Horneburger Pfarrer in Haft

 

Pfr. Anton Jansen

 

 

(115) Die nachfolgende Darstellung ist aus Manuskripten entnommen, welche der selige Pastor Lorenz von Waltrop gesammelt hat. Es sind theils Originalschriftstücke der betheiligten Personen, namentlich des Vikar Tüsinck, theils durch diese verfertigte Kopien.

 

Am 1. Februar 1635 wurden 6 Geistliche des Vestes, 3 Pastöre und 3 Vikare, in Recklinghausen von den Hessen angehalten und des folgenden Tages am Feste Mariä Lichtmeß nach Dorsten, welches die Hessen in Besitz hatten, abgeführt. Hier wurden sie bei dem Wirth Heinrich Nolthen in Arrest gelegt. Es waren Heinrich Barckhoff, Pastor zu Horneburg, seit 1633 vestischer Commissar, Johannes Hove, Pastor zu Datteln, Theodor Thyl, Pastor zu Oer und die Vikare zu Recklinghausen: Franz von Westerholt, Gottfried Tüsinck[1] und Georg von Uhlenbrock.

 

Nach einigen Tagen erfuhren sie aus dem Munde des (116) Kommandanten von Dorsten, des hessischen Generalleutnants Peter Holzappel genannt Melander, den Grund ihrer Abführung: "sie sei auf Befehl des Landgrafen von Hessen geschehen, weil die Münsterschen den Quartier-Accord verletzt und protestantische Geistliche verjagt und mißhandelt hätten. Wenn die Münsterschen Räthe das Kartell halten wollten, dann  würden auch sie wieder freigelassen werden, das sollten sie dem Kurfürsten und den Münsterschen Räthen melden."

 

Es war nämlich, wie aus den in dieser Sache gewechselten Schreiben hervorgeht, bereits in den ersten Jahren des 30 jährigen Krieges zwischen den kriegführenden Parteien zu Lübeck ein Vertrag geschlossen und später zu Dülmen erneuert worden, daß die Geistlichen und Beamten beiderseits in den occupirten Ländern nicht sollten belästigt werden. Nun aber waren im Münsterschen gegen den Prediger zu Vreden Excesse verübt worden. Deshalb waren schon einige Tage vor der Abführung der Vestischen Geistlichen die Pastöre von Ahaus und Wüllen von den Hessen gefänglich eingezogen worden.

 

Zugleich mit den Pastören und Vikaren des Vestes Recklinghausen wurden auch noch Geistliche aus andern Theilen des Erzstiftes, aus dem Herzogtum Westfalen, welches die Hessen occupirten, auf Befehl des Landgrafen festgenommen. Kanonici der Kollegiat- und Stiftskirche zu Essen waren nach Dorsten transportirt; andere Geistlichen wurden durch den hessischen General-Commissar von der Malßburgh zu Werl auf dem Hause Werl in Arrest gehalten.

 

Man hatte den Pastören von Ahaus und Wüllen gesagt, sie würden nicht eher entlassen werden, als bis dem Prediger von Vreden in [ein] salvus conductus [sicheres Geleit] gegeben sei. Die Münsterschen Räthe, an welche sie sich wandten, schrieben den 1. Febr. an die Beamten in Ahaus zurück: "Es sei zwar unbillig, daß ihre Geistlichen, welche der (117) Kriegscontribution unterworfen seien, und diese bis jetzt, so lange es ihnen möglich sei, bezahlen, den Prädikaten [Prädikanten] gleichgestellt würden, welche solche Kontributionen nicht nur nicht zahlten, sondern sich auch von Feindes Seiten gebrauchen ließen und gegen den Willen des Landesfürsten ein anderes Exercitium Religionis, soviel sie könnten, anstellten. Dennoch mißbilligten sie die gegen den Prädikanten verübten Exorbitanzen, so sie mit Mißfallen vernommen; sie würden die Sache untersuchen und die Schuldigen bestrafen. Deshalb hofften sie auch, Melander werde die unschuldigen Geistlichen entlassen."

 

Eine Kopie dieses Recriptes wurde unseren Vestischen Arrestanten zugeschickt. Sie reichten dasselbe bei Melander ein mit der Bitte "sie zu entlassen gegen genugsame Caution, sich wieder zu stellen, damit sie zu ihren Kirchen und Pfarren, wo inzwischen der Gottesdienst stehen geblieben und die Kranken ohne nöthigen Seelentrost haben hinsterben müssen,[2] möchten zurückkehren, und damit sie von den schweren Unkosten in Dursten möchten frei werden, da sie doch durch den langwierigen Krieg ganz verdorben seien und nebenbei noch ihre Kontribution zahlen mußten; da sie an den Residenzörten zu Horneburg aus Recklinghausen hessische Garnison hätten, so könnten sie ja zu jeder Zeit zum Arrest sistirt werden."

 

Die internirten Geistlichen mußten ihren Unterhalt selbst bestreiten. Der Wirt Nolthen behandelte sie auch anfänglich gut; als den Herren das wenige baare Geld, so sie mit sich genommen, ausgegangen war, gab er ihnen die Kost auf Credit. Vikar Tüsinck hatte sich ihm gegenüber für seine Mitgefangenen und für alle Unkosten verbürgt. (118) Ueberhaupt war Tüsinck es, der im Namen der Uebrigen die gemeinsame Angelegenheit betrieb: er besorgte die Abfassung der verschiedenen Schreiben, die Absendung der Boten, die Herbeischaffung der Gelder zur Bestreitung aller Kosten.

 

Die Bitte der Geistlichen um Freilassung wurde von dem hessischen Kommandanten nicht gewährt. Jedoch geht aus der "Rechnung verzerter Kosten von den arrestirten Geistlichen aus dem Veste und der Stadt Recklinghausen" vom Wirthe Nolthen hervor, daß der Pastor von Datteln am 14. Februar aus dem Arreste entlassen ist. Besondere Gründe werden nicht angegeben. Derselbe war schon ein ziemlich bejahrter Priester. Seit 1590 war er Pastor in Datteln und hatte schon viele Beschwerden ausgestanden. Gleich zu Anfang des Krieges, im Beginn des Jahres 1622 war er von den Soldaten der holländischen Staaten fortgeschleppt und wurde bis nach Ostern auf der Festung Schenkenschanz unterhalb Emmerich gefangen gehalten. Am 22. Februar wurde auch der Pastor von Horneburg freigelassen. Dieser, seit 1608 Pastor, war gleichfalls schon einmal gegen Ende 1632, von dem aus der Mark in das Vest einfallenden Hessen gefangen mitgeführt worden.

 

Am 19. Februar erhielten die arretirten Geistlichen das Schreiben des Kurfürsten Ferdinand d.d. Bonn 14. Februar nebst den Kopien zweier kurfürstlichen Befehle vom 4. ejusd. an die Räthe zu Münster und in Westfalen, welche sie durch die Ritterschaft des Vestes dem Melander überreichten. Der Kurfürst schreibt: "Wenn dem Lübecker Kartell zuwider gehandelt sei, so wäre es ohne sein Wissen und Willen geschehen; wie aus den Kopien zu ersehen, habe er Befehl gegeben, die verhafteten Prädikanten unentgeltlich frei zu geben, das Abgenommene und den zugefügten Schaden wieder zu ersetzen und die Uebelthäter zu bestrafen. Uebrigens seien von anderer Seite die Geistlichen, trotzdem daß diese die Kontribution entrichteten, gleichfalls unchristlich behandelt worden.[3] Er werde dem Kaiserl. General-Leutnant Grafen von Gallas und dem Feldmarschall Grafen von Mansfeld berichten, wie auch an Kaiserliche Majestät schreiben, daß das Kartell treu gehalten werde. Demnach versehe er sich, daß Melander die inhaftirten Geistlichen und Seelsorger unentgeltlich freigebe; er möge bedenken, daß widrigenfalls die Kaiserl. Generäle wider die Prädikanten ebenso verfahren würden, wozu ihnen Mittel und Gelegenheit nicht mangeln werden, womit aber keiner kriegführenden Partei gedient sei."

 

Melander gab den Arrestanten zur Antwort, er wolle erst die Resolution der Münsterschen Räthe abwarten, ob diese dem Rescripte des Kurfürsten pure [rein] nachkämen; in dem Falle sollten sie entlassen werden. Die Münsterschen Räthe waren jedoch nicht ganz so willfährig, als Melander es wünschte; insbesondere wollten sie die völlige Gleichstellung der Prädikanten mit den katholischen Geistlichen nicht zugeben. Durch einen besonderen Tambour wurde ihre Erklärung auf die Supplik der in Koesfeld gefangen gehaltenen münsterschen Geistlichen, datirt vom 14. Februar und unterschrieben von Droste, Dompropst und von Steffen von Alten, überbracht und dem Kommandanten eingereicht, darin erklären sie: "Sie hätten den Vertrag gehalten, dahingegen sei er von der andern Seite arg verletzt worden. Im Münsterschen Stifte seien die Beamten und Bedienten beraubt, verjagt, verfolgt, ihre Güter confiscirt und rantzionirt, die Einwohner der occupirten Städte zu fremden Eid angestrengt; die Patres S.J. seien gegen mündliche und schriftliche Zusage und Salva Guardia [Schutzbrief] des Landgrafen von Hessen vertrieben, ihre Güter incorporirt; andere Beamten seien in die (120) Justitia und Polizei eingedrungen, welche die geistlichen Intraden dem Vertrage zuwider eintreiben und der armen contribirenden Hausleute Erb und Güter gegen allen redlichen Kriegsgebrauch durch Holzverhauen u. Verwüstung zu ihrem unersetzlichen Erbschaden ruiniren. Die Räthe hielten zwar dafür, daß die feindlichen Prädikanten und Beamten, welche dieserseits nichts contribuirten und in feindlichen Garnisonen gewaltlich überfallen werden, des Kartells nicht fähig seien; es sei ihnen aber berichtet, daß dieselben zu Bocholt und Rhenen [Rheine] wohlgehalten und für diesmal mit einer leidlichen Rantzion [Auslösung] erledigt seien, welche mit den contribuirenden Geistlichen und Beamten und Dienern des Kurfürsten, wenn man nur Ration [Vernunft] gebrauchen will, nicht zu vergleichen seien. Im Uebrigen erbieten sie sich, kraft Befehl Sr. kurfürstlichen Durchlaucht, den Vertrag, wie sie es bisher gethan, auch hinfüro zu halten, wenn auch die andere Partei nach dem rechten Verstand es thäte; sie hofften auch, daß die kaiserliche Soldateska sich dem accomodiren werde. Würde aber die feindliche Partei zu weitern unredlichen Prozeduren schreiten, so müßten die Räthe dieses fürs Erste dem gerechten Urtheile Gottes und aller redlichen Herzen anheimgeben; sie befürchten aber, daß die kaiserliche Soldateska hierin genügenden Grund fände, in den unkatholischen Landschaften ähnlich zu verfahren, was sie nicht wünschten."

 

Aus diesem Schreiben ersieht man auch, daß sich die Hessen in den occupirten Ländern häuslich einrichteten, als wollten sie dieselben für immer als ihr Eigenthum behalten. Hatte ja auch der Landgraf die Absicht, seine Hausmacht zu vergrößern.

 

Unter dem 23. Februar schrieben die Münsterschen Räthe abermals Melander und beklagten sich über neue Gewaltmaßregeln desselben, "daß er der Ritterschaft eine unerhörte Kontribution von 12 000 Thlrn. auferlegt habe. Dieserhalb hätten sie sich beschwerend an den Landgrafen (121) gewandt, und sie schickten ihm copeilich dessen Erklärung zu in Betreff der eingezogenen Geistlichen, richtiger Observanz des Kartells und der adlichen Landschaft, worauf sie aufs Neue geantwortet. Sein (des Melanders) Verfahren sei dem Kartell und der Erklärung des Landgrafen ganz zuwider, und sie befürchten, daß die kaiserliche Soldateska in den Landen des Landgrafen und der Conföderirten ähnliche Prozeduren vorzunehmen sich veranlaßt sehen könnte, was sie nicht wünschten. Sie hofften deshalb, er werde der Resolution des Landgrafen und der Erklärung des Kurfürsten gemäß das Kartell halten und bis Antwort des Landgrafen eintreffe, die genannte Execution sistiren."

 

Dieses Schreiben, heißt es in den Acten, wurde höchst mißfällig und mit Verdruß vernommen. Melander verwies die zu Werl und Dorsten inhaftirten Geistlichen unter dem 1. resp. 2. März abermals an den Kurfürsten, mit dem Bemerken, nicht eher gebe er die Geistlichen frei, als bis die Erklärung der Münsterschen Räthe und der Häupter der kaiserlichen und legistischen Armeen eingegangen sei, daß sie strikte den Vertrag halten und die beschädigten Prädikanten und Beamten entschädigen wollten. Er forderte die ausdrückliche Erklärung, daß die landgräfl. hessischen Beamten und geistlichen Personen, welche im Fürstenthum Hessen, im Erzstift Köln und in den Stiftern Münster, Paderborn, Fulda und andern Landschaften angestellt und angeordnet seien, unbelästigt gelassen würden.

 

Den 14. März gibt Kurfürst Ferdinand nochmals die Erklärung ab, "daß er den Vertrag gehalten habe und ferner halten werde; was verbrochen, sei gegen seinen Willen geschehen. Er habe Befehl zur Remedur [Wiedergutmachung] gegeben und auch behufs Haltung des Vertrags an Kaiserliche Majestät von Ungarn und Boheimb [Böhmen] geschrieben, sowie auch an Gen. Leut. Grafen von Gallas, Feldmarschall Piccolomini, Grafen von Mansfeld und Andere."

 

(122) Auch Baron von Geleen, Feldmarschall der kaiserl. und ligistischen Armee, hatte d.d. Brüssel 20. Febr. wegen der inhaftirten Geistlichen an Melander geschrieben. Dieser erhielt den Brief am 9/19 [julianisches/gregorianisches Datum] März durch einen Trommelschläger von Kaiserswerth aus und beantwortete ihn am selben Tage. Er beklagte sich sehr über die Münsterschen. "Diese hätten das Kartell nicht geachtet und die in den occupirten Stiftern und Ländern eingesetzten Geistlichen und Beamten seines Herrn und Landgrafen Wilhelm von Hessen mit Prügeln, Schlagen, beschwerlichen abscheulichen Gefängnissen, Erpressungen von Geldsummen und andern dem Kartell zuwiderlaufenden Handlungen und Thätlichkeiten ganz unchristlich und barbarisch tractirt, ja sogar etliche unschuldige aufhängen lassen. Dieses hätte sie zur Gefangennahme der Geistlichen ihrerseits veranlaßt. Sie hätten dieselben aber gelinde behandelt: diese wären bei ihren Bekannten und Freunden in Arrest gelegt, ohne Bande und Beschwerniß, hätten die Freiheit, in ihren Logements nach Gefallen zu leben und könnten an den Kurfürsten und die Münstersche Regierung berichten. Der Kurfürst hätte auch erwidert, daß er das Kartell halten wolle und was dawider geschehen, wieder gut machen werde. Die Münsterschen dagegen hätten das Kartell und die Erklärung des Kurfürsten durch alle sophistische und dem klaren Buchstaben zuwiderlaufende Auslegung nur auf die zur Zeit der Errichtung des Kartells lebenden Geistlichen und Beamten anwenden wollen, nicht aber auf die in den nachher occupirten Stiftern und Ländern angestellten. Hieraus könne man klar sehen, daß es ihnen mit der Haltung des Kartells kein Ernst sei. Dennoch habe er glimpflich handeln wollen und nochmals einen Trompeter nach Münster geschickt, sie sollten sich klar und bündig erklären, ob die Letzteren sollten einbegriffen oder ausgeschlossen seien. Davon hänge die Befreiung der Vestischen Geistlichen ab."

 

(123) Wie man sieht, beschuldigten sich beide Parteien gegenseitig der Verletzungen des Vertrags. In wieweit die Anschuldigungen auf Wahrheit beruhen, darüber geben die mir zur Verfügung stehenden Hülfsmittel keinen Aufschluß. Uebrigens sind die Anklagen des hessischen Kommandanten ganz allgemein gehalten, die der Münsterschen Räthe aber spezialisirt. Und ob diese mit ihrer Auslegung des Vertrages so ganz unrecht hatten, läßt sich bestreiten. Das Verfahren der Hessen mit Anstellung ihrer Beamten und Prädikanten und der Vereidung der Einwohner hat stark den Anstrich der Revolutionirung und Verprotestantisirung der Bisthümer.

 

Inzwischen wurde die Lage der arrestirten Geistlichen immer mißlicher. Wohl waren sie bisher ziemlich gut behandelt worden. Sie konnten Freunde und Bekannte empfangen, konnten Besuche machen, sich Raths erholen und an den Kurfürsten und die Regierung in Münster schreiben. Aber abgesehen von dem Verluste der Freiheit und von der Entfernung aus ihrer Wohnung, ihrer Gemeinde und ihrem Wirkungskreise, drückte sie die Sorge, woher das Geld zur Bestreitung ihres Unterhaltes beschaffen, immer schwerer.

 

Nicht bloß mußten sie den Wirth befriedigen für ihre Beköstigung. Sie hatten auch noch viele andere Ausgaben. Den Oberkommandanten, die übrigen Officire und Soldaten, sowie auch die Beamten der hessischen Verwaltung, mußten sie sich gewogen machen und geneigt erhalten. Zu dem Zwecke sahen sie sich genöthigt, ihnen von Zeit zu Zeit Geschenke zu machen und sie mit Wein und Branntwein zu regaliren. So verehrten sie dem Melander 5 Malter Hafer, dem Oberstleutnant Werner Scharkopf 3 Malter Hafer, dem Kommandanten Saurtz 25 Pfd. Schinken, desgl. dem Melander; dem Herrn Hoffmeister, ut intercederet [damit er einschritte], 2 Thlr. Den Sekretair des Generals mußten sie sich geneigt machen, daß er ihnen die Kopien nöthiger Schriftstücke mittheilte. (124) Viel Geld kosteten ihnen auch die Boten behufs Ueberbringung der Briefe, besonders nach Köln und die Pässe für dieselben. Aus eigenen Mitteln konnten sie alle diese Ausgaben nicht bestreiten. Sie hatten sich an den Kurfürsten gewandt, er möge, da sie für Alle litten, es allen Geistlichen des Vestes auflegen, gemeinsam die Kosten ihres Arrestes zu tragen. Die übrigen Geistlichen waren ihnen auch schon zu Hülfe gekommen; aber die Unterstützung war gering, da diese selbst nicht viel hatten. Auch die Geistlichen hatten in Folge des langwierigen Krieges viel gelitten; sie mußten zur Kriegskontribution, welche die verschiedenen Parteien im Veste besonders die Hessen seit 1633 ausgeschrieben, beisteuern, ihre Einkünfte waren aber sehr geschmälert, indem die Zinsen und Pächte gar nicht oder nur spärlich eingingen. Die Pflichtigen hatten selbst nichts übrig; was sie besaßen, mußten sie zuerst zur Zahlung der Kriegscontribution hergeben, welche von den Hessen mit Strenge und durch Execution beigetrieben wurde, wie solches die Geistlichen in einer Bittschrift an Melander um Nachlaß oder Milderung der ihnen aufgelegten Kriegssteuer klagen. Daher kam es hauptsächlich, daß die Unterstützung der Geistlichen sehr spärlich ausfiel. Der Wirth Nolthen drang aber immer ernstlicher auf Bezahlung. Da reichten die Mitgefangenen Franz von Westerholt, Theod. Thyl und G. von Uhlenbrock eine Bittschrift an Melander ein. "Der Wirth weigerte sich, ihnen ferner die Beköstigung zu geben; sie aber wären außer Stande, ihn zu befriedigen; es möge deshalb Tüsinck entlassen werden, um Geld beizutreiben."

 

Diese Bitte wurde gewährt. Am 16. März wurde Tüsinck entlassen. Doch kaum war er in Recklinghausen angekommen, da verschlimmerte sich die Lage der Zurückgebliebenen. Die Antwort nämlich, welche die Münsterschen Räthe auf das Schreiben des Melander an sie gaben, fiel nicht nach Wunsch der Hessen aus. Die Folge war, (125) daß der Arrest verschärft wurde. Seit dem 21. März stand vor dem Hause des Wirthes ein Soldat bei Tag und Nacht auf Posten. Thüren und Fenster ihrer Wohnung waren verschlossen und vernagelt. Auch der Wirth wurde höchst unfreundlich; er sagte es den Geistlichen ins Gesicht, daß sie von nun an selbst für ihre Kost sorgen sollten. Solches berichteten am 22. März dem Vikar Tüsinck der Pastor Thyl und Lambertus von Beesten, ein Bürger Dorstens. "Der Kommandant sei auf die Münsterschen sehr erbost und gebe diesen die ganze Schuld, daß sich die Befreiung verzögere. In Betreff der Vertheilung der Unkosten auf den Klerus des ganzen Vestes wünsche der Kurfürst aus Gründen, daß die Beisteuer eine freiwillige sein möchte; jedoch sollten diejenigen gemerkt werden, welche sich weigerlich hielten. Der Kurfürst und der Kommissar gäben sich alle Mühe, daß etwas beigesteuert oder ihnen doch auf andere Weise geholfen würde."

 

Jodocus Epmann, Pastor von Polsum, theilte dem Tüsinck mit, daß der Kommissarius (Barckhoff) nach Ostern eine Versammlung der Pastöre abhalten wolle, um die gemeinsame Sache zu berathen. Sie fand am Mittwoch nach Ostern den 11. April zu Westerholt statt.

 

Vom 23. März bis 8. April mußten die arrestirten Geistlichen sich selbst das Essen besorgen. Der Wirth gab ihnen bloß Feuer und Bett. Am 8. April auf Ostertag gab er ihnen wieder das Essen und von da an bis zu ihrer Freilassung am 14. April.

 

Inzwischen hatten die Verhandlungen wegen Freigebung der Geistlichen ihren Fortgang genommen.

 

Die Münsterschen Räthe hatten am 30. März an den Landgrafen von Hessen geschrieben. Sie beschwerten sich darüber, daß die Geistlichen des Stiftes noch nicht freigelassen seien. "Der Propst zu Varlar sitze mit andern Geistlichen, Adlichen und Religiosen schon bis in die 10. Woche und noch länger in Koesfeld gefangen; sie werden (126) neben kurfürstlichen Beamten, obschon sie mit dem Kriegswesen doch nichts zu thun hätten, eben stark feindlich beschweret und ihnen gedroht, daß man sie in Diebeslöcher und andere famose Oerter setzen wolle. Keiner könne sich ohne die höchste Gefahr auf seinen Gütern aufhalten, wie solches aus einem anliegenden Schreiben des Heinrich Droste zu Vischering, kurfürstlichen Drosten zum Ahaus und Horstmar, hervorgehe, der, seitdem das feindliche Kriegsvolk im Stift liege, sich mit Weib und Kindern und ganzer Haushaltung in Münster aufgehalten und so mit dem Kriegswesen nichts zu thun gehabt. Wenn die Kaiserliche Soldateska in den Landen des Landgrafen Ungebührliches vernehmen, was ihnen nicht lieb sei, so könnte das doch nicht unschuldigen Personen, Beamten und Geistlichen dieses Stiftes, entgeltet werden, da sie jenes nicht ändern könnten, der Kurfürst aber versichert habe, daß er das Quartier-Kartell halten werde. Daß die Unterthanen dieses Stiftes der Seelsorge und aller Sakramente beraubt seien, das sei dem gemeinen Wohle gänzlich zuwider, und sie hofften, daß der Landgraf die Geistlichen freigeben und dem Drosten den Schaden wieder ersetzen werde."

 

Endlich schlug die Stunde der Befreiung für die inhaftirten Geistlichen des Vestes und des ganzen Erzstiftes. d.d. Ham 1/11 April theilt Melander dem Kommandanten zu Dursten, Oberstleutnant Werner Scharkopf, Folgendes mit: "die inhaftirten Geistlichen hätten sich nochmals um Befreiung an den Landgrafen[4] gewandt. Dieser habe zwar Bedenken getragen, weil ihre Geistlichen und Beamten in diesen eroberten Ländern bisher übel behandelt seien, auch keine unzweideutige Erklärung, viel weniger Versicherung gegeben sei, daß selbe von nun an gemäß des (127) zu Lübeck errichteten und zu Dulman erneuerten Kartells frei und ungefährdet bleiben sollten. Da aber die arrestirten Geistlichen sich erboten, solche Versicherungen auszuwirken, so habe der Landgraf Befehl gegeben, daß sie sollten auf freien Fuß gesetzt werden unter der Bedingung: sie mußten bis zum 10/20 Mai von Chur-Köln und der Generalität einen klaren und undisputirlichen Schein und Versicherung beibringen, daß die Geistlichen und Beamten des Landgrafen im Fürstenthum Hessen und besonders in den Stiftern Münster, Paderborn, Köln und andern occupirten Ländern frei und ohne Gefahr verbleiben könnten; widrigenfalls sollten Alle ohne Unterschied, wo sie auch sein möchten, für unfrei und Feind gehalten werden."

 

Am 14. April wurden die Geistlichen des Vestes und des Stiftes Essen[5] aus dem Arreste entlassen. Sie theilten dem Kurfürsten den Rezeß mit, den sie unterschrieben hatten und auf Grund dessen sie conditionaliter [bedingungsweise] freigegeben seien, und sie bitten ihn inständigst, ihnen die bewußte Resolution unter Beidrückung seines Siegels doch zur rechten Zeit zukommen zu lassen. "Solches begehrten sie jetzt nicht bloß in ihrem eigenen Namen, sondern im Namen aller Vestischen Geistlichen, weil ihnen Melander, wenn diese Resolution nicht rechtzeitig einginge, bedeutet habe, daß dann auch alle geistlichen Einkommen incorporirt und zu anderem effect besorglich applizirt würden."

 

Es liefen auch die Recesse vom Kurfürsten und dem General Gallas vor Ablauf des gesetzten Termines ein. Namens sämmtlicher Geistlichen des Vestes wurde sie dem Melander überreicht: "sie hofften, daß diese Resolution für sufficirt erachtet und daß sie ferner unter Protection Ihro Fürstlichen Gnaden verbleiben und frei erklärt werden möchten. Sollten sie aber wider Zuversicht von den Münsterschen nicht separirt werden, sondern insampt als unfrei (128) gehalten werden, solchen Falls bitten sie um Resolution, wessen sie sich zu verhalten hätten."

 

Die Erklärungen genügten. Melander erließ d.d. Dursten 9/19 Mai 1635 den Befehl "an alle hessischen Hohen- und Unteroffizieren und insgemein an alle Soldaten zu Roß und zu Fuß, des Gegentheils Geistliche und Beamte des Stiftes Essen und Vestes Recklinghausen ohne fernere höhere Ordre in keinerlei Weise weiters zu betrüben, sondern sie des Cartels vehig lassen werden." Er theilte auch den Geistlichen auf ihre Bitte diesen Erlaß wörtlich, unter eigenhändiger Unterschrift "(Peter Holzappel)" mit.

 

Das oftgenannte Kartell[6] zwischen den kriegführenden Parteien lautet wörtlich also:

 

  1. Erstlich, daß alle Geistliche Personen, beiderseitz, die vor, bey und nach dem jüngsten Treffen gefangen gewesen, also vort ohn einige rancion frey gestellt, und alda diejenige Priester und Kirchendiener, es seien Evangelische oder Katholische, so in den stetten und auf dem platten Lande wohnent, ohngefangen, ohngestrawet, und ohngeturbirt gehen, stehen und reisen, sich aber Intelligentien, Correspondentien und gefehrlichen practiquen enthalten sollen.
  2. Vorß ander sollen alle Adliche und Unadliche persohnen, Churfürsten und Graffen, Beampten und Dienern, gleicher Freyheit genießen, wan sie mit dem Kriegswesen nichts zu thuen haben; Welche aber militarische Chargen, und sich in Kriegs-Bestallung eingelassen, gleich andere Kriegs-Officieren, ohn respect der civilischen Diensten, welche sie gehabt, ausgewechselt und rancionirt werden. Da auch jemandz. uff dem platten Lande oder (129) Städten sich häßlich widersetzet, welcher der einen oder anderen Parthey vor diesem gedienet und seinen Abschied genommen hatte, soll derselbe solcher seiner Dienste wegen nichts besprochen oder ranzirnirt werden; da auch einer oder ander deßwegen ahngehalten werden, soll derselbe von beiden Theilen ohn entgeld loßgelassen werden."

 

Zwar war nun die gesammte Geistlichkeit des Vestes für frei erklärt, aber der Arrest hatte noch, besonders für den Vikar Tüsinck, eine schlimme Nachwirkung. Die Unkosten waren noch nicht gedeckt. Wirth Nolthen reichte an Vikar Tüsinck, der sich ja für Alles verbürgt hatte, seine Rechnung ein. Sie betrug 103 Thlr. siebenundfünfzig½ stbr. darauf hatte er vor und nach erhalten 48 Thlr. 46 stbr. Ihm gebührten noch 55 Thlr. elf½ stbr.

 

Außerdem hatte Tüsinck theils in Sachen des Arrestes, theils in Sachen Milderung der Kontribution noch 63 Thl. 16 stbr. ausgelegt. Denn auch zur Kriegscontribution mußte die Geistlichkeit ihren Theil beitragen. Den 18. und 19. Mai war Tüsinck wieder in Dorsten, um Namens der Geistlichen des Vestes eine Bittschrift um Milderung einzureichen, jedoch ohne Erfolg.

 

Die Beiträge der Geistlichen zur Deckung des Restes der Unkosten im Betrage von 118 Thlrn. siebenundzwanzig½ stbr. kamen sehr spärlich ein. Viele erklärten, daß sie gänzlich unvermögend seinen [seien]. – Im Juni 1635 verzichteten die geistlichen Mitglieder der Caland-Bruderschaft zu Recklinghausen auf ihren Antheil an die Martini fälligen Intraden zu Gunsten des Vikar Tüsinck, "da viele Geistlichen ihre Quote für die Unkosten des Arrestes nicht zahlten." Es sind: Henricus Barkhoff, Pastor zu Horneburg; Joh. Franz von Westerholt, Joh. Georg von Uhlenbrock und Joh. Theile, Vikare zu Recklinghausen; Theodor Thyl, Pastor in Oer, Johannes Hove, Pastor in Dattelen, Henricus (130) Grutingius, Pastor in Waltrop, Conrad Darleus, Pastor in Marle, Jodocus Epman, Pastor in Polsum und Heinrich Kurich, Pastor in Herten. – Vikar Tüsinck hatte noch lange nachher große Unannehmlichkeiten. Der Wirth Nolthen trug beim Gerichte auf Arrest gegen ihn an, und als er im September in Dorsten war, wurde er festgenommen. Auch beim Officialate in Köln war er verklagt und es zog sich die Sache hin bis zum Jahre 1646.

 

Von Jansen zitierte Quelle

Lorenz, Gerhard, Pfarrer in Waltrop St. Peter von 166. 834 bis zu seinem Tod 1876. Er wurde 1797 geboren und war zunächst Kaplan in Senden und später in Herborn. Er war ein temperamentvoller, nicht immer bequemer Geistlicher, gelehrt und schriftgewandt. Er besaß ungewöhnliche juristische Kenntnisse. Er sammelte Material und schrieb für das Pfarrarchiv Waltrop wichtige Texte ab. Vgl. Hubert Marbach, Geschichte der Pfarrkirche St. Petrus, in: Heimatbuch des Amtes Waltrop, Waltrop 1974, 226f.229.

Abkürzungen

 

 

Die Quelle für diese Textedition

 

Pfarrer Anton Jansen, Die Gemeinde Datteln. Ein Beitrag zur Geschichte des Vestes Recklinghausen, Datteln 1881, 115-130. Die Zahlen in runden Klammern bezeichnen die Seiten.

 

Verweise

 

 

 

 

 

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[1] Tüsinck hatte die zweite Frühmessen-(Dorotheen) Vikarie in Recklinghausen.

[2] In Horneburg, Oer und selbst in der großen Gemeinde Datteln war zu jener Zeit außer dem Pastor kein anderer Seelsorger. Der Pastor von Recklinghausen Johann Dobbeling war 1633 aus Furcht vor den Hessen nach Cöln geflohen.

[3] Die Räthe von Westfalen hatten unter dem 26. Januar berichtet, daß die von Fürstenberg und der von Steinfurth, der Abt von Schede und andere Geistliche gefangen nach Werl abgeführt seien.

[4] Bei dessen Anwesenheit in Dorsten, wo ihm Tüsinck eine Bittschrift überreichte.

[5] So wie die zu Werl gefangen gehaltenen.

[6] (Es liegt in 2 Kopien vor, ohne Datum und Unterschrift.)