Die Luftschifferin

 

Direkt vor dem Fenster geschieht es. Aus der Logenposition ist es gut sichtbar. Zunächst betätigt sich die Spinne als Luftschifferin. Sie klebt den Faden rechts oben fest und lässt sich dann vom Wind tragen. An der anderen Seite angekommen, befestigt sie auch dort den Faden, der, mit einem Nylonfaden verglichen, fest wie ein Stahlseil ist. Sie wiederholt das Gleiche in der Diagonale. Interessant ist, dass die Drüse nicht verklebt, obwohl der Faden gleich nach dem Austritt aus ihr hart wird. Dazu braucht sie kein Lösungsmittel. Nach Beendigung des Fadenkreuzes beginnt sie mit den verbindenden Fäden zwischen den Aufhängefäden.

Wenn der Vorhang morgens geöffnet wird, begrüßt sie das menschliche Gegenüber. Zu diesem Behufe sitzt sie stets in der Mitte des Netzes. Macht sie nicht auch eine Verneigung? Eines Morgens ist Weibersommer: Das ganze Netz ist voller Tau, der im Frühlicht funkelt und strahlt.

Doch dann geht es abwärts. Zuerst wehen Baumsamen ins Netz. Mühevoll muss sie diese wieder entfernen. Keine Fliege verfängt sich, sodass sie hungert. Schließlich löst eine Windböe den unteren Teil des Netzes. Die Spinne sieht ein, dass hier nur noch eine Bauruine mit ökonomischem Totalschaden vorliegt und sucht sich einen anderen Platz.

 

Die Ruhebedürftige

 

Im Grunde genommen, hat sie den Brutplatz gut gewählt: Auf der einen Seite schützt der Wassergraben am Schloss, auf der anderen Seite ist der abgeschlossene Umgang um die Kirche. Die Wildente gräbt eine Vertiefung in den Boden und staffiert die kreisförmige Grube mit Daunenfedern aus. Dann legt sie vier Eier.

Doch da muss ausgerechnet jetzt jemand den Zaun streichen. Sie beäugt ihn kritisch. Als ihr das Warten zu lang dauert, zupft sie Efeuwurzeln und genießt sie sichtlich. Von diesem Anstreicher geht wohl keine Gefahr aus. Am nächsten Tag werden die Regenabflussrohre gereinigt. Das ist ihr denn doch zu unruhig. Sie geht auf Pirsch und sucht einen ruhigeren Brutplatz. Dann transportiert sie vorsichtig und geschickt die Eier dorthin.

 

Die Sportlerin

 

Wenn jemand sich für sie interessiert, zeigt sie ihm die kalte Schulter. Sobald sich aber niemand um sie kümmert, wendet sie ihren Lieblingstrick an, um Aufmerksamkeit zu erregen: Von ihrem Katzenbaum aus setzt sie in einem gewagten Sprung über die ganze Länge des Sofas und landet auf der anderen Seite sicher auf ihren Pfoten. Ihre Augen fragen spöttisch: Na, habt ihr euch erschrocken?

 

Der Schneckenfreund

 

Der Garten wimmelt von Nacktschnecken. Warum stellt eigentlich niemand ein Schild auf: Für Freikörperkultur? Doch Spaß beiseite; denn eines Tages ist keine von ihnen mehr zu sehen. Wie das wohl kommt? Eines Abends zeigt sich in der Dämmerung ein Igel, der seelenruhig die letzte Nacktschnecke verspeist.

 

Der Ruhelose

 

Einige Monate später. Im Schnee sind seltsame Spuren zu sehen. Für eine Krähe sind sie viel zu groß. Welches Tier könnte das wohl sein? Da läuft ruhelos ein Fasan hin und her. Er prüft jeden Gitterstab des Gartentores einzeln. Offensichtlich ist er zu fett, um zwischen den Stäben hindurchzuschlüpfen. Immer wieder schaut er sich das Tor an, doch auf die Idee, einfach außen herumzugehen, kommt er nicht. Ein typisches Umwegsproblem, das auch die Fliegen am Fenster haben, wenn es nur einen Spalt weit geöffnet ist.

 

Der fromme Kämpfer

 

Der bejahrte Kater lässt sich gerne streicheln, tut auch ein wenig, als würde er gleich zu schnurren beginnen, doch dies ist nur Täuschung, um den nichtsahnenden Menschen in Sicherheit zu wiegen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schaltet er um. Es ist, als würde ein altes Schlachtross noch einmal den Stoß der Trompete hören. Er schlägt blitzschnell zu.

Danach aber ist die Feier der Hauseinweihung. Da muss er natürlich dabeisein, sonst könnte er ja etwas verpassen. Er setzt sich possierlich auf seine Hinterläufe, reckt sich und versucht, wie die Menschen ein Kreuzzeichen zu machen. Er bekommt es beinahe mit seiner Pfote hin, jedenfalls ist es gut angedeutet. So so, also zuerst eine Wunde schlagen, die frühestens nach drei Wochen verheilt, und dann den Frommen spielen!

 

Rodeo

 

Ein Eichhörnchen sitzt mitten auf dem Gartenweg. Es wartet in Ruhe ab, bis der Mensch näher kommt. Erst im letzten Moment rettet es sich auf einen Baum. Behend läuft es den glatten Stamm hinauf. Eine ausgefeilte Krallentechnik sitzt dahinter. Doch dann lugt es hinter einem Ast hervor, entfaltet glänzend den prächtigen Schweif, macht Männchen und erwartet offensichtlich Applaus für diese Darbietung. Einige Tage später ist es beim Rodeo zu sehen. Wie manche waghalsige Jugendliche läuft es kurz vor einem heranfahrenden Wagen über die Straße.

 

Welpenschutz

 

In einer Gaststätte liegt ein junger Hund unter einem Stuhl. Ein Gast nähert sich, stößt spitze Schrei der Begeisterung aus, stammelt: Wie süß, wie süß! und befingert das Kleine über und über. Der Wirt kommt und erklärt: Welpenschutz! Die haben doch so viel damit zu tun, die ganzen Eindrücke vom Riechen und Sehen zu verarbeiten, dass man sie in Ruhe lassen sollte. Ein Rüde würde sich auch nicht an eine Welpe heranmachen.

 

Die Fürsorglichen

 

Nicht alles, was nach Futter aussieht, ist es auch. Die beiden Teichrallen im Burggraben picken immer wieder, tauchen auch ganz unter, doch sie befördern nicht immer Essbares. Haben sie etwas gefunden, stoßen sie einen besonderen Laut aus, die beiden Kleinen kommen aus dem Schilf am Ufer herausgepaddelt, sperren ihren roten Schnabel auf und lassen sich füttern.

Der Verlorene

Sie traute kaum ihren Augen: Auf ihren Balkon sprang eine Katze, ein kleines Eichhörnchen im Maul haltend. Es gelang ihr, das Eichhörnchen zu retten und die Katze zu verscheuchen. Sie holte sich Rat, womit ein Tier in so jungem Alter zu ernähren ist. Es fraß Weintrauben, Wassermelonen und Haferflocken, jeweils in kleinsten Mengen, aber keine Nüsse. In der Hand war es wie ein quicklebendiges Knäuel. Doch eines Tages war es gestorben. Es konnte wohl nicht ohne Mutter leben.

 

 

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