Die Osternacht

 

 

 

Sie ist die Keimzelle, aus der sich die Lektionssysteme und die spätere liturgische Ordnung entwickelt haben. Schrifttexte und Ablauf werden im altarmenischen Lektionar (5. Jahrhundert) folgendermaßen angegeben:

 

 

1. Lesung. Gen 1,1-3,24: Schöpfung der Welt und Sündenfall. Vertreibung aus dem Paradies.

2. Lesung. Gen 22,1-18: Das Opfer Isaaks.

3. Lesung. Ex 12,1-24: Einsetzung des Osterfestes.

4. Lesung. Jonas 1,1-4,11: Sendung, Ungehorsam, Bestrafung und Rettung Jonas. Bußpredigt Jonas und Bekehrung Ninives.

5. Lesung. Ex 14,24-15,21: Vernichtung der Ägypter am Roten Meer und Lobgesang Israels.

6. Lesung. Jes 60,1-13: Die zukünftige Herrlichkeit Zions.

7. Lesung. Hiob 38,2-28: Der Schöpfer der Welt stellt Fragen an das Geschöpf.

8. Lesung. 4 Kön 2,1-22: Elias Entrückung. Elisäus macht das Wasser gesund.

9. Lesung. Jer 38,31-34: Der Neue Bund.

10. Lesung. Jos 1,1-9: Befehl zur Überschreitung des Jordans. Ermahnung zur Treue.

11. Lesung. Ez 37,1-14: Auferstehung der Toten.

12. Lesung. Dan 3,1-90: Bewahrung der drei Jünglinge im Feuerofen und ihr Lobgesang. Kehrverse werden nach Vers 35a und Vers 51 gesungen.

 

Psalm 64. Antiphon ist Vers 2: Dir gebührt Lobgesang, o Gott, auf Zion, und zu Dir wird das Gebet gerichtet in Jerusalem.
1 Kor 15,1-11: Die Zeugen der Auferstehung Christi.
Alleluja mit Psalm 29: Ich will Dich erheben; denn Du hast mich in Schutz genommen.
Mt 28,1-20: Das leere Grab. Der Auferstandene erscheint den beiden Marien. Bestechung der Wache. Erscheinung in Galiläa und Missionsbefehl.

 

Die Lesungen stellen ein vielschichtiges Miteinander dar. Es geht vor allem um die Auferstehung Christi. Darauf deuten außer den neutestamentlichen Lesungen die 5. Lesung (Befreiung der Israeliten aus der Hand der Ägypter), die 4. Lesung (Errettung Jonas), die 12. Lesung (Bewahrung der drei Jünglinge im Feuerofen), die 8. Lesung (Entrückung Elias) und die 11. Lesung (Auferstehung des Volkes). Die 3. Lesung spricht vom Osterfest.

 

Es fehlt aber auch nicht die Anspielung auf die Leiden Christi im Typos des Opfers Isaaks (2. Lesung). Gott hat Seinen einzigen Sohn hingegeben (Joh 3,16). Abraham ist Vorausbild für Gottes Hingabe des Sohnes.

 

Die 1. und die 7. Lesung verweisen auf den Schöpfer, der die Macht hat, Christus aus dem Tod aufzuerwecken. Die 1. Lesung (Sündenfall) und die 4. Lesung (Jonas Bußpredigt) verdeutlichen, dass die Auferstehung eine Neuschöpfung ist.

 

Gott schließt mit seinem Volk einen Neuen Bund (9. Lesung).

 

Das Thema der Taufe begegnet in der 10. Lesung mit dem Befehl der Überschreitung des Jordans und der Ermahnung zur Treue, zur Erfüllung der Taufversprechen.

 

Die 6. Lesung weitet den Horizont bis zur Parusie, indem sie von der künftigen Herrlichkeit Zions spricht. Bisher ist der Zusammenhang zwischen dem urchristlichen Osterfest und der Parusie nur wenig beachtet worden.

 

Die Lesungen spannen also einen weiten Bogen. Das Osterfest steht innerhalb der Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zur Wiederkunft des Herrn. Hier offenbart sich eine archaische Kraft des Zusammenschauens (B.Fischer). Im Itinerar der galizischen Pilgerin Egeria (um 380) zeigte sich eine historisierende Tendenz der Jerusalemer Liturgie. Das altarmenische Lektionar verdeutlicht hingegen, dass sie in einen größeren Horizont eingebettet ist. Es handelt sich hier um eine Überschreitung der Geschichte.

 

Im Targum, der aramäischen Übersetzung des Alten Testaments, gibt es eine Tradition der Vier Nächte: Weltschöpfung (Gen 1) – Opfer Abrahams (Gen 22) – Befreiung aus Ägypten (Ex 14) – Vollendung der Welt (Jes 60). Jüdische und christliche Ostertradition sind sich hier nah.

 

Gen 1; Gen 22 und Ex 14 gehören zum Grundbestand der alten und universalen Tradition der Lesungen für die Ostervigil.

 

Das georgische Lektionar (5.-8. Jahrhundert) bearbeitet die Jerusalemer Leseordnung: Die 2. Lesung ist auf Vers 19 erweitert, die 3. Lesung bis Vers 42, die 7. Lesung bis 39,35, die 12. Lesung bis Vers 96. Die 8. Lesung ist dagegen auf 4 Kön 2,1-14 gekürzt.

 

Gründe für diese Änderungen sind: Die 2. Lesung ist um eine biographische Notiz erweitert (historisierende Tendenz). Die 3. Lesung weist mit Vers 42 auf die Nacht des Wachens, die Ostervigil, hin. Die 8. Lesung streicht die Heilung des Wassers und damit den Hinweis auf die Taufe. Die 12. Lesung verweist mit Vers 96 auf Gott, der allein auf diese Weise retten kann.

 

Das älteste syrische Lektionssystem ist in der Handschrift Add. 14528 des Britischen Museums, die aus dem 6. Jahrhundert stammt, erhalten. Die Redaktion erfolgte wohl im 5. Jahrhundert. Es bietet für die Ostervigil folgende 12 alttestamentliche Lesungen: Spr 30,1-14a; Hiob 27,1-28,28; Dan 3,23-4,3; Jonas 1,17b-4,11; Jos 2,1-24; 2 Kön 24,1-25; 4 Kön 2,1-15a oder 4,8-37; Jer 16,16-17,13; Ez 37,15-28; Jes 52,1-10 oder 60,1-22; Gen 22,1-19; Ex 12,51-14,26. Darauf folgen Ps 29 mit der Antiphon Vers 3a, 1 Kor 15,1-26 oder Eph 1,1-2,22, Alleluja mit Ps 92 und Mt 28,1-7b (Dort werdet ihr Ihn sehen).

 

Mehr als die Hälfte dieser Lesungen geht mit dem altarmenischen Lektionar auf einen gemeinsamen Grundbestand zurück: Dan; Jonas; 4 Kön 2; Ez; Jes 60; Gen; 1 Kor 15 und Mt.

 

Allerdings fällt auf, dass die alttestamentlichen Lesungen eine aufsteigende Ordnung haben. Weisheit und Hiob stehen der weltlichen Weisheit nahe. Darauf folgen Josua und Könige, die sich mit Weltgeschichte beschäftigen. Diese Anordnung steht im Gegensatz zur Jerusalemer Leseordnung. Es ist außerdem eine Neuerung, dass Schriftlesungen zur Auswahl angeboten werden (Spr; 2 Kön; Jes). Manche Lesungen sind unverhältnismäßig lang. Die syrische Leseordnung ist also wohl nicht ein Stück gewachsener Gemeindeliturgie, sondern die bewusste Schöpfung einer Einzelpersönlichkeit.

 

 

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