm in Gedanken und Gefühlen, Werken und Worten übergibt. Vielmehr ist Christus wesenhaft im Menschen. Der Mensch ist mit Ihm verbunden und Christus mit dem Menschen. Christus bewirkt alles in ihm, Er gibt den Impuls und die Kraft zur Ausführung. Dabei ist die menschliche Persönlichkeit jedoch nicht ausgelöscht, sondern der Mensch übergibt sich bewusst und frei dem Wirken Christi. Er macht sich Christus zu eigen und wird von Christus zu eigen gemacht. "Das Wesen des Christentums besteht in der wesenhaften Vereinigung mit dem Herrn."

Die Gemeinschaft mit Christus bedeutet zugleich die wesenhafte Gemeinschaft mit Gott: "Die wahre Gemeinschaft mit Gott ist von Anfang an bereits durch den Herrn und Erlöser in Seiner Person hypostatisch vollzogen, und geschieht dann gnadenhaft-sittlich auch in allen Gläubigen. Alle Gläubigen, die mit dem Herrn eins werden, werden auch wahrhaft, wesenhaft eins mit Gott." Durch das neue Leben in Christus gelangt der Mensch zur Ruhe in Gott, zur vollkommenen Vereinigung mit Ihm. Dann ist Gott in der Seele und die Seele in Gott. In Christus ist der Mensch mit Gottheit erfüllt. Da Christus eins ist mit dem Vater und der Mensch eins mit Ihm, empfängt der Mensch die Gabe der Annahme an Kindes Statt. "Die Annahme an Kindes Statt wird durch Jesus Christus vermittelt. Die Gläubigen werden eines Geistes mit dem Herrn. Wie Er Sohn ist, sind auch sie Söhne. Er ist aber Sohn von Natur aus, sie hingegen werden um des eingeborenen Sohnes willen in die Sohnschaft aufgenommen." Die Annahme an Kindes Statt ist nichts Äußerliches, sondern stellt das Wesen der Lebensordnung in Christus Jesus dar. Sie geht aus der Ordnung des geistlichen Lebens hervor und spiegelt sich im Gefühl und Bewusstsein des Menschen. Die Glaubenden dienen Gott nicht wie Sklaven, sondern wie Kinder, die alle Pläne ihres Vaters verstehen, bejahen und lieben.

Theophan mahnt, mit Christus verbunden zu bleiben: "Wie ein Baum seine Wurzeln in die Erde gesenkt hat, bleibt auch ihr mit allen Wurzeln eures Lebens in den Herrn Jesus versenkt! Wenn ihr euch von Christus dem Herrn losreißt und euch in irgend etwas oder in irgendeinen anderen einwurzelt, könnt ihr nicht mehr leben, wie es notwendig wäre. Ihr lebt dann scheinbar, nicht aber wirklich; denn die Quelle des geistlich-begnadeten Lebens ist einzig Christus der Herr."

Theophan bedenkt auch die Möglichkeit, in die Gemeinschaft mit Christus zurückzukehren: Wer nach der Taufe in Sünde fällt, verliert die Gnade, in Christus zu leben. Da aber das Wesen des christlichen Lebens im Leben im Herrn Jesus Christus besteht und für die Reben wahres Leben nur in Verbindung mit dem Weinstock existiert (vgl. Joh 15,4-6), ist es notwendig, die Gemeinschaft mit dem Herrn zu erneuern. Wer Buße tut, äußert darin sein Bedürfnis nach Gemeinschaft mit Ihm. In der hl. Kommunion gelangt er zur vollkommenen Belebung des inneren Menschen. In ihr wird ihm die Gnade der Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus Christus neu geschenkt. In der Kommunion empfängt der Christ den Arzt und die Arznei. Seine Aufgabe ist es, dem empfangenen Arzt Freiheit zu geben und die Arznei wirken zu lassen. Theophan hält es für notwendig, zu einer ständigen Kommunionvorbereitung (govenie) zu gelangen. Dazu gehören Fasten, Gottesdienstbesuch, Gebet und geistliche Lektüre, Buße und Empfang des Bußsakraments. Eine solche innere Haltung ist unerlässlich für jeden, der den Herrn sucht.

Der Sohn Gottes wurde Mensch, um den in die Sünde gefallenen Menschen mit Gott zu versöhnen, das heißt, ihn in eine Lebensordnung gemäß dem Willen Gottes zu führen. In Seiner Menschheit zeigte uns Jesus Christus, wie der Mensch sein soll. In der Wiedergeburt erhalten die Glaubenden das "Samenkorn" des christusähnlichen Lebens. "Wer sich an die Wahrheit hält und in Werken der Liebe fortschreitet, bereitet nur die Wohnstatt für Christus den Herrn. Man muss danach streben, dass Er in dieses Haus einzieht und darin lebt. Dies ist der Fall, wenn alles in uns mit Christus übereinstimmt, nichts Ihm fremd ist. Dafür wurden wir gleich zu Beginn in Christus gekleidet, und daher handeln wir in Christus, empfangen von Ihm die Anregungen, verrichten alles zu Seiner Ehre und tun alles nach Seinem Beispiel. Das Handeln in diesem Geist führt allmählich zur Übereinstimmung mit Christus und verwurzelt Ihn immer mehr in uns. Wenn durch die Mühe der Askese und das Tun guter Werke alles, was Christus fremd ist, aus uns vertrieben, und andererseits alles Ihm gemäß gestaltet wird, ist Er sogleich mit Seinem Wirken gegenwärtig. Sobald alles auf Christus ausgerichtet ist, erfüllt Er uns und lebt in uns."

Wer mit Christus Jesus im Glauben und in der Gnade durch die Sakramente verbunden ist, soll tot sein für die Sünde und nur noch für Gott leben, sonst gehört er nicht zu Christus. Wenn der Mensch Ihm übergeben bleibt, wird Christus dies alles in ihm bewirken. Ein Leben mit Christus ist ein neues Leben in Seinem Geist und durch Seine Gnade. "Das Leben im Herrn Jesus ist ein Übergang im Denken, Fühlen und in den Wünschen vom Materiellen zum Geistlichen, vom Irdischen zum Himmlischen, vom Vergänglichen zum Unvergänglichen, vom Zeitlichen zum Ewigen, vom Geschöpflichen zu Gott."

Wenn Theophan feststellt, dass das Wesen des christlichen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott im Herrn Jesus Christus besteht, fügt er sogleich hinzu, dass dies die Erfüllung des Willens Gottes einschließt: "Das christliche Leben ist der Eifer und die Kraft, in Gemeinschaft mit dem wirkenden Gott zu bleiben, im Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, mit der Gnadenhilfe Gottes, durch die Erfüllung Seines heiligen Willens, zur Ehre Seines heiligen Namens. Das Wesen des christlichen Lebens besteht in der Gemeinschaft mit Gott in unserem Herrn Jesus Christus". Christus eint alle mit sich und untereinander zu einem Leib. So wird die ursprüngliche Bestimmung des Menschen erfüllt. Wer sich im Glauben an Christus den Herrn bindet, wird von Ihm mit Gnade beschenkt. Sein Leben erhält eine neue Richtung. Statt um sich selbst zu kreisen, bemüht er sich jetzt, Gott zu gefallen. Er lebt mit seinem Geist in Gott und führt ein Leben der Selbstverleugnung. Darin besteht die Befreiung vom Gesetz der Sünde. "Die da leben, sollen jetzt nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist (2 Kor 5,15). Darin besteht das Ziel des Lebens, darin die Lebendigmachung durch den Geist, die von Beginn an als Ziel des Lebens aufgestellt wurde."

Alle "Früchte der Gerechtigkeit" stammen von Jesus Christus. Keine Rebe kann ja aus sich selbst Frucht bringen (vgl. Joh 15,4f). Die Frucht entsteht aus der Verbindung von Gnade und Freiheit: "Der Geist des Lebens in Christus Jesus entsteht durch die Verbindung der Gnade mit der Freiheit. Er tritt in Erscheinung durch den glühenden Eifer für das, was Gott gefällt, und für das Heil." Das wahre christliche Leben ist stark in Gott, daher ist es fruchtbar und zugleich demütig. Der Christ spürt: Alles vermag ich durch Christus, der mir Kraft gibt (vgl. Phil 4,13). Zugleich bekennt er: Was ist in mir, das ich nicht empfangen habe (vgl. 1 Kor 4,7)? Trotz des Überflusses an guten Werken erwartet er die endgültige Rechtfertigung einzig und allein von Christus. Der Geist des Lebens in Christus Jesus erfüllt das Herz des Menschen nicht sofort. Je mehr die Selbstsucht aus dem Herzen vertrieben wird, desto mehr entbrennt es in Liebe. Schließlich wird ihm in der Gemeinschaft mit dem Herrn die allumfassende, göttliche Liebe geschenkt. "Das geistlich-begnadete Leben im Herrn bedeutet nicht Stillstand. Es besteht vielmehr in unaufhörlicher Bewegung, immer voran und immer höher. Sobald die Bewegung aufhört, steht auch das Leben selbst still. Doch ist diese Bewegung kein Umstellen oder Ändern, sondern ein Wachstum in sich selbst. Dieses Wachstum geht ebenfalls in Christus Jesus vor sich."

2. Die Verpflichtung auf das Gesetz Christi

Der Glaube bewirkt nicht alles. Er verleiht den Eintritt in das Reich Christi, die Kirche. Wer aber in sie eingetreten ist, hat die Verpflichtung zu leben, wie es sich für Kinder dieses Reiches geziemt. Ursprünglich hatte Gott dem Menschen die Weisung gegeben, das Leben nach Seinem Willen zu gestalten. Die Gerechtigkeit gehörte zur menschlichen Natur. Durch die Vergebung der Sünden und den Empfang der Gnade wurde die Gerechtigkeit wiederhergestellt, die Gott dem Menschen bei seiner Erschaffung in die Natur eingeprägt hatte.

Das wahre Leben besteht in der Erfüllung des Willens Gottes, der in den Geboten des Sittengesetzes ausgedrückt ist (vgl. Mt 7,21). Die neutestamentliche Heilsökonomie (Inkarnation, Kreuz, Gnade des Geistes) ist dafür da, um die Ohnmacht des Gesetzes zu erfüllen, nicht aber, es außer Kraft zu setzen oder in den Hintergrund zu drängen. Der Glaube, die Sakramente und die Askese sollen darauf gerichtet sein, die Christen als Kinder Gottes zu erweisen, die untadelig sind, wenn der Herr kommt. Wer Christus im Glauben annimmt, empfängt mit und in Ihm das neue Gesetz. Die Gläubigen sind vom Gesetz frei geworden. Dies bedeutet aber keine Freiheit für gesetzloses Tun, vielmehr gingen sie neue Verpflichtungen ein. Diese erlegen ihnen auf, ein neues Leben nach den Geboten des Evangeliums zu führen. Befreit vom Gesetz, übergaben sie sich dem Herrn Jesus Christus. Daher sind sie verpflichtet, für Ihn allein zu leben, in Seinem Geist und nach Seinem Willen.

Wer das Gesetz nicht erfüllt, ist vom Fluch bedroht (vgl. Dtn 27,26). Diese Drohung ist im Neuen Bund sogar noch schrecklicher als im Alten. Der Herr sagt beim Gericht denen, die die neutestamentlichen Gebote nicht gehalten haben: "Geht weg von mir, ihr Verfluchten!" (Mt 25,41).

Wer an den Herrn glaubt und durch die Taufe erneuert wird, empfängt den Hl. Geist, der neue Gesetze ins Herz schreibt. Der Beginn dafür ist aber der Glaube an den Herrn; denn der Geist schreibt Seine Gesetze ja in das Herz dessen, der in Christus gekleidet ist. Wer an Christus glaubt, hat in sich alles Neutestamentliche und die neuen Gebote. Christus ist das Ziel des Gesetzes. Wer an Christus glaubt, erfüllt das, wofür das Gesetz gegeben wurde. "Wer den annimmt, welcher der Verheißung gemäß gekommen ist, und Ihm anhängt, wird ein Geist mit Ihm (vgl. 1 Kor 6,17). Sein Geist ist aber die Gesamtheit aller heiligen Gefühle, Neigungen und Bestrebungen, die von den Geboten gefordert werden und ihre Erfüllung darstellen. Folglich trägt der, welcher Christus dem Herrn anhängt, die Erfüllung aller Gebote in sich, und ist eben deswegen gerettet." Wer an Christus glaubt, wird gerecht, weil er in Ihm und durch Ihn Gnade empfängt, die sein Herz umgestaltet und es mit heiligen Gefühlen und Neigungen erfüllt, aus denen die Erfüllung der Gebote als natürliche Frucht hervorgeht. Der einzige Weg zum Gesetz der Gerechtigkeit ist der Glaube an Christus und die Bindung mit der ganzen Existenz an Ihn.

"Unabhängig vom Gesetz" bedeutet nicht die Aufhebung des Gesetzes. Die Rechtfertigung ist zwar unabhängig vom Gesetz, doch wird durch sie das ganze Gesetz erfüllt. Die Gerechtigkeit erscheint in Vollendung; denn ohne Gerechtigkeit und ohne Erfüllung der Gebote gibt es kein Heil. Der Herr sagt ja: "Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote" (Mt 19,17). Das Heil ist das Eingehen in das Reich und das Leben. Es ist an die Bedingung des Glaubens an Christus geknüpft, weil damit die Erfüllung der Gebote verbunden ist. Die Erfüllung des Gesetzes ist die unerlässliche Bedingung des Heils. Darauf richtet sich die gesamte neutestamentliche Heilsordnung. Der Glaube rettet nicht nur dadurch, dass er die Sünden der Büßenden durch das Blut Christi abwäscht, sondern besonders dadurch, dass er Gnade herbeizieht, die Kraft gibt, das Gesetz zu erfüllen. Das Empfinden der völligen Abhängigkeit von Gott bewegt den Menschen dazu, dem definierten Willen Gottes, dem Gesetz, zu gehorchen. Dieses Empfinden legt die Grundlage dafür, dass sich die Freiheit dem Gesetz unterwirft. Doch dann ist es notwendig, dass der Mensch diese Unterwerfung freiwillig vollzieht. Erst dann verbinden sich Freiheit und Gesetz miteinander. Gott zwingt den Menschen nicht, sondern lässt ihm die Freiheit, Ihm zu gehorchen und Ihm seine Freiheit hinzugeben. Derjenige liebt Gott, der sich Ihm mit seiner ganzen Existenz übergeben hat und, mit Gnade beschenkt, in Seinen Geboten wandelt. Das Gesetz des christlichen Lebens besteht nach Theophan darin, zu leben, wie es geboten ist, und Gott zu gefallen suchen.

Die Menschen, die an den Herrn glauben, sind dem gestorben, was sie einst gefangenhielt: der Selbstsucht. Zugleich wurden sie lebendig durch das entgegengesetzte geistliche Prinzip: Eifer für das, was Gott gefällt. Dieses Prinzip bewirkt, dass die Glaubenden nicht mehr sich selbst leben, sondern Gott (vgl. 2 Kor 5,15). Darin finden sie Freude. Jetzt können sie Gott nach den Eingebungen dienen, die aus ihrem erneuerten Geist hervorgehen. Sie brauchen keine Weisung mehr von außen. Sie wollen und können das tun, was das Gesetz fordert.

Solange der Geist des Menschen noch nicht erneuert ist, ist er noch unterdrückt vom Geist dieses Äons. Solange dies der Fall ist, kann der Mensch den Willen Gottes weder erkennen noch verstehen. Er ist nicht aufnahmefähig für ihn, so sehr er sich auch abmüht.

Wer glaubt, sich taufen lässt und bereit ist, nach den Geboten des Herrn zu leben, wird durch die lebendige Gemeinschaft mit Christus belehrt. Er ist zur völligen Erneuerung und Heiligung seiner Natur gelangt. Der allgemeine Wille Gottes ist in den Geboten ausgedrückt und allen bekannt. Ihn muß man nicht herausfinden. Doch die Anwendung der Gebote auf eine konkrete Situation kann unterschiedlich sein, je nach Ort und Zeit des Handelns. Der durch die Gnade erneuerte Intellekt entscheidet dies. Die Gnade, die in den Sakramenten herabkommt und sich mit dem Geist des Menschen vereinigt, bildet einen geistlichen Spürsinn für den Willen Gottes. Dieser Spürsinn entscheidet, was Gott gefällt. Das Gewissen steht für den erkannten Willen Gottes ein. Es ist allerdings notwendig, dass es Macht über die Gedanken, Gefühle und Wünsche des Menschen hat. Dann kann der Mensch dem folgen, was er als richtig erkannt hat.

3. Knechtschaft und Freiheit in Christus

Die Christen wurden in Christus frei vom Joch des Gesetzes. Dies geschah aber nicht, damit sie willkürlich den Wünschen ihres Herzens folgen, sondern ihnen wurde das Joch der Liebe auferlegt. Sie wurden von der Knechtschaft des Gesetzes befreit, weil sie den Geist empfangen haben, der in ihre Herzen Seine geistlichen Gesetze schreibt (vgl. Röm 2,15).

Alle Christen sind Knechte Jesu Christi; denn sie sind erkauft um den Preis Seines Blutes (vgl. Apk 5,9). Sie gingen die Verpflichtung ein, Ihm zu dienen und nach Seinem Willen zu leben. Reingewaschen, geheiligt und gerechtfertigt zu sein, bedeutet Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde. Dies ist der Auszug aus dem Ägypten der Leidenschaften und die geistliche Freiheit der Kinder des Reiches, die im Willen des Königs der Gerechtigkeit wandeln. Die Menschen waren Sklaven der Sünde. Sie gelangten zum Gehorsam gegenüber dem Evangelium und übergaben sich der Gerechtigkeit, die von ihnen gefordert wurde. Sie traten in den Neuen Bund der Gnade ein. Daher muss jetzt der Geist ihres Lebens ein Leben in der Gerechtigkeit sein.

Wenn sich der Mensch der Sünde übergibt, ist er Sklave der Sünde. Übergibt er sich dagegen der Gerechtigkeit, wird er Knecht der Gerechtigkeit. Jemand könnte einwenden: So ist alles gleich, da hier wie dort Knechtschaft ist! – Nein; denn die Sünde führt zum Tod, die Gerechtigkeit aber zum Leben. Wer der Gerechtigkeit dient, ist wahrhaft frei; seine Seele und sein Leib blühen auf. Wenn das Herz sich entschieden hat, Gott in allem hingegeben zu sein, führt dies zur Gerechtigkeit. In ihr, das heißt im wahren Leben, sollte der Mensch von Natur aus sein.

In der Taufe oder der Buße wird der Mensch errettet, geheilt und an Kindes Statt angenommen. Er gelobt Gehorsam. Im Gefühl seiner Heilung und Freiheit soll er sich als Knecht Christi erkennen und Ihm dienen, bis er mit dem Apostel sagt: "Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20). Wer Gott liebgewinnt, die Quelle der Gerechtigkeit, wird von Ihm zur Gerechtigkeit geführt. Er übergibt sich der neuen Lebensart, wie Knechte sich in den Dienst ihrer Herren begeben. Nichtvernunftbegabte Geschöpfe erreichen ihre Bestimmung, indem sie unbewusst ihrer Natur folgen. Der Mensch aber soll als vernunftbegabtes und freies Geschöpf selbst sein Ziel und den Weg, der zu ihm führt, erkennen. Die Unabhängigkeit wurde dem Menschen nicht zur Willkür gegeben, sondern dazu, dass er sich frei dem Willen Gottes unterordne. Dies ist der einzig wahre Gebrauch der Freiheit. Wenn sich der Mensch dem Willen Gottes unterordnet, wird seine Freiheit gleichsam grenzenlos.

Das Ziel der Freiheit des Menschen liegt nicht in ihr selbst, auch nicht im Menschen, sondern in Gott. In der Freiheit überließ Gott dem Menschen gleichsam einen Teil Seiner göttlichen Macht, mit dem Ziel, dass er sie Ihm freiwillig darbringe. Die Glaubenden sind frei, weil sie vom Geist die geistliche Wiedergeburt empfangen haben. Sie dienen Gott geistlich. Sie arbeiten im Haus Gottes nicht gezwungen, wie Sklaven unter der Knute, sondern freiwillig, wie Herren im Haus. Das letzte Ziel des Menschen liegt in Gott, in der Gemeinschaft, in der lebendigen Verbindung mit Ihm. Da der Mensch gewissermaßen göttlichen Geschlechts ist (vgl. Apg 17,29), soll er seinen Ursprung suchen, Gott.

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