Theologische Grundelemente bei Schiarchimandrit Sofronij (Sacharov)

Heinrich Michael Knechten

Sergej Semënovič Sacharov wird am 22. September 1896 in Moskau in der Familie eines Unternehmers geboren. Er besucht 1915-1917 die Kunstakademie und 1920-1921 die Moskauer Schule für Malerei, Skulptur und Architektur. Er begegnet der Bewegung für ein neues religiöses Bewusstsein.

Die fundamentale Frage Sacharovs ist: Wenn die christliche Theologie von drei Personen in der Trinität ausgeht, eine Person aber etwas Konkretes und damit Begrenztes ist, wie kann Gott dann absolut sein? Sein ganzes Leben wird er mit der Beantwortung dieser Frage verbringen. Zunächst wendet er sich der indischen Mystik zu, die ihm weiter und tiefer erscheint als die christliche Lehre von Gott.

1922-1925 ist Sergej in Paris. Es gelingt ihm hier, seine Bilder auszustellen. Es wird ihm in dieser Zeit deutlich, dass intellektuelle Erkenntnis in ihren Möglichkeiten begrenzt ist: Erkenntnis ist Gemeinschaft im Sein (obščenie v bytii). Damit hat Sacharov einen wesentlichen Schritt getan: Er bezeichnet nicht mehr die Trinität als begrenzt, sondern die menschliche Erkenntnismöglichkeit. Und er zeigt zugleich einen Weg auf, die Begrenztheit menschlichen Erkennens zu erweitern: durch die Teilhabe an Gott.

Mit Erzpriester Sergij Bulgakov teilt er die Lehre von der Kenosis Christi. Zugleich aber vertritt er auch dessen Ansicht, der Mensch sei ein Ebenbild göttlicher Absolutheit. Die Sophiologie lehnt Sacharov allerdings ab.

Mit Nikolaj A.Berdjaev ist ihm der Gedanke gemeinsam, dass Gott Vater die Tragödie des Menschen mitlebt. Als sich Sergej Sacharov aber entschließt, Mönch zu werden, bedeutet dies eine Entfremdung zwischen beiden. Berdjaev ist ja der Meinung, sobald jemand den Weg christlicher Askese betrete, sei er für schöpferische Tätigkeit verloren. (1)

1925-1947 ist Vr. Sofronij auf dem Hl. Berge Athos. Wichtig ist seine Begegnung mit Starez Siluan (1931), der 1866 bei Tambov als Semën Ivanovič Antonov geboren wird und seit 1892 auf dem Athos lebt. Bis zu dessen Tod (11./24. September 1938) tauscht er sich mit ihm aus. Das Gebet für die ganze Welt, von ihm gelehrt, wird für Vr. Sofronij vor allem zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wichtig.

Im Hintergrund steht die Auffassung vom "ganzen Adam". Alle Menschen sind nach dem Ebenbild und dem Gleichnis Gottes geschaffen (vgl. Gen 1,27). Damit sind sie eins in Gott. Zwischen Gott und Mensch besteht eine "Vergleichbarkeit" (soizmerimost').

1941 wird Vr. Sofronij zum Priester geweiht. Er wirkt als Beichtvater für viele Mönche. 1947-1959 ist er wieder in Paris. Weil er die Russische Orthodoxe Kirche des Patriarchats Moskau als "Martyrerkirche" und nicht als "Rote Kirche" kennzeichnet, darf er keine theologischen Examina am Institut St. Serge ablegen.

1948 gibt er (zunächst hektographiert im Eigenverlag) sein Buch über Starez Siluan heraus, das heute bereits in viele Sprachen übersetzt ist. Dem Einfluss dieses Buches ist es zu verdanken, dass Siluan1988 vom Ökumenischen Patriarchat kanonisiert wird. Im Jahre 1993 wird sein Gedenktag (11./24. September) in den orthodoxen Kalender der Russischen Kirche aufgenommen. (2)

Vr. Sofronij sieht den Gehorsam gegenüber dem Starez in einer Linie mit dem Gehorsam des Sohnes Gottes als Ausdruck innergöttlicher Liebe.

Mit V.Losskij hat er eine Auseinandersetzung über den Begriff des "göttlichen Dunkels". Während der Philosoph meint, hier gehe es um die Essenz orthodoxer Spiritualität, die sich apophatisch ausdrückt (3), kommt Sofronij, ausgehend von der Erfahrung, zu einem anderen Ergebnis: Das Dunkel sei Ausdruck der Verlassenheit von Gott (bogoostavlennost'), des Entzugs der Gnade. Wenn Gott erscheine, erfahre der Mensch das Unerschaffene Licht. (4)

Den letzten Abschnitt (1959-1993) seines langen Lebens verbringt Vr. Sofronij in Großbritannien. Er begründet am 5. März 1959 in Essex (Tolleshunt Knights, Maldon) das Kloster des hl. Johannes des Vorläufers, in welchem heute 25 Mönche und Nonnen leben. Hier ist er Starez für die vielen Menschen, welche zu ihm kommen. Hier schreibt er weitere wichtige Bücher. Seit langem gesundheitlich angeschlagen, stirbt er am 11. Juli 1993.

Anmerkungen

(1) Vgl. Nikolaj A.Berdjaev, Smysl tvorčestva, in: Ders., Filosofija tvorčestva, kul'tury i iskusstva, Bd. 1, Moskau 1994, 163-180 (Tvorčestvo i asketizm. Genial'nost' i svjatost').

(2) Vgl. Kanonizacija svjatych v XX veke, Moskau 1999, 17.

(3) Vgl. V.Losskij, Očerk mističeskogo bogoslovija Vostočnoj cerkvi, Moskau 1991, 20-36 (Božestvennyj mrak).

(4) Allerdings spricht auch Losskij, Očerk mističeskogo bogoslovija, 163-177, vom "Göttlichen Licht".

Werke von Schiarchimandrit Sofronij (Sacharov)

Weiterführende Literatur

Схиархимандрит Софроний (Сахаров), Фотографии

Схиархимандрит Софроний (Сахаров), Библиография

Николай (Сахаров), Основные вехи

Николай (Сахаров), Старчество и послушание

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