Frühlingsvögel

Mitteleuropa

Der Begriff Mitteleuropa hat nach den Veränderungen in Osteuropa wieder seine alte Bedeutung erhalten. Die geographische Mitte Europas ist, ihrer tatsächlichen Lage entsprechend, nun auch gefühlsmäßig weiter nach Osten gerückt.

 

Im Osten geht die Sonne auf,
Im Süden ist ihr Mittagslauf,
Im Westen will sie untergehn,
Im Norden ist sie nie zu sehn.[1]

Deutschland

Das Wort Deutschland ist seit dem 15. Jahrhundert eine Zusammenrückung aus dem ursprünglichen mittelhochdeutschen daz diutsche lant. Das Adjektiv deutsch geht auf das gemeingermanische *þeudō f. Volk[2] zurück, dieses auf das indogermanische *teutā f. Volk; Kraft. Deutsch bedeutet zunächst volkssprachlich, im Gegensatz zum Lateinischen. Auch das Niederländische wird bis zum 16. Jahrhundert als duutsc bezeichnet, vergleiche das englische dutch.[3]

1956. Im März wurden die Felder gepflügt: Der Bauer spannte ein Pferd vor den Pflug und achtete darauf, dass die Furchen gerade waren. Danach wurde das Feld geeggt.[4] Nun kam der Sämann, nahm jeweils eine Handvoll Saatgut aus dem Saatbehälter[5] und streute es in weitem Bogen auf der Erde aus. Sobald das Getreide wuchs, wurde den Kindern eingeschärft, das Kornfeld nicht zu betreten, da in ihm die Kornmuhme lebe, die kleine Kinder fräße. Die Kinder hätten allzugern Kornblumen und Klatsch­mohn gesammelt, die im Kornfeld in reicherer Fülle als am Rande desselben wuchsen.

Im Sommer kamen die Schnitter. Mit Sensen mähten sie das Feld ab. Wurde eine Sense stumpf, war sie zu dengeln.[6] Frauen banden die Ähren mit einer Hanfschnur zu Garben zusammen und stellten jeweils einige gegeneinander, damit sie trockneten. Schließlich wurden die Ähren auf einen Wagen geladen und auf die Tenne gefahren. Dort wurde das Korn mit Dreschflegeln ausgedroschen. Man warf es sodann mit der Worfschaufel gegen den Wind, und die Spreu stob davon. Das Getreide wurde im Silo gelagert und das Stroh[7] in Bündeln auf den Dachboden der Tenne verbracht.

Das Korn wurde gekauft und in der Kornmühle vermahlen. Die Küche war gleichzeitig Wohn- und Arbeitszimmer. In einer Tasse wurden Hefe, warme Milch[8] und Zucker angesetzt. Im Weidling[9] wurden Mehl, die aufgegangene Hefe sowie Wasser, Zucker, Aroma[10] und etwas Salz miteinander vermischt, dann mit einer stabilen Gabel verrührt, bis der Teig Blasen warf. Man schlug den Kindern auf die Finger, wenn sie versuchten, vom Teig zu naschen. Zur Begründung hieß es, er werde dann kleiner.

Über den Weidling wurde ein Tuch gebreitet. Der Inhalt sollte nun weiter treiben.[11] Schließlich wurde der Teig mit einem mit Mehl bestreuten Nudelholz ausgewalzt und auf einem Backblech ausgezogen. Der Rand wurde etwas hochgezogen,[12] damit der teils flüssige Belag nicht ablief. Der Teig wurde nämlich mit selbstgemachter Marmelade, gezuckerten Früchten, Quark und Streusel[13] belegt.

Gleichzeitig galt es, den Küchenherd zu heizen. Der Vater rief ein Kind. Im Hof wurde ein Sägebock aufgestellt.[14] Oben legte man den Teil eines Baumstamms auf. Nun wurden Abschnitte abgesägt.[15] Ein Stammabschnitt wurde auf den Hauklotz gelegt und mit dem Beil in Achtel zerlegt. Im Küchenherd wurde mit einem Streichholz ein Stück Papier angezündet, das gab die Flamme an einen Kienspan[16] weiter, der setzte Reisig in Brand, dies entzündete ein Holzstück. Wenn alles lichterloh brannte, konnte Kohle aus dem Kohlenkasten unten am Herd aufgefüllt werden. Es war Aufgabe der Kinder, aus dem Keller Kohle zu holen. „Gehst du in den Keller, nimm etwas mit!“ Ernst fürchtete sich vor dem Dunkel im Treppenhaus. Es gab keine Beleuchtung.

War der Backofen heiß, wurde der Teig gebacken. Nicht selten ertönte anschließend die Klage, der Teig sei nicht richtig gegangen: „Näwa,[17] der Topfen[18] war zu schwer![19] Als ich unlängst gebacken hatte, ging es besser. Nicht schön, aber selten.“ Häufig wurde geäußert: So jung komm’ wer nämma z’sammen! Morgen ist auch noch ein Tag![20] Gib mir das Scherzel![21] Es ist ja keine Muss-Sache![22] Sie betonte Holunder auf der ersten Silbe, wie es im Mittelhochdeutschen üblich war.[23] Der Laden wurde abgesucht nach altbackenem Brot. Da in ihm die Backmittel länger aufgegangen waren, galt es als bekömmlicher.

Backe, backe Kuchen,
Der Bäcker hat gerufen.
Wer will guten Kuchen backen,
Der muss haben sieben Sachen:
Eier und Schmalz,
Butter und Salz,
Milch und Mehl,
Safran macht den Kuchen gehl.
Schieb, schieb in Ofen ’nein!

Mehlspeisen waren einfach wichtig, allen voran die Serviettenknödel:

Zutaten: 6 Brötchen (Semmeln) vom Vortag oder älter, einen halben Liter Milch, 3 Eier, einen gestrichenen Teelöffel Salz, etwas geriebene Muskatnuss, eine große Zwiebel, einen Esslöffel Margarine, einen Bund frische Petersilie, zwei bis drei Esslöffel Mehl, 30 g Butter.

Zubereitung: Eine große Schüssel bereitstellen. Die Brötchen in grobe Würfel schneiden. Einen halben Liter Milch lauwarm erwärmen und über die Brötchenwürfel schütten, kurz in der Milch wenden und gut zehn Minuten durchtränken lassen. In der Zwischenzeit Zwiebeln schälen und in kleine Würfel schneiden. Petersilie waschen und kleinschneiden. In einer Pfanne Margarine erhitzen, die Zwiebelwürfel darin hellgelb anschwitzen. Zur Seite stellen, salzen und die Petersilie darunterrühren. In einer kleinen Schüssel drei Eier mit einem gestrichenen Teelöffel Salz und etwas geriebener Muskatnuss mit einer Gabel gut verquirlen. Die inzwischen abgekühlten gerösteten Zwiebeln zusammen mit der Petersilie mit den verquirlten Eiern mischen. Das Ganze über die durchgezogenen Brotwürfel geben und zusammen mit zwei bis drei Esslöffel Mehl zu einem geschmeidigen Knödelteig vermengen. 30 g Butter flüssig erwärmen. Eine genügend große Stoffserviette auf einem Tisch ausbreiten und mit einem Kuchenpinsel eine runde Fläche von etwa 25 cm Durchmesser mit der flüssigen Butter einstreichen. Den Knödelteig auf die Mitte des Tuches setzen. Oben zweimal zusammenknoten und dazwischen einen langen Holzlöffel stecken, der bequem über den Rand eines großen Kochtopfes passen sollte. Diesen Topf mit Salzwasser zum Kochen bringen, die Serviette mit dem Knödelteig mithilfe des Kochlöffels in das kochende Wasser einhängen, sodass fast der ganze Knödel vom Wasser bedeckt wird. Bei niedriger Temperatur etwa 45 Minuten kochen lassen. Herausheben, etwas abtropfen lassen. Das Tuch öffnen und den fertigen Serviettenknödel auf eine Platte legen. Mit einem Messer in Scheiben schneiden und zu Gulasch heiß servieren.[24]

Buchteln

Zutaten: Ein achtel Liter Milch, ein Teelöffel Zucker, ein Würfel Hefe, 500 g Mehl, 80 g Butter, 100 g Zucker, ein Vanillezucker, eine geriebene Zitronenschale, ein Ei.

Zubereitung: Lauwarme Milch und alle übrigen Zutaten in eine Schüssel geben und gut vermengen. Den Teig mit einem Tuch bedecken und an einem warmen Ort gehen lassen.[25] Die Form buttern.[26] Den Backofen vorheizen. Den Teig durchkneten, Buchteln (kleine Teigknödel) formen und in die Form legen. Etwa 30 Minuten bei 180 ° C backen. Warm servieren.[27]

Es herrschte zunächst Mangel an Lebensmitteln. Als es dann allmählich besser wurde, lag die Versuchung nahe, Entgangenes nachzuholen. So gab es Schnitten mit „Butterblümchen“, an denen von allen Seiten jeweils eine Messerspitze Butter hinzugefügt wurde. War mittem im Brot ein Loch, hieß es: „Da ist der Bäcker durchgekrochen!“.

Lebertran wird aus der Leber von Kabeljau, Dorsch, Hai und Schellfisch gewonnen. Er enthält unter anderem Vitamin A und D. Seit 1824 ist bekannt, dass er zur Bekämpfung der Rachitis eingesetzt werden kann. Für Kinder ist sein Geschmack nicht gerade edel.

Geheizt wurde nur der Herd in der Küche. Alle anderen Räume der Wohnung waren im Winter kalt und feucht. Wer dann in solch einem Raum sitzen musste, bekam manchmal eine Heizsonne. Sie sah aus wie eine altertümliche Schreibtischlampe mit einer dunklen Birne, die große Glühfäden hatte. Der Reflektor strahlte die Wärme ab. Dies war eine einseitige Erwärmung. An der anderen Seite des Körpers hatte die Kälte ungehinderten Zugang.

Der Bürgersteig vor dem Haus war weder gepflastert noch plattiert oder asphaltiert. Am Samstag wurde der Weg geharkt. Die Harke musste mit den Zacken nach oben abgestellt werden. Sonst konnte es geschehen, dass ein Kind auf die Harke trat und den Stiel ins Gesicht bekam.

In der Kirche stand ein „Nickneger“. Wenn man einen Groschen in den entsprechenden Schlitz warf, nickte der Kopf zum Zeichen des Dankes. Man konnte auch „ein Heidenkind kaufen“. Für zwanzig Deutsche Mark wurde ihm Katechse zur Taufvorbereitung gegeben. Es war möglich, ihm den einenen Namen zu geben. Dann hieß das Kind zum Beispiel Wolfgang Mkanganwi. Ob es seinen eigenen Vornamen aussprechen konnte?

Die Kornmuhme hat zwei Gesichter. Das eine ist ausschließlich wohltuend und segensreich: „Nun wogt im Wind das junge Korn, / voll blüht die Hollerdolde; / bekränzt mit Mohn und Rittersporn / geht durch die Welt Frau Holde. / Sie lässt sich schau’n am lichten Tag, / solang die Ähren reifen; / durch Roggenfeld und Weizenschlag / sieht man sie heimlich streifen.

So geht sie um nach altem Brauch / und segnet still die Saaten, / und Kornduft zieht mit herbem Hauch / bis zu des Dorfes Katen. / Doch wenn durchs Feld die Sense blitzt / im lichten Ährengolde: / hoch auf dem Erntewagen sitzt / Kornmuhme dann, Frau Holde.“[28]

Das andere Gesicht der Kornmuhme: „Wie weh Armut tut, das sollte vor langer Zeit ein armer Tagelöhner aus dem Vogtland erfahren. Der hatte durch Krieg und Feuerschaden sein ganzes Hauswesen verloren. Es waren schlimme Zeiten, und im Tagelohn vermochte er kaum das Salz zur Suppe für sich und die Seinen zu verdienen. So trieb ihn die Not zur Erntezeit hinaus auf die Stoppelfelder, um Ähren aufzulesen.

Hier traf ihn eines Tages eine junge, reiche Bauerndirn auf dem abgeernteten Kornfeld ihres Vaters. Sie beschimpfte und schmähte den alten Mann; denn sie gönnte ihm nicht die paar Kornähren und schrie ihn an, er solle machen, dass er ihres Vaters Feld verlasse. Dann entriss sie ihm die Ähren und schlug sie ihm um die Ohren. Ob dieser Schmähung reckte sich der Alte in gerechtem Zorn in die Höhe, verwies ihr mit strafenden Worten ihre Hartherzigkeit und rief: Schämst du dich nicht, du böses, mitleidloses Weib? Hast du jemals Hunger und Not am eigenen Leib erfahren?  Und mit drohend erhobenem Finger fügte er hinzu: Zur Strafe für deine Bosheit sollst du hier auf deines Vaters Felder verbannt sein, sollst ruhelos die Zeit verbringen und auf’s Korn achtgeben, bis du jemand findest, der dich ebenso straft, wie du es mit mir getan hast.

Kaum waren des armen Tagelöhners Worte verklungen, ging seine Verwünschung in Erfüllung. Die junge, boshafte Bauerndirn war plötzlich in ein altes, krummes, hässliches Weib verwandelt, dem die Ähren wie ein wirrer Haarschopf um den Kopf und am Leib herunterhingen. Seitdem muss sie als Feldgeist in der Gluthitze des Sommermittags ruhelos durch die Kornfelder streifen und ausspähen nach Kindern, die, von einer blauen Kornblume oder rotem Mohn verlockt, unbedacht das Feld betreten. Die böse Kornmuhme zieht sie hinein und behält sie als ihr Opfer. So ist sie verdammt zur Hüterin der Getreidefelder und muss Jahr um Jahr der Stunde harren, die sie von ihrem Fluch erlöst.“[29]

 

Das ist der Daumen. / Der[30] schüttelt die Pflaumen. / Der[31] hebt sie auf. / Der[32] bringt sie nach Haus. / Und der kleine Mann / Isst sie alle auf.

 

Hoppe, hoppe Reiter! / Wenn er fällt, dann schreit er. / Fällt er von dem Pferde, / Liegt er auf der Erde. / Fällt er in das grüne Gras, / Macht er sich sein Pelzchen nass. / Fällt er in das Wasser, / Macht er sich noch nasser. / Fällt er in die Hecken, / Fressen ihn die Schnecken. / Fällt er in den Graben, / Fressen ihn die Raben. / Fällt er in den Sumpf, / Macht der Reiter: Plumps![33]

 

Lirum, larum, Löffelstiel. / Alte Weiber essen viel, / Junge müssen fasten. / s’Brot liegt im Kasten. / s’Messer liegt daneben. / Ei, welch lustig Leben!

Lirum, larum, Löffelstiel. / Wer nichts lernt,[34] / Der kann nicht viel. / Reiche Leute essen Speck, / Arme leute essen Dreck. / Lirum, larum, Leier. / Die Butter, die ist teuer.[35]

 

Punkt, Punkt, Komma, Strich,
Fertig ist das Mondgesicht.
Gleich zwei kleine Ohren dran,
Dass es nun auch hören kann.
Kleine Butter – kugelrund,
Wie ein Käse, so gesund!
Arme wie ’ne Acht,
Ist das nicht ’ne Pracht?
Dazu Beine wie ’ne Sechs,
Ei, ich glaub’, das ist ’ne Hex’!

 

Leise rieselt die Vier
Auf das Zeugnispapier.
Hört nur, wie lieblich es schallt,
Wenn Papa dir eine knallt!

 

Das Strickelbarometer

Wenn der Strick nass ist, regnet es.
Ist er trocken, dann ist es heiter.
Bewegt er sich, ist es windig.
Schwankt er, ist Sturm.
Ist er erstarrt, herrscht Frost.
Ist er unsichtbar, ist Nebel.
Liegt er am Boden, hat ein Erdbeben stattgefunden.
Ist er verschwunden, hat man ihn stibitzt.

 

Der singende Dachdeckermeister Ernst Neger (14.1.1909-15.1.1989) trat in den Goldenen Zwanzigern in Mainzer Kneipen auf. Er wurde in den 1950-er Jahren Star der Meenzer Fassenacht mit Stimmungsliedern wie: Humba Täterä und Rucki-Zucki. Mainz war zu 80 % durch Bomben zerstört worden. In Abwandlung und Ergänzung eines Kinderliedes spendete er Trost beim Wiederaufbau:

1. Bei all den kleinen Kinderlein
Gibt’s manchen großen Schmerz:
Hat’s Püppchen was am Fingerlein,
Bricht Mutti fast das Herz.
Dann kommt die Mama schnell herbei,
Nimmt’s Kindchen auf den Schoß
Und sagt bedauernd: Ei, ei, ei,
Was hat mein Kindchen bloß?
Bewegt sie es an’s Herze zieht
Und singet ihm zum Trost das Lied:

Heile, Heile Gänsje,
Es is bald wieder gut.
Es Kätzje hat a Schwänzje,
Es is bald wieder gut.
Heile, heile, Mausespeck,
In hunnert Jahr is alles weg.

2. Und sind die Kinder größer dann,
Erwacht im Herz die Lieb,
Es dreht sich alles um den Mann,
Den bösen Herzensdieb.
Doch wenn das Herz in Flammen steht,
Vor Liebe, Lust und Glück,
Der Mann sehr oft von dannen geht,
Lässt weinend sie zurück.
Dann singt die Mutter angst und bang
Das Lied, das sie dem Kind einst sang. Heile…

3. Das Leben ist kein Tanzlokal,
Das Leben ist sehr ernst.
Es bringt so manche Herzensqual,
Wenn du es kennenlernst.
Doch brich nicht unter seiner Last,
Sonst wärest du ein Tor,
Und trag, was du zu tragen hast,
Geduldig mit Humor.
Und denk dein ganzes Leben lang
An’s Lied, das dir die Mutter sang: Heile

4. Wenn ich mir so mei Meenz betracht,
Dann denk ich in mei’m Sinn:
Mer hat’s mit Meenz genau gemacht,
Wie mit der Stadt Berlin.
Man hat’s zerstört, hat’s zweigeteilt.
Und trotzdem hab ich Mut
Zu glabe, dass des alles heilt,
Ach, des werd wieder gut.
Meenz un Berlin, ihr seid so schön,
Ihr könnt, ihr derft nid unnergehn. Heile

 

Camping-Leed

Flöck[36] dä Rucksack enjepack,[37]
es dat neue Zelt em Sack?
Mam, mer wolle all jet en Erholung jon.
Kochjescherr, wat söns noch all, uns Kanaljemöschtijall,[38]
nemm se met, dä Kammerpott[39] loss ston.
Un et ränte wie en Bies, doch em Sölztal[40] op ’ner Wies
loche[41] Schmitzens jetz em Zelt bei Mutter Jrön.[42]
Weil die eeschte Naach allt[43] doll un de Mam de Nas allt voll,
sät d’r Papp, dä’t jot jemeint hatt: „Häs de Tön?“

Do laachs do dich kapott, dat nennt mer Camping,
do laachs do dich kapott, dat fingk mer schön,
wenn em Zelt de Möcke un de Hummele dich verjöcke
[44]
un do kanns dann nit eraus em Rän.

Haschemich,[45] en Höppekrad[46] höppte op dem Schmitz sing Plaat,[47]
Mam, do häs ’ne Käfer em Enkeur[48] de Bleck.[49]
Die Invasion em Zelt, nit erwünsch un anjemeld,
wor zwor fies, doch wor de Langwiel weg.
Un et ränte wie en Bies, doch de Mam un och et Nies[50]
hatten Jöck[51] un wollten en d’r Bach erenn.
„Mutti“, sät et Nies, „pass auf, tritt nit in dä Ameishauf“.
Schrumm, do soss sei allt met ehrem Bretzel[52] dren.

Do laachs do dich kapott…

Weil dä Schäng[53] die Diercher satt, schloch hä sei mem Knöppel platt,
dät hät nix jenotz, et komen immer mih;
denn wenn ein dobei krepeet, han ’ner fuffzich konduleet,[54]
un zom Schlofe kome Schmitzens nie.
Un et ränte wie en Bies en de Zupp[55] un op d’r Kies,[56]
un de Wespen han sich em Kompott jezänk.
Plötzlich bei ’nem Sturm, o Jott,
reef de Mam: „Et Zelt flüch fott,
och, wie herrlich, uns Erholung es am Engk.“

Do laachs do dich kapott…[57]

 

Die Made

 

Heinz Erhardt (1909-1979)

 

Hinter eines Baumes Rinde

wohnt die Made mit dem Kinde.

 

Sie ist Witwe; denn der Gatte,

den sie hatte, fiel vom Blatte.

Diente so auf diese Weise

einer Ameise als Speise.

 

Eines Morgens sprach die Made:

„Liebes Kind, ich sehe grade,

drüben gibt es frischen Kohl,

den ich hol. So leb denn wohl!

Halt, noch eins! Denk, was geschah,

geh nicht aus, denk an Papa!“

 

Also sprach sie und entwich. –

Made junior aber schlich

hinterdrein; und das war schlecht!

Denn schon kam ein bunter Specht

und verschlang die kleine, fade

Made ohne Gnade. Schade!

 

Hinter eines Baumes Rinde

ruft die Made nach dem Kinde…

 

Die Großeltern müssen am Katzentisch essen. Es war ja auch nicht mehr zum Aushalten gewesen: Mit ihren zitternden Händen verschütteten sie dauernd die gute Suppe. Man gab ihnen nun hölzerne Schalen und Löffel. Sollten sie sich damit begnügen! Eines Tages entdecken die Eltern, dass ihre Kinder Holz schnitzen. Ärgerlich fragen sie, was das denn solle. „Das ist für Euch, wenn Ihr alt seid!“ Von jetzt an dürfen die Großeltern wieder am gemeinsamen Tisch sitzen.

Die Fabel von der Feldmaus und der Stadtmaus. Zwar hat die Stadtmaus Speck und Käse in Hülle und Fülle, aber leider ist da eine Katze in ihrer Nähe… Da erkennt die Feldmaus, die bei ihr zu Besuch ist, dass sie in ihrer Armut und Not doch besser lebt. Die Moral von der Geschichte: Bleibe auf dem Dorf und ziehe nicht in die Stadt.

 

Eines Tages entdeckt Ernst eine Wildkatze im Wald. Sie sperrt ihren Rachen auf und faucht. Sie streckt ihm drohend ihre Krallen entgegen, wobei ihre grünen Augen funkeln. Offensichtlich befinden sich ihre Jungen im hohlen Baum hinter ihr.

Kälte. In der Küche brannte der Herd. Diese Art der Zubereitung benötigte längere Zeit, ein Umstand, der die Speisen wohlschmeckender und bekömmlicher machte. Im Winter war die Küche der einzige Raum, in dem es warm war. Hier konnten Hausaufgaben gemacht werden; denn in den anderen Zimmern wurden die Finger steif vor Kälte, sodass Schreiben nicht mehr möglich war. Schwierig war das Zähneputzen mit eiskaltem Wasser. Abends ging es in die klammen Betten. Solange die Füße kalt waren, konnte an Schlaf nicht gedacht werden. Alten Menschen wärmte man das Bettzeug mit heißen Ziegelsteinen. Die Wärmeflasche war ein breites Behältnis aus Gummi, in das heißes Wasser gegossen wurde. Ein Schraubverschluss dichtete es ab. Den Kindern gönnte man diese Wohltat nur, wenn sie krank waren. Vornehme Leute hatten beim Ausgehen einen Muff.[58] Dies war ein Pelzstück, in das von beiden Seiten die Hände hineingesteckt wurden.

Der Drucker Ernst Litfaß (1816-1874) stellt 1854 vor dem Haus Adlerstraße 6 in Berlin eine Säule aus Eisenblech auf, die 2,85 m hoch ist. An ihr werden Bekanntmachungen und Werbetexte angeschlagen.

Ein Plakatierer fährt mit seinem Handkarren zu einer Litfaßsäule und verstreicht mit einer groben Bürste Kleister und entfernt mit seinen bloßen Händen Klümpchen und Unebenheiten. Es gibt wenig Schutzhandschuhe. Entsprechend sieht die Haut an seinen Händen aus.

In den Geschäften hängen lange, gelbe Streifen von der Decke herab, welche Fliegen und Wespen anziehen. Sie kleben fest, zappeln fürchterlich und sterben einen langsamen Tod.

Nachkriegszeit. In der Schule herrscht noch eine militärische Ausdrucksweise vor: „Stillgestanden! Das ist vorerst nur ein kleines Geplänkel. Die Artillerie muss sich erst einschießen. Knapp daneben ist auch daneben. Jetzt ist die Festung sturmreif geschossen. Ihr müsst sie erst einkreisen, um sie dann zu vernichten. Das sind nur Rückzugsgefechte! Ihr flieht vergebens vor dem Feind. Was nicht unmittelbar zum Tode führt, macht euch nur noch härter! Er wird euch nachsetzen. Ihr müsst euch ihm stellen. Startet also eine Gegenoffensive! Jetzt geht es zum Generalangriff. Nehmt sie ins Kreuzfeuer! Na, wird’s bald? Wir werden euch Beine machen! Wir werden euch lehren, hier den großen Herrn zu spielen! Da machen wir kurzen Prozess. Wir brauchen jetzt Leute für einen Sondereinsatz. Die anderen müssen wir aus der Schusslinie nehmen. Das wird ein Kampf Mann gegen Mann, ein rechtes Himmelfahrtskommando.“[59]

Wurde eine Verabredung nicht eingehalten, hieß es:

Die halbe Zeit seines Lebens
Wartet der Soldat vergebens.[60]

Andererseits hörte man häufig:

Fünf Minuten vor der Zeit
Ist des Soldaten Pünktlichkeit.

Pünktlichkeit ist die Tugend der Könige.

„Morgen, morgen, nur nicht heute“,
            Sagen alle faulen Leute.

Die preußischen Tugenden standen hoch im Kurs: Ordnungsliebe, Fleiß, Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit.

Die Schüler probieren Scherzartikel aus. Juckpulver wird von hinten in den Hemdkragen gestreut. Dazu dienen die feinen Härchen an den Kernen der Hagebutte, aber auch die Samenkapseln der in Ostindien beheimateten Juckbohne (Dolichos pruriens). In besonders schweren Fällen werden Stinkbomben eingesetzt. Schwefelwasserstoff verbreitet den Geruch fauler Eier und Buttersäure riecht sehr unangenehm nach ranziger Butter.

Hatte jemand etwas Schlimmes verbrochen, wurde gesagt: Den müsste man zu Trockenbrot und Wasser verurteilen! Gemeint war: Hier genügte nicht die Einweisung in ein Gefängnis, sondern es sollte gleich ins Zuchthaus gehen. Bei harter körperlicher Arbeit und kümmerlicher Ernährung mit trockenem Brot, als Getränk nur Wasser, sollte die Schuld ein Leben lang abgebüßt werden.

Wenn man dich um Mitternacht weckt und fragt: Wie ist dieses Wort hier gebraucht?“, sagst du wie aus der Pistole geschossen: „Prädikativ!“[61]

Landwirtschaft. „Das Volk gliedert sich in Wehrstand, Lehrstand und Nährstand.“ Diese Einteilung entstammt einer agrarischen Gesellschaft. Der Wehrstand wird durch die Soldaten verkörpert, der Lehrstand durch die Lehrer, Nährstand sind die Bauern. Im Hintergrund steht die Ordnung des Mittelalters: Regentes sind die Herrschenden (Könige und Bischöfe), Contemplantes sind „Betrachtende“ (Gelehrte und Geistliche), Laborantes sind Arbeitende (Bauern und Handwerker). Kultur und Kunst, Parteien und Gewerkschaften, Wirtschaft, Handel und Industrie sind bei diesem Gesellschaftsbild nicht berücksichtigt.

Eine Lesebuchgeschichte erzählt, wie jemand zum ersten Mal in seinem Leben mit der Sense Getreide erntet. Die Sonne brennt heiß vom Himmel, er ist völlig verschwitzt und hat Durst. An seinen Hände bilden sich Blutblasen. Er kann sich nur noch mühsam weiterschleppen. Am zweiten Arbeitstag weiß er nicht mehr, wie er noch weiterarbeiten kann. Doch nach einigen Tagen hat er sich an die schwere Arbeit gewöhnt, und sie geht ihm jetzt leicht von der Hand.

Ausgrenzung.  „Du gehörst nicht zu uns. Du darfst nicht mitspielen. Hau ab; du stinkst! Dich haben sie wohl als Kind zu heiß gebadet. Du hast nicht alle Tassen im Schrank. Du hast wohl einen Dachschaden! Bei dir ist eine Schraube locker. Du bist noch grün hinter den Ohren.“

Die Sprache der Macht. „Die Eltern sind die Stellvertreter Gottes. Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will! Was grinst du wie ein Honigkuchenpferd? Wir werden dir deine Faxen schon noch austreiben! Dein Anliegen ist berechtigt, der Ton, in dem du es vorgebracht hast, hingegen nicht. Dies war das letzte Mal, dass wir so etwas hinnehmen. Unsere Geduld mit dir ist jetzt endgültig am Ende. Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Schämst du dich nicht, so etwas gesagt zu haben? Wie kamst du überhaupt dazu? Was, du dachtest? Das Denken musst du den Pferden überlassen, die haben einen größeren Kopf. Dein Mitschüler hat so etwas gesagt? Wenn der eine in den Brunnen springt, dann springst du hinterher! Du redest gefälligst nur, wenn du gefragt wirst! Ich werde dir helfen, dich zu beschweren! Du weißt doch, wie es um dich steht! Wir müssen nun an dir ein Exempel statuieren. Wir werden dich schon Mores lehren! Wir werden dir die Augen auskratzen! Wir machen einfach kurzen Prozess mit dir. Wenn du nicht sofort gehorchst, bekommst du eins auf die Augen! Wir werden dich schon kleinkriegen! Das wird ein böses Nachspiel haben! Has’te Töne? Der will auch noch aufbegehren! Wir werden schon deinen Eigensinn brechen, worauf du dich verlassen kannst. Na ja, wein’ ein bisschen!“

Schülersprache. Penne – Schule; Pauker – Lehrer; Zögling – Schüler; eintrichtern – lehren; Jüngstes Gericht – Abitur; Schwarte – Buch; Bleifisch – Bleistift; Ratzefummel – Radiergummi; verkloppen – gebrauchte Schulbücher an den jüngeren Jahrgang verkaufen; Klassenkeile – Mobbing; Läuseharke – Kamm; Schappi machen – essen; Sweet Heart Jesus – rosa Pudding; Knüppel – Bratwurst; Bremsklotz – Frikadelle; Beton – Kartoffelpüree; FF[62] – viel Vergnügen; o.s.ä. – oder so ähnlich.[63] Der Filosoof is doof.

Eine Eselsbrücke[64] ist zum Beispiel: Die Bäume sind die Haare des Berges.[65] Merksprüche[66] sind: „Begierig, kundig, eingedenk, teilhaftig, mächtig, voll“ stehen mit dem Genetiv, wer das nicht glaubt, ist toll.[67] In die Semmel biss der Kater.[68] Geh, du alter Esel, Heu fressen.[69] Frische Brötchen essen alte Damen gern.[70]

Eines Tages muss Ernst nachsitzen. Zu diesem Behufe wird er von der Volksschule[71] an die Hilfsschule[72] überstellt. Das Klassenzimmer ähnelt einem Werkraum für Holzverarbeitung. Der Lehrer fragt einen Schüler, ob er seine Hausaufgaben gemacht habe. Dieser verneint. Es ist für Ernst unbegreiflich, mit welchem Gleichmut der Lehrer diese erschütternde Nachricht aufnimmt.

Eines Tages entdeckt der Klavierstimmer ein Mäusenest im Klavier. Wie es dahin gekommen ist? Nun, die Rückseite des Klaviers ist nur mit einem Tuch bespannt, das leicht einen kleinen Riss durch den Transport des Instrumentes bekommt. Schwieriger ist zu erklären, wie die Mäuse so lange unentdeckt geblieben sind. Immerhin wohnt eine Katze im Haus. Und Mäuse quieken. Wovon sie sich ernährt haben? Vielleicht erklärt sich so das rätselhafte Verschwinden einiger Leckerbissen.

Familienfest. Die einladende Tante geht hierhin und dorthin, unterhält sich mit allen, setzt sich auf einen Stuhl, steht wieder auf, geht in den Vorgarten, während die gesamte Verwandtschaft darauf wartet, dass sie endlich Kaffee kocht. Als deutlich wird, dasss dies von ihr wohl nicht zu erwarten ist, begeben sich einige in die Küche. Hier kennen sie sich nicht aus. Sie finden eine große Kaffeekanne und machen sich daran, Tasse um Tasse mit Wasser in sie hineinzuschütten, wobei sie laut zählen. Ernst ist über diese geradezu wissenschaftliche Methode erstaunt, mit der hier gemessen wird, wieviel Tassen die Kanne fasst. Nun werden weiße Kaffeebohnen in einer Pfanne geröstet. Nach ihrem Abkühlen werden sie in einer Kaffeemühle, die zwischen die Beine geklemmt wird, gemahlen. Bei jeder Umdrehung der Kurbel krachen die zerspringenden Bohnen. Das Kaffeemehl kommt in die Kaffeekanne und wird mit sprudelnd kochendem Wasser übergossen. Der Kaffee wird mehrfach umgerührt und dann durch ein Kaffeesieb in die Tassen gegossen.

Grießem

August 1957. Der Beamte am Fahrkartenschalter sucht in einem Regal den passenden Prägestempel, setzt ihn oben in den Stempelapparat ein, legt ein kleines, hellbraunes, rechteckiges Stück Pappe unter und stempelt von Hand einen Fahrschein. Dazu ist keinerlei Elektrizität notwendig.

Findet er ein Fahrtziel nicht unter seinen Prägestempeln, schreibt er handschriftlich eine Fahrkarte aus. Dazu sucht er in der Entfernungstabelle die Kilometerangabe, setzt anhand der Preisliste den Fahrpreis ein und stempelt die Fahrkarte ab, nach Holzhausen, Rückfahrkarte, 3. Klasse, halber Fahrtpreis, Datum.

Das Kind fährt allein. Daher wird ihm die Fahrkarte in einer Lederhülle mit Sichtfenster an einer Schnur um den Hals gehängt. Der Schaffner wird informiert, ein Auge auf den jungen Passagier zu haben und ihm beim Umsteigen behilflich zu sein.

Ernst steigt in die Dritte Klasse ein, die so genannte Holzklasse. Hier sitzt man auf Bänken aus Holz. Diese Bänke sind wie Parkbänke gestaltet. Zwischen den einzelnen Stangen ist ein Zwischenraum, der das längere Sitzen nicht besonders bequem macht. Anders in der Polsterklasse, der Zweiten Klasse. Hier gibt es gepolsterte Sitze und Rückenlehnen. Zur Ersten Klasse hat das Kind keinen Zutritt.

Die Fenster im Waggon lassen sich öffnen. Dazu ist ein Lederband aus seiner Arretierung zu lösen. Dieses Lederband hat Löcher in bestimmten Abständen. Man hat also das Band an einer anderen Stelle in die Schraube unter dem Fenster einzuhängen.

An der Toilettentüre am Ende des Waggons steht: „Abtritt“.[73] Gespült wird, indem man ein Pedal niedertritt, das eine Klappe absenkt und Wasser strömen lässt. Erst in späteren Jahren wird dieser Ort luxuriös ausgestattet. Über dem Waschbecken befindet sich dann eine Schwenkkugel mit flüssiger Seife. Alternativ eine andere Form von Seifenspender: Die rechte Hand dreht an einer Kurbel, es werden Späne von einer Seifenstange abgekratzt, die durch eine untere Öffnung in die linke Hand fallen. Es gibt sogar einen Behälter, der Eau de Cologne spendet!

Wer den Waggon durch eine Türe verlässt, kommt auf einen offenen Übergang zum nächsten Waggon. Wind und Wetter toben sich hier aus. Durch Scheren-Gitter zu beiden Seiten der hochklappbaren, geriffelten Metallplatte ist der Reisende vor einem Hinabstürzen auf den Bahnkörper geschützt.

Der ganze Zug wird von einer Dampflokomotive gezogen. Der Heizer entnimmt mit einer Schaufel dem Schlepptender, der an die Lokomotive gekoppelt ist, Steinkohle und wirft sie in die Feuerung. Durch das Verbrennen der Kohle verdampft das Wasser in einem Kessel über der Feuerstelle. Dabei steigt der Druck. Der Wasserdampf wird zu einem Zylinder geleitet, der die Treib­stangen bewegt. Über Treibräder und Kuppelräder wirken diese auf die Laufräder.

An Bahnhöfen muss ab und zu der Wasservorrat nachgefüllt werden. Der Lokomotivführer fährt den Schlepptender unter ein galgenartiges Rohr mit einem Gummi, das die Einführung in den Einfüllstutzen ermöglicht und verhindert, dass Wasser verlorengeht.

Fährt die Lokomotive an, stöhnt sie zuerst wie ein wildes Tier. Vor jedem Bahnübergang wird ein gellendes Pfeifsignal gegeben. Dabei strömt Dampf aus einem Ringspalt gegen die scharfe Schneide einer Glocke. Diese gerät dadurch in schnelle Schwingungen, die sich als Pfeifton äußern. Dann dreht der Schrankenwärter an den Kurbeln und lässt damit die Schranken am Bahnübergang herunter. Dabei ertönt ein Glockensignal.

Das schreckliche Geräusch, das vor dem Anhalten des Zuges auftritt, entsteht beim Bremsvorgang. Die bügeleisenförmigen, rötlich-braunen Beläge greifen, rutschen ab und packen wieder zu. Der Waggon verstärkt diese Vibrationen. Die Hauptbestandteile der Beläge sind: Gummi, Metallspäne, die dem Gummi Festigkeit verleihen, und Asbest, das vor dem Verglühen schützt. Ein Kunstharz[74] hält das Gemisch zusammen. Die Masse wird bei 200 º C und 40 bar Druck 35 Minuten lang auf ein Halteblech gepresst. Der Rohbelag wird entgratet und im Ofen bei 400 º C mehrere Stunden lang gehärtet.

Die Fragen der Erwachsenen sind stereotyp: Wie heißt du? Wo wohnst du? Wie alt bist du? Hast du Geschwister? Welchen Beruf hat dein Pappi? Immer wieder wird gesagt: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“ Und jeder meint, er habe jetzt einen guten Einfall geäußert, den vor ihm noch niemand hatte.

Ernst muss in Krefeld, Dortmund, Hamm und Paderborn umsteigen. Kurz vor Hameln steigt er in Holzhausen aus und wird mit dem Pferdekarren nach Grießem gebracht. Eine Gärtnerei kennt er ja schon von Asperden her; aber hier fasziniert ihn das niedrige, langgestreckte Wohnhaus. Soviel Wohnraum hat er noch nicht erlebt.

Am nächsten Tag holt Ernst in einem Eimerchen Wasser aus dem Brunnen, bringt es zum Sandkasten, mischt Sand und Wasser und beginnt, mit Blechförmchen zu hantieren. Die jüngste Tochter des Hauses erscheint in einem strahlend weißen Kleid. Ernst lädt sie ein, mit ihm Kuchen zu backen. „Ich spiele doch nicht mit Modder“,[75] sagt sie und rauscht erhobenen Hauptes davon.

An einem Sonntag trägt er seinen Kommunionanzug. Man setzt Ernst nachmittags auf ein Pferd, das weder Sattel noch Zaumzeug trägt. Es ist da ziemlich hoch, und Ernst weiß nicht, wo er sich festhalten kann. Der Anzug ist offensichtlich nicht geeignet, auf einem Pferderücken getragen zu werden.

Ernst badet in einem kleinen Bassin in der Gärtnerei. Das Wasser ist eiskalt. Dies bekommt ihm nicht gut. Er wird wegen einer asthmatischen Erkrankung stationär behandelt.

In Aerzen lebt 1689 die jüdische Familie Jakob Abraham.[76] 1856 wird eine jüdische Religionsschule[77] gegründet, etwa 1857 gibt es eine Synagoge.[78] Im Juli 1923 findet auf dem Ohrberg in Hameln der Bundestag der Einwandernden[79] statt.[80] Im Sommer 1926 wird der Kibbuz Cheruth[81] begründet. Auch in Grießem gibt es Einwanderungswillige, die bei einem Bauern leben, sich dort mit landwirtschaftlichen Arbeiten vertraut machen und Hebräisch lernen.

„Zionismus ist uns die Aufrichtung einer Gesellschaft von Juden auf der Grundlage der Arbeit, ohne Ausbeuter und Ausgebeutete, einer Arbeitergesellschaft, in der es keine Klassenscheidungen gibt.“[82]

Königsfeld

März 1960. Wegen der Erkrankung seiner Atemwege wird Ernst nach Königsfeld im Schwarzwald geschickt. Diesmal steigt er in Köln, Frankfurt und Karlsruhe um.

Nach dem Mittagessen werden die Kinder zur Terrasse des Sanatoriums geleitet. Dort legen sie sich auf Liegestühle, werden in Decken eingehüllt und liegen hier eine Stunde lang, das Gesicht der Frühlingssonne zugewandt. Ernst hätte sich lieber etwas mehr bewegt.

Doch auch dazu gibt es eine Möglichkeit. In Begleitung spaziert er durch den Schwarzwald. Er hört Krähen und Kohlmeisen.[83] Die Krähen nennt er „Wintervögel“ und die Singvögel „Frühlingsvögel“. An nebligen Tagen überwiegt das rauhe „Kra-kra“, an sonnigen Tagen das helle „Zi-zi-däh“ der Kohlmeisen.[84]

Am 1.5.1923 zieht die Familie Albert Schweitzers nach Königsfeld. Die Ärzte hatten Helene Schweitzer empfohlen, in einem Höhenluftkurort zu wohnen. Tochter Rhena (geboren am 14.1.1919) wächst in Königsfeld auf und besucht hier die Zinzendorf-Schule.[85]

„Du hast, inspiriert durch den Schwarzwald, mir mit einem ergreifend lieben Brief auf meinen geantwortet. Ich weiß nicht, wie Dir ausdrücken, was ich empfinde. Auch ich habe den Schwarzwald genossen. Als ich die Mittel hatte, erbaute ich für meine Frau [und] mein Kind das Haus in Königsfeld. Ich wollte, daß meine Tochter in der Atmosphäre der Brüdergemeine aufwachse. Zwei Europaaufenthalte habe ich im Schwarzwald verbracht und schöne Stunden mich im Wald ergangen. Das Buch über die Mystik des Apostels Paulus[86] ist während des zweiten Aufenthaltes in Königsfeld geschrieben.“[87]

Neuhaus

August 1966. Mit dem Zug geht es über Hannover und Lüneburg zur Grenze. Strenge Zollkontrolle. Beim Betreten des Bahnhofgebäudes in Lauenburg müssen die Reisenden über eine Matte gehen, die mit einem Desinfektionsmittel getränkt ist. Ernst empfindet den Geruch von Lysol als typisch für die DDR, da er sich in allen staatlichen Einrichtungen, und es gibt deren viele, findet.

Der Onkel holt seine Verwandten mit dem Borgward[88] ab. Die Straße ist schmal. An den Rändern sind Ausweichspuren im Märkischen Sand. Wenn es regnet, bildet sich hier Schlamm, der von den Rädern der Fahrzeuge zerfurcht ist.

Der Onkel ist Pfarrer in Neuhaus an der Elbe. Dort hat er eine Kirche und ein Pfarrhaus erbaut. Hier gibt es Doppelfenster wegen der strengen Winter. Beim Waschen stellt Ernst fest: Das Wasser ist so weich, dass er die Seife kaum von den Händen abspülen kann. Nachts schläft er wie ein Murmeltier. Welch eine Stille! Mittags zaubert die Haushälterin wunderbare Gerichte auf den Tisch. Es ist wie im Schlaraffenland.

Am nächsten Tag spielt Ernst auf dem Harmonium der Kirche. Da ihn der Klang wenig befriedigt, geht er zur evangelischen Stadtkirche und übt dort auf der Orgel. Sein Onkel ist von diesen ökumenischen Kontakten nicht sehr erbaut.

Der Wochenablauf des Onkels ist streng geregelt. Montags ist Konveniat, die Zusammenkunft der Geistlichen eines Sprengels. Dienstags und Donnerstags ist er in der Sperrzone, um sudetendeutsche Familien zu besuchen. Er hat eine Sondererlaubnis, um in das Gebiet zu gelangen, das weniger als fünf Kilometer von der Zonengrenze entfernt ist. Damit soll eine Rebublikflucht verhindert werden. Mittwochs ist er mit seiner Haushälterin bei einer sudetendeutschen Familie in Neuhaus. Es wird erwartet, dass pünktlich um 16.00 Uhr Kuchen, der unbedingt mit Butter gebacken sein sollte, auf dem Tisch steht. Freitags ist Katechese für die Kinder, da ein Religionsunterricht in der Schule nicht möglich ist. Am Samstag entwirft er die Predigt für den Sonntagsgottesdienst. Seine freie Zeit widmet er der Gartenarbeit und dem Lesen theologischer, technischer und biologischer Bücher. Er ist im Kreis seiner Mitbrüder angesehen, da er über ein fundiertes Wissen verfügt. Er liest die Bücher von Buchdeckel bis Buchdeckel, sagt der Bischof über ihn. Er hat einen stabilen Charakter und kann daher Ratschläge geben, wie schwierige Siruationen überwunden werden können.

Unter den Geistlichen seiner Generation gibt es einige sprachliche Besonderheiten. Ein Brief beginnt mit „Carissime“ und endet mit „Oremus invicem! Cum Ave fraterna.“ Vor der Zelebration der Heiligen Messe sagt man dem Zelebranten: Commenda me“ und nach dem Gottesdienst: „Proficiat“.[89]

Bei der Ausreise untersucht eine Grenzbeamtin mit einem großen Spiegel an einer Stange, ob sich unter den Eisenbahnwaggons ein Flüchtling versteckt hält.

Charenza

19.6.2001. Ein mächtiger Burgwall ist erhalten.[90] In ihm hatten die slavischen Ranen das Heiligtum ihres Kriegsgottes Rugievit.[91] Die Statue war aus Eichenholz. Der Kopf hatte sieben menschliche Gesichter, am Gürtel hingen sieben Schwerter, das achte hielt er gezückt in der Rechten.[92]

Svantovit Arkona

Arkona

In einem quadratischen, von vier Pfosten getragenen Tempel mit purpurroten Dach und einem einzigen Eingang innerhalb der Jaromarsburg auf Kap Arkona stand eine drei Meter große Holzstatue, die Svantevit[93] darstellte. Mit seinen vier Gesichtern konnte er in alle vier Himmelsrichtungen zugleich schauen. In der rechten Hand trug er ein mit Met gefülltes Trinkhorn, in der linken einen Bogen. Das weist auf seine beiden Aspekte hin: Er spendet Fruchtbarkeit und beschützt das Leben. Burg und Tempel wurden am 15.6.1168[94] vom dänischen König Valdemar I. zerstört. Damit war die Zeit der Slavenherrschaft an der Ostsee beendet.[95]

Svantovit Altenkirchen

Groß Raden

1.8.2001. Die Varnov-Slaven gründeten hier in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts nach Christus eine Siedlung. Die Wohnhäuser hatten eine Fläche von vier mal fünf Metern. Etwas abseits befand sich der Tempel, der eine Fläche von sieben mal elf Metern einnahm. Er war von Palisaden umgeben. Es gab kultische Umzüge um den Tempel herum.[96]

Görlitz

31.8.2003. Seit 800 gibt es slavische Siedler in der Oberlausitz. Das sorbische Dorf Gorelic[97] wurde 1071 in einer Urkunde Heinrichs IV. erwähnt. Auf der Landeskrone ist ein slavischer Burgwall.

Jakob Böhme[98] kaufte ein Gerberhaus, da er das Leder für seine Schuhe selbst gerbte. Er wohnte in ihm von 1599 bis 1610. Er trug Zeit seines Lebens daran, dass er niederer Herkunft und Autodidakt war. Zehn Jahre lang hielt er sich an das Schreibverbot, das ihm auferlegt worden war, dann veröffentlichte er weitere Schriften, die heftig bekämpft wurden. Er geht aus von der Brautmystik Bernhards von Clairvaux und von den Naturbetrachtungen des Paracelsus.[99] Seine Schriften werden vor allem von Schelling und Berdjaev rezipiert.

„Ins Wirken und Fruchtbringen muß es mit einem Menschen kommen, sonst ist die neue Geburt in ihm noch nicht offenbar und der edle Zweig noch nicht geboren. Es hilft kein Kitzeln, Trösten, noch sich eines Glaubens rühmen, so nicht der Glaube ein lebendig, gottförmiges Kind in Wesen und Willen wird, der da göttliche Früchte trage.“[100]

„Darum sagete Christus: Es sei denn, daß Jemand von Neuem geboren werde, sonst soll er das Reich Gottes nicht sehen. Joh. 3,3. Alle diese falsche Willen und Begierden sind zur Verdammniß prädestiniret. Will Jemand Gott sehen, der muß wieder umkehren und werden als ein Kind, und durch das Wasser des ewigen Lebens, als durch den himmlischen Ens,[101] welchen Gott in Christo offenbaret, im h. Geiste neugeboren werden, daß der erste rechte, in Adam gestorbene, Mensch von der himmlischen Welt Wesen in Christo wieder ausgrüne und lebendig werde.“[102]

Böhmen und Mähren

Böhmen ist nach den keltischen Boiern benannt. Mähren geht auf eine alte Flussbezeichnung zurück. Das Wort hängt verwandtschaftlich mit dem Wort Meer zusammen.[103]

Im Jahre 9 vor Christus beginnt die germanische Besiedlung des Landes. Mit dem Abzug der Germanen Anfang des 6. Jahrhundert nach Christus beginnt die Landnahme durch slavische Stämme, die sich über mehrere Jahrhunderte hinzieht. 833 einigt der mährische Fürst Mojmir I. die Fürstentümer Mährens und der Westslovakei unter seiner Herrschaft. Unter seinem Neffen Rastislav entwickelt sich das Großmährische Reich zur führenden Macht unter den Westslaven. Die beiden Slaven­apostel Kyrill und Method schaffen eine slavische Schrift und übersetzen biblische, patristische, liturgische und kirchenrechtliche Texte. Ihre Arbeit in diesem Gebiet wird allerdings zunichte gemacht. Bis heute ist Böhmen westlich geprägt,[104] Mähren stellt ein Übergangsgebiet dar und in der Slovakei liegt ursprünglich thrakisch-illyrischer, später byzantinischer Einfluss vor.

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts übernimmt die tschechische Dynastie der Přemysliden die Führung. Jan Hus, Lehrer an der Prager Universität, verbindet kirchliche Reformpläne mit tschechischem Nationalstreben. Er schafft die tschechische Schriftsprache. 1415 wird er vom Konzil in Konstanz verurteilt und verbrannt. In den folgenden Hussitenkriegen werden die Deutschen in die Randzonen des Landes gedrängt. 1437 wird der Habsburger Albrecht II. König über Böhmen und Ungarn.[105]

26.7.-12.8.1967. Die Reisenden werden im VW-Käfer nach Neuhaus gebracht. Dort trennt man sich. Es geht nach einem kurzen Aufenthalt weiter mit dem Zug. In Dresden ist es nicht erlaubt, sich nachts im Wartesaal auf den Boden zu legen, um zu schlafen. So muss man sich die Nacht auf einem Stuhl um die Ohren schlagen, bis am nächsten Morgen der Anschluss-Zug fährt.[106] Schließlich über Znajm[107] nach Moravec.[108]

Neuland am Roll

21.8.1990. Das Haus der Eltern in Neuland am Roll, Nr. 71 (Noviny po Ral) ist ein ansprechendes Holzhaus mit Bogenfenstern. Im Jahre 1944 war die Großmutter mit dreien ihrer Kinder vor dem Bombenhagel hierher geflüchtet. Die Ruinen der Pachtgärtnerei Baum, die 1944/1945 bewirtschaftet wurde (Neuland, Nr. 77), hatte Ernst im August 1967 noch gesehen. Jetzt ist hier ein riesiges Maisfeld.

 

Deutsch-Gabel

Deutsch-Gabel

22.8.1990. Großvaters älteres Haus in Deutsch-Gabel ist heruntergekommen. Das Haus, das er 1932 erbaut hatte, ist noch in gutem Zustand. Aus manchen Blumenkästen der Gärtnerei wächst hohes Unkraut.

Am Friedhof hatte man die Metallbuchstaben der Grabmäler abmontiert, eingemeißelte Schrift war abgeschlagen worden. Grabplatten waren auf der Suche nach Gold verschoben worden. Gärtner hatten Unkraut und Gras auf Gräbern von Deutschen aufgehäuft und verbrannt, sodass umstehende Bäume versengt waren.

Moravec

Der Onkel,[109] ein Jesuit, ist erfreut über den überraschenden Besuch. Er zeigt ein kleines Arzneifläschchen. Darin ist Messwein. Wegen seines kranken Magens verträgt er keinen Wein und feiert die Eucharistie mit einer symbolischen Menge Wein.

Er lernte in der Knabenbürgerschule in Deutsch-Gabel Französisch.[110] An der Handelsakademie hatte er Unterricht in französischer und englischer Sprache.[111] Er eignete sich dann die Fähigkeit an, Handelskorrespondenz in spanischer und tschechischer Sprache zu führen.[112] In Palermo lernte er nicht nur, italienisch zu sprechen, sondern in dieser Sprache auch zu stenographieren.[113] Für das Theologiestudium lernte er aus Langenscheidt-Lehrbriefen Lateinisch.[114] Er meinte aber, dass sich eine solche Sprache nicht gut aus Lehrbriefen verstehen ließe. Am Bischöflichen Gymnasium in Mariaschein hatte er Unterricht in tschechischer, lateinischer und altgriechischer Sprache.[115] Tschechisch habe er nach 1945 noch einmal lernen müssen, sagte er. Im Arabischen konnte er das Vaterunser auswendig. Esperanto lernte er, weil es als Mittel der Völkerverständigung ohne nationale Voreinstellung galt.[116]

Der Zusammenhalt der Geistlichen an diesem Ort ist gut. Die Verfolgungssituation, in der Tschechoslowakei besonders stark, hat sie zusammengeschmiedet.

Velehrad

23.7.2003. Hier soll Method im neunten Jahrhundert seinen Bischofssitz gehabt haben. Einer der wichtigsten slavischen Wallfahrtsorte. Zisterzienserkloster und Jesuitenniederlassung. Das Großmährische Reich existierte nur achtzig Jahre lang. Es fiel im ungarischen Ansturm 907. Böhmen hatte sich mit den Deutschen verbündet und so seine Eigenständigkeit gewahrt; Mähren jedoch geriet für Jahrhunderte unter ungarische Herrschaft. Die slavische Liturgie konnte zunächst nur noch in Bulgarien gepflegt werden.

Ostpreußen

Den Reisenden überfällt Nostalgie, wenn er die alten Alleen entlanggeht. Die Baumkronen wachsen von beiden Seiten ineinander, sodass er im Sommer unter einem grünen, schattigen Dach wandelt. Die Gutshäuser sind großenteils heruntergekommen. Es ist noch sichtbar, dass dieser Landstrich einmal wohlhabend gewesen sein muss.

Die Kurische Nehrung

25.6.2001. Die Kuren sind ein baltisches Volk, ebenso wie die Pruzzen, die Litauer und die Letten. Das Wort Nehrung[117] kommt wahrscheinlich vom altpreußischen neria – ein vom Wasser aufgeworfener Landstreifen. Zwischen 1350 und 1770 wurde der alte Nehrungswald weitgehend gerodet, und die Dünen begannen zu wandern. Wenn man im Sommer barfuß durch den heißen Sand läuft, hat man das Gefühl, sich in der Sahara zu befinden.

 

Königsberger Dom

Königsberg

23.6.2001. Johann Georg Hamann wurde am 27.8.1730 in Königsberg geboren. 1746 begann er an der Albertina[118] ein Theologie- und Philosophiestudium, wechselte zur Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft, studierte jedoch vor allem Literatur, Philologie und Rhetorik, aber auch Mathematik und Naturwissenschaften. Er verließ die Universität ohne Abschluss. Hamann pflegte jahrelang seinen kranken Vater und kümmerte sich um seinen schwachsinnig werdenden Bruder. 1767 erhielt er durch Kants Vermittlung die Stelle eines Übersetzers bei der Zollverwaltung. 1777 wurde er zum Packhofverwalter befördert. Er blieb in untergeordneter Stellung mit kärglichem Einkommen, um das er auch noch gegen Sparbemühungen des Staates kämpfen musste.[119] Er schreibt, um die einsam weinende Rahel „mit der symbolischen Verwandtschaft der irrdischen Dornen- und himmlischen Sternenkrone und dem kreutzweis ausgemittelten Verhältnis der tiefsten Erniedrigung und erhabensten Erhöhung beyder entgegengesetzten Naturen zu trösten“.[120]

Hamann, der Magus des Nordens, starb auf einer Reise in Münster, am 21.6.1788. Ernst kommt häufig an seinem Grabe vorbei.[121]

Tilsit

24.6.2001. Luise stammte aus dem herzoglichen Hause Mecklenburg-Strelitz. Sie wurde am 10. März 1776 in Hannover geboren. 1793 wurde sie Gemahlin des späteren Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Sie hatte zehn Kinder. Sie unterstützte das Bündnis mit Russland. Im Juli 1807 bemühte sie sich in Tilsit, von Napoleon mildere Friedensbedingungen zu erwirken. Sie starb am 19. Juli 1810 in Schloss Hohenzieritz bei Neustrelitz.

In der Nähe des Schlossmühlenteichs mündet die Tilszelle in die Memel. Die 420 Meter lange Brücke über die Memel wurde 1907 zum Gedenken an Königin Luise und ihren Aufenthalt in der Stadt errichtet. An der Stadtseite der Brücke ist ein gewaltiges neubarockes Sandsteinportal.

Estland

Finnougrische Volksstämme gelangen in vorgeschichtlicher Zeit vom nördlichen Uralgebiet ins Baltikum. Der römische Schriftsteller Tacitus bezeugt den baltischen Stamm der Æstii (Esten).[122] Von Osten und Südosten her werden die baltischen Völker ab dem sechsten Jahrhundert nach Christus von Slaven bedrängt und dadurch gezwungen, sich im Ostseeraum festzusetzen.[123]

Reval

1.7.2001. Reval leitet sich von rävala ab.[124] Dies ist die Bezeichnung dieser Landschaft. Tallin kommt von taani linn – Dänenstadt. 1346 verkaufte Dänemark Nordestland an den Deutschen Orden, der es dem Livländischen Orden überließ.

Das Birgittenkloster wurde 1407 bis 1436 errichtet und 1577[125] zerstört. Die Ruine der großen Kirche hat eine monumentale Westfassade. Am 15.9.2001 wurde das neue Birgittenkloster eingeweiht. Zwanzig Schwestern gab es bereits. Der Orden der heiligen Birgitta versucht, Kontemplation mit karitativem Tun zu verbinden.

Pühtitsa

4.7.2001. Der Name dieses Frauenklosters bedeutet: Heiliger Berg. Es wurde 1891/1892 gegründet. Die Entschlafenskathedrale wurde 1907 bis 1910 erbaut. Holzkirche des heiligen Sergij von Radonež. Taufkirche des heiligen Johannes des Täufers. Heiliger Quell mit kaltem Wasser aus großer Tiefe. Pilger.

Dorpat

23.7.2001. Jaroslav der Weise eroberte 1030 die hier befindliche Festung. 1632 wurde dieser Ort Sitz der Universität. Bis 1890 wurde in deutscher Sprache gelehrt. Die estnische Bezeichnung der Stadt ist Tartu.[126]

An der Nordwestecke der Domruine[127] steht ein Stein. Durch lange Bearbeitung war eine runde Vertiefung entstanden, in der sich das Regenwasser sammelt. Auf dem Stein lagen: Blumen, Käse, ein weißes Band. Spuren einer abgebrannten Bienenwachskerze.

„Er nahm einen Stein von der Stätte, tat ihn unter sein Haupt und legte sich an dieser Stätte schlafen. Da träumte ihm, eine Leiter sei auf die Erde gestellt, die mit der Spitze an den Himmel rührte, und die Engel Gottes stiegen auf und nieder.“[128]

„Am anderen Morgen aber in der Frühe nahm Jakob den Stein, den er unter sein Haupt gelegt hatte, richtete ihn auf als Malstein und goss Öl auf ihn. Er nannte die Stätte Beth El.“[129]

„Willst du mir aber einen Altar aus Steinen machen, so sollst du ihn nicht aus behauenen Steinen bauen; denn wenn du sie mit dem Eisen behaust, so entweihst du sie.“[130]

„Bei den glatten Steinen des Tales ist dein Teil, sie sind dein Los. Ihnen hast du Spenden ausgegossen[131] und Gaben geopfert.“[132]

Ein Stein markiert einen Punkt in der Landschaft, oft einen Heiligen Berg. Dies ist der spirituelle Mittelpunkt der Bewohner ringsum. Riten werden gefeiert, Gebete gesprochen, Hochzeiten vollzogen, kultische Tänze aufgeführt. Durch Erzählungen werden Erfahrungen der Gemeinschaft gegenwärtig gesetzt. Durch die Beobachtung von Sternen kann der Zeitpunkt für das Pflügen und die Aussaat festgesetzt werden. Wer in der Nähe eines heiligen Steins übernachtet, erhält im Traum Weisung für den weiteren Lebensweg oder Hilfe, wie die Gesundheit wiedererlangt werden kann. Hier sammelt man sich in Kriegs- und Notzeiten. Der Stein ist ein Symbol der Unvergänglichkeit und damit des Weiterlebens nach dem Tode. An diesem Ort berühren sich Himmel und Erde.

24.7.2001. Heute ist das Fest der heiligen Olga. In der Entschlafenskathedrale[133] wird für den Metropoliten von Tallin und ganz Estland[134] gebetet, aber nicht für einen Patriarchen.

Orient

Der Begriff Orient wird hier in einem weiteren Sinne gebraucht. Er umfasst den Kaukasus, den Nahen und Fernen Osten sowie Zentralasien. Der Balkan gehört geographisch zu Europa, ist aber durch die jahrhundertelange Osmanenherrschaft orientalisch geprägt worden.

Mesopotamien

Das Land zwischen den beiden Strömen Euphrat und Tigris ist die Wiege der Schriftkultur. Früher als in Ägypten wird hier eine Schrift entwickelt, die sogenannte Keilschrift. Mit einem Griffel werden Zeichen in weichen Ton gedrückt, die wie Keile aussehen.

Zikkurat des Mondgottes Nanna

Ur

August 1980. Ernst fährt mit dem Nachtzug von Bagdad in Richtung Basra. Morgens um sechs Uhr steigt er aus dem Zug, hängt sich seinen Rucksack um und schreitet auf bewaffnete Soldaten zu, die ihn misstrauisch und ungläubig anstarren.

Ur erlebte seine Blütezeit im dritten Jahrtausend vor Christus. Die Geschichte beginnt mit Sumer[135] und hier war die Hauptstadt. Ernst besteigt den Zikkurat, die Stufenpyramide des Mondgottes Nanna und seiner Gemahlin Ningal. Ein solcher Tempelturm verband die Erde mit dem Himmel. Hier wurde die Heilige Hochzeit vollzogen.

„Da nahm Terach seinen Sohn Abram und Lot, den Sohn seines Sohnes Haran, und seine Schwiegertochter Sarai, die Frau seines Sohnes Abram, und führte sie aus Ur in Chaldäa, um ins Land Kanaan zu ziehen. Sie kamen nach Haran und wohnten dort. Terach wurde zweihundertundfünf Jahre alt und starb in Haran. Der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen werde. Ich will dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“[136]

Babylon

Bedeutsam als Zentrum des Reiches unter Hammurapi.[137] Kultort des Gottes Marduk. Der Stufenturm Etemmēnanki[138] ragte mit seinem Hochtempel aus glasierten Ziegeln neunzig Meter über die Ebene. Ernst ist beeindruckt von der 22 Meter breiten Prozessionsstraße, die vom Turm aus durch das mit Reliefziegeln geschmückte Ischtar-Tor zum Neujahrsfesthaus außerhalb der Stadt führte.[139] Babylon[140] lag einst zu beiden Seiten des Euphrat.

Für die Israeliten bietet sich die Gelegenheit, trotz Babylonischer Gefangenschaft eine bisher nicht gekannte kulturelle Bereicherung und Befruchtung zu erfahren. Sie studieren sumerische und akkadische Gesetzeswerke, Weisheitsschriften sowie Mythen und übernehmen zahlreiche Elemente in die hebräische Bibel. Das bekannteste Beispiel ist die Sintflutgeschichte, die ursprünglich dem Gilgamesch-Epos entstammt. Aus einem Volk von Handwerkern und Bauern wird eine Nation, die Weltliteratur hervorbringt.

Assur

Es wird absolut abgeraten, im Sommer in den Irak zu fahren, heißt es in einem Reiseführer.[141] Ernst ist nahe daran, einen Hitzschlag zu bekommen. Er nimmt den Nesselschlafsack, den er im Rucksack hat, legt ihn auf den Kopf und tränkt ihn mit Wasser aus seiner Feldflasche. Dann begibt er sich in eine Höhle, von der aus er das ganze Areal überschauen kann. Sein Akkadisch-Lehrer hatte ihm bereits gesagt, er solle nicht enttäuscht sein, wenn er an die historischen Stätten kommt. Dies also ist das gewaltige,[142] ehemals so grausame Assur! Einige Lehmhügel sind von ihm übergeblieben. Mit dem Stadtplan gelingt es, einzelne Ruinen zu unterscheiden: Parthischer Palast, Haus des Beschwörungspriesters, alter und neuer Palast, Tempel für Ischtar, Nabu, Anu-Adad und Assur. Der Tempelturm heißt Haus des Weltall-Berges.[143] Die Stadt liegt unmittelbar am Tigris. Sie konnte allerdings kaum verteidigt werden gegen Eindringlinge, die aus dem Westen kamen, daher wurde der assyrische Königssitz Ende des neunten Jahrhunderts vor Christus nach Ninive verlegt. Als heilige Stadt mit den wichtigsten Tempeln Assyriens blieb der Ort jedoch weiterhin bedeutend.

In Assur gibt es brutale Tyrannen, die mit ihren Eroberungen das bis dahin größte Weltreich des Alten Orients errichten, einen Militärstaat, dessen Despoten und Kohorten nur drei Dinge gelten lassen: marschieren, erobern, unterdrücken. Deportation und Umsiedlung sind bewährte Mittel, um die Besiegten nachhaltig zu schwächen. Die Assyrer sind die ersten, welche diese Mittel im großen Stil und systematisch anwenden. Sie beschaffen sich dadurch auch Arbeitskräfte zum Ausbau ihrer glanzvollen Tempel und Residenzen.[144]

Ninive

Die Stadt[145] war einmal sehr groß: die mächtige Umfassungsmauer Sancheribs[146] hatte über zwölf Kilometer Umfang und besaß fünfzehn Monumentaltore. Der Palast Assurbanipals[147] verfügte über eine Bibliothek, in der man mehr als dreißigtausend Tontafeln entdeckte.[148] Unter ihnen befanden sich Texte über die Sintflut und den Helden Gilgameš, die der König von älteren Quellen abschreiben ließ. Schön ist, dass es hier einige Kopien der aussagekräftigen Reliefs des Palastes anzuschauen gibt: Symbole des Kampfes und der Stärke,[149] bezeichnend für die Assyrer. Man sieht, wie ein besiegtes Volk in die Verbannung geführt wird. Die Menschen führen ihre spärliche Habe mit sich. Wichtigstes Utensil ist ein großer Ledersack mit Wasser. Das Heer marschiert mit Musikbegleitung, vor allem mit Kastenleiern und Handtrommeln. Auch Jagdszenen sind zu beobachten. Assurbanipal stellt wilden Eseln nach. Besonders die galoppierenden Pferde sind plastisch, fast individuell herausgearbeitet.

Die Elamiter machen den Menschen im Zweistromland das Leben schwer. Immer wieder führen sie guerillaartige Raubzüge durch, die von Seiten der Babylonier und Assyrer mit Vernichtungsfeldzügen beantwortet werden. Elamisch wird noch nicht so gut verstanden, aber es gibt Hilfsmittel.[150]

Syrien

Dieses Land umfasst in alter Zeit den Raum zwischen dem Taurus-Gebirge im Norden, dem Mittelmeer im Westen, dem Euphrat im Osten und dem Sinai im Süden. 1946 werden die Grenzen des gegenwärtigen Staates willkürlich gezogen.[151]

Ugarit

August 1979. Im Königspalast wurde ein Tontafelarchiv ausgegraben.[152] Hier war[153] das erste Alphabet der Menschheitsgeschichte entstanden, und zwar aus Keilschriftzeichen. Wenn mit einem Griffel Zeichen in weichen Ton eingedrückt werden, entstehen Winkel und Keile. Von letzteren erhielt diese Schrift ihren Namen. Die Texte geben einen Einblick in die kanaanäische Welt des 18. bis 13. Jahrhunderts vor Christus.[154] Die Haupttempel sind Ba’al und Dagan geweiht.

Sergiopolis

Der römische Offizier Sergius weigerte sich im Jahre 297 vor den Toren dieser Stadt, das Christentum zu verleugnen, und wurde enthauptet.[155] Seine Verehrung verbreitete sich im ganzen Byzantinischen Reich. Hier war ihm die größte Basilika geweiht. Die gewaltigen Überreste dieses verlassenen Ortes liegen in einer majestätischen Einöde. Stadtmauer, Palast, Wohnhäuser, Säulenstraße, drei Basiliken und eine Karawanserei.

 

Palmyra

Palmyra

Seit etwa tausend vor Christus wurde das Kamel zum Transport eingesetzt.[156] Nun war es nicht mehr notwendig, den Umweg entlang der Flüsse zu machen. Man konnte vielmehr direkt durch die Wüste reisen.

Großer Ba’al-Tempel.[157] Die Kolonadenstraße ist einen Kilometer lang und elf Meter breit. Königin Zenobia brachte um 270 nach Christus weite Teile des Vorderen Orients unter ihre Herrschaft.

Anatolien

Unter Kleinasien versteht man die Halbinsel zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Der umfassendere Begriff Anatolien meint das Land des Sonnenaufgangs und bezeichnet den asiatischen Teil der Türkei.

Hattuscha

August 1980. Der Weg nach Boğazkale[158] war etwas beschwerlich. Es gab aber hilfreiche Bauern, die den Wanderer auf ihrem Traktor mitnahmen. Die Hethiter stiegen im zweiten Jahrtausend vor Christus zur altorientalischen Großmacht auf. Hier, in ’attuša, war ihre Hauptstadt. Sie übernahmen zwischen 1350 und 1250 vor Christus Ersatzrituale aus Babylon. Dies bedeutet: Wenn dem König oder dem Reich Gefahr drohte, wurde ein Ersatzkönig bestellt, der dann anstelle des Königs rituell geopfert wurde.[159]

Die hethitische Sprache wird bereits seit längerem studiert,[160] obwohl noch viele Verständnisschwierigkeiten verbleiben. In den letzten Jahrzehnten ist aber auch die Kenntnis anderer kleinasiatischer Sprachen gewachsen: Urartäisch,[161] Hurritisch,[162] Hattisch,[163] keilschriftliches und hieroglyphisches Luwisch,[164] Karisch,[165] Palaisch.[166] Damit eröffnen sich uralte kulturelle Horizonte. Die Zeiten sind vorbei, in denen die griechische Welt als das älteste Erreichbare galt. Dies ist wichtig, nicht nur, um den Alten Orient besser zu verstehen, sondern auch, um die Wurzeln der europäischen Kultur zu sehen, die viel tiefer in die Vergangenheit hineinreichen, als bisher angenommen.

 

Yazılıkaya

Von Hattuša aus führte ein Prozessionsweg zu diesem Felsheiligtum,[167] das im 13. Jahrhundert vor Christus entstand. Hier sind 66 Gottheiten dargestellt, auf der einen Seite die männlichen, auf der anderen die weiblichen, die auf die rückwärtige Wand der Kammer zuschreiten, welche das Hauptbild trägt, eine Darstellung der obersten Göttin und des höchsten Gottes. Es kann sich um ein Neujahrsfesthaus handeln, das unter babylonischem Einfluss angelegt wurde. Zum Jahresbeginn im Frühjahr kommen alle Götter zusammen. Sie spenden der Erde und den Menschen für ein weiteres Jahr Segen und Leben.[168]

Kanesch

August 1980. Am Orientalischen Institut in Würzburg hatte Ernst sich 1974 mit altbabylonischen Rechts- und Wirtschaftsurkunden beschäftigt.[169] Dies ging folgendermaßen vonstatten: Der erste Arbeitsgang war bereits geleistet. Der Text musste von den Tontafeln kopiert und veröffentlicht werden. Danach galt es, das Keilschriftzeichen zu erkennen. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich diese umfangreiche Schrift nämlich stark gewandelt. Der Befund wurde transliteriert. Das Ergebnis waren Silben. Diese mussten in der Transkription zu grammatisch erklärbaren Wörtern umgeschrieben werden. Erst danach war es möglich, den Text mit Hilfe von Wörterbuch und Grammatik zu übersetzen.

1975 wandte er sich altassyrischen Rechtsurkunden vom Kültepe zu.[170] Ihm wären natürlich religiöse Texte lieber gewesen, aber das sollten die Theologen selber machen, hieß es. „Sie als Theologe könnten hierzu natürlich viel sagen, aber das sparen wir uns. Nächster Satz.“ So ging es also um den Kauf und Verkauf von Kupfer, Blei und Stoffen, Eseln und Schafen, Öl und Edelsteinen und sämtlichen juristischen Konsequenzen, die sich daraus ergaben.

Die Bedeutung von Kanesch liegt zunächst einmal im Alter der Siedlung: Es wurde bereits im frühesten Altertum gegründet. Dann in der Größe: Sie zeigt die Bedeutung während der Hethiterzeit. Schließlich tragen die zahlreichen Tontafeln dazu bei, dass die Chronologie Anatoliens ergänzt und präzisiert werden kann.[171]

Diyarbakır

Der Name kommt von dem arabischen Stamm Bakr ibn Wā’il, der um 640 nach Christus hier siedelte. Bereits 403 wird eine Thomaskirche im damaligen Amida erwähnt, die 628/629 von Kaiser Heraklios erweitert wurde. 770 erhielten die Christen ein Drittel und die Moslems zwei Drittel der Anlage. Das Innere der heutigen Großen Moschee[172] ist eine Pfeilerbasilika.

Die äußerlich schlichte armenische Kirche ist im Innenraum mit Teppichen ausgelegt. Der Priester dieser Gemeinde lebt offensichtlich in Angst.

Ägypten

Die geschichtliche Zeit beginnt mit der Vereinigung von Ober- und Unterägypten[173] um 3.000 vor Christus. Die Ägypter haben eine Furcht vor leerem Raum,[174] so bedecken sie jede verfügbare freie Fläche mit Schriftzeichen, sehr zur Freude der Kulturhistoriker. Sie bauen aus dem dauerhaften Stein. Daher ist das Land heute ein einziges Freilichtmuseum.

Deir Anba Bschoi

Ernst begegnet dem koptischen Papst in Deir as-Surjani. Im Kloster, das um 390 von einem jungen Christen namens Bschoi gegründet wurde, feiert er eine nächtliche Liturgie mit, die ganze acht Stunden dauert. Wie fühlst du dich jetzt?, fragt ihn ein Mönch danach. Hier, in der Wüste Natrun, wird seit mehr als anderthalb Jahrtausenden monastisches Leben geführt.

Bschoi wurde 320 nach Christus in Schenscha[175] geboren. Als etwa Zwanzigjähriger kam er ins Wadi Natrun. Nach einem Angriff der Berber im Jahre 408, bei dem auch das von ihm gegründete Kloster zerstört worden war, floh er nach Unsanne.[176] Er starb am 15.7.417 im Wadi Natrun. Sein Schrein ist in der Kirche El Adra des Klosters Anba Bschoi.

Das Tal der Könige

Ernst leiht sich ein Fahrrad aus, um vom Nil aus die einzelnen Gräber besuchen zu können. An den Wänden der Grabkammern sind Szenen aus dem alltäglichen Leben des alten Ägyptens dargestellt. Es geht ja darum, das irdische Leben hier im Westen, in der Region des Todes, weiterleben zu können. Dazu muss der Tote gerechtfertigt werden. An ihm ist der Ritus der Mundöffnung zu vollziehen, sodass er Rede und Antwort über sein Leben stehen kann. Danach wird sein Herz gewogen, um zu prüfen, ob dieser Mensch sich gemäß der Weltordnung[177] verhalten hat.

Für den Ägypter ist der Schatten[178] untrennbar mit dem Körper[179] verbunden. Die Repräsentanten der Gottheit werden als ihre Schatten bezeichnet. Der Ba macht den Menschen individuell persönlich. Im Tode verlässt er den Menschen (vergleichbar der Seele in anderen Kulturkreisen) und kehrt auf die Erde zurück.[180] Der Ka ist die Lebenskraft und der Schutzgeist des Menschen. Durch die Anrufung seines Namens[181] wird ein Mensch gegenwärtig gesetzt. Solange seines Namens gedacht wird, lebt er weiter, auch über den Tod hinaus.

Edfu

Horus-Tempel. Kolossale Falken-Figuren. Die westliche Kapelle neben dem Tempel-Eingang ist der Weiheraum: Thot und Horus vollziehen am Herrscher den Reinigungs-Ritus, indem sie ihn mit Wasser übergießen. Schmale steinerne Luken lassen Licht ins Dunkel des Säulensaals ein, in dem zwölf Säulen mit Blumenkapitellen die Decke stützen.

Kalabscha

Februar 1975. Eines der bedeutendsten Heiligtümer Nubiens. Es war dem Gott Mandulis geweiht. Taufszenen mit den Göttern Thot und Horus an den Säulenschranken.

Das Heilige Land

Für drei Weltreligionen ist dieses Gebiet Heiliges Land. Das ist einer der Gründe für die Spannungen, ein anderer ist die geographische Lage zwischen den Machtblöcken, damals wie heute.

Banyas

Oktober 1970. Hier ist eine der drei großen Quellen des Jordans. In einer Kultnische stand eine Statue des Pan.[182] In neutestamentlicher Zeit hieß der Ort Cäsarea Philippi im Unterschied zu Cäsarea Maritima.[183] Hier fand die entscheidende Wende statt.[184] Jesus ist nicht einer der bekannten Propheten, sondern der Messias, der getötet wird.[185]

Zefat

In der Provence, in Kastilien und Katalonien wurde der Grund für die jüdische Mystik gelegt. 1492 wurden die Juden aus Spanien vertrieben. Nun wurde Zefat das geistige Zentrum der jüdischen Welt. Rabbi Isaak Luria (1534-1572) entwickelte die nach ihm benannte Lurianische Kabbala. Die Seele verbindet sich mit ihrer Quelle. In der Sephardischen Synagoge gibt es eine kleine Kammer, in der er zu meditieren pflegte. Sein Grab ist auf dem jüdischen Friedhof, im Westen des Synagogenviertels.

Tabor

30.10.2000. „Siehe,[186] es erschien ihnen Moses und Elias, und sie redeten mit ihm“.[187]

Beide Propheten haben vierzig Tage gefastet. Beide schauten den Herrn auf dem Berg.[188]

Ernst kann den Tabor von Nazareth aus sehen. Er erinnert ihn an das Ziel, die Schau des körperlosen Lichtes.

Karmel

29.10.2000. Der Wüste wird die Pracht des Karmels[189] verliehen. Sie wird die Herrlichkeit des Herrn schauen.[190] Elias wohnte hier in einer Höhle.[191] Dort[192] ist heute eine Synagoge eingerichtet. Es ist ein stiller Ort, der sich zur Beschaulichkeit eignet. Daraus erwächst das Tun: „Der Prophet Elias brach hervor wie Feuer und sein Wort brannte wie eine Fackel“.[193] Im 12. Jahrhundert sind Einsiedler am Westhang des Karmels belegt. Ihre Regel wird um 1206-1214 be­stätigt, „Tag und Nacht über das Gesetz Gottes nachzusinnen[194] und im Gebet zu wachen“. Hier ist der Ursprung der karmelitanischen Gemeinschaften.

Garizim

September 1971. „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berge[195] noch in Jerusalem[196] den Vater anbeten werdet.“[197]

Ernst sieht hier die Stätte, an welcher die Samaritaner Pessach feiern. Sie besitzen eine alte Pentateuchfassung.

Der Samaritaner gilt als Fremder schlechthin.[198] Doch gerade er kümmert sich um seinen Nächsten.[199]

Morija

Oktober 1970. „Am[200] dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne“.[201]

Dieses Felsenheiligtum geht auf das vierte Jahrtausend vor Christus zurück. Menschenopfer erklären sich so, dass jemand opfern möchte, was ihm am liebsten und am kostbarsten ist.

Der Glaube Abrahams macht ihn zum Stammvater dreier Weltreligionen.

Ernst sieht im Felsendom eine Muslimin, gebrochen von Leid, die hier im ausdauernden Gebet verharrt.

Die Kuppel des Felsendomes zeigt ein unendliches Ornament. Die Linien fließen ohne Anfang und Ende. Ergebung in den unbegreiflichen Willen Gottes, Aufgabe des egoistischen Ichs, Aufgehen in der Gemeinschaft der Gläubigen.

Mamre

25.10.2000. „Der Herr erschien ihm[202] bei den Eichen Mamres,[203] während er am Eingang seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war.“[204]

Es handelt sich um ein Baumheiligtum sowie einen Heiligen Brunnen im Zusammenhang mit einem Fruchtbarkeitskult. Die Ursprünge gehen auf das achtzehnte vorchristliche Jahrhundert zurück.[205] Abraham[206] baut hier einen Altar[207] zum Gedächtnis der Gotteserscheinung[208] und der Verheißung eines Sohnes.[209]

Das nahe gelegene Hebron beherbergt Gräber der Patriarchen, verehrt von Juden wie Moslems. Ein Siedler erschießt eines Tages Menschen beim Gebet.[210] Der Hass ist an diesem Ort besonders spürbar. Ein Palästinenser starrt Ernst mit glühenden Augen an. Offensichtlich hält er ihn für seinen Gegner. An diesem Nachmittag war nämlich ein Aufstand losgebrochen, weil ein fünfzehnjähriger Jugendlicher getötet worden war. Die verwinkelte Altstadt drohte zu einer Falle zu werden. Heiligtümer sind offensichtlich besonders umkämpft.

Mar Saba

21.10.2000. Dieses Kloster wurde 483 von Sabas[211] dem Geheiligten[212] begründet. Es liegt südlich von Bethlehem in einem Tal, das der Kidron ausgespült hat, mitten in der Judäischen Wüste. Sabas lebte in einer Höhle an der dem Kloster gegenüberliegenden Felswand. Er starb im Jahre 532. Die Perser ermordeten 614 die Mönche. Im achten und neunten Jahrhundert erlebte das Kloster eine neue Blütezeit. Sein Typikon wurde für das monastische Leben vorbildlich, auch für den Heiligen Berg Athos. Theophan der Klausner arbeitete bei seinem siebenjährigen Aufenthalt im Heiligen Land in der Bibliothek dieses Klosters. Hier erwarb er sich seine Kentnis der monastischen Väterliteratur. Er schrieb zahlreiche griechische Handschriften ab und übersetzte sie ins Russische. Auch hier liegen Wurzeln für die geistliche Erneuerung in Russland.

Indien

Indien bezeichnet das Land am Fluss Indus.[213] Es ist das Heimatland der Religionen, die sich Geschichte als zyklischen Verlauf vorstellen.[214] Dabei ist zu beachten, dass der Begriff Hinduismus künstlich ist. Er weist lediglich darauf hin, dass eine Religionsform in Indien beheimatet ist. Es gibt zahlreiche höchst unterschiedliche Religionen und Philosophien, die mit diesem Wort bezeichnet werden! Neben dem Hinduismus sollten keinesfalls der Jainismus und die archaischen Religionsformen übersehen werden.

Shravanabelagola

5.11.1986. Der weiße See des Jain-Eremiten.[215] Die Farbe weiß gilt als schön. Hier gibt es zwei heilige Berge. Auf dem einen, Chandragiri, lebte der Herrscher Chandragupta, der um 300 vor Christus Einsiedler wurde.

In die konvexe Seite des anderen Berges, Vindhyagiri,[216] sind viele Stufen geschlagen.[217] Als Pilger geht Ernst diese Felsstufen barfuß hinauf. Manche Stufen sind ungeglättet. Der Abstieg gestaltete sich dann etwas schwierig.

Im Haupttempel rezitiert ein Priester heilige Texte, dann bietet er den Pilgern Feuer dar.[218] Sie legen kurz ihre Hände über die Flamme und streichen sich dann über den Kopf. Der Priester erwärmt etwas Butter über der Flamme und gibt etwas davon den Pilgern in die Hände. Sie führen es zum Mund, streichen es dann über die Augen, die Stirn und die Haare.

Die Statue des Eremiten Gomatesvara[219] ist aus einem Granitblock gehauen. Sie ist 19 Meter hoch und kann bereits aus der Entfernung von 20 Kilometern gesehen werden. Sie ist im Jahr 985 nach Christus entstanden. Da sie alle 12 Jahre gesalbt wird,[220] glänzt sie. Der Asket ist zum Zeichen der Befreiung von der Materie nackt. Schlingpflanzen[221] klettern an seinen Beinen hoch. Dies unterstreicht Bewegungslosigkeit,[222] Schweigen und Unerschütterlichkeit. Hinter ihm ist ein aus Stein gehauener Termitenhügel, ein bevorzugter Aufenthalt der Kobra.

Die Schlange gehört zu den vielseitigen Symbolen. Zunächst einmal stellt sie das chthonische Element dar.[223] Da sie sich häutet, gilt sie als Zeichen neuen Lebens, der Wiedergeburt. Ihr Gift kann töten,[224] aber auch heilen.[225] Sie gilt als Hüterin geheimen Wissens[226] und ist Bild einer im Menschen vorhandenen Energie. Die Kobra greift an, aber schützt auch.[227]

Vardhamāna Mahāvira[228] stammt aus einer Adelsfamilie. Mit dreißig Jahren gibt er seinen Besitz auf und führt 42 Jahre lang ein Wanderleben. Er stirbt 527 vor Christus. Er gilt als Jina.[229] Nach ihm ist der Jainismus[230] benannt. Sravanabelagola ist eins seiner größten Heiligtümer. 80 nach Christus spaltet sich diese Religion in die Weißgekleideten[231] und die Luftgekleideten.[232] Beide erkennen nicht die Autorität der Veden[233] an. Es geht darum, die Seele von den Bindungen an frühere Handlungen[234] zu befreien, um Wissen, Freude und Energie freizusetzen. Diese Religionsgemeinschaft hat das Prinzip der Gewaltlosigkeit[235] und vegetarisches Essen in Indien verbreitet.

Chennakesava

König Bittiga nannte sich Vischnuvardana, als ihn der Philosoph Ramanuja vom Jainismus zum Vischnuismus[236] bekehrt hatte. Nachdem der Herrscher im Jahr 1117 die Cholas besiegt hatte, errichtete er diesen Tempel im nordindischen Stil.[237]

Er steht in der Mitte einer 145 Meter langen und 120 Meter breiten Festungsanlage. Das Heiligtum wurde 1327 von den Moslems zerstört. Daher fehlt heute der Tempelturm.[238] Dadurch entsteht ein erdverhafteter Eindruck. 1397 wurde der Komplex wieder aufgebaut.

An einer Säule im Innern des Tempels sind die Herabkünfte[239] Vischnus[240] dargestellt: Fisch, Schildkröte, Eber, Mann-Löwe, Zwerg, Rama mit der Axt, Rama des Ramayana,[241] Krischna,[242] Buddha. Für den noch zu erwartenden Avatara Kalkin ist eine Fläche frei gelassen.[243] Diese Religion bejaht das Leben und stellt eher die Diesseitigkeit in den Vordergrund.

Es zeigt sich, dass der Vischnuismus ohne weiteres den Buddha assimilieren kann, eben als einen Avatara. Der Buddhismus ist zwar in Indien enstanden, wurde dann aber für viele Jahrhunderte aus Indien verdrängt.[244] Von den ursprünglichen buddhistischen Sanskrit-Schriften ist kaum etwas erhalten.

Auch für die Zukunft öffnet sich der Vischnuismus durch die Erwartung eines kommenden Avataras. Er sieht sich also nicht als abgeschlossen an.[245]

Im Zentrum dieser Religion steht die Bhagavadgita.[246] Sie unterweist den Menschen, wie er sich im Kampf zwischen Gut und Böse verhalten soll. Mahatma Gandhi schätzte diesen Gesang hoch und schrieb einen Kommentar zu ihm.

Halebidu

Es war die alte Hauptstadt der Hoysala-Dynastie.[247] Der Tempel wurde im 12. Jahrhundert nach Christus erbaut[248] und ist Hoysaleswara, dem Herrn der Hoysala geweiht. Dieser Herr ist Schiwa.[249]

Er vereinigt in sich die Gegensätze Fruchtbarkeit und Askese, Zeugung und Tod,[250] Wildheit und Güte. Als König des Tanzes[251] bewegt sich der vierarmige[252] Schiwa in einem Flammenkranz,[253] während er den rechten Fuß auf den Dämon der Unwissenheit stellt, zugleich zerstörend und höheres Dasein schenkend. Am linken Ohrläppchen trägt er einen Ring.[254]

Als der große Yogi sitzt er auf dem Himalaya, bekleidet mit einem Tigerfell, mit Asche bestrichen, während sich aus seinen aufgerichteten Haarflechten[255] die Göttin Ganges[256] ergießt; in den Händen trägt er Dreizack und Sanduhrtrommel, er hat eine Kobra um den Hals und das Geistige Auge auf der Stirn.

Buddha hat sich auf die allerhöchsten Gipfel des Geistes geschwungen. Schiwa übertrifft ihn im Abgründigen. Was Buddha vergisst und hinter sich lässt, greift Schiwa auf und bewahrt es. Was Buddha zurückweist und verneint, bejaht und erhöht Schiwa, um es zu zerstören. Während Buddha im Glanze des Gipfels Erlösung findet, fegt Schiwa tänzelnd und lachend die Hölle aus.

Schiwa ist ursprünglich der Rudra der Veden, das ungebundene Feuer. Es lodert im Herzen des Menschen. Eines Tages erfand Schiwa ein neues Feuer, das Feuer der Askese. Schiwa verzehrt, verwandelt und verklärt alles durch das Feuer. Der Lingam wird verehrt, weil er Zeichen des Durchbruchs ist, der Ekstase und der geistigen Wandlung.

„Was diese Leute anbeten“, ist die offenbare Macht: Die Macht der Umbildungen, der Verwandlungen und des Todes.[257]

Hier ist ein Doppeltempel, Schiwa und seiner Gemahlin Parvati[258] geweiht, jeweils mit sternförmigem Grundriss. Beide Tempel sind durch einen Korridor miteinander verbunden. Vor jedem Tempel kniet ein mächtiger Stier:[259] Nandi,[260] das Reittier[261] des Großen Gottes. Um den Doppeltempel herum zieht sich ein Fries in vielen Registern. Es ist zugleich Schmuck wie auch Katechismus in Stein, zur Unterrichtung der Gläubigen.[262]

Ein Tempel dient in erster Linie der Religion. Dazu gehört auch der zweite Zweck, die Ausbildung, und zwar sowohl im Wissen als auch in der Ethik und im rechten Verhalten. Außerdem wird hier Recht gesprochen, werden Kunstschätze bewahrt und, nicht zuletzt, Musik und Tanz gepflegt.

Mahabalipuram

7.11.1986. Der Tempel am Ufer[263] hat ein pyramidales Dach.[264] Die Spitze des Gebäudes[265] liegt über dem Zentrum der Cella,[266] die den Schoß des heiligen Gebäudes darstellt. Hier ist das göttliche Abbild,[267] das die Saat der Existenz darstellt und alle Formen der Manifestation enthält.

Zwei Richtungen sind zu erwägen. Das Göttliche steigt herab, der Mensch steigt hinan.[268] Von der Einheit zur Vielheit bewegt sich die Inkarnation; die Gläubigen erheben sich von der Mannigfaltigkeit zum Einen, vom Immanenten zum Transzendenten, hin zu jenem Punkt, aus dem alles entsteht und in dem alles endet.[269]

Die dreieckige Form verweist auf den kosmischen Berg, die Flamme, das Linga[270] und die Askese. Die Basis und Umfriedung des Tempels symbolisieren den Yoni.[271] Sie weisen hin auf die Große Göttin.

Kanchipuram

Eine der heiligen Städte Indiens.[272] Der älteste Tempel ist Kailaschanata, die steinerne Darstellung des Berges Kailascha, Wohnsitz Schiwas.[273] Der Varadaraja-Tempel ist ein Vischnu-Heiligtum.[274] Pilger kommen hierhin mit Gebetsanliegen.

 

Kanchipuram, Eingangsturm

Eingangsturm

 

Kanchipuram, Turmskulpturen

 

Turmskulpturen

 

Kanchipuram, Heiliger See

 

Heiliger See

 

Der Ekambareschvara-Tempel[275] hat einen Turm von sechzig Metern Höhe. In der Halle sind 540 Säulen, die mit verschiedenen Ornamenten gestaltet sind.[276] Hier wird dem Pilger eine heilige Glocke aufs Haupt gesetzt, um seinen Hals wird eine Blumengirlande gelegt, die vor den Statuen Schiwas und Parvatis geweiht worden war, und der Priester spricht ein Gebet über ihn.

Kalighat

10.11.1986. Der Weg vom Bahnhof zur Stadtmitte führt über die Brücke.[277] Der Bus benötigt 45 Minuten, um die Brücke zu überqueren, nicht, weil die Brücke so lang wäre, sondern wegen der kolossalen Bevölkerung dieser Stadt. Schließlich läuft Ernst zu Fuß zum Tempel der Großen Göttin Kali.[278]

Sie ist eine der wichtigsten Gottheiten Bengalens. Als eine der Gattinnen Schiwas ist sie ebenso ambivalent wie er:[279] Sie ist Zerstörerin, aber auch Befreierin, Schrecken erregend, aber auch Gnade erweisend.[280] Sie symbolisiert die Ur-Energie.[281] Sie hilft denjenigen, welche nach Gotteserkenntnis streben.

Der Tempel wimmelt von Pilgern. Vor einem Becken sind zwei Pflöcke, an denen Ziegen zur Opferung angebunden werden. Frisches Blut rinnt durch ein Loch im Boden. Das Bild Kalis ist furchterregend, mit schwarzem Gesicht[282] und roter Zunge.[283] Ein Ortsansässiger sagt: Dies ist unsere Göttin.[284]

Ein Mann wohnt auf dem Bürgersteig. Er lebt davon, dass er am Fluss Kleidung wäscht. Wenn er zur Arbeit geht, legt sich sein Hund auf das Bündel seiner Habseligkeiten und bewacht es, bis er wiederkommt.

Eine Familie lebt unter einem Baum. Gekocht wird auf einer Feuerstelle, die aus zwei Ziegelsteinen gebildet ist. Während der Monsunzeit harrt man unter einer Plastikplane aus.

Arbeiter schlafen nachts in ihren Lastkörben, mit denen sie tagsüber Erde und Steine transportieren.

Die Raben sind die treuesten und zuverlässigsten Mitarbeiter der Müllabfuhr.

Bodh Gaya

11.11.1986. Ein junger Mensch wächst heran, behütet vor allem Ungemach. Eines Tages findet er auf der Straße einen Körper, der regungslos dort liegt. Er fragt verwundert: Was ist das? – Das ist ein Toter. – Warum ist er tot? – Jeder Mensch muss sterben. – Auch ich? – Auch du.

Dieser neue Gedanke lässt ihm keine Ruhe mehr: Du musst sterben! Er, der so viel hat, verlässt seine gewohnte Umgebung, um das zu suchen, was er noch nicht hat. Er fällt jedoch in das andere Extrem der zerstörerischen Askese. In einer Nacht erlangt er die Erleuchtung:[285] Alles, was wird, vergeht wieder. Es kommt darauf an, diesem Kreislauf[286] zu entrinnen. Er weist mit der Rechten zur Erde und ruft sie damit zur Zeugin an. Er versteht seine eigene Vergangenheit und den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Er fühlt, wie Befreiung möglich ist.[287]

Mit dem Bau des Tempelkomplexes wurde im 3. Jahrhundert vor Christus begonnen. Infolge der muslimischen Zerstörung versiegte der Pilgerstrom.[288] Erst in der Neuzeit erfolgten Neuaufbau und Restaurierung.

Etwa zur Zeit Meister Shankaras[289] übernahmen die Brahmanen einen Teil der Lehren und Übungen des Buddhismus und verbreiteten sie, als ob sie von ihnen selber stammten. So wurde die buddhistische Gemeinde ausgeschaltet: Sie war überflüssig geworden.[290]

In Bodh Gaya sind viele tibetische Mönche. Sie tragen in der Linken die Gebetsschnur. Sie fallen immer wieder auf ihre Gebetsbretter nieder, die davon bereits Einbuchtungen haben. Es gibt auch Pilger, die still im Tempel meditieren.

Der Heilige Feigenbaum[291] wird verehrt durch brennende Kerzen, Weihrauchstäbchen, Blumenblüten und bunte Tücher, die um ihn geschlungen sind.[292]

Benares

12.11.1986. Die fünf Gefährten hatten den Buddha verlassen, da sie meinten, er habe den religiösen Weg verraten.[293] So sucht er sie in Sarnath[294] auf und setzt das Rad der Lehre[295] in Bewegung, indem er ihnen seine Entdeckung mitteilt. Er weiß ja jetzt aus Erfahrung, dass weder ein Leben im Überfluss[296] noch übertriebene Askese[297] die Unwissenheit beseitigen können. Es kommt vielmehr darauf an, den mittleren Weg zu gehen, ein Leben der Aufmerksamkeit zu führen und nicht dem Materiellen anzuhaften.

Hier ist ein Kapitell mit vier Löwen,[298] darunter das Rad der Lehre. Aśoka errichtete es um 250 vor Christus. Es wurde 1947 zum Symbol Indiens.

Lächelnd dahintanzend in der Morgensonne, dunkel, traurig und geheimnisvoll beim Einbruch der Nacht; im Winter ein schmales, langsames und anmutiges Band; während des Monsuns eine brüllende Masse, fast so groß wie das Meer und teilweise mit der gleichen Zerstörungskraft.[299]

Alle Wesen sind Glied einer unendlichen Kette.[300] Das Wasser nimmt alle Sünden und Unreinheiten mit sich fort, und zwar die der jetzigen Existenz und die aller vorigen Verkörperungen. In den Gebeten wird der Fluss gerühmt und es wird ihm gedankt. An diesem Ort erlangt man die höchste Befreiung. Pilger kommen zu Fuß, um hier ihr Leben zu beschließen. In Benares sein bedeutet, Gemeinschaft mit den höchsten Wesen zu haben.

Fatehpur Sikri

14.11.1986. Jalal-ud-din Muchammad Akbar[301] bestieg 1556 den Thron des Mogul-Reiches[302] in Indien. Mit ihm erreichte dieses den Höhepunkt seiner Macht. In der Freitagsmoschee[303] hielt Akbar um 1579[304] seine berühmte Rede über allumfassende Toleranz,[305] Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Indien ist nach Indonesien das Land mit den meisten Moslems.

Delhi

16.11.1986. Nanak[306] stiftet die religiöse Gemeinschaft der Sikhs.[307] Gott ist den Menschen innewohnend und wesenseins mit der menschlichen Seele.[308] Nach dem Tode des letzten Gurus[309] wird die Heilige Schrift[310] Leiter der Gemeinschaft. Es gibt es etwa 16 Millionen Sikhs.[311]

Heute ist der Geburtstag des ersten Gurus. Die Pilger waschen sich am Heiligen See. Dann schreiten sie zum Tempel empor, wobei sie jede Stufe küssen. Im Heiligtum[312] wird die Schrift rezitiert, begleitet von einem pentatonischen Harmonium.[313] Aus Ehrfurcht vor dem Heiligen Buch tragen alle Gläubigen eine Kopfbedeckung. Danach folgen die Ansprache, gemeinsame Anrufungen und der Segen. Schließlich die Mahlzeit im Speiseraum.

Manali

19.11.1986. Im tibetischen Kloster leben zwanzig Mönche.[314] Hier sind große Statuen von Buddhas und Boddhisattvas[315] sowie Thankas[316] und Bilder der Lamas. Hier kann der Pilger meditieren, ohne dauernd angesprochen zu werden, ohne im Hintergrund Geschrei, dröhnende, plärrende oder schrille Musik zu hören, ohne Motorenlärm und gellendes Hupen, ohne jaulende und heulende Hunde, weder gequält von lastender Hitze noch verfolgt von blutrünstigen Moskitos; die Luft ist hier nicht verpestet durch Abgase und allerlei Gerüche zweifelhafter Provenienz.

Die Landschaft ist überwältigend: Himalajazedern, schneebedeckte, majestätische Gipfel, tiefe Schluchten, jähe Abgründe, gefrorene Wasserfälle. In Richtung auf den Rohtang-Pass[317] gibt es dann nur noch spärliche Sträucher und geringen Grasbewuchs. Dies ist die Verbindung zum wüstenartigen Hochplateau des Ladakh.

The Hindustan Times vom 21.11.1986: Im Punjab wurden fünf Reisebusse in Brand gesetzt. Eine Bank wurde ausgeraubt. Man will Straßensperren errichten. In Deutschland haben bereits achttausend Inder um Asyl gebeten. Die meisten von ihnen sind Sikhs. Die Forderung nach einem Sikh-Staat Chalistan wird immer stärker. Seit Ende Oktober hat es zahlreiche Terrorakte gegeben.

Elephanta

23.11.1986. An der Ostwand des Haupttempels steht eine Schiwa-Statue mit drei Häuptern: Der Frauenkopf steht für die unaufhörliche Entstehung der Wesen, der mittlere Kopf verkörpert die unveränderliche Existenz, der Männerkopf die Auflösung.[318] Nach einer anderen Auslegung ist hier das sanfte Gesicht, der liebende Aspekt; in der Mitte das Gesicht kontemplativer Weisheit; auf der anderen Seite das böse Gesicht, der zornige Aspekt.[319]

 

Elephanta, Schivatempel

 

Eine andere Statue[320] hat eine männliche Hälfte, die in einer Hand eine Kobra hält und sich mit der anderen Hand auf einen sich aufbäumenden Stier stützt; die weibliche Hälfte betrachtet im Spiegel ihre komplizierte Figur.[321]

Mumbai

27.11.1986. Parsentempel[322] aus weißem Marmor mit dem Zeichen der Heiligen Flamme.[323] Am schmiedeeisernen Gitter ist das Sonnensymbol. Das Dach ist etwas geschwungen und mehrstöckig. Das Feuergemach ist das zentrale Heiligtum des Tempels. Auf einem quadratischen Steintisch steht die bronzene Feuervase, darauf eine Schale mit dem Feuer. Der Priester trägt Handschuhe sowie eine Mund- und Nasenbinde, damit keine menschliche Hand und kein menschlicher Atem das Feuer berührt. Fünfmal täglich wird das Feuer geschürt. Der Priester umkreist den Altar im Rechtsumgang und intoniert die heiligen Hymnen. Er läutet eine Glocke und zeigt den Gläubigen damit die Tageszeit an.

Beim Morgengottesdienst[324] wird ein Abschnitt aus dem Heiligen Buch rezitiert. Das Feuer ist die einzige Darstellungsform Ahura Mazdas.[325] Das Ritual dient der Erhaltung der Welt.[326] Die Entscheidung für das Feuer kommt dem Eintreten für Wahrheit und Reinheit gleich.

Hinter dichten Hecken sind die Türme des Schweigens, nochmals umgeben von hohen Mauern, nebeneinander für Frauen, Männer und Kinder. Da Luft, Erde, Feuer und Wasser heilig sind, dürfen sie nicht mit Toten verunreinigt werden. Daher überlässt man sie dort in geöffneten Metallsärgen den Vögeln des Himmels. Diese Türme sind rund, haben keine Fenster und sind nach oben hin offen.

China

Die chinesische schriftlich belegbare Kultur ist nicht so alt wie die von Mesopotamien und Ägypten, aber wesentlich älter und reichhaltiger als manchmal angenommen wird. Zudem ist sie die einzige alte Kultur, die bis zur Gegenwart fortbesteht. China[327] ist nach Russland und Kanada der drittgrößte Flächenstaat der Erde.

Bei jing

14.3.1989. In den Beamtengebäuden[328] neben der Halle des Himmelsgewölbes stehen auf einem Altar die kaiserlichen Ahnentafeln mit Namen in mandschurischer und chinesischer Schrift. Ältere Frauen und Männer kommen herein und verneigen sich ehrfürchtig vor den Tafeln. Die Ahnen sind gegenwärtig, wenn man ihrer gedenkt. Wer ihnen Gaben darbringt, macht sie sich gewogen. Dieser Ort hat eine eigentümliche Weihe und Heiligkeit.

18.3.1989. Morgens im Park. Jemand hat den Käfig seines Kanarienvogels an einen niedrigen Baum gehängt und übt nun Schattenboxen.[329] Es kommt darauf an, Ruhe und Bewegung miteinander zu verbinden. Dies kann nur, wer aus dem Urgrund des Seins lebt. Der Atem, der das Leben schöpferisch macht, wird spürbar. Aus der Bewegung in den Ursprung zurückkehren, aus dem Großen Anfang wieder in die Bewegung gehen. Fließende, harmonische Bewegungen in tiefer Sammlung, ruhig und gelassen.

Hang zhou

22.3.1989. Pilger sind unterwegs. Sie tragen gelbe Taschen. Die Frauen haben buntgewürfelte Kopftücher. Das Kloster der Seelenzuflucht wurde 326 nach Christus erbaut.[330] Einige Skulpturen in der Felswand werden auf das 10. Jahrhundert nach Christus datiert. Aus der gleichen Zeit stammen die beiden steinernen Stelen mit Sutren.[331] In der Vorhalle ist der lachende und wohlgenährte Buddha der Zukunft, mit einem Rosenkranz.[332] Unten ist eine Höhle, von der herab Heiliges Wasser tropft, das Befreiung von Leiden bewirkt. In einem Gefäß vor dem Altar ist Räucherwerk. Hier befinden sich auch Kerzenständer für das Himmelsgeld aus Wachs. Ein Spiegel fordert auf, seine Sünden zu erkennen und zu bereuen. In der Haupthalle ist die goldene Statue des gegenwärtigen Buddhas.[333]

Einige Pilger knien immer wieder nieder, legen die Hände zusammen und verneigen sich bis zum Boden. Andere bewegen die zusammengelegten Hände auf und nieder. Eine Pilgerin berührt mit den Händen eine Säule des Tempels und streicht sich dann über die Schultern. Ein Mönch rezitiert Sutren.

Schlichte Höhle des daoistischen Eremiten. Der Daoismus[334] lehrt den Weg zum Urquell allen Seins, zum Großen Einen, in dem alle Gegensätze aufgehoben sind. Es geht um absichtsloses Handeln. Stille ist Zurückkehren zum Ursprung.

Guang zhou

27.3.1989. Der Guangxiao-Tempel wurde um das Jahr 400 nach Christus gegründet.[335] Hui Neng,[336] der Begründer des Chan-Buddhismus, lebte hier im 7. Jahrhundert. Beim Chan[337] geht es darum, alle Bilder und Vorstellungen loszulassen, sogar den bewussten Willen. Die Meditation ist ein ernstes Streben im Nichtstreben.

Einsam ragt die Pagode aus der Erde, / Hoch bis zu den Palästen des Himmels. / Ihr Stufendach verbirgt die Sonne – / Die Zinne durch des Himmels blaues Gewölbe. / Den Blick nach unten gerichtet, sehe ich die Vögel in den Lüften. / Das Haupt gebeugt, höre ich das Lied des Windes.[338]

Xiang gang

29.3.1989. Ein Tag Hongkong – kein Problem für Jonny, die Kleine Maus, Jonny führen Tag und Nacht! Und denken dran, letzter Tag, nicht Kleine Maus, aaah! Der ganze Bus einmal: aah! Noch einmal: aah! Danke, aah! Letzter Tag: Jonny, Große Maus, aaaaah! Ham wir alle gut verstanden.[339]

Usbekistan

Es gibt fünf mittelasiatische Staaten. Der größte von ihnen ist Kasachstan. Die anderen sind Tadshikistan, Kirgisien (Kirgistan), Turkmenien (Turkistan) und Usbekistan. Hier verlief die nördliche Seidenstraße, die dieser Region Wohlstand und ein außerordentlich reiches kulturelles Erbe brachte.

Taschkent

4.8.1991. Hochzeit.[340] Die Frauen sind alle im Haus, die Männer sitzen auf Bänken an langen Tischen, die auf der Straße stehen. Es gibt Tee, Piroggen, Brotfladen und Weintrauben. Eine überlange Fanfare tutet wie ein Alphorn, dazu schrille Töne einer Oboe, begleitet von einer Trommel. Die Musiker spielen danach auch im Haus. Hier weiß man, dass Köln jüngst gegen Spartakus gewonnen hat. Schließlich schreiten ehrwürdig und steif ältere Männer heran. Dies bedeutet, dass die Jüngeren zu gehen haben.

Samarkand

Samarkand

6.8.1991. Der Herrscher Ulugh Beg war Mathematiker, Philosoph und Astronom.[341] 1426-1428 erbaute er ein Observatorium. Dies verfügte über einen exakten Sextanten mit einem Radius von vierzig Metern. Zwanzig Jahre lang förderte er die Wissenschaft. Dann wurde er enthauptet und sein Observatorium dem Erdboden gleichgemacht.[342]

Gur-Emir-Mausoleum.[343] Die Grabkuppel grüßte schon von ferne her die Reisenden, welche auf der Seidenstraße mit einer Karawane unterwegs waren. Die Kuppel erinnert an eine Jurte. Ihre Rippen sind so dicht, dass durch die immer wechselnde Schatten- und Licht-Wirkung ein besonderer Eindruck von Raum und Zeit vermittelt wird, zumal ihr Mosaik dunkelblaue, hellblaue und rötlich-orangefarbene Steine aufweist.

Innen ist ein Übergang vom quadratischen Grundriss zum Trompenachteck, zum sechzehneckigen Gesimskranz und zum Kreisrund der Kuppel.[344] Die Quadratur des Kreises. Dies stellt den Übergang von der Welt zur Transzendenz dar.

Die Grabanlage blieb für zwei Jahrhunderte richtungsweisend und überbietet alle anderen Grabbauten der islamischen Welt. Die Gläubigen berühren mit den Händen die Holzschnitzereien der Türen und bestreichen dann ihr Gesicht. Das dunkelgrüne Grabmal[345] ist von Tamerlan.[346] Zu seinen Füßen ist das von Ulugh Beg.[347] Der Vater von Tamerlan war Türke, seine Mutter Mongolin. Er hat vieles zerstört und vieles aufgebaut. Einerseits war er außerordentlich grausam. Andererseits förderte er Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft. Allerdings zerfiel sein Reich nach seinem Tode.

Ornamentik: Sonne, Sterne, Blumen, Blätter, Früchte. Die Ornamentbänder bilden unendliche Schleifen. Islam bedeutet bedingungslose Hingabe, Ergebung in den Willen Gottes.

Der Islam ist sich überall gleich wie das Meer. Diese Religion verwandelt wie eine Flamme alles, was sie anrührt, in ihre eigene Substanz.[348]

Rechts im Innenhof war ein Versammlungsort für Derwische.[349] Heute sind davon nur noch Reste übrig. Die Derwische[350] üben das ständige Gedenken Gottes,[351] auch in Musik und Tanz.

Buchara

Der Name weist darauf hin, dass hier früher ein buddhistisches Kloster war.[352] Die Türken waren ja einmal Buddhisten! Ihre Bekehrung zum Islam erfolgte erst spät. Vor dem Buddhismus war hier die iranische Religion. Allenthalben finden sich heute noch an den Gebäuden Symbole, die darauf hinweisen. Noch früher gab es hier animistische Religionsformen. Auch davon lassen sich in manchen Bräuchen Reste aufspüren. Religion ist langlebig, aber es gibt das Phänomen der einander ablösenden herrschenden Religionen.

Chiva

8.8.1991. Der[353] Mathematiker Muchammad ibn Musa Al-Chuwarizmi[354] lebte hier. Sein Nachname wurde zu der Bezeichnis für den Algorithmus.[355] Er entwickelte die Algebra.[356] Heute steht hier sein Denkmal.

Der Philosoph, Mathematiker und Mediziner Ibn Sina[357] wurde in Afschana geboren.[358] Er hat die aristotelische Philosophie neu systematisiert und, soweit möglich, mit dem islamischen Denken verbunden. Philosophie ist für ihn Leitfaden des Menschen auf dem Wege zu Gott.

Ein Hund nähert sich unter zahlreichen Demutsbekundungen. Offensichtlich wurde er bereits mehrmals geschlagen. Schließlich gibt ihm Larissa etwas zu fressen.

Kaukasus

Als die Römer dieses Gebiet eroberten, brauchten sie fünfzig Dolmetscher. Es handelt sich um eine gebirgige Region. In abgelegenen Tälern können sich bis heute sehr unterschiedliche Kulturen halten. Wenn man bedenkt, dass hier das antike Kolchis lag,[359] wird deutlich, dass es eine uralte Kulturlandschaft ist.

El’brus

23.7.1987. Hier ist die Grenze zwischen Europa und Asien. Der Kaukasus erstreckt sich zwischen dem Schwarzen, dem Asovschen und dem Kaspischen Meer. Er grenzt an Russland, die Türkei, Georgien, Armenien, Azerbajdžan und den Iran. Der El’brus[360] ist ein Vulkankegel mit zwei Gipfeln; der westliche ist 5.642, der östliche 5.621 Meter hoch. Ernst gelangt bis auf das Niveau von 3.800 Metern. Unten ist schönes Sommerwetter, hier oben ist alles verschneit. Noch gestern gab es Neuschnee. Große Stille. Die Berge haben eine reinigende Kraft.

Ateni

28.7.1987. Sionskirche.[361] Fresko der Verkündigung:[362] Der Engel Gabriel eilt heran. Sein Gewand flattert. Er blickt aufmerksam, ernst, fast besorgt, und spendet mit der rechten Hand den Segensgruß mit Vollmacht. Mit der linken Hand umklammert er den Botenstab: Der Bote ist wie derjenige, der ihn sendet. Fleischwerdung, Menschwerdung. Bedenken, Schrecken und Freude. Zeitenwende.

 

Dranda

Dranda

1.8.1987. Kreuzkuppelkirche.[363] Die breite Kuppel hat 16 Fenster. Die Kreuzarme bilden vier kleine Kapellen. Ebenmaß. Reste der Ikonostase sind noch vorhanden. 1883 wurde um die Kirche das Mariä-Entschlafens-Kloster gegründet, von dem nur noch kümmerliche Überbleibsel zeugen.

Edschmiazin

2.8.1991. „Der Einziggeborene stieg herab“, bedeutet dieser Name.[364] Hier ist das geistliche Zentrum der armenischen Kirche. Unter dem Altar ist ein Opferstein, auf dem vor Einführung des Christentums Tiere dargebracht wurden. Ein Engel gab die Anweisung, den Altar in die Vierung zu setzen. Unter dem Hauptaltar ist Malerei auf Marmor. Eine der Reliquien ist ein Stück Holz von der Arche Noah, die sich auf dem Ararat befindet. Die Westarmenier leben in der Türkei.

Die armenische Kirche macht den Eindruck, alt und ehrwürdig zu sein. Sie hat viel von der apostolischen Schlichtheit und Offenheit bewahrt. Der Kreuzstein[365] ist das Symbol Armeniens. Das Kreuz weist auf die Leiden und Verfolgungen der Armenier hin. Hier steht der Allerlöser-Kreuzstein aus dem 13. Jahrhundert. Im Zentrum sind der Erlöser und die Gottesgebärerin. Zu sehen ist auch der Drachentöter Georg.[366] Oben erblickt man die Sonne auf dem Rücken eines Paradiesvogels und den Mond auf dem Rücken eines Stieres.

Ursprünglich befand sich hier die Bibliothek des Katholikos.[367] Sie wurde enteignet und ist heute im Schatzhaus des Buches.[368] Dieses Institut ist nach Mesrop benannt, der zu Anfang des fünften Jahrhunderts die armenische Schrift erfand und damit die Voraussetzung für die armenische Schriftsprache schuf. Hier werden 16.000 Handschriften sowie etwa 100.000 Urkunden gehütet. Ohne die armenische Sprache hätte das armenische Volk seine Identität nicht bewahren können.

Spitak

Hier war ein schweres Erdbeben.[369] Überall sind Ruinen und Hilfszelte, aber auch Neubauten. Für die Opfer wurde ein eigener Friedhof angelegt. Die Kapelle ist aus Blech. Die Stille hat etwas Bedrückendes.

Rumänien und Moldavien

Politisch sind diese beiden Länder getrennt, aber kulturell bilden sie eine Einheit. In beiden wird die gleiche Sprache gesprochen. Ein Einschnitt bedeutete die Eingliederung der Bucovina in die Donaumonarchie.

Bukarest

30.6.2002. Patriarchatskirche. 1654-1658 wurde das Kloster erbaut, das später Sitz des Metropoliten wurde. Kuppelkirche mit vier Türmen, auf einer Anhöhe gelegen. Reliquien des heiligen Demetrios. Hier singt ein vierstimmiger Chor, während in Rumänien sonst die griechische Singweise mit einem Protopsaltes und Sängern, die zu seiner Melodiestimme Borduntöne singen, üblich ist. Die Kirche ist überfüllt. Gekniet wird zur Verkündigung des Evangeliums,[370] während des Cherubinischen Lobgesangs und Großen Einzugs, beim Hymnus an die Gottesgebärerin und beim Vater unser.

Antoniuskirche, 1398-1401 errichtet.[371] Älteste Kirche der Stadt. Zwei Säulen deuten die Aufteilung des Raumes an: eine Seite für Frauen, die andere für Männer. Reste von Fresken aus dem Jahre 1559.

1.7.2002. Die Nikolauskirche an der Siegesstraße wird sorgfältig bewacht von einer etwas ramponierten, dennoch aber streichelempfänglichen Katze.

Roman

2.7.2002. Sergiu Celibidachi[372] wurde am 28.6./11.7.1912 in dieser Stadt geboren. Als er gerade sechs Monate alt war, zog seine Familie mit ihm nach Jassy.[373] Hier blieb er bis zum Abitur. Danach studierte er in Bukarest Musik, Philosophie und Mathematik. Er hörte im rumänischen Rundfunk ein Streichquartett des Komponisten Heinz Tiessen und reiste 1936 nach Berlin, um seine Bekanntschaft zu suchen. Er studierte Musik sowie Philosophie und verfasste seine Doktorarbeit über Josquin des Prés. 1945-1952 leitete er die Berliner Philharmoniker. Danach arbeitete er mit Rundfunkorchestern in Stockholm, Stuttgart und Paris. Seit 1979 war er Generalmusikdirektor der Münchener Philharmoniker. Er war der Überzeugung, dass ein Konzert einmalig (also unwiederholbar) sei, und dass nur bei persönlicher Anwesenheit im Konzertsaal ein umfassender Eindruck des Werkes gegeben werden konnte. Daher autorisierte er prinzipiell keine Aufnahmen. Eine Probe, sagte er, besteht aus lauter Nicht: Nicht so laut, nicht so schnell, nicht so abgehackt… Er bevorzugte langsame Tempi und gab auf diese Weise einen neuen Eindruck von den Symphonien Anton Bruckners. Er starb am 14.8.1996 in Paris.

Er komponierte vier Symphonien, eine achtsätzige Rumänische Suite, ein Requiem, Messen und Konzerte. Zu seinen Lebzeiten wurde nur ein einziges Stück von ihm aufgenommen: Der Taschengarten.[374] Der Komponist hatte dieses Werk mit Kindern erarbeitet. Es ist rein symphonisch. Der Erstveröffentlichung auf Langspielplatte wurden aber Texte beigegeben. Daraus ein Auszug:

„Es gibt leider viele Kinder, die keinen Garten haben. Aber sicher haben sie alle eine Schublade zu Hause. Wir Kinder, die wir nicht so viel geweint haben, haben für die anderen in diesen schwarzen Rillen[375] ein paar wahre, lustige, neue und natürlich winzig kleine Geschichten versteckt. […] Enterichs Predigt: Es gibt Wahrheiten, die viel gewinnen, wenn sie gesungen werden, besonders mit einer solchen wahren Stimme: Es ist eine große Sache, dass man nicht unwichtig bleibt, denn das Unwichtigbleiben ist keine große Sache. […] Der Himmel, Traum aller Tannen, ist zu weit weg für unsere Tanne.[376] Sie ist so alt, dass sie seinen Ruf nicht mehr hört. Ihr Drang nach oben vergeht. Ihr grünes Kleid wird schwarz. Ihre Nadeln fallen herunter. Wie traurig ist es, alt zu werden hier unten! […] Man singt selbst in der Nacht! Wer ist es? Es ist ein Frosch. Was du nicht sagst! Ein Krabbeltier? Warum nicht zwei? Wer ist es dann? Wenn’s nicht ’ne Kröte ist, dann ist es halt ein Fisch. Ein Fisch – der – singt – bei – Nacht? Er singt nur in der Nacht, am Tage spielt er stumm!“

Neamţ

2.7.2002. In der Hauptkirche[377] ist das Grab von Paisij (Veličkovskij).[378] Er studierte nur kurze Zeit im Höhlenkloster von Kiev und ging dann in die Bucovina, um von einem erfahrenen Mönch Anregung für das geistliche Leben zu erhalten.

Poiana Mărului

Hier traf er Vasilij.[379] Dieser führte ihn ins Jesusgebet ein und vermittelte Grundlagen des Starzentums.[380] An diesem Ort gibt es heute eine Kirche im russischen Stil. Die Umgebung ist reizvoll: Bäche, sanfte Hügelketten, Wiesen, Heuschober, Kühe.

Alt-Orhei

6.7.2002. Im 14. Jahrhundert wurde das Höhlenkloster von Orhei geschaffen.[381] Es wurde 1816 verlassen[382] und 1997 wieder von Mönchen besiedelt. Das Kloster liegt in einer grandiosen Landschaft am Fluss Raut auf einem Bergrücken.[383] Von den Fenstern, die in den Felsen geschlagen wurden, geht der Blick auf die Felder der Ebene.[384]

Ostslaven

Zu ihnen zählen Ukrainer, Weißrussen und Russen. Sie haben ursprünglich eine gemeinsame Kultur. Die Ausdifferenzierung folgt erst später.

Die Ukraine

Diese Bezeichnung bedeutet Randland, Land an der Grenze des Moskauer Reiches. Ursprünglich ist es umgekehrt. Die kulturelle Entwicklung beginnt in Chersones (Krim) und setzt sich in Kiev fort, das seinerseits Moskau als Randgebiet ansehen könnte, wenn es zu dieser Zeit schon existiert hätte.

Užgorod

26.7.2003. Seit 1730 gibt es im subkarpatischen Gebiet Bayern, Franken und Österreicher.[385] Die Karpatendeutschen blieben als einzige von Aussiedlung und Deportationen verschont. Dennoch nahm ihre Zahl ab, von 13.250 im Jahre 1930 auf 3.500 im Jahre 1995.

Galič

11.7.1997. Die Stadt liegt am Ufer des Dnestr. Sie wurde erstmals 1140 erwähnt. Aus diesem 12. Jahrhundert stammt die alte Entschlafenskathedrale, ein kleiner steinerner Bau. Auf dem Terrain fanden Ausgrabungen statt. Vater Sevastian sagte mit Tränen in den Augen: Jetzt bin ich zum ersten Mal in der früheren Hauptstadt Galiziens!

Pochaev

Počaev

13.7.1997. Ernst darf in der Unterkirche in die Höhle schlüpfen, in welcher der heilige Iov von Počaev[386] zu beten pflegte. Es geht kopfüber abwärts. Er muss zunächst einen Halt für seine Hände suchen und kann dann den ganzen Körper nachziehen. Eine kleine Kerze wird ihm gereicht. Ein einsamer Ort, der vom Gebet geprägt ist.

Uman’

12.8.2003. Die Eingangshalle der Freundschaftsherberge hat die Atmosphäre eines Treibhauses. Hier wachsen tropische Pflanzen und Sträucher. Der anschließende Park umfasst hundertundsechzig Hektar und weist fünfhundert Baumarten auf. Graf F.Potockij legte ihn 1796 an und benannte ihn nach seiner Frau Sophia.

Černigov

3./4.8.2003. Elecker[387] Entschlafens-Kloster mit Höhlen und Kirchen.[388] Hier lebte der heilige Antonij 1069, nachdem er in Kiev Schwierigkeiten bekommen hatte.[389]

Erlöser-Verklärungs-Kathedrale.[390] Hier fällte Bogdan Chmel’­nic­kij am 28.1.1654 die Entscheidung, sein Kosakenheer der Herrschaft des Zaren zu unterstellen, um der Drangsalierung durch die Polen zu entgehen. Damit legte er den Grundstein für den Aufstieg Moskaus.

Im Gebietsmuseum sind naive Malerei und Gedichte von Marija Prijmačenko[391] zu sehen. Im Alter von acht Jahren mussten ihr beide Beine amputiert werden. Sie hielt sich nur noch in ihrer Wohnung auf und schuf sich eine eigene phantastische Welt.

Kiev

6.10.1988. Erlöser-Kirche in Berestovo.[392] Hier steht der Schrein von Jurij Dolgorukij, der 1147 die Stadt Moskau gründete. Fresko aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts: Nach der Auferstehung erscheint Christus den Jüngern am See Genezareth. Petrus hat einen zweifelnd-hoffenden Gesichtsausdruck. Er springt ins Wasser, um schneller bei Jesus am Kohlenfeuer zu sein.[393]

Höhlenkloster.[394] Als Ernst einen Offizier nach dem Weg fragt, herrscht der ihn an: „Was wollen Sie dort?“ – Für Gläubige jedoch sieht es anders aus. Hier ist die Wurzel des ostslavischen Christentums. Es wuchs lange in die Tiefe. Kirchen und Zellen waren in Höhlen unter der Erde. Erst später wurde oberirdisch gebaut.

1934 wurde das St.-Michaels-Kloster zerstört.[395] Nur die Trapeza[396] blieb erhalten. Hier war die Kirche mit der goldenen Kuppel.[397]

Kloster der heiligen Floros und Lauros. Über der Eingangstür der Kirche ist der Unverbrennbare Dornbusch[398] dargestellt, nicht das Jüngste Gericht; das sollte in unserer Seele sein, sagt Igumen’ja Antonija.

Vladimir-Kathedrale. Vater Ioann erklärt: Eine Ikone zu malen[399] und eine Ikone zu empfangen, sind zwei unterschiedliche Seiten. Wer von Ihnen mit den Ikonen von Rublëv gesprochen hat, weiß, welche Kraft in ihnen steckt. Die Ikone ist der äußerliche Ausdruck dafür, was der Ikonenschreiber in seiner Seele empfangen hat. Wer eine Ikone anschaut, sich auf sie einlässt, wird von ihr innerlich ergriffen.

8.10.1988. Die Sophienkathedrale[400] setzt die Tradition der Hagia Sophia in Konstantinopel fort. Zur heiligen Weisheit führen, wie die Ortsikone unterweist, folgende Stufen: Hoffnung, Liebe, Reinheit, Demut, Güte, Lob.[401] Darüber steht: „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut und ihre sieben Säulen behauen.“[402]

Irina: Ich wünsche Ihnen sibirische Gesundheit, kaukasische Langlebigkeit, zigeunerisches Glück und ukrainischen Humor!

20.7.2002. Olena Gabjuk, elf Jahre, spielte im Marienpark am Dnepr’ das erste Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Sie war in der Klasse von Professor V.Kozlov. Das Orchester leitete Viktor Zdorenko. Ein Juror aus Hannover meinte: Das Stück ist noch etwas groß für sie.[403]

Die heilige Ol’ga stammte aus einer skandinavischen Familie in Pleskau.[404] Sie heiratete Prinz Igor’, einen Rjurikiden. Viele Wikinger mussten ihr Land verlassen, weil nur der älteste Sohn den Hof erhielt. Alle übrigen Kinder gingen leer aus. So trieben sie in der gesamten damals bekannten Welt Handel. Aus den Stationen entlang der Flüsse wurden die ältesten Städte der Rus’.[405] Waräger sind skandinavische Elitesoldaten. Durch die Christianisierung der Rus’ wurden auch die Waräger christianisiert.[406]

Die heiligen Fürsten Boris und Gleb fielen einer Fürstenfehde zum Opfer. Ihre Gebeine wurden in ihrem Todesjahr 1015 in der Basilius-Kirche in Vyšgorod,[407] die der heilige Vladimir um 988 errichtet hatte, bestattet. Diese Kirche verbrannte 1019. An ihrer Stelle wurde 1020 eine neue erbaut, die bereits den Namen der Heiligen trug. Diese Kirche wurde 1240 beim Ansturm der Tataren und Mongolen unter Qagan Batu[408] zerstört. Es ist unbekannt, an welchem Ort die Gebeine der Heiligen verblieben sind.

Pereslav-Chmel’nickij

2.8.2003. Himmelfahrtskathedrale[409] mit Glockenturm. Innen Diorama von der Schlacht am Dnepr’ im Jahre 1943. Daneben die ehemalige Klosterschule. 1753/1754 war Grigorij Skorovoda hier. Er wurde entrückter Weltweiser, Dichter und Wanderlehrer. Durch seine unkonventionellen Betrachtungen trug er zur Entwicklung einer eigenständigen ostslavischen Philosophie bei.

Odessa

9.7.2002. In der Großen Synagoge wird das Morgengebet auf chassidische[410] Weise verrichtet. Die Menschen versuchen, mit dem Herzen zu beten.

1823/1824 war der Dichter Aleksandr Puškin nach Odessa verbannt worden. Er hatte als Kollegiensekretär in der Kanzlei des Generalgouverneurs Voroncov[411] zu dienen. In dem Hotel, in dem er damals wohnte, wurde ein Museum eingerichtet. Dort findet sich eine Manuskriptseite des Gedichtes: An das Meer (1824). Dies ist ein regelrechtes Schlachtfeld, über und über korrigiert. Hier wird deutlich: Schreiben ergibt sich nicht von selbst. Es handelt sich vielmehr um einen harten und aufreibenden Kampf.

11.8.2003. Kunstmuseum. Der armenische Maler I.K.Ajvazovs­kij,[412] Puškin am Ufer des Schwarzen Meeres, 1897: „Leb wohl, du freies Element, / Dich seh ich zum letzten Mal. / Es wogen deine blauen Wellen, / Von stolzen Träumen bewegt.“

Chersones

11.7.2002. Eine Höhlenkirche mit Altar. Hier hielten die frühen Christen zur Zeit der Verfolgungen Gottesdienste. Fürst Vladimir ließ sich 988 in Chersones taufen. Er durfte die byzantinische Prinzessin Anna von Konstantinopel heiraten.[413] In seinem Reich führte er das Christentum ein. Die Kiever Rus’ erhielt internationales Ansehen.

Weißrussland

Für den Namen gibt es verschiedene Deutungen. 1. Weiß steht für den Westen. Es handelt sich um eine alte geographische Bezeichnung. Weißrussland liegt westlich, von Moskau aus gesehen. 2. Dieses Gebiet war nicht von den Tataren besetzt, also frei, die Weiße Rus’, im Gegensatz zur Schwarzen Rus’, die von Andersgläubigen beherrscht wurde. 3. Weiße Kleidung, blonde Haare und helle Hautfarbe der Dorfbevölkerung.

Grodno

30.7.2004. Hoch über der Memel steht die Kirche der heiligen Boris und Gleb aus dem zwölften Jahrhundert.[414] Im 19. Jahrhundert verursachte der Fluss einen Erdrutsch und die südliche sowie die Hälfte der westlichen Mauer stürzte um. Die Kirche hat drei Apsiden und sechs Säulen. Bunte Kreuze aus Majolika. Die Steine sind aus rotem, graugrünem, rosafarbenem, olivfarbigem und braunem Gneis sowie aus poliertem Granit. In die Innenwände wurden Tontöpfe[415] eingesetzt, um die Akustik zu verbessern.

Polock

1.8.2004. Im Jahre 862 erste Erwähnung der Stadt, die an der Polota und an der westlichen Dvina liegt. In der Schule des Theophanie-Klosters wirkte im 17. Jahrhundert Simeon von Polock.[416] Es ging ihm darum, von seinen Schülern zu lernen. Seine Predigten wurden veröffentlicht.[417] Er gab die Anregung, in Moskau eine slavisch-griechisch-lateinische Akademie zu gründen. Dies wurde 1682 verwirklicht.

Im Erlöser-Efrosinija-Kloster ist die Verklärungskirche aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. In ihr sind die Gebeine der heiligen Efrosinija von Polock.[418] Man verehrt sie barfuß. Trapeza-Kirche der hl. Efrosinija.[419] Große Kreuzerhöhungskirche[420] mit der Kette, welche die hl. Efrosinija trug. Das Kloster ist umrandet vom Schwarzwasser-Fluss Polota.

Die Jesuiten arbeiten in den ersten hundert Jahren des Bestehens der Gesellschaft Jesu erfolgreich. Danach mehren sich die Schwierigkeiten. In den außereuropäischen Ländern stellt sich die Frage, wie weit sich das Christentum einer anderen Kultur anpassen kann, ohne sein Wesen zu verlieren. In Europa entwickelt sich ein heftiger Streit, wie die Gnade Gottes und die Freiheit des Menschen zusammenwirken.[421] Regierungen versuchen, die Kirche zu schwächen, indem sie die Arbeit der Jesuiten in ihrem Land verbieten. Papst Clemens XIV. hebt schließlich am 21.7.1773 die Gesellschaft Jesu auf.

Katharina die Große weigert sich aber, das entsprechende Breve „Dominus ac Redemptor“ zu promulgieren. Die Jesuiten können daher 1780 in Polock ein Noviziat eröffnen. Von hier aus erfolgt die Wiederherstellung der Gesellschaft.

Eine Ironie der Geschichte ist, dass die Jesuiten 1820 aus Russland ausgewiesen werden, zu einem Zeitpunkt, an dem sie in vielen Ländern Westeuropas wieder arbeiten dürfen.

Vitebsk

3.8.2004. Benannt nach dem Fluss Vit’ba. Die Stadt wurde 974 gegründet. Das Haus, in dem Marc Chagall lebte, zeigt Bilder seiner Familie und seine ersten künstlerischen Versuche. Zu dieser Zeit hatte er seinen Stil noch nicht gefunden.

Minsk

3.8.1997. Museum des Großen Vaterländischen Krieges. In den Pripjat’-Sümpfen, südöstlich von Pinsk, waren die Partisanen besonders aktiv. Eine Karte zeigte, dass sie nördlich des Gebietes operierten, in dem Pioniere tätig waren. Sie hatten die kastenförmigen Minen von den Eisenbahnschienen zu entfernen, von denen im Museum Beispiele zu sehen waren.

3./4.8.1997. Die schnuckelige Kirche der heiligen Maria Magdalena feierte ihr hundertundfünfzigjähriges Bestehen. Zwanzig Priester zelebrierten die Nachwache, und zahlreiche Gläubige waren anwesend. Ein ziemlich guter Chor sang. Anschließend war die Verehrung der Reliquien der Heiligen unter dem Gesang des Megalynarions. Am nächsten Morgen feierte Filaret, der Exarch von Weißrussland, die Göttliche Liturgie. Danach war eine Prozession mit der Ikone der heiligen Maria Magdalena.

Der Norden Russlands

Diese Region wird vom Nördlichen Eismeer geprägt. Der Winter dauert außerordentlich lang. Für diese dunkle und kalte Zeit entschädigt der kurze Sommer mit der Mitternachtssonne.

Solovki

9./10.7.2000. Verkündigungskirche.[422] Die Innenausstattung blieb erhalten, weil sie vom Brand im Jahre 1923 nicht erfasst wurde. In Vesper und Liturgie sind zahlreiche Gläubige, unter ihnen viele Kinder. Einstimmiger, traditioneller Kirchengesang, ruhig und feierlich.[423]

Archangel’sk

11.7.2000. In einer Ausstellung war ein Brief des heiligen Johannes von Kronstadt[424] aus dem Jahre 1908, in dem er starb. Er war am 19.10.1829 in Sura am Fluss Pinega geboren worden. Dort hatte er 1899 das Frauenkloster des heiligen Johannes des Theologen gegründet und geistlich begleitet. 1908 waren dort bereits 120 Schwestern. Seine Kathedrale auf Kronstadt wurde ein Wallfahrtsort. Sein Geheimnis war die liebende Aufmerksamkeit. Er starb am 20.12.1908.

Kargopol’

13.7.2001. Eine Frau kommt zur Quelle, bekreuzigt und verneigt sich mehrmals und füllt dann eine Flasche mit Wasser. „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils.“[425] „Der Herr wird dich immerdar führen, dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“[426] Die Menschen „werden satt von den reichen Gütern Deines Hauses und Du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens“.[427] „Alle meine Quellen entspringen in dir.“[428] „Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“[429]

 

Valaam

Valaam

14.7.2000. In der Skit[430] aller Heiligen lebten von 1811-1817 Feodor (Perechvatov),[431] Kleopa[432] und ihr Schüler Leonid (Nagolkin). Feodor zog tausende Menschen an, die bei ihm Rat suchten. Da dies nach Meinung des Hegumens Ruhe und Ordnung des Klosters störte, musste er sich eine andere Aufenthaltsstätte suchen.

Svir’

16.7.2000. Feodor lebte im Kloster des heiligen Aleksandr von Svir’ von 1817 bis zu seinem Tod am 7.4.1822. Nun war Leonid derjenige, der Schüler ausbildete. Der Bekannteste unter ihnen war Ignatij (Brjančaninov). Mit ihm zog er 1828 nach Ploščansk. Dort lebte Makarij (Ivanov). In diesen Jahren wurde die Grundlage für die Spiritualität von Optina Pustyn’ gelegt: Nicht auf große asketische Werke kommt es an, sondern auf Demut und Nächstenliebe. Der Weg dazu ist, täglich Rat beim Starec zu suchen, der die Gabe der Unterscheidung hat. Da es nur wenige solcher Menschen gibt, veröffentlichte Makarij geistliche Schriften zur Orientierung.

Nilova Pustyn’

12.7.2001. Die früheren Mönchszellen hatten pro Wohnung drei kleine Fenster. In der Kirche ist jetzt der Schlafsaal der Anstalt untergebracht, im Gebäude des Archimandriten die Verwaltung. Innerhalb der Umfassungsmauern sind Heizraum, Wäscherei, Küche und Wohnungen für das Personal. Das Flüsschen Sorka ist versumpft.

Nil Sorskij ging es darum, einem geschäftigen Treiben, wie zum Beispiel im nahe gelegenen Großkloster des heiligen Kirill vom Weißen Meer, in dem er einige Jahre gelebt hatte, zu entgehen und Stille sowie Einkehr zu ermöglichen, wie er dies als Ideal auf dem Heiligen Berge Athos erlebt hatte.

Vologda

21.8.1991. Erlöser-Priluckij-Kloster. Hier macht die Vologda einen Bogen, daher die Benennung des Klosters „beim Bogen“.[433] Der heilige Dimitrij Priluckij, Freund des heiligen Sergij von Radonež, gründete es 1371. Es wurde 1924 geschlossen und wurde der Kirche zurückgegeben. Hegumen Efrem sagte, er schäme sich, weil hier alles so zerfallen sei. Seit drei Monaten lebten hier neun Novizen und ein Mönch. Um zwei Uhr nachts beginne Gebet und Gottesdienst und dauere bis sechs Uhr morgens. Das Große Schema[434] ist schwarz und hat auf der Kapuze die gestickte Inschrift: „Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme Dich unser.“ Daran schließt sich an:[435] „Der Herr sagte: Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer seine Seele retten will, wird sie verderben.“[436]

Dionisij schrieb[437] die Ikone des heiligen Dimitrij Priluc­kij.[438] Von ihr geht eine große Ruhe aus. Die Würde der Heiligkeit wird sichtbar. Andererseits ist hier alles in rhythmischen Bewegungen fließend. Keine Statik, sondern Dynamik!

Velikij Ustjug

2.7.2006. Im Jahre 1212 wurde das Erzengel-Michael-Kloster erbaut. Es steht am Beginn der Geschichte dieses Ortes. Die Besichtigung des Monumentes ist nicht ohne weiteres möglich; denn am Heiligen Tor erscheint ein schwarzer Kater. Er muss zunächst durch eine Gabe mild gestimmt werden. Es geht aber alles gut: Er ist zufrieden und gibt den Weg frei.

Prokopij war ein deutscher Kaufmann,[439] der in der Hansestadt Novgorod Handel trieb. Er erkundigte sich im Kloster des heiligen Varlaam von Chutyn’, wie er christlich leben könne. Bald machte er sich auf den Weg, durchzog die Wälder des Nordens und kam schließlich nach Velikij Ustjug.[440] Er trug ein großes steinernes Kreuz.[441] Tagsüber saß er lange auf einem Stein, der sich vor der heutigen Prokopij-Kirche[442] befindet, und segnete die Schiffe, welche die Suchona befuhren. Nachts schlief er auf der offenen Galerie der Entschlafenskathedrale. 1303 wurde er am Ufer des Flusses beigesetzt.

Syktyvkar

22.6.2002. Ende des vierzehnten Jahrhunderts schuf der heilige Bischof Stefan von Perm’ ein eigenes Alphabet und übertrug die Heilige Schrift sowie liturgische Bücher in die syrjänische Sprache. Dies ist eine uralische Sprache, die von den Einheimischen als Komi bezeichnet wird. 1780 wurde die Stadt Ust’-Sysol’sk gegründet.[443]

23.6.2006. Eine Kapelle erinnert an die Opfer der Unterdrückung im Vorkutlag.[444] Auf einer Ikone ist abgebildet, wie die Gottesmutter das Jesuskind tröstet, dem der Engel Gabriel Kreuz, Lanze und Schwamm zeigt.

Der Westen Russlands

Durch die Nähe zu Schweden, Polen, Litauen und Deutschland entbrennen jahrhundertelang Kriege. Die Menschen in diesem Landstrich haben viel gelitten. Andererseits gibt es einen kulturellen Austausch und gegenseitige Anregung.

Ivangorod

22.7.2001. In der Festung, die 1492 erbaut und nach Zar Ivan III. benannt wurde, ist eine Nikolauskirche von 1496 sowie eine Entschlafenskirche.[445] Hier wurde früher der Zugang zum Baltischen Meer gesichert. Heute ist dies ein weltentrückter Ort. Gegenüber liegt die Hermannsfeste, die bereits Ende des 13. Jahrhunderts als Holzkonstruktion begonnen wurde.[446] Die Hermannsfeste wurde Hungerburg genannt, Ivangorod – Magerburg. Die Seeleute darbten hier.

Smolensk

1.8.1997. Der Bau der Entschlafenskathedrale auf dem Kreml’[447] wurde 1677 begonnen und erst nach hundert Jahren vollendet.[448] An der Ikonostase arbeitete der ukrainische Meister Sila Trusickij von 1730 bis 1740. In Holz geschnitzt sind Trauben, Blumen, Eichen- und Ahornblätter, aber auch Engelgesichter. Die vergoldete Schnitzarbeit flammt auf in den Sonnenstrahlen, die durch die riesigen Fenster fällt, sie leuchtet abends gedämpft im Lichte der Kronleuchter und der Kerzen vor den Ikonen. Die Ikonostase reicht vom Boden bis zum Gewölbe. Der würfelförmige Raum scheint für sie fast zu klein zu sein. Sie macht einen gewaltigen Eindruck auf den Pilger. Viele Menschen beten hier, tragen Gott und den Heiligen ihre Anliegen vor. Aufgrund seiner Grenzlage hat Smolensk in den Kriegen viel gelitten. Die Kirche ist wie ein Bollwerk, zugleich aber ein unübersehbarer Zeuge des Glaubens. Zur Nachtwache sang ein guter, sechsundzwanzigköpfiger Chor auf der Empore.

Novgorod

16.6.1985. Kathedrale des hl. Apostels Philipp. Akathistos des heiligen Bischofs Nikita von Novgorod. Die Gläubigen haben Hefte, in denen sie liebevoll die Initialen sowie die Worte „Gott“ und „Nikita“ mit roter Tinte und den übrigen liturgischen Text mit blauer Tinte geschrieben haben.

Die Kathedrale der Heiligen Weisheit[449] führt die Tradition von Kiev und Konstantinopel weiter. Die Russische Kirche legitimiert dadurch ihre Nachfolge. Die Bildtür[450] zeigt unter anderem Josef von Arimathäa bei der Kreuzabnahme. Er umarmt in scheuer Verehrung die rechte Hand des Erlösers.

22.7.1992. Der Charakter der Sophienkathedrale hatte sich vollständig gewandelt. Was für ein feuchtes, muffiges, ungemütliches und unfreundliches Loch war das doch früher, ein totes Museum! Jetzt standen hier betende Gläubige, Kerzen brannten vor den Ikonen und zweimal täglich wurde Gottesdienst gefeiert.

21.7.2001. Varlaam zog sich zu einem einsamen Leben zurück auf die bewaldete Anhöhe Chutyn’ am Flusse Volchov, zehn Verst in nördlicher Richtung von Novgorod entfernt. Er beriet Fürsten, Kaufleute und einfache Menschen, wie sie ihr Leben christlich gestalten können. Bald schlossen sich ihm Gefährten an. Er starb im Jahre 1192. Sein Gedenktag ist nach dem Alten Stil am 6. November. Seit 1992 ist hier ein Frauenkloster. Die Verklärungskirche[451] wurde bereits renoviert. Die übrigen Gebäude werden allmählich wiederhergestellt.

Im Jahre 1377 wurde in der Zimmermannsvorstadt von Novgorod eine Kirche der heiligen Boris und Gleb geweiht. 1536 wurde sie im Auftrag einer Moskauer Kaufmannsfamilie durch den heutigen Fünfkuppelbau ersetzt, der Christus und die vier Evangelisten bedeutet. Die Nachtwache wird von gutem Chorgesang ge­staltet.

Staraja Russa

18.6.1985. In einem Haus dieses Ortes schrieb Fëdor Michajlovič Dostoevskij,[452] der hier lebte, weil es billiger als in St. Petersburg war, seine Romane: Die Dämonen,[453] Der Jüngling[454] und Die Brüder Karamazov.[455] In der damaligen Zeit mussten von Hand drei Reinschriften angefertigt werden: eine für die Zensurbehörde, eine für den Verlag und eine „Sicherheitskopie“ für den Schriftsteller, falls eine Sendung verlorengehen sollte. Bei diesen umfangreichen Romanen war dies eine Herkulesarbeit. Hier ist eine Reproduktion seines Lieblingsbildes, Raffaels Sixtinischer Madonna, das er 1867 in Dresden kennengelernt hatte.

Pleskau

20.6.1985. Kreml’, Dreieinigkeitskirche (1699). Der Chor singt treffsicher eine Panichida. Eine ältere Frau liegt im offenen Sarg. Mit einem Löffel wird ihr Salz an die Lippen geführt. Das Salz erinnert an die Unsterblichkeit.[456]

Mirož-Kloster, Verklärungskirche, Fresken aus dem Jahre 1156. In der Handelsstadt Novgorod strahlen die Ikonen und Fresken in einem hellen Licht. Hier dagegen sind sie dunkel, da Pleskau[457] Grenzstadt war und viel Leid durch Krieg und Hungersnöte erfuhr. Die Beweinung Christi ist durchtränkt von Bitterkeit. Johannes von Arimathäa liebkost die linke Hand Jesu, die heilige Gottesgebärerin schmiegt ihre Wange an die Wange des Gekreuzigten und umfasst seine rechte Hand. Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus und Joses, sowie Salome sitzen dichtgedrängt zu Häupten des Geschundenen und haben in unsäglicher Trauer ihre Augen niedergeschlagen.

St. Petersburg

22.6.1985. Tatjana verabschiedet sich. Sie hatte die Führung dieser kirchlichen Reisegruppe aus Neugierde übernommen. Nun sagte sie unter Tränen: Sie haben mir Russland von einer Seite aus gezeigt, die ich noch nicht kannte.[458]

Die zehnjährige Tanja Savičeva führte während der Belagerung Leningrads Tagebuch: Ženja[459] starb am 28. Dezember 1941 um 12 Uhr 30. Babuška[460] starb am 25. Januar 1942 um 3 Uhr. Lejka[461] starb am 17. März 1942 um 5 Uhr in der Frühe. Savičevs sind tot. Alle sind tot. Nur Tanja ist übriggeblieben.[462]

27.7.1991. Abends ging Ernst zum Smolensker Friedhof. Es war spannend, aber auch ein wenig unheimlich. Es gab viele verfallene Gräber, aus denen Birken wuchsen. Dann war er am Ziel. Zwei Arbeiter legten Platten um die Kapelle der heiligen Xenia, die prächtig wiederhergerichtet war. Auf dem Rückweg sah er, wie die Sonne am Finnischen Meerbusen unterging.

29.7.1991. Am Smolensker Friedhof lebten Katzen, die glänzendes Fell hatten und durchaus nicht mager waren. Ein Bild des Friedens. Noch vor einigen Jahren war es bei Gefängnisstrafe verboten, die Kapelle der heiligen Xenia auch nur zu betreten Jetzt beteten hier in großer Zahl Gläubige, eine Gruppe Jugendlicher wurde hier hingeführt, es gab Schriften über Leben und Wunder der Heiligen. Die Menschen standen mit Kerzen vor ihrem Schrein und vor ihrer Ikone, berührten das Grab mit der Hand, küssten es und warfen sich zu Boden. Eine Frau weinte. Ein Priester feierte ein Moleben mit der Fürbitte für Kranke.

25.7.1992. Eremitage, Harmensz Rembrandt, Die Heimkehr des Verlorenen Sohnes.[463] Zwei Dienerinnen blicken ohne Verständnis und Teilnahme. Ein junger Mann macht eine abwehrende Bewegung. Der ältere Bruder blickt missgünstig auf diese Person, welche die Hälfte des väterlichen Vermögens mit Dirnen verschleudert hat. Seine Hände hat er ärgerlich ineinandergesteckt, um ihn nicht begrüßen zu müssen. Sein Bruder hat sich so überrascht zum Vater hingewandt, dass seine linke Sandale neben dem linken Fuß steht. Seine Kleidung war einstmals vornehm; jetzt ist sie zerrissen und schmutzig. Er birgt seinen Kopf an der Brust des Vaters.

Es ist als murmele der Vater ihm zu: Sei ruhig, du bist zu Hause, bei uns. In Richtung auf den älteren Bruder scheint er zu bemerken: Störe doch nicht, begib dich hinein in dieses Mysterium der Heimkehr, verzeihe ihm! Die Hände des Vaters scheinen mit dem Rücken seines jüngeren Sohnes verwurzelt zu sein. Dies sind Hände, die zupacken, aber auch zärtlich sein können. Sein Antlitz drückt Güte und Schmerz zugleich aus.

24.8.2004. Neben der Verkündigungskirche[464] ist ein Kinderspielplatz. Eine junge Dame hält eine Bierflasche in der Hand und unterhält sich mit einer gleichaltrigen Mutter, die einen Kinderwagen mit dem Fuß mechanisch hin- und herschiebt. Eine andere stößt von Zeit zu Zeit ihren Kinderwagen einige Meter weiter, während sie selbst gedankenverloren hinterhergeht, in einem Buche lesend.

Zugfahrt von Carskoe Selo zum Vitebsker Bahnhof. In der Nähe der Endstation packt eine Frau eine große, weiße Katze in eine Einkaufstasche. Das Tier reckt verzweifelt den Kopf empor, es hilft aber nicht; er wird heruntergedrückt. Reißverschluss zu, Katze weg. Ein dumpfes Grollen ertönt aus der Tasche, wie aus Abgrundtiefen.

Carskoe Selo

26.6.1985. Der Wasserkrug entglitt dem Mädchen und zerschellt am Felsen. Trauernd sitzt sie da, in der Hand den nutzlosen Henkel. Endlos rinnt das Wasser aus dem zerbrochenen Krug; ein Wunder! Das ewig trauernde Mädchen sitzt am ewig fließenden Strom.[465]

Boksitogorsk

9.7.2001. Bauxit-Stadt wurde sie genannt, als es ihr noch wirtschaftlich besser ging. Die Fahrt geht über Stock und Stein zur Datscha. Schwierig wird es, als ein Auto entgegenkommt. Es besteht eine gewisse Gefahr, in den Graben abzurutschen. Schließlich sind die Reisenden am Ziel. Hier hat Leonid sein Reich: Gemüsebeete, Blumen, Obstbäume, Sträucher mit Beeren, ein kleiner Teich und ein Häuschen, in das allerdings vor kurzem auf der Suche nach Metall eingebrochen worden war. Die Elektrizität ist etwas kriminell angeschlossen, doch es gelingt, den Gästen einen Tee zu kochen.

Tichvin

9.7.2001. Im Jahre 1773 erhielt Tichvin, am Flüsschen Tichvinka gelegen, Stadtrechte. Am Feste der Tichviner Gottesmutterikone, einer der am meisten verehrten Ikonen Russlands, ist die ganze Stadt auf den Beinen. Die Tichvinskaja ist eine Variante der Hodegetria, die den Weg zu Jesus Christus zeigt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass beim Kind die nackte Sohle des rechten Fußes zu sehen ist. Das Original wurde aus Chicago zurückgegeben. Stundengebet, Liturgie, Moleben[466] und Prozession mit der Ikone. Musikalische und literarische Veranstaltungen, Vorträge und Ausstellungen von Photographien und Kinderzeichnungen zum Thema Tichvin.

Das Entschlafenskloster ist beeindruckend. Die Kirche wurde zwischen 1510 und 1515 erbaut. Das monastische Leben hat soeben wieder begonnen. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die Gebäude wiederherzustellen. Ein Zimmermann arbeitet sehr geschickt mit seiner Axt, ohne Baupläne oder Skizzen. Im Garten wachsen schöne Blumen für den Kirchenschmuck.

Repino

31.7.1991. Il’ja Efimovič Repin[467] hatte sich 1900 hier ein den Penaten[468] geweihtes Domizil zwischen rauschenden Kiefern und windschiefen Holzhäuschen errichtet. Sein Studio ist im Wintergarten. Hier finden sich viele Gegenstände, die auf seinen Bildern vorkommen, vor allem bei seinem Hauptwerk: Die Zaporožer Kosaken schreiben einen Brief an den Sultan.[469] Repins Grab ist im Garten.

Die Mitte Russlands

Hier liegt der historische Mittelpunkt der Macht. Der Goldene Ring zeigt die Kultur der alten Städte, die eine nach der anderen einmal Zentrum des nördlichen Reiches waren.

Jaroslavl’

30.8.1991. Tolga-Kloster. Ernst verehrt den Schrein mit den Gebeinen des heiligen Ignatij (Brjančaninov) in der Kirche der Einführung der Gottesgebärerin in den Tempel. Hier ist ein Wallfahrtsort. In der Erlöser-Kirche befindet sich die Ikone der Gottesgebärerin von Tolga, die 1314 erschien und zur Gründung des Klosters führte. Sie gehört zu den Zärtlichkeitsikonen:[470] Kind und Mutter umarmen sich, Wange an Wange.

Rostov Velikij

20.7.1987. Torkirche[471] zur Auferstehung Christi.[472] Im Vorraum der Kirche sieht man die Himmelsleiter. Hier sind die Stufen des geistlichen Lebens dargestellt. Leidenschaften wie Groll, üble Nachrede und Überdruss gilt es zu meiden. Sanftmut, Demut und Gehorsam sind anzustreben. Die heilige Hesychia, das Ruhen in der Vereinigung, ist das Ziel. Liebe, Hoffnung und Glaube führen dorthin.[473]

Das Glockengeläut der Entschlafenskathedrale[474] ist berühmt. Unterschieden werden: Jona – streng und klar; Akim – Prozession; Egor – gleitender Rhythmus dreier großer Glocken bei fröhlichem Klang der kleineren; Jonathan – Melodie in den mittleren Glocken, festliches Geläut der kleinen; Rotes Geläut – ein ausgesprochen schöner und feierlicher Klang; Verkündigungsläuten – langsames Anschlagen einer einzigen Glocke, um zu einem Gottesdienst einzuladen; Durchläuten – alle Glocken werden nacheinander angeschlagen, um den Beginn des Gottesdienstes anzukündigen.

Architektonische Fachausdrücke: Širinka – viereckige, von einem figürlichen Rahmen umgebene Mauernische. Kokošniki – halbrunder oder kielförmiger Schild, der an die gleichnamige Kopfbedeckung der Frauen erinnert. Sakomare – halbrunder oder kielförmiger Abschluss eines Teiles der Mauer, welcher die Umrisse des dahinter liegenden Gewölbes wiederholt. Girka – ein figürlich gestaltetes Detail, das an einem Eisenstab hängt, welcher zwei Zierbögen an Toren, Vorbauten und Fensterrahmungen stützt.

Daniil Tuptalo wurde im Dezember 1651 in Makarovo bei Kiev geboren. Er war Autodidakt. Im Kiever Kloster des heiligen Kirill wurde ihm bei der Mönchsweihe am 9.7.1668 der Name Dimitrij verliehen. Am 23.5.1675 wurde er zum Priestermönch geweiht. Er ließ 1701 im Rostover Kreml’ eine Schule zur Erlernung der griechischen und lateinischen Sprache eröffnen sowie eines der ersten russischen Theater. Am 4.1.1702 wurde er Metropolit von Rostov und Jaroslavl’. Sein Leben lang schrieb er an den Leseminäen.[475] Er sammelte dafür alle erreichbaren Viten von Heiligen und überarbeitete sie. Das Ergebnis waren zwölf Bände in dreizehn Büchern.[476] Er starb am 28.10.1709 in Rostov.

Sein Schrein, den Ernst verehrte, befindet sich im Erlöser-Jakobskloster, das im 14. Jahrhundert gegründet wurde, und zwar in der Kirche des heiligen Jakobus.[477] Dies war früher ein Wallfahrtsort. Makarij von Optina war 1824 hier, Ignatij (Brjančaninov) im Sommer 1829. Theophan der Klausner schätzte besonders Dimitrijs Anleitung zum Umgang mit den Gedanken.[478] Der selige Isidor († 1474) war ein Tor um Christi willen, der vermutlich aus Deutschland stammte.

Borisoglebskij

18.7.2001. Das Kloster der heiligen Boris und Gleb wurde 1363 von den heiligen Feodor und Pavel von Rostov auf Weisung des heiligen Sergij von Radonež gegründet. Im Gewölbe des Heiligen Tores ist ein Fresko aus dem 17. Jahrhundert, das die vor Christus knienden Boris und Gleb zeigt. Die Kathedrale der Heiligen wurde 1522-1524 von Grigorij Borisov errichtet. Der Innenraum wirkt wegen der schlanken, kreuzförmigen Pfeiler, welche die Bogen und Gewölbe tragen, schwerelos und hoch.

Dmitrov

10.7.2009. In dieser Gegend leben zunächst finno-ugrische Mari (Tscheremissen). Die ostslavische Stadt wird der Überlieferung nach 1154 von Jurij Dolgorukij gegründet. In ihr ist ein ein Kilometer langer und fünfzehn Meter hoher vormongolischer Festungserdwall erhalten. Er umschließt unter anderem die fünfkuppelige Entschlafenskathedrale, die zwischen 1509 und 1533 erbaut wurde. Am Südportal weist sie ein Basrelief des hl. Gregor und an der Süd- und Nordfassade Basreliefs der Kreuzigung auf. Das Männerkloster der hll. Boris und Gleb, das sich einige Straßen weiter befindet, enthält ein Kreuz mit der Jahreszahl 1388. Im 17.-19. Jahrhundert wurde dieses Männerkloster immer wieder renoviert und verschönert. Es gab hier Lehranstalten. Nach der Enteignung 1926 wurde es 1993 der Kirche zurückgegeben.

Sergiev Posad

8.10.1985. Am Fest des heiligen Sergij von Radonež ist der Chor der heiligen Boris und Gleb an diesem Wallfahrtsort. Tausende Pilger, einige von Krankheit gezeichnet, andere alt oder behindert.

Woher bist du? Aus Sibirien. Wie bist du hierher gekommen? Viele Monde wanderte ich zu Fuß. Diese Pilgerin hatte ein armseliges Bündel bei sich.

Nach der Göttlichen Liturgie zieht eine Prozession mit 29 Mitrenträgern und mit der Ikone des heiligen Sergij von der Entschlafenskathedrale zum Heiligen Brunnen. Dann Empfang beim Patriarchen Pimen. Jeder erhält eine Gedenkmedaille aus Anlass des 75. Geburtstages des Kirchenoberhauptes sowie den blauen Sergij-Orden. Verehrung und Fürbitte beim Schrein des Heiligen in der Dreieinigkeits-Kirche.

18.8.1991. In der Entschlafenskathedrale hörten vier Priester Beichte, eine Studentin las mit leuchtenden Augen das Neue Testament, einige Frauen sangen einen Akathistos, viele standen da und beteten still. Pilger, die von weither gekommen waren, hatten ihr Nachtlager in den Ecken der Kirche aufgeschlagen.

19.8.1991. In Moskau waren Panzer auf den Straßen. Es wurden Barrikaden gebaut. Ein Komitee zur Rettung der Nation möchte die Sowjetunion weiterführen.[479]

Abramcevo

24.7.1999. Kirche des heiligen Elija, Herrenhaus, Werkstatt mit Majolika, Teremok mit Schnitzereien im Jugendstil, Park, Teiche. Eine Stätte der Literatur und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Gogol’ und Turgenev weilten hier gerne. Repin, Serov, Levitan, Vasnecov, Nesterov und Vrubel’ arbeiteten an diesem Ort.

Toržok

22.8.2004. Zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts kamen etwa zweitausend Kaufleute aus Novgorod zum Markt in dieser Stadt. Jedoch wurde sie 1238 von den Tataren belagert. Ihre Einnahme und Zerstörung bewahrte Novgorod vor dem gleichen Schicksal.[480]

Der heilige Efrem war Ungar. Er diente beim Fürsten Boris als Pferdeknecht und wurde nach dessen Ermordung Mönch. Nach der Erhöhung der Gebeine der heiligen Boris und Gleb erbaute er zu ihren Ehren eine Kirche, den Vorgängerbau der heutigen Kathedrale, und gründete in deren Nähe ein Kloster, das ihren Namen trug. Hier siedelten sich Kaufleute an und nannten den Ort Neu-Toržok. Er starb 1053. Seine Gebeine wurden 1572 unversehrt aufgefunden. Sein Gedenktag ist nach dem Alten Stil am 28. Januar.

Kloster Borisoglebsk, auf einer Anhöhe über dem Fluss Tverca erbaut. Fundamente des Altars des heiligen Efrem von Neutoržok.[481] Kirche des Einzugs des Herrn in Jerusalem.[482] Kirche der Einführung der Gottesgebärerin in den Tempel.[483] Die Boris-und-Gleb-Kathedrale wurde 1785/1786 von dem Architekten N.A.L’vov erbaut.

Tver’

21.7.1992. Adelja: Deutsche Märchen beginnen mit „Es war einmal“, russische mit „Es wird einmal sein“.

19.7.2001. Heilige in Tver’: Efrem Novotoržskij, Großfürst Michail Jaroslavič, Anna Kašinskaja, Arsenij von Tver’, Juliana von Toržok und Nil Stolbenskij. 1996 wurde das Kloster der hl. Großfürstin Elisaveta in Tver’ gegründet.

Istra

2.10.1988. Patriarch Nikon[484] gründete 1656 das Kloster Neu-Jerusalem. Er wollte der Russischen Kirche ein repräsentatives geistliches Zentrum geben. Die Auferstehungskirche ahmte die Grabeskirche in Jerusalem nach. Doch der begabte Patriarch scheiterte. 1658 zog er sich in dieses Kloster zurück. Er wurde 1667 seiner hierarchischen Würden entkleidet und in das Ferapont-Kloster am Weißen See verbannt. Seine liturgischen Reformen aber wurden angenommen und die Verfolgung der Altgläubigen begann.

Borodino

4.8.2004. Am 7. September[485] 1812 fand die Schlacht gegen Napoleon statt.[486] Am 14.9.1812 zogen die Franzosen in Moskau ein. Bereits wenige Tage später flackerten die ersten Brände in dieser Stadt auf.

Možajsk

Der Kreml’ wurde 1624-1626 erbaut. Er hatte früher acht Türme in der Umfassungsmauer. In der Nikolaus-Kathedrale ist die wundertätige, reliefartige Darstellung des Nikola von Možajsk mit ausgebreiteten Armen, in der rechten Hand ein Schwert, in der linken das Modell des Kreml’ mit der Kirche.[487]

Dies ist eine Darstellung, die nicht den kanonischen Vorschriften entspricht. Sie geht auf alte Figuren des Novgoroder Raumes zurück. In der Ikonographie greift sie auf den Typos des heiligen Erengels Michael zurück sowie auf frühe Orantenfiguren der Katakomben.

Der heilige Nikolaus befreite die Stadt Možaijsk vor der Belagerung durch die Tataren. Daher wird er hier als Beschützer der Stadt und als Fürsprecher dargestellt. Der heilige Nikolaus wird meist als Retter aus materieller Armut, aus Seenot und Gefangenschaft dargestellt. Hier jedoch erscheint er als mächtiger Kämpfer. Sein Name bedeutet ja auch „Volkssieger“.[488]

Der heilige Ferapont wurde 1338 in Volokolamsk geboren. Zusammen mit dem hl. Kirill war er Schüler des hl. Sergij von Radonež. Beide Schüler gründeten nach ihnen benannte Klöster am Weißen See. 1408 gründete der hl. Ferapont auch das Lužeckij-Kloster in Možajsk. Er starb 1426. Mauer mit vier Türmen, Heilige Pforte mit Torturmkirche, Kathedrale Mariä Geburt,[489] Glockenturm,[490] Trapeza-Kirche zur Einführung der Gottesgebärerin in den Tempel, Mönchszellen.[491]

Moskau

August 1982. Hotel Metropol. Ziemlich heruntergekommene Eleganz, aber noch spürbare grandezza. Ernst geht nachts zu Fuß vom Roten Platz zum Neujungfrauenkloster und zurück. Die Luft ist gesättigt mit dem Duft von Lindenbäumen. Die Menschen sind ruhig und gelassen. Viele stehen in kleinen Grüppchen zusammen, unterhalten sich und trinken.

Wenn Russen wieviel Dollar[492] sagen, klingt dies, als wenn ein Zug über eine Weiche fährt.

Montags ist er Müller, dienstags ist er Sattler, mittwochs und donnerstags ist er Kammerdiener, freitags bürstet er den Hund und pfeift vor Kohldampf auf der Faust, samstags singt er und schreit unter der Knute, sonntags ist er wie ein Herr und besoffen wie eine Matte.

Schlaf in Ruhe, mein Kind, träume während der halben Nacht von Ziegen und dann bis zum Morgen von Schafen!

3.10.1988. Kreml’, Entschlafenskathedrale.[493] Schrein des Patriarchen Germogen,[494] der von den Gläubigen außerordentlich verehrt wird. 1610 wurde Władisław Zar. Der Patriarch wollte ihn nur unter der Bedingung anerkennen, dass dieser orthodox wird. Daraufhin setzten die Polen den Patriarchen ab, hielten ihn gefangen und ließen ihn schließlich an Entkräftung sterben.

Kolomenskoe, Himmelfahrtskirche. Zar Vasilij III. stiftete sie in dieser Sommerresidenz anlässlich der Geburt des Thronfolgers Ivan IV.[495] Dies ist die größte und schönste Zeltdachkirche der Rus’.[496] Das Fundament bildet ein Viereck, auf dem der oktogonale Kirchenraum ruht, der durch dreifach gestaffelte Kokoschniki[497] mit dem achteckigen Tambour und dem spitzen Zeltdach verbunden ist. Zweigeschossige, offene Galerien mit Arkaden und Treppenaufgängen umschließen den Sockel.

Zeltdachkirchen wurden zuvor stets aus Holz gebaut. Hier versuchten die Baumeister erstmals, den überlieferten russischen Holzbaustil in Stein zu übertragen. Die Rus’ wurde ja zunächst von Varägern beherrscht. Von daher ist das Vorbild der Stabkirchen nicht fremd. Es geht um eine Verbindung von Himmel und Erde. Der mit seinem Wipfel zum Himmel reichende Baum weist hin auf den Weltenbaum, dessen Krone die Erde überdacht.[498] Der Baum spendet Leben.[499] Im Himmlischen Jerusalem steht „der Baum des Lebens, der zwölffach Früchte trägt, jeden Monat Frucht spendet, und die Blätter des Baumes dienen zur Heilung der Völker.“[500] Wer Tag und Nacht über der Tora[501] sinnt, ist wie ein Baum, an Wasserbächen gepflanzt, der seine Frucht trägt zur rechten Zeit und dessen Laub nicht verwelkt.[502] Der Geliebte ist wie ein Apfelbaum, in dessen Schatten zu sitzen „mein Begehr ist, und seine Frucht schmeckt süß meinem Gaumen.“[503]

13.7.1992. Im Park an der Allrussischen Ausstellung führt eine Frau eine Katze am Halsband, die sie allerdings mehr hinter sich herzieht als diese mitgehen will.

14.7.1992. Svetlana: Donnerstags, freitags und samstags wird bei uns geheiratet, und montags, dienstags und mittwochs wird geschieden.

19.8.2004. Das Frauenkloster Mariä Schutz und Fürbitte wurde 1635 gegründet, 1926 geschlossen und 1994 erneuert. Im Hof warten überaus viele Menschen, um am Schrein der heiligen Matrona beten zu können. Matrona Dmitrievna Nikonova wurde 1881 im Gouvernement Tula geboren. Sie war blind. 1929 kam sie nach Moskau. Vielen half sie geistlich durch Rat und Gebet. Sie musste aber auch zahlreiche Nachstellungen erdulden. Sie starb 1952. Ihre Gebeine wurden am 8.3.1998 vom Danilov-Friedhof hierher überführt. Am 2.5.1999 wurde sie zur örtlichen Verehrung heiliggesprochen. Anfang Oktober 2004 wurde sie zur allgemeinen Verehrung kanonisiert. Ihr Gedenktag ist der 19.4./2.5.

Der offizielle Moskau-Führer vom Sommer 2007 gibt auf Seite drei folgende Zahlen an: Russland hat 143 Millionen Einwohner, davon 82 % Russen, 4 % Tataren und 3 % Ukrainer. 55 % sind orthodoxe Christen, 15 % Moslems, 8 % Protestanten, 3 % Juden, 1 % Buddhisten und 1 % Katholiken.

30.6.2007. Heute morgen mokiert sich eine Deutsche: „Kartoffelpüree zum Frühstück!“ Angesichts der hohen Preise in Moskau kann man aber nur froh sein, dass man eine warme Mahlzeit am Tag bekommt, die im Preis inbegriffen ist.

Wenn ein Hund bellt und gleichzeitig mit dem Schweif wedelt, erfüllt er seine Wachpflicht und nimmt doch Kontakt auf, den er eigentlich sucht.

1.7.2007. Zar Ivan IV. führt 25 Jahre lang mit der englischen Königin Elisabeth I. einen Briefwechsel. Im Jahre 1553 trifft Kapitän Richard Chancellor mit ihm zusammen; 1555 wird in London die Moskauer Company gegründet und 1556 der Englische Handelshof an der Barbarastraße in der Nähe des Kreml’s in Moskau. Durch diese Handelsgesellschaft wird der Seehandel mit dem Westen aufgebaut. Die russische Armee erhält englische Waffen und die englischen Schiffe werden mit russischem Takelwerk ausgestattet. 1649 enteignet Zar Aleksej Michajlovič die englische Handelsgesellschaft. Hundert Jahre lang hatte sie Handel mit dem russischen Norden, Osten und der Volga entlang nach Süden getrieben. In Moskau ist den Engländern nun der Handel verboten, aber in Archangel’sk weiter erlaubt. Russische Zölle müssen jetzt bezahlt werden. Der Englische Handelshof in Moskau wurde dreißig Jahre lang nach alten Plänen restauriert.

Jur’ev Pol’skij

17.7.2001. Der Ort heißt Georgsstadt in den Feldern zur Unterscheidung vom älteren Jur’ev am Dnepr’. Die erste Georgskirche wurde 1152 errichtet. 1230-1234 wurde sie neu erbaut. Die pflanzliche Ornamentik in Stein stellt den paradiesischen Weinberg und den Baum des Lebens dar. Man sieht Löwen mit gutmütigen Katzengesichtern, einen Zentaur[504] mit Pelzmütze und im Kaftan, Paradiesvögel mit Mädchengesichtern,[505] jugendliche und gar nicht blutrünstige Krieger, freundliche und nicht strenge Engel: Dies ist eine märchenhafte Welt ohne Grausamkeit.

Vladimir

12.10.1988. Entschlafenskathedrale.[506] Altes kirchliches Zentrum Russlands. Vater Anatolij erklärt das Fresko Rublëvs, das Jüngste Gericht: Engel rollen den Himmel ein wie eine Buchrolle.[507] Die Gottesgebärerin und Johannes der Evangelist bitten inständig für die zu Richtenden. Die Szene ist aber nicht düster und hoffnungslos dargestellt.[508] Hier wird vielmehr auf die Hilfe Gottes verwiesen, der voller Geduld und Liebe jedem Menschen mit großer Zuneigung begegnet. Hier steht die Barmherzigkeit, nicht die Gerechtigkeit im Mittelpunkt.

Löwe,[509] Bär,[510] Einhorn,[511] geflügeltes Pferd[512] sowie Pfau[513] sind Symboltiere. Sie weisen auf Endzeit, Sündenvergebung und Erlösung hin.

Die Seligen ruhen in Abrahams Schoß.[514] Die Heiligen haben verklärte Gesichter.

Dieses Fresko befindet sich im Zentrum der Kathedrale, damit alle Gläubigen daran erinnert werden sollen, was sie erwartet. Die Flamme vor der Ikone soll brennen. Ebenso möge in der Seele ein lebendiges Feuer sein.

Kidekscha

16.7.1992. Kathedrale der heiligen Boris und Gleb.[515] Im Inneren sieht man ein Fresko dieser beiden Fürsten, die 1015 ermordet wurden. Sie reiten zu Pferde. Ihre Verehrung wurde also mit der Idee des christlichen Herrschers verbunden.

Am Fluss Nerl’ wird Wäsche gewaschen. Abends treiben Mädchen und Jungen Kühe und Schafe mit Gerten nach Hause. Einer alten Dame folgt eine Ziege, die Stalinsche Kuh.[516]

Suzdal’

18.7.1992. Im Postamt schreibt doch wirklich und wahrhaftig eine Frau einen Brief mit einer Feder, die sie immer wieder ins Tintenfass taucht.

Plës

27.8.1991. Ein bedeutendes Werk von Isaak Il’ič Levitan[517] ist: Zur ewigen Ruhe (1894). Seine Landschaftsbilder zeugen von einer großen inneren Sammlung. Sie lassen auch den Betrachtenden still werden.

Ščelykovo

26.8.1991. Aleksandr Nikolaevič Ostrovskij[518] wurde der Schöpfer des modernen russischen Dramas. Eines seiner besten Schauspiele ist: Gewitter (1859). Es stellt den zur Erfolglosigkeit verurteilten Aufruhr der jungen Generation dar. Ein Drama war es auch, an diesen entlegenen Ort in der Nähe von Kostroma zu gelangen. Der Bus war ohne Passagiere und Gepäck vierzehn Tonnen schwer, musste aber über eine Holzbrücke fahren, die für maximal zehn Tonnen zugelassen war.

Jasnaja Poljana

5.10.1988. Hier entstanden Tolstojs Hauptwerke Krieg und Frieden sowie Anna Karenina.[519] Der Schriftsteller gründete eine Schule für die hiesigen Bauernkinder und schrieb eine Lesefibel für sie. Seine Familie wollte ihn wegen nichtstandesgemäßen Verhaltens für geisteskrank erklären lassen. In einem Kloster in Suzdal’ war bereits ein Zimmer für ihn reserviert. Sein Grab ist an einem Waldweg im Park, ein schlichter Erdhügel ohne Beschriftung und Symbole. An dieser Stelle hatte Tolstoj als Kind nach dem grünen Stab gesucht, nach dem Geheimnis der allumfassenden Liebe und des Glücks. Er trat in seinen Schriften denn auch für undogmatische Nächstenliebe ein und nahm gegen den Krieg Stellung.

Optina Pustyn’

30.7.1997. Die größte Kirche, zur Ehre der Kazaner Gottesmutterikone,[520] ist bereits restauriert. Starez Makarij ist noch auf dem Friedhof bestattet. Seine Gebeine sollen in diese Kirche überführt werden. Ein stiller, abgelegener Ort.

16.8.2004. Das Kloster hat sich entwickelt. Die Bauten sind wiederhergestellt. Nun sind hier auch wieder zahlreiche Pilger. An der Klostermauer entlang geht es in den Wald. Hier ist der Skit. Leonid, Makarij, Amvrosij und viele andere hörten hier den Bedrängten zu.

Die Mönchszellen sind wieder bewohnt. In der Mitte ist die hölzerne Kirche des heiligen Johannes des Vorläufers. Platz ist auch für einen Garten und einen Teich. Hier wird das Starzentum weitergeführt.

Der Süden Russlands

Die größte Fläche dieses Gebietes wurde erst unter Katharina der Großen erobert. Die Prägung durch die russische Kultur erfolgte erst nach und nach.

Kursk

14.8.2004. Prochor Mašnin wurde 1754 in der Sergij-Straße[521] geboren.[522] Im Alter von sieben Jahren fiel er vom Kirchturm der Sergij-Kazaner-Kathedrale,[523] kam aber wunderbarerweise nicht zu Schaden. In Sarov erhielt er den Mönchsnamen Serafim.

Zadonsk

21.7.1997. In den rechten Turm der Umfasungsmauer des Skits im Walde zog sich Tichon zu Stille und Sammlung zurück, wenn ihm das Gedränge im Kloster der Geburt der Gottesgebärerin die innere Ruhe raubte. Heute ist hier das Tichon-Verklärungs­kloster.

Vyša

23.7.1997. Ernst darf die Klause besichtigen, in der Theophan lebte. Sie ist verhältnismäßig groß, einem Schriftsteller mit vielen Büchern angemessen. Die psychisch Kranken, die sich hier aufhalten, betrachten ihn neugierig. Dieser Ort liegt idyllisch am Zusammenfluss von Cna und Vyša.

Belinskij

8.8.2004. Vissarion Grigor’evič Belinskij wurde am 30.5.1811 in Sveaborg[524] geboren und zog 1816 mit seinen Eltern nach Čembar.[525] 1824 schloss er hier die Volksschule ab, die zu besichtigen ist, ebenso wie das Landhaus der Familie. 1825-1829 besuchte er das Gymnasium in Penza und studierte 1829-1832 Philologie in Moskau. Er litt viel Not. 1839 zog er nach St. Petersburg. Dort starb er am 26.5.1848 an Tuberkulose.

Er war zunächst begeisterter Schüler Hegels und wandte sich dann von ihm ab. Er führte Turgenev zum Realismus[526] und begrüßte das Frühwerk Dostoevskijs.

Borisoglebsk

10.8.2004. Die Stadt wurde 1646 gegründet. Sie liegt am linken Ufer des Flusses Vorona. Heute hat sie 70.000 Einwohner. Die Pfarrkirche der Muttergottes des Zeichens stammt aus dem 19. Jahrhundert und war auch während der Sovjetzeit geöffnet. Die ungebrochene religiöse Tradition ist spürbar. Der Geistliche stellt das Gotteshaus nicht ohne Stolz vor. Das örtliche Dramentheater scheint nicht mehr geöffnet zu sein. Das Heimatmuseum ist nicht allzu bekannt. Am Fluss Chopër war früher ein bedeutender Hafen.

Astrachan’

16.7.2005. Im Mai 1656 wurde Iosif, Archimandrit des Klosters bei der Dreieinigkeitskathedrale im Kreml’,[527] Erzbischof, 1667 Metropolit von Astrachan’. 1669 sammelten sich entwurzelte Bauern um den Donkosaken Stepan Timofeevič Razin[528] und machten einen Aufstand. Metropolit Iosif rief sie 1671 zur Buße und zur Unterwerfung unter den Zaren auf. Sie ergriffen, folterten und töteten ihn.[529] Der Schrein des heiligen Iosif wird in der Winterkirche der Entschlafenskathedrale[530] des Kreml’ verehrt.

17.7.2005. Nikolaos Theotokes wurde im Februar 1731 auf Korfu geboren. Er studierte in Padua und Bologna Naturwissenschaften. Bei seiner Mönchsweihe 1754 erhielt er den Namen Nikephoros. Er übersetzte die Homilien Isaaks von Ninive und überwachte ihren Druck 1770 in Leipzig. Da er in seiner griechischen Heimat Schwierigkeiten hatte, ging er nach Russland. Am 6.8.1779 wurde er in St. Petersburg zum Bischof geweiht und war von Ende 1786 bis zu seinem Verzicht am 16.4.1792 Erzbischof von Astrachan’und Stavropol’. Danach arbeitete er im Kloster des heiligen Daniil in Moskau.[531] Wichtig ist vor allem seine zweite Predigtsammlung.[532] Darin nimmt er ständig Bezug auf die klassische Philosophie, prangert aber auch konkrete Missstände an. Makarij von Optina gab 1848 seine Katechesen für eine Nonne heraus. Er zitiert aus seinen Werken Ausführungen über Gehorsam und den Kampf gegen die Leidenschaften. Nikephoros starb am 31.5.1800. Sein Grab im Daniilkloster ist heute nicht mehr auffindbar.

18.7.2005. Grüne Moschee. Die Holztreppe wird neu gestrichen. Wir achten die anderen, aber sie achten uns nicht. Wir sind friedlich, aber sie unterstellen uns unfriedliche Absichten. Sie zerstören, und wir müssen mühsam wieder aufbauen.[533]

Neben dieser Moschee kommt ein Kater nicht nur den Baum hoch, sondern auch wieder hinunter. Woanders muss man dafür die Feuerwehr holen.

Rostov am Don

20.7.2005. Im fünften Jahrhundert vor Christus war hier ein Zentrum der iranischen Skythen, die eine große Fertigkeit in der künstlerischen Verarbeitung von Werkstoffen hatten. 1749 wurde an diesem Ort eine russische Festung erbaut und nach dem heiligen Dimitrij von Rostov benannt.

21.7.2005. Die Kirche Mariä Schutz und Fürbitte der priesterlichen Altgläubigen wurde 1913 erbaut. In der Göttlichen Liturgie herrscht eine große Sammlung und Andacht. Das Kreuzzeichen wird mit zwei Fingern gemacht, wie vor dem Jahr Tausend überall in der Christenheit. Bei den Ektenien bekreuzigen sich die Gläubigen nicht. Sie legen beim Gebet die rechte Hand über die linke. Für die Prostrationen[534] gibt es ein quadratisches Kissen, das auf den Boden gelegt wird. Ernst bekommt sogleich ein solches zur Verfügung gestellt. Die Frauen tragen Schultertücher, die bärtigen Männer ein langes Hemd mit Gürtel. Beim „Wahrhaft würdig ist es, dich seligzupreisen, Gottesgebärerin“ versammeln sich der links aufgestellte Frauen- und der rechts stehende Männerchor in der Mitte vor der Ikonostase. Dort befinden sich Text und Neumenschrift auf einem Pult. Die Stelle, die jeweilig zu singen ist, wird mit einem Zeigestock angewiesen.

Am stillen Don.[535] Die ganze Stadt ist im Aufbruch. Überall wird renoviert, gebaut und gehandelt. Aus der Ukraine kommen Arbeiter hierhin, da höhere Löhne gezahlt werden als zuhause. Und die Opfer der Entwicklung treiben sich Tag und Nacht in den Parks am Don herum.

Pjatigorsk

22.7.1987. Michail Jur’evič Lermontov legte mit dem Werk „Ein Held unserer Zeit“ (1840) die Grundlage für den russischen psychologischen Roman.[536] Der Schriftsteller hatte den Zaren als eigentlichen Auftraggeber für das Komplott bezeichnet, das zum Tode Puschkins führte. Daraufhin wurde er hierhin verbannt. Er starb 1841 im Duell. An dieser Stelle steht sein Denkmal: Der Obelisk aus Dolomit für das dichterische Streben,[537] die Adler[538] für das früh ausgelöschte Leben,[539] die Ketten für die Unfreiheit.

Vladikavkaz

24.7.1987. In der Gemeinde des heiligen Elias[540] wird die Reisegruppe mit Brot und Salz[541] empfangen. Die Kirche ist im Wiederaufbau. Kinder tragen jeweils zwei große Bausteine, achtzigjährige Babuschkas transportieren Sand in ihren Schürzen, Männer mischen Sand, Zement sowie Wasser und mauern. Noch bei anbrechender Dunkelheit sind einige dabei, auf einem behelfsmäßigen Gerüst noch von früher erhaltene Außenmauern zu streichen: „Wir tun dies für Gott.“

Als die Gruppe die Kirche betritt, singt der Chor auf der Empore: Wahrhaft würdig ist es, dich zu preisen, Gottesgebärerin. Dies wird üblicherweise zum Empfang eines Bischofs gesungen. Die Elias-Ikone stellt dar, wie er in der Wüste von einem Raben Brot empfängt. Der Prophet ist in Russland populär, weil er mit Perun, dem Donnerer, gleichgesetzt wird. An seinem Fest[542] sind Gewitter nicht selten.

Auf dem Friedhof ist das Grab der Starzin Anastasija.[543] Sie war mit einem reichen Kaufmann verheiratet. Nach dessen Tod ging sie in das Kloster, das sich hier früher befand.[544] Sie ist die Beschützerin der Stadt. Studenten kommen vor Examina hierher, Familien rufen sie in Problemen an, Kranke bitten um Heilung. Auf ihrem Grab sind Blumen, Kerzen und Kekse.

Der Osten Russlands

Wenn man den Lauf der geschichtlichen Entwicklung verfolgt, lässt sich beobachten, wie sich Russland Stück für Stück weiter nach Osten vorschiebt. Die Unterwerfung Sibiriens erfolgt ähnlich wie die gleichzeitige Unterwerfung Nordamerikas: Auf der einen Seite Gewehre und Kanonen, auf der anderen Seite Pfeile und Speere.

Murom

11.7.2005. Im Jahre 862 zum ersten Mal erwähnt. Die Benennung geht auf das uralische[545] Volk der Muroma zurück. Fürst Gleb herrschte von 1010 bis zu seiner Ermordung im Jahre 1015 in diesem Ort. Vom Erlöser-Verklärungskloster wurde 1096 erstmals schriftlich berichtet. Es ist das älteste Kloster Russlands. Es ist idyllisch an der Oka gelegen, hat eine Torkirche, Sommer- und Winterkirche sowie vier Kapellen.

Il’ja Muromec lag seit dreißig Jahren gelähmt auf dem häuslichen Ofen. Eines Tages kamen zwei Pilger und baten ihn um ein Glas Wasser. Er aber rief: „Ach, liebe Leute, wie soll ich gehen, da meine Glieder gelähmt sind und meine Füße mich nicht tragen?“ Die Pilger aber erwiderten ihm leise: „Vertrau auf deine Kraft!“ Da richtete Il’ja sich auf, fühlte, dass Arme und Beine seinem Willen gehorchten und seine Füße ihn trugen. Er nahm den hölzernen Krug, den die Pilger ihm reichten, ging zur nahen Oka und füllte ihn mit Wasser. Er folgte der Weisung und trank dieses Wasser aus. Da erhielt er gewaltige Kräfte, sodass er sogar Bäume ausreißen konnte.[546]

Die Bauerntochter Fevronija heilte die schwere Krankheit des Fürsten Pëtr von Murom. Er hielt sein Eheversprechen aber nicht, wurde wieder krank, erneut von ihr geheilt und heiratete sie schließlich. Die Adligen konnten aber keine unstandesgemäße Person in ihren Reihen anerkennen. So stellten sie Pëtr vor die Wahl, entweder Fevronija oder das Fürstentum zu verlassen. Beide zogen in die Fremde, wurden aber schon bald zurückgerufen, da in Murom Wirren ausgebrochen waren. Sie starben 1228. Sie gelten als Beschützer der Eheleute. Ihr Gedenktag ist nach dem Alten Stil am 25. Juni. Eine Ikone schildert, wie der Schrein des heiligen Pëtr in ein Männerkloster, derjenige der heiligen Fevronija aber in ein Frauenkloster verbracht wurde. Doch die beiden Schreine fanden immer wieder zusammen. Heute werden beide Heilige im Dreieinigkeits-Frauenkloster verehrt.[547]

Diveevo

24.7.1997. Eine unbeschreibliche Landstraße von Melenki über Murom, Navašino, Kulebaki und Ardatov nach Diveevo. Tiefe Schlaglöcher, viele hintereinander. Immer wieder Sandpiste. Wie mag das hier sein, wenn es regnet?

Wo Russland beginnt, enden die Straßen.

In Russland gibt es keine Straßen, nur Richtungen.

Ein Lastwagen folgt. Der Weg endet vor einem Fabriktor. Ernst fragt den Fahrer, ob er den Weg wüsste. Dieser sagt: Ich dachte, Sie kennen den Weg!

Im Frauenkloster, das der heilige Serafim von Sarov im November 1825 auf Weisung der Gottesmutter gründete, sind unglaublich viele Pilger. Dieser entlegene Ort ist das geistliche Zentrum Russlands. Serafim wirkte weniger durch seine Ratschläge als vielmehr durch das unablässige Jesusgebet. 1903 wurde er kanonisiert.

Nižnij Novgorod

26./27.7.1997. Seit 1257 wurde im Chanat Kazan’ ein Jahrmarkt abgehalten, seit 1641 beim Makar’ev-Kloster,[548] seit 1822 in Nižnij Novgorod.[549] Hier gab es alles zu kaufen, von Lebensmitteln, Metallwaren und Maschinen neuester Erfindung bis zum raffinierten Luxusgegenstand. Im Zweiten Weltkrieg wurden in dieser Stadt T-34-Panzer und Katjuscha-Geschosswerfer[550] angefertigt. Berühmt waren die Volga-Limousinen.

Nachtwache und Göttliche Liturgie in der Sommerkirche der Muttergottes des Zeichens[551] mit engagiert singendem Chor. Die Winterkirche ist den Myronträgerinnen geweiht.

Kazan’

25.7.1997. Kathedrale der heiligen Apostel Peter und Paul.[552] Die Fassade ist reich dekoriert mit Blumen und Früchten in blauer und grüner Farbe. Die Benennung dafür ist Naryschkin-Barock.[553] Er liebt die Bewegung, die Anregung der Phantasie und komplizierte architektonische Hintergründe. Er strebt nach Eleganz und Heiterkeit.

In der Winterkirche im Erdgeschoss wird die Taufe gespendet. In der Sommerkirche verehrt der Pilger die Kazan’er Gottesmutterikone. Hier ist Jesus dem Betrachter ganz zugewandt. Eine prächtige Ikonostase mit sieben Rängen.

„Tataren“ nannten die Ostslaven die Eroberer. Damit machten sie deutlich, dass es sich hier um Turkvölker handelte, im Gegensatz zu den Mongolen.[554] Das Reich der Goldenen Horde[555] zerfiel später in die Chanate Krim, Astrachan’ und Kazan’.

In manchen historischen Museen stehen „Bulbul[556] genannte menschengestaltige Steinskulpturen. Sie entstammen der Kultur der Turkvölker des 6.-8. Jahrhunderts.[557]

Kirov

26.6.2006. Im Jahre 1374 wurde die Stadt unter dem Namen Chlynov erwähnt. Dann wurde sie nach dem Fluss Vjatka benannt, an dem sie liegt, und schließlich als Kirov bezeichnet.

Im Dorfe Dymkovo, auf der anderen Seite der Vjatka, werden die bunten Tonfiguren hergestellt, die Menschen, Tiere und Gegen­stände darstellen.

Das Heimatmuseum[558] wird von mehreren sich schlagenden Schulklassen besucht. Einige Schülerinnen tragen recht große Puppen mit sich herum. Die Führerin erklärt in einer Bauernstube: Man schlief auf Bänken, Truhen und auf dem Zwischenboden.[559] Die Wärme steigt ja nach oben. Die Kinder streicheln währenddessen verstohlen die ausgestopften Enten.

Ein Junge sagt zu seinem Vater: Hast du Geld? Der Vater: Ich habe eingekauft und also kein Geld mehr. Der Sohn: Aber zuhause hast du doch Geld? Der Vater: Zuhause habe ich Tee.

Die Brachen der Stadt unterstehen der Herrschaft der Katzen.

Ekaterinburg

17.7.1999. An der Stelle, an welcher man das Leben der Zarenfamilie[560] am heutigen Tage im Jahre 1918 beendete, wurde eine Panichida gefeiert. Es war ihnen damals gesagt worden, sie sollten photographiert werden. So legten sie sich ihren Schmuck sowie die Orden an und begaben sich in den Keller dieses Hauses.[561] Ihre Erschießung riss enorme Löcher in die Wand. Großfürstin Elisaveta[562] wurde in einen alten Schacht geworfen, der sich neben diesem Haus befand.

Ongudaj

14.7.1999. Von Gorno-Altajsk aus geht es am Fluss Katun’ entlang über den Seminskij-Pass. Nun ist es nicht mehr weit bis Verchnij Ujmon. Dort, in der Nähe des heiligen Berges Belucha[563] lebte und arbeitete Nikolaj Rerich[564] im Jahre 1926.

In seinen Bildern beschreibt er die Welt der Schamanen,[565] der beseelten Berge und Seen, der geistigen Mächte, der phantastischen Krieger, der Erkundigungen in das Innere, der Stille, des Unheils und der Rettung, der Wolken und des Himmels, der Heiligen, des Feuers, Windes, der Erde und Luft. Er lebte 1936 bis zu seinem Tode 1947 in Nagar.[566]

Wenn ein Raum ausschließlich mit seinen Bildern ausgestattet ist, wird eine besondere Atmosphäre spürbar.

Omsk

Ein Mensch erfährt eine Berufung. Er wehrt sich gegen sie und wird krank. Sein Leben kommt in Gefahr. Schweren Herzens entschließt er sich, der Berufung zu folgen. Damit verlässt er das alltägliche Leben. Er hört auf die Schutzgeister seiner Vorgänger, wenn er Anweisungen gibt, wie seine Handtrommel hergestellt werden soll. Sonne, Mond, Sterne, Regenbogen und Vögel stellen den Himmel dar, die irdische Welt wird durch Landtiere und Menschen angedeutet, die unterirdische durch Fische und Wasserungeheuer. Mithilfe seiner eigenen Schutzgeister belebt er sie.

Um eine Krankheit zu behandeln, wird zunächst ein Tieropfer dargebracht. Dann vollzieht der Schamane in der Jurte des Erkrankten die Besprechung. Er rührt konzentriert, ausdauernd und monoton seine Handtrommel, schwimmt in Trance als Fisch durch die Gewässer des Totenreiches, kämpft auf der Erde als Rentier[567] und fliegt als Vogel zu den höchsten Wesen.[568] Der Kampf auf der Erde zeigt, wie schwierig es ist, die Grenzen zwischen den Welten zu überschreiten. Die neue Persönlichkeit, die dem Schamanen nach seiner Berufung gegeben wurde, soll sich bewähren; seine Umgestaltung setzt sich fort.

Bei den Geistern der Verstorbenen und bei den Gottheiten des Himmels erkundet er die tiefere Ursache der Krankheit und die Art und Weise ihrer Heilung. Eine Krankheit ist ja eine Störung der kosmischen Ordnung. Ein Psychologe erkundet die persönlichen, individuellen Ursachen einer Krankheit, ein Schamane die sozialen und kosmischen. Schamanen werden gefürchtet, weil sie mit höheren Mächten in Verbindung stehen, zugleich aber auch verehrt, weil sie eine ganzheitliche Heilungsmethode entwickelt haben. Stirbt ein Schamane, wendet man sich an ihn mit Bitten.[569]

Omsk[570] wird 1716 von Johannes Buchholz gegründet, als Festung beim Zusammenfluss von Om’ und Irtyš. Im Wappen wird eine Festungsmauer mit spitzwinkligen Vorsprüngen dargestellt, da diese Festung wichtig im Kampf gegen die Kirgisen war.

Tomsk hatte früher mehr Einwohner als Omsk. Mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn wird Omsk bedeutender. Am 25.8. 1894 kommt hier der erste Zug an. Heute hat Omsk 1,3 Millionen Einwohner.

Der Maler Michail Aleksandrovič Vrubel’ wird am 17.3.1856 in Omsk geboren. Ihm ist das Kunstmuseum gewidmet. M.P.Botkin (1839-1914), Aus der Ferne auf Golgatha blickend, 1867. Formen der Klage und der Verzweiflung. Flehend emporgereckte Hände. Eine Frau ist niedergesunken, eine andere legt ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Eine ringt die Hände, eine andere faltet die Hände im Gebet. Eine lässt den Kopf auf die Schulter einer anderen sinken. Eine hält die Hände geöffnet nach oben. Auf der anderen Seite die Jünger, die sich ratlos fragen, wie es weitergehen soll.

Die Hauptwache der Omsker Festung wird 1781-1784 erbaut. Das Kommandantenhaus von 1799 ist Dostoevskij-Museum. Aus der Biblischen Geschichte[571] lernt der spätere Schriftsteller in seiner Kindheit lesen. In der Verbannung in Omsk lernt er viele Charaktertypen kennen, die unerlässlich für seine großen Romane sind.

In der Nacht vom 8. auf den 9. September 1905 weiht Johannes von Kronstadt bei Fackellicht den Platz,[572] an dem die Kirche des Leben spendenden Kreuzes bei Ačair[573] erbaut wird. Daraus wird 1907 das Gottesgebärerin-Erzengel-Michael-Frauen­kloster. Von 1937 bis 1953 ist hier der GULAG 8,[574] ein Verbannungsort für politische Häftlinge. 200.000 Menschen sterben, und zwar nicht durch Hinrichtungen, sondern wegen der leichten Kleidung, der kaum geheizten Baracken, durch die der Wind pfeift bei einem Frost von minus vierzig Grad, durch harte Arbeit und schlechte Ernährung. Ab 1991 beginnt der Wiederaufbau des Klosters. Es wird Sibirisches Golgotha genannt.

Novosibirsk

16.7.1999. Der Geisteswissenschaftler Andrej sagt: „Es ist ja bekannt, dass alle Religionen aus Mythen entstanden sind.“ Währenddessen liegt die alternde Katze Vita unter dem Tisch, die Augen halb geschlossen, die rechte Tatze schlagbereit neben ihrem Kopf.

Akademgorodok

11.7.1999. Der Anthropologe Thompsen[575] behandelte die Maya-Hieroglyphen nicht so sehr nach linguistischen, als vielmehr nach ideo­graphischen Prinzipien. Im Akademiestädtchen gab der Philologe Knorozov[576] sämtliche Zeichen in seinen Rechner ein und stellte anhand der Gesamtzahl[577] fest, dass es sich um syllabische und logographische Schriftzeichen handeln könne. Dazu zog er die Umschrift eines Franziskaners[578] aus dem 16. Jahrhundert hinzu,[579] die bisher noch nicht genügend gewürdigt worden war.[580] In der Folgezeit wurde die Entzifferung vorangetrieben.[581]

Die meisten Menschen freuen sich über ein Bad im Fluss Ob’, der auf seinem Wege vom Altajgebirge bis zur Arktischen See 4.000 km zurücklegt. Für die Forschung ist nicht mehr soviel Geld vorhanden. Viele Wissenschaftler sind ins Ausland abgewandert. Allerdings nennt man den Ort heute „Silicon Tajga“. Dies weist darauf hin, dass hier führende Programmierungen erstellt werden.

Tomsk

Ein grandioses Naturschauspiel: Von Norden her die Mitternachtssonne, dann von Osten her die Morgendämmerung, später zieht ein Gewitter auf, das den schwarz gewordenen Himmel mit zuckenden Blitzen erleuchtet, dann flammt am Horizont die Morgenröte auf.[582]

Über die Stadt Tomsk braust ein gewaltiger Sturm hinweg. Manche Bäume werden umgeknickt. Eine Straße ist unterspült; ein Lastwagen fährt über diese Stelle und bricht in ein gewaltiges Loch ein. Eine Woche lang müssen sich Arbeiter bemühen, die Straßen von abgebrochenen Stämmen, von Ästen und Blättern, von Sand und Lehm zu säubern.

Der Berg Kulajka ist eine heilige Stätte. Nach ihm wird die Zeitepoche um 600 vor Christus benannt. Im Gebiet Tomsk gibt es 110 Denkmäler. Zu sehen sind zum Beispiel stilisierte Schamanen-Bäume als Symbol der Himmelsreise. Kultmasken stellen die Geister der Vorfahren dar. Vögel vermitteln zwischen den Welten. Vor allem die Adler gehen eine direkte Verbindung mit dem Schamanen ein. Eine Baba aus Stein, 6.-9. Jahrhundert nach Christus, Semirečinskaja oblast’, Zentralasien: aufmerksame, intensive Augen, lange, breite Nase, kleiner Mund,[583] in den Händen eine Schale. Die Steine sind Wind und Wetter ausgesetzt. Sie haben Ausstrahlung in den Himmel und bezeichnen Orte, an denen Hochzeiten vollzogen und Tote begraben werden.

Tomsk[584] liegt 3.500 km von Moskau entfernt. Festung und Handelsstadt werden 1604 gegründet. Der Handel mit chinesischem Tee läuft über Tomsk. Das Wappen stellt einen Schimmel dar. Dies erinnert an die Pferdezucht der Tataren. Am Steilufer der Tom’ wehren die Russen zahlreiche Angriffe der Enisejer Kirgisen ab.

1605 wird das Gottesgebärerin-Aleksij-Kloster gegründet. Es bringt die schriftliche Kultur hierhin. 1746 wird hier eine geistliche Lehranstalt eröffnet, die erste Schule in dieser Region. 1836 taucht Fëdor Koz’min auf. Weil er keinen Pass hat, wird er nach Sibirien verbannt. In den letzten sechs Jahren seines Lebens lebt er in Tomsk. Er gibt Menschen geistlichen Rat, wobei er fast ausschließlich zuhört, in seiner winzigen Stube auf und ab gehend, den Daumen der rechten Hand hinter den Gürtel geklemmt. Es soll sich bei ihm um den abgedankten Zaren Aleksandr I. handeln. Das Kloster wird 1992 erneuert, Fëdor wird als Heiliger verehrt.

Im Kloster ist alles still, jeder arbeitet, teils in der Kirche, teils im Haus oder im Garten. Im Geistlichen Seminar dagegen laufen die schwarzgewandeten Studenten unruhig hin und her, unterhalten sich, stehen an der Straße und schauen, was abläuft. In den Kirchen ist eine unterschiedliche Atmosphäre. In den einen Stille, Demut, Gehorsam, Gebetsgeist, Kontemplation, in den anderen Neugierde, Streitsucht, die Neigung, sich aufzuspielen und eine Szene zu machen.

1740 führt der Moskauer Trakt über Irkutsk nach Tomsk. Hier ziehen die Gefangenen entlang, in eiserne Fesseln geschmiedet, die ihnen nur soviel Raum lassen, dass sie trippeln können. Tausende, hunderttausende Verbannte.

1804 wird das Gouvernement Tomsk begründet. 1888 kann man nur in St. Petersburg, Moskau und Tomsk Medizin studieren. Heute hat die Stadt 600.000 Einwohner. Ihr Nachteil ist, dass die Transsibirische Eisenbahn weiter südlich verläuft. Man musste Sümpfe überwinden, um dann auch hierhin den Eisenbahnanschluss zu legen. Manche Tomiči sind aber nicht undankbar, dass es in der Stadt ruhiger zugeht als in Novosibirsk.

1993 gibt es eine Explosion im Atomkraftwerk Tomsk 7. Durch den Umstand, dass es an diesem Tag schneit, werden die Folgen gemildert. 1994 ist hier eine Tuberkulose-Epidemie.

In der Innenstadt gibt es noch viele Holzhäuser. Sie haben verspielte Türmchen, Kuppel, Erker, Simse, Balkone und Vordächer.

Im Kunstmuseum. David Teniers der Jüngere (1610-1690), Opfer Abrahams, 1666. Auf dem Altar liegt der geopferte Widder, seitlich der Behälter mit dem Feuer, daneben das Messer. Vor dem Altar kniet Isaak, mit unbeschreiblichem Gesichtsausdruck,[585] die Hände gefaltet, gehalten von Abraham, der etwas verwirrt ist. Im Hintergrund die Knechte und der Esel.

Isaack Jansz van Ostade (1621-1649), Festmahl, 1640. In einer Tenne ein Tisch mit Speisen, spielende Kinder, ein Bauernpaar, das mit aufstampfenden Füßen zur Musik einer Flöte tanzt, eine ältere Frau, die laut einen Brief liest, mehrere andere hören zu, ein Paar tanzt eng umschlungen im Hintergrund, drei diskutieren beim Bier, jemand prostet den im Vordergrund Tanzenden zu. Ein solches Fest dient dem Atemholen von der anstrengenden Arbeit.

Porträt eines unbekannten Künstlers von Metropolit Filaret (Droszdov), 1830: dunkle Augen, ein Mund, der zugleich lächelt und traurig ist, sehr lange Finger.

Die weiße und die Rote Moschee sind restauriert worden. In der Zeitschrift Istina vom Mai 2007 wird über Moscheenbau in Russland berichtet, über Sonntagsschulen, Tagungen über die Goldene Mitte des Islams, über Angriffe auf Moslems und die Friedensliebe Derselben. Es wird das Wort Islamophobie gebraucht. Die Mutter von Aleksandr Nevskij war eine turksprachige Polovcerin. In einer Tabelle sind die Uhrzeiten für die fünf Gebetsrufe[586] angegeben, zum Beispiel für die Stadt Ekaterinburg am 22.6.2007: 3.34, 5.04, 14.09, 19.51, 22.56 Uhr.

Sind Buchhandlungen ein Abbild oder ein Spiegel der Gesellschaft? In den meisten werden neben Schulbüchern und Unterhaltungslektüre Werke zur Wirtschaft, Jurisprudenz, zum Handel und zur englischen Sprache verkauft. Religion kommt meist unter dem Etikett Esoterik daher: Methoden, Glück und Gesundheit, Erfolg und Reichtum zu finden, Wahrsagerei, populär dargestellter Hinduismus und Buddhismus. Dass alles Hohe Entbehrung verlangt, wird nicht gesagt. Es gilt lediglich, für die Kurse zu zahlen sowie sich bedingungslos dem Meister oder dem Heiler zu unterwerfen.

Nikita-Sergeevič-Salat: geröstete Brotwürfel, Schinkenstückchen, Möhren, Mais, saure Sahne.[587] Es lohnt sich, im Tante-Emma-Laden Nahrungsmittel zu kaufen. Man kann sich eine vollständige warme Mahlzeit für dreißig Rubel zusammenstellen. Im Speisesaal[588] kostet das Gleiche siebzig Rubel, im Kaffeehaus hundertundfünfzig und im Restaurant vierhundert Rubel. Ein Viertel der Bevölkerung Russlands lebt unterhalb des Existenzminimums.

Krasnojarsk

„Die Gasthäuser sind fast alle recht mäßig, dabei teuer. Im allgemeinen ist das Reisen in Sibirien kostspieliger als im europäischen Rußland.“[589]

7.7.1999. Ivan Kupala. Als gelinde gelten konnte das Bespritzen mit einer Wasserflasche, durch deren Deckel ein Loch gebohrt worden war. Deutlich schlechter standen diejenigen, welche an einem Brunnen vorübergehen mussten: Sie wurden aus Eimern vollständig gebadet. Das köstliche Nass spritzte auch aus offenen Fenstern von Bussen oder gar von Balkonen herab. Johannes der Täufer![590]

Der Morgen ist klüger als der Abend. Morgen sieht man’s.[591]

Irkutsk

2.7.1999. Adlige versuchten nach dem Tod Zar Alexanders I. und vor der Vereidigung auf Nikolaus I. Truppen auf ihre Seite zu ziehen, um in Russland demokratische Reformen nach amerikanischem Vorbild durchzusetzen.[592] Loyale Einheiten machten dem aber rasch ein Ende. Fünf Aufrührer[593] wurden gehängt, hundert­einundzwanzig zur Zwangsarbeit nach Sibirien verbannt.

Fürstin Marija Volkonskaja[594] meinte, die Verbannung endete nach fünf Jahren.[595] Dann wartete sie auf eine Begnadigung nach zehn Jahren. Als sie fünfundzwanzig Jahre in Sibirien verbracht hatte, hoffte sie nur noch, dass ihre Kinder zurückkehren durften. Da es ihr verboten war, ein Theater zu besuchen, organisierte sie literarische Zirkel bei sich zu Hause. In Irkutsk wurden Gogol’s „Revisor“ und Griboedovs „Verstand schafft Leiden“ aufgeführt.

Einen Eindruck von diesem gesellschaftlichen und kulturellen Leben vermittelte ein junger Pianist, der im Salon des Volkonskij-Hauses russische Klaviermusik aufführte. Der hölzerne Fußboden gab eine gute Resonanz.

Isvolginsk

30.6.1999. Dieses buddhistische Kloster wurde 1949 errichtet. Der Pilger hat zahlreiche Gebetsmühlen in Bewegung zu versetzen, und zwar jeweils dreimal, siebenmal, einundzwanzigmal oder hundert­undachtmal. Die Mönche erhalten in der fünfjährigen Ausbildung vor allem eine Anleitung, die tibetanischen, altmongolischen und Sanskrit-Texte zu lesen. Im Haupttempel, der 1971/1972 errichtet wurde, wird vor allem der Heilende Buddha verehrt.[596] In seiner linken Hand trägt er die Arzneifrucht,[597] und die rechte macht die Geste der Schutzgewährung.[598]

Chabarovsk

25.6.1999. Erofej Chabarov erkundete im 17. Jahrhundert das Amur-Gebiet. Am 31.5.1858 wurde die Festung Chabarovka gegründet. 1880 erhielt der Ort Stadtrechte. 1897 war das erste Teilstück der Transsibirischen Eisenbahn fertiggestellt. Es verband Vladivostok und Chabarovsk. Heute gibt es hier 582.100 Einwohner. Die Stadt ist von der Nähe zu China geprägt. Überall gibt es chinesische Händler und Imbissstände.

Im Museum der fernöstlichen Kunst beschreiben die Čul’čen auf Hauern von Seelöwen ihre Welt: Fischfang, Kochen und Kinderspiele. Auch ist eine Szene dargestellt, in der Seelöwen Menschen fangen. Verkehrte Welt! Ist dies ein Albtraum oder Zeichen von Humor?

Auffällig ist die offensichtlich vergnügte Stimmung der Bewohner dieser Stadt. Dies ist vor allem auf dem zentralen Platz spürbar. Der kurze Sommer wird wie ein einziges großes Fest gefeiert.

17.6.2008. Die Verklärungskathedrale hat eine Unter- und Oberkirche. Neben ihr ist das Geistliche Seminar. Die Stadt vibriert förmlich vor Geschäftsgeist. Es ist fast vierzig Grad warm.

Vladivostok

23.6.2008. 1860 gegründet, 1880 Stadtrechte. Heute 580.000 Einwohner. 1903 war die transsibische Eisenbahn Moskau-Vladivostok fertiggestellt: 9.288 km. Italiener haben den Bahnhof restauriert. Es gibt Majolika-Kacheln mit dem heiligen Georg. Von hier aus kann man über Ussurijsk, Chabarovsk und Komsomol’sk am Amur nach Sovetskaja Gavan’ fahren oder über Chabarovsk und Belogorsk nach Blagoveščensk oder über Belogorsk, Čita, Irkutsk, Krasnojarsk, Novosibirsk, Omsk und Ekaterinburg nach Moskau oder über Čeljabinsk, Samara und Penza nach Char’kov. Die Stadt war 1958 bis 1991 geschlossen. Auch Russen durften sie nur mit einer Sondergenehmigung betreten.

Auf die Insel Russkij, dem Waffenarsenal der Pazifischen Flotte, kommt man entweder mit einer Touristenorganisation für dreitausend Rubel oder bei eigener Planung für 25 Rubel (für die Fähre). Auf der Insel gibt es doch wirklich und wahrhaftig grüne und braune Frösche, die munter in Tümpeln quaken!

Das Serafimkloster ist weiter entwickelt als das Pokrovkloster in Korsákov auf Sachalin. Während dort schlicht eine Lagerhalle umgestaltet wurde, gibt es hier eine schmucke Kirche und einen solide gebauten Zellenkorpus.

Magadan

2.7.2009. In der Region Kolyma befand sich das SEVVOSTLAG:[599] Severo-vostočnyj ispravitel’nyj lager’ – das nordöstliche Besserungslager. Es bestand von 1932 bis 1956. Hierhin kamen Rechtstrotzkisten, Ausländer, Wissenschaftler, Erfinder, Ärzte, Ingenieure, Schauspieler, Künstler, Schriftsteller, Dichter, Journalisten, Angehörige der Partei und der sowjetischen Organe. Sie schürften nach Gold, bauten Straßen und legten Siedlungen an. Hier ist es neun Monate Winter und drei Monate Herbst. Regen und Wind, Frost und Schnee, schlechte Ernährung, Kleidung und Unterkunft sowie überaus harte Arbeit machten das Besserungslager zum Vernichtungslager.

 

Kathedrale in Magadan

 

Heute wird die Stadt von der neu erbauten Dreeinigkeitskathedrale gleichsam überstrahlt. Sie ist von allen Seiten zu sehen. Sie thront da wie aus dem Himmel hinabgestiegen.

Južno-Sachalinsk

Bis Moskau sind es 10.417 Kilometer. 1851 wird der erste Militärposten auf Sachalin in Kusunajsk eröffnet. 1859 werden die ersten Verbannten in Duė zum Fördern von Kohle eingesetzt. 1881 heißt die Stadt Južno-Sachalinsk: Vladimirovka. 1905-1945 gehört Sachalin zu Japan. Die Stadt hat heute 180.000 Einwohner. Die Hauptstraße ist herausgeputzt. Sobald man aber auf eine Nebenstraße gerät, wird das Gelände sumpfig und man sieht kleine Holzhäuser. Wegen der Erdgasfelder vor Sachalin ist eine gewisse Aufbruchsstimmung zu spüren: Die Eisenbahn ist wieder hergerichtet, Straßen werden gebaut und Fassaden angestrichen.

Der Baha’i-Tempel ist kreisrund.[600] Im Erdgeschoss sind Bogen wie beim Kolosseum, darüber ein turmartiger Aufbau mit großen rechteckigen Fensteröffnungen. Weiter wurde nicht gebaut; denn nach 1997 gab es Proteste. Eine gigantische Bauruine. Am 29.6.2009 ist zu sehen, dass sie abgetragen wird. Die rechtgläubige Seele atmet auf.

Die Flora auf Sachalin weist einige Besonderheiten auf: Sambucus Sachalinensis Pojark, Malus Sachalinensis Juz., Cerasus Sachalinensis (Fr. Schmidt) Kom. et Aliss.

Der Schriftsteller Čechov schreibt 1890 bis 1894 über Sachalin, dass hier alles angekettet ist, nicht nur die Menschen und die Hunde, sondern auch die Schweine und die Hühner. Ihm fällt auf, dass es keine Vergangenheit gibt. Großeltern fehlen, Traditionen werden nicht eingehalten, es gibt kein Gefühl der Heimat.[601]

Die größte Gruppe der Ureinwohner sind die altasiatischen Giljaken, die sich selbst als Nivchen (Menschen) bezeichnen. Beim Bärenfest feiern sie den Weg des Bären in die Menschenwelt und den Weg des Menschen in die Bärenwelt. Wenn der Bär zu den Menschen kommt, ist dies die Ankunft eines Schutzgeistes, der Einbruch der oberen in die untere Welt. Wenn Menschen sich auf die Welt der Bären zubewegen, sind zunächst noch menschliche Spuren im Sand zu sehen, dann aber Bärenspuren.[602]

Južno-Kuril’sk

Die Kurilen sind ein Archipelag vulkanischer Inseln an der Grenze zwischen dem Ochotskischen Meer und dem Stillen Ozean, zwischen Hokkaido und Kamčatka. Es handelt sich um dreißig große und viele kleine Inseln. Hier gibt es 160 Vulkane, von denen vierzig aktiv sind. Am 14.7.1973 brach der Vulkan Tjatja auf Kunašir aus. Er ist 1.819 m hoch. 1953 war ein Tsunami, 1994 ein Erdbeben. Im Herbst sind Taifune häufig. Auf den Kurilen ist nicht selten entweder Nebel oder Sonne. Hier wachsen kurilischer Bambus und Lianen. Es gibt einen Kurilischen Teestrauch: Dasiphora fruticosa (L.) Ryciberg.

27.6.2009. Beim Waldpfad Stolbovskaja wachsen Fichten, Ulmen, Eichen, Hortensien, Magnolien, Bambus und Beerensträucher. Es gibt heiße Quellen, die schwefel- oder schlammhaltig sind. Sie gleichen großen Tautropfen (rosínka). Beim Kap Stolbčatyj sind sechseckige Säulen, die aneinandergereiht sind, als hätten Riesen dieses Kap gebaut. Von hier aus sieht man schneebedeckte Gipfel von Hokkaido.

Verchneparatunsk

Gegenüber Deutschland sind es elf Stunden Zeitunterschied.

23.6.1999. Eine Szene wie aus einem Märchenbuch: Drei Hunde, von denen einer wolfs-, der andere bären- und der dritte löwenähnlich ist, dazu ein grau-schwarz geflecktes Hündlein, das mit Vergnügen Ernsts Hand ableckt, die noch von der schwefelhaltigen Thermalquelle nass ist.[603]

Andererseits ist hier eine sehr kleine Katze, die sich gerne auf den Rücken legt und dann begeistert mit ihren Beinchen in der Luft umherstrampelt. Es gibt eine Perserkatze, der offensichtlich die Rolle eines Parias zugewiesen wurde. Das Muttertier ohrfeigt sie, sobald sie sich in ihre Nähe wagt.

Avačinskij

21.6.1999. Am Basislager wachsen Polarweide und niedrige Kiefern, die wasserspeichernd sind.[604] Der Geruch blühender Weiden ist wunderbar. Oberhalb der Baumgrenze gibt es nur noch winzige Erlen. Spuren von Bären, Füchsen, Hasen und Murmeltieren. Unter den Hütten leben Zieselmäuse, die ab und zu pfeifen. Wenn man ein Stück Gurke auf einen Stein legt, kommen sie vorsichtig heraus, machen Männchen, wittern, und nehmen dann das Nahrungsangebot zwischen ihre Pfoten, um daran zu knabbern. Beim geringsten Laut stieben sie weg.

Der Bergführer zeigt zur Bekräftigung, dass eine Tour nicht ohne Ortskenntnis möglich ist, Gedenksteine für Menschen, die erfroren oder sich verirrt hatten und abgestürzt sind.

Es geht über Geröll-, Schlacken- und Schneefelder. Ab und zu rutscht ein Wanderer aus und fällt hin. Das letzte Stück ist schwierig, da der Vulkankegel ziemlich glatt ist. Schließlich ist der Gipfel mit einer Höhe von 2.741 Metern geschafft. Um das Glück vollständig zu machen, hebt sich als Belohnung der Nebel und gibt die Sicht auf den gegenüberliegenden Vulkan frei.[605] Der Vulkan, auf dem sich die Wanderer befinden, brach zum letzten Mal 1991 aus. Im Krater fällt Schwefel gelb aus. Rauch liegt in der Luft. Nach dreizehn Stunden sind alle wieder wohlbehalten in der Hütte.


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[1] In Europa geht die Sonne im Sommer im Nordosten auf und im Nordwesten unter. Im Winter geht sie im Südosten auf und im Südwesten unter.

[2] Der Stern weist darauf hin, dass diese Form nicht belegt ist, sondern erschlossen wurde. Vgl. gotisch þiuda, altnordisch þjóđ, altenglisch þēod, altfriesisch thiād, altsächsisch thiod(a) und althochdeutsch diot.

[3] Vgl. Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearbeitet v. Elmar Seebold, Berlin u. New York 2002, 193f.

[4] Die Egge ist ein Gerät mit mehreren Zinken, das zur oberflächlichen Lockerung und Krümelung des Bodens sowie zur Unkrautbekämpfung dient.

[5] Der große Saatbehälter aus Metall war gebogen und passte sich der Körperform des Sämanns an. Er hängte sie sich an einem Ledergurt um die Schultern. Üblich waren auch: Säfass, Saatlaken, Sätuch oder Säsack.

[6] Althochdeutsch tangol – Hammer; mittelhochdeutsch tengen – schlagen. Die Schneide der Sense durch Hämmern mit dem Dengelhammer auf dem Dengelamboss glätten und schärfen.

[7] In der Adventszeit durften die Kinder für jedes „Opfer“, das heißt, für den Verzicht auf Süßigkeiten und „Widerworte“ (Widerspruch gegen die Stellvertreter Gottes, nämlich die Eltern), einen Strohhalm in die Krippe legen, in welche am Heiligen Abend das Jesuskind gebettet wurde.

[8] Die Milch wurde angeliefert. Ein Pferd zog einen flachen Karren, auf dem ein langgestreckter stählerner Behälter montiert war. Am Ende des Karrens legte das Milchmädchen einen Hebel um, und jeweils ein halber Liter Milch floss in die Milchkanne, die zwei Liter fasste. Am Ende der Woche wurden dann die Pfennige zusammengezählt, die für die gelieferte Milch bezahlt werden mussten. Daher kommt der Ausdruck: Milchmädchenrechnung.

[9] Der Weidling ist eine Porzellanschüssel. Hier wurde die Bedeutung auf ein großes („weites“), rundes Metallgefäß übertragen. Weitere Bedeutungen dieses Wortes sind: Eine Sorte roter Äpfel, die durch Pfropfung von Weidenstämmen gewonnen wird; Kahn aus einem Weidenstamm; essbarer Blätterschwamm, der auf der Weide wächst.

[10] Aroma spendeten: ungespritzte Zitronen- oder Apfelsinenschalen, von denen man die äußere Schicht mit der Kartoffelreibe abrieb. Später gab es: Sukkade = Zitronat, Orangeat; Zitronenaroma; Bittermandel; Safran; Butter-Vanille, an hohen Feiertagen echte Vanille.

[11] „Sollte“; denn er tat es nicht immer. Ursachen: Zu alte (inaktive) Hefe; zu große Wärme oder zu geringe Temperatur, Zug durch Wind (der Teig fiel dann in sich zusammen).

[12] Gestippt. Stippen – antippen, leicht stoßend rücken; kurz eintunken.

[13] Aus Butter und Zucker gemischt.

[14] Je zwei Latten waren X-förmig zusammengenagelt. Zwischen die oberen Gabeln wurden zwei Stangen als Auflagefläche gelegt. Sie dienten gleichzeitig der Stabilisierung.

[15] Das Sägeblatt war an einen Metallbogen angeschraubt. Mit der linken Hand hielt man den Stamm fest, mit der rechten war die Säge zu bewegen. Dabei sprang die Säge manchmal aus der Schnittstelle und verletzte die Hand. Der Vater schrie: „Sakrew peronje! Kannst du nicht aufpassen?“ Dies heilte aber die klaffende Wunde nicht. Die heute noch vorhandenen Narben an den Händen belegen, dass es eine für Kinder zu gefährliche Arbeit war. Hier war das Wort nicht beachtet worden: „Messer, Gabel, Schere, Licht / Sind für kleine Kinder nicht.“ Die Scheren waren damals nicht an den Spitzen abgerundet. Unter Licht ist eine Kerze auf einem Leuchter oder eine Petroleumlampe (Funzel) zu verstehen. „Sakrew peronje“ ist in Wirklichkeit: Psiakrew pieronie. Wörtlich übersetzt: Hundeblut des Perun. Perun ist der alt­slawische Gewittergott. Der Hund gilt als unrein, erst recht sein Blut. Dieser Ausdruck bedeutet: Verfluchtes Donnerwetter! Vgl. J.Piprek et alii, Wielki słownik polsko-niemecki, Bd. 2, Warschau 142000, 47.308. Dass in der Polemik gegen früher verehrte Gottheiten ein Vergleich mit dem Hund gezogen wird, belegt das Íslendingabók 7: „Vil ek eigi goð geyja; / grey þykki mér Freyja.“ (Ich will die Götter nicht schmähen, / [doch] eine Hündin dünkt mir Freyja.) Das Island-Buch enstand in den Jahren 1122 bis 1133.

[16] Kien (althochdeutsch: chien) – abgespaltenes Holzstück.

[17] Sudetendeutsch: Nicht wahr.

[18] Österreichisch: Quark.

[19] Doch so wollte es nun einmal das böhmische Rezept. – Häufig war zu hören: „Wenn Du in den Keller gehst, nimm etwas mit!“ Dahinter stand die Vorstellung, dass sich die allgegenwärtige Unordnung mildern würde, wenn man bei jeder Ortsveränderung Dinge an ihren richtigen Ort trüge.

[20] Dies wurde gesagt, wenn jemand eine Aufgabe zu Ende führen wollte, obwohl es schon spät war.

[21] Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, Leipzig 1893; bearbeitet v. M.Heyne, Bd. 14, München 1991, 2597: Scherzel ist im Bairischen ein Stück Brot, besonders das vom Laib zuerst abgeschnittene und das zuletzt übrig bleibende. (Bairisch-Österreichisch bezeichnet die oberdeutsche Mundart, während Bayrisch hauptsächlich die Sprache in Nieder- und Oberbayern bezeichnet.)

[22] G.E.Lessing, Nathan der Weise (1779) 1,3: „Kein Mensch muss müssen.“

[23] Vgl. Hermann Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik, überarbeitet v. P.Wiehl u. S.Grosse, Tübingen 241998, 32.

[24] Vgl. Mamas Rezepte.

[25] Früher ließ man die Hefe dreimal gehen: Zuerst in einem kleinen Gefäß mit Milch und Zucker, dann in der Schüssel mit dem gesamten Teig und schließlich nach dem Formen der Buchteln. Bei der Verwendung frischer Hefe ist dies anzuraten.

[26] Es gibt eigene Buchteln-Formen.

[27] Vgl. Genial lecker und zum Vergleich: Dr. Oetker.

[28] Aus: www.unser-euskirchen.de/labyrinth/kraeuterweihe-2003/ kornmuhme.htm (heute nicht mehr aktiv), Gedicht von Hugo Kaeker.

[29] Aus: www.berater-durchblick-greiz.de/zeitgeist, Foren-Übersicht, Sagen. (Diese Seite ist heute nicht mehr vorhanden).

[30] Zeigefinger.

[31] Mittelfinger.

[32] Ringfinger.

[33] Vgl. kinder.de und www.kindergarten-workshop.de/spiele/kniereiter/ hoppe_hoppe-reiter.htm (Diese Seite ist heute nicht mehr vorhanden).

[34] Variante: Wer das nicht kann.

[35] Vgl. Herbert Fritz.

[36] Flöck – flugs, schnell, behende, rasch. Zum Folgenden vgl. Peter Caspers, Op Kölsch. Das Wörterbuch, Köln 2006.

[37] Das T verleiht der deutschen Sprache Saff unn Kraff.

[38] Kanaljemöschtijall – Kanarienvogel + Spatz + Nachtigall.

[39] Kammerpott – Nachttopf.

[40] Die Lindlarer und Kürtener Sülz vereinen sich zur Sülz, die bei Altenrath in die Agger mündet.

[41] Loche – lagen.

[42] Jrön – Grün.

[43] Allt – schon, bereits; vgl. niederländisch al.

[44] Verjöcke – verärgern, wegekeln (wörtlich: verjucken).

[45] Haschemich – ich werde verrückt!

[46] Höppekrad – Hüpfkröte: Frosch.

[47] Plaat – Pläte: Glatze.

[48] Enkeur – au cœur, inmitten.

[49] Bleck – Blick; nackt.

[50] Nies – Agnes.

[51] Jöck – Juckreiz.

[52] Bretzel – Gesäß, vgl. Bürzel.

[53] Schäng – Johannes, vgl. französisch Jean.

[54] Konduleeren – kondolieren.

[55] Zupp – Suppe, vgl. italienisch zuppa.

[56] Kies – Käse.

[57] Karl Berbuer wird am 26.7.1900 in Köln geboren. Im bürgerlichen Beruf ist er Bäcker, künstlerisch Komponist und Sänger. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Heidewitzka, Herr Kapitän“ (1936) und der Trizonesien-Song (1948): „Mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei; ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei.“ Er stirbt am 17.11.1977 in Köln und wird auf dem Südfriedhof begraben. Im Severinsviertel ist ein Platz nach ihm benannt. Der dort 1987 errichtete Brunnen stellt ein Narrenschiff dar. Vgl. Wikipedia; http://www.blaeckfoeoess.de/ forum/messages/943.html (Diese Nachricht ist dort heute nicht mehr vorhanden).

[58] Als Ursprung wird das germanische Wort *molfell – weiches Fell vermutet. (Der Stern bedeutet, dass dieses Wort erschlossen, aber nicht in den Quellen belegt ist). Später taucht in der technischen Sprache die abgeleitete Bezeichnung Muffe – Verbindungsstück auf.

[59] Im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts steht der Krieg: „Drei drei drei – bei Issos Keilerei“. Die Bedeutung dieser Schlacht in der Nähe der Kilikisch-syrischen Pforte besteht darin, dass Alexander der Große Dareios III. besiegt und damit das Vordringen der Perser nach Westen ein für allemal beendet. Vorherrschend ist auch die Darstellung des Römischen Reichs: „Sieben fünf drei – Rom springt aus dem Ei“. Dabei ist diese Jahresangabe legendarisch.

[60] Ein wenig rhythmischer Knittelvers. Allerdings scheint die Unvollkommenheit geradewegs zum Wesen dieser Art von Dichtung zu gehören.

[61] Attributiv: Die ersten Reiter flohen; prädikativ: Als Erste flohen die Reiter.

[62] Eigentlich: Feine Fleischwaren. Mögen es die Metzger verzeihen.

[63] Dieser Ausdruck eignet sich als Zusatz bei der Beantwortung aller Prüfungsfragen.

[64] Eselsbrücke – pons asinorum.

[65] Im Hebräischen bedeutet har – Berg.

[66] Mnemotechnische Hilfsmittel.

[67] Auf Ruhm erpicht – cupidus gloriæ. Diese Regel gilt auch für das Gegenteil: sprachunkundig – imperitus linguæ.

[68] Semel, bis, ter, quater – einmal, zweimal, dreimal, viermal.

[69] Quintenzirkel: G-, D-, A-, E-, H-, Fis-Dur.

[70] F-, B-, Es-, As-, Des-, Ges-Dur. In beiden Merksprüchen geht es um das Alter und um die Nahrungsaufnahme.

[71] Heute: Grundschule und Hauptschule.

[72] Heute: Sonderschule.

[73] Es findet sich auch das Wort: „Abort“. An den Bahnhöfen steht diesbezüglich: „Bedürfnisanstalt“.

[74] Rapok RB 852, hergestellt von der Raschig AG, Ludwigshafen, enthält Kresole, Phenole. Giftig beim Einatmen, Verschlucken und bei der Berührung mit der Haut.

[75] Modder – Schlamm (niederdeutsch).

[76] Calenberger Kopfsteuerliste.

[77] Chädär (Zimmer) – Talmud-Thoraschule, religiöse Grundschule in der Diaspora.

[78] Ende des 18. Jahrhunderts wird der Gottesdienst im Wohnhaus von Heine Meier (Herzberg) abgehalten.

[79] Brit ha-‘olim – Bund der Aufsteigenden. Man geht auf dem Weg nach Jerusalem aufwärts. Dies wird auf die Immigration ins Heilige Land übertragen.

[80] Es gibt hier Abgesandte aus dem Kibbuz ‘Ein Charod Ichud (bei Bet Sche‘an), in dem Ernst im September 1971 arbeitet.

[81] Martin Buber, Cheruth (Freiheit), 1918. Diese Rede über Jugend und Religion wird gemeinsam studiert. Sie trägt zur Idee der Gründung bei. – Im Kibbuz Kfar Massaryk gibt man Ernst im Oktober 1970 den Namen: „Ben Cheruth“.

[82] Rundschreiben des jung-jüdischen Wanderbunds, 14.9.1925. 1930 kommen Chawerim (Genossen) aus Grießem in den Kibbuz Giv‘at Brenner (südlich von Rechovot).

[83] Kohlmeise – Parus major.

[84] Alemannisch: „Zit isch do“. Die Zeit ist da, um die Feldarbeit zu beginnen.

[85] 1810 wird in Königsfeld ein Kirchengebäude der Brüdergemeine errichtet. Sie geht auf die böhmisch-mährische Brüder-Unität zurück (Johannes Hus), die sich 1467 von der Katholischen Kirche trennt. Im 18. Jahrhundert gibt Graf Zinzendorf neue Impulse. Das Zentrum befindet sich in Herrnhut bei Niederoderwitz.

[86] Albert Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930 (Nachdruck: mit einer Einführung von W.G.Kümmel, Tübingen 1981).

[87] Albert Schweitzer, Brief an Eduard Spranger, 1923.

[88] Carl F.W.Borgward, Autoindustrieller, * 10.11.1890 Altona, † 28.7.1963 Bremen. Marken: Isabella, Goliath, Lloyd („Wer den Tod nicht scheut, / fährt Lloyd“), Arabella. Borgward ist ein guter Techniker, aber ein schlechter Kaufmann. Als die Schwierigkeiten bedrohlich werden, versucht er eine Fusion mit Ford. Dies scheitert daran, weil er 51 % an seinem Unternehmen behalten möchte. Die kurzfristige Umwandlung in eine Aktiengesellschaft bringt keine Lösung, da kein schlüssiges Konzept vorliegt. 1961 Konkurs.

[89] Übersetzung der lateinischen Worte: Liebster. Beten wir füreinander. Mit brüderlichem Gruß. Empfehle mich (Gott). Es möge gedeihlich sein.

[90] Venz bei Gingst auf Rügen; andere: Garz.

[91] Der Vit (Seher, Sieger, Lichtgott), der auf Rügen verehrt wird.

[92] Vgl. Ingrid Schmidt, Götter, Mythen und Bräuche von der Insel Rügen, Rostock 2002; Charenza. Heiligtum, Volksburg, Fürstensitz, in: Schlösser und Burgwälle auf Rügen, Berlin 1993, 24-33.

[93] Svanto – heilig, stark.

[94] Angegeben werden: 11.6., 14.6. oder 15.6.

[95] Vgl. Alfred Haas, Arkona im Jahre 1168, Stettin 21925; Peter Feist, Der Burgwall am Kap Arkona, Der historische Ort 1, Berlin 1995.

[96] Circuitus. Vgl. Ewald Schuldt, Der eintausendjährige Tempelort Groß Raden. Seine Erforschung, wie es dazu kam, und was aus ihm werden soll. Der Bericht eines Ausgräbers, Bildkataloge des Museums für Ur- und Frühgeschichte Schwerin 24, Schwerin 31990; Ewald Schuldt und Manfred Jährig, Groß Raden. Ein slawischer Tempelort des 9./10. Jahrhunderts in Mecklenburg, Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 39, Berlin 1985; Rolf Voß, Altslawischer Tempelort Groß Raden. Museumsführer durch das Freigelände, Sternberg o.J. [1990].

[97] Brandstätte. Polnisch: Zgorzelec.

[98] * 1575 in Altseidenberg (18 km südlich von Görlitz, im heutigen Polen), Schuhmacher, † 17.11.1624 in Görlitz.

[99] 1493-1541.

[100] Jakob Böhme, 46. Sendbrief 47, 1623, Sämmtliche Werke, Bd. 7, hg. v. K.W.Schiebler, Leipzig 1847, 507.

[101] Ens – Sein.

[102] Jakob Böhme, 46. Sendbrief 67, 1623, Sämmtliche Werke, Bd. 7, hg. v. K.W.Schiebler, Leipzig 1847, 511.

[103] Tschechisch Morava – Mähren, vgl. tschechisch moře, slovakisch more – Meer.

[104] Ursprünglich keltisch, dann lateinisch.

[105] Vgl. Jörg K. Hoensch, Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart, München 31997; Erhard Gorys, Tschechoslowakei. Kunst, Kultur und Geschichte im Herzen Europas, Köln 31991, 11-32 (Geschichtlicher Überblick).

[106] Im August 1969 wird die Route gewählt: Dresden – Bad Schandau – Marienbad – Pilsen – Prag. Wunderbar ist die Fes­tung Königstein an der Elbe, zwischen Pirna und Bad Schandau. 261 m oberhalb der Elbe liegt die einst mächtigste Festung Deutschlands, 1241 erstmals erwähnt. Blick auf das Elbsandsteingebirge. – In Pilsen steigt Ernst aus dem Zug, um in einer Wirtschaft ein echtes Pilsener zu trinken. Er ist stolz auf sein Buch: Karl Kunz, Die Kunst, die böhmische Sprache schnell zu erlernen, Die Kunst der Polyglottie 8, Wien, Pest und Leipzig 51903. Die Tschechen allerdings können mit dieser altertümlichen Sprache nicht so viel anfangen. – Prag und Franz Kafka. Nachwehen des Prager Frühlings.

[107] Es war ein Jüngling von Znajm, / Der fand auf Znajm keinen Reim. / Der arme Jüngling von Znajm!

[108] Die Reisenden freuen sich über das tschechische Wort restaurace.

[109] Der Name Jiru wird im 17. Jahrhundert Gyru oder Giru geschrieben. Wenn es zutrifft, dass die Familie vor dem Dreißgjährigen Krieg in Siebenbürgen wohnte, ließe sich das rumänische gira (stellvertretend verwalten) vergleichen.

[110] Entlassung am 6.7.1918.

[111] Matura in Deutsch-Gabel am 21.6.1923.

[112] Zeugnis der Firma Zimmer & Schmidt in Gablonz vom 5.12.1925.

[113] Bestätigung der Firma Brüder Jung in Palermo vom 8.3.1926 und Zeugnisse der Firma Milazzo und Söhne in Syrakus vom 30.4.1929 und vom 27.12.1929.

[114] Zeugnis vom 28.5.1930.

[115] Reifezeugnis vom 24.9.1931.

[116] Sprachen, mit denen er sich nebenbei beschäftigte, waren Hebräisch, Polnisch und Russisch. Rügener Zeitung vom 20.6.2001: Zurzeit gibt es etwa 6.800 Sprachen auf der Erde. Acht Länder beherbergen mehr als die Hälfte aller Sprachen: Papua-Neuguinea, Indonesien, Nigeria, Indien, Mexiko, Kamerun, Australien und Brasilien. Für das Überleben einer Sprache sind mindestens 100.000 Sprecher notwendig. Die Hälfte aller Sprachen wird aber von weniger als 2.500 Menschen gesprochen. Vermutlich verschwanden schon tausende Sprachen.

[117] Hier wird eine eigene Sprache gesprochen, vgl. Christliebe El Mogharbel, Nehrungskurisch. Dokumentation einer moribunden Sprache, Forum Phoneticum 54, Frankfurt am Main 1993. Manche der in Europa gesprochenen Sprachen sind nicht im allgemeinen Bewusstsein, zum Beispiel: Lappisch (Saamisch), Inuit, Isländisch, Färöisch, Friesisch, Karelisch, Syrjänisch (Komi), Wotjakisch, Tscheremissisch, Mordwinisch, Kazan’-Tatarisch, Krimtatarisch, Kabardinisch, Balkarisch, Inguschisch, Awarisch, Lesgisch, Kümükisch, Nogaiisch, Darginisch, Lakisch, Tabassaranisch, Kalmückisch, Tschetschenisch, Osetisch, Baschkirisch, Tscherkessisch, Kaschubisch, Niedersorbisch, Obersorbisch, Jiddisch, Kymrisch, Irisch-Gälisch, Schottisch-Gälisch, Walisisch, Bretonisch, Okzitanisch (Provenzalisch), Galizisch, Baskisch, Katalanisch, Rätoromanisch, Sardisch, Kalabresisch, die Sprache der albanischen Arbëreschen in Griechenland und Italien, Maltesisch, Slovenisch, Makedonisch, Zigeunersprachen wie Romani und Sinti. Alemannisch, Bayrisch und Niederdeutsch gelten als Dialekte, haben jedoch eine eigene Literatur, Lexikographie und Grammatik. An den Rändern Europas halten sich alte sprachliche Traditionen, vgl. Hermann Vogt, Kulturen der Einsamkeit. Der keltische Rand Europas, Darmstadt 1994. Das Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens, hg. v. Milos Okuka u. Gerald Krenn, Klagenfurt, Wien und Leibach 2002, hat 1031 Seiten. Esperanto ist in Europa entstanden, findet immer mehr Anklang und sein Wortschatz erweitert sich ständig, vgl. Erich D.Krause, Großes Wörterbuch Deutsch-Esperanto, Hanburg 2007, 1679 Seiten, etwa 160.000 Stichwörter.

[118] Eingeweiht im August 1544. Seit 1656 wurde die Universität als Albertina bezeichnet. Immanuel Kant wurde 1788 ihr Rektor.

[119] Vgl. Johann Georg Hamann, Tableau de mes Finances, Sämtliche Werke, hg. v. J.Nadler, Bd. 2, Wien 1950, 307-311.

[120] Johann Georg Hamann, Entkleidung und Verklärung. Ein Fliegender Brief an Niemand, den Kundbaren, Zweite Fassung, Sämtliche Werke, hg. v. J.Nadler, Bd 3, Wien 1951, 405, Zeile 29, und 407, Zeile 1-3.

[121] Hamann hatte einen starken Einfluss auf Søren Kierkegaard.

[122] Vgl. Tacitus, Germania, Kapitel 45.

[123] Vgl. Klaus Schameitat, Estland entdecken. Skandinavische Impressionen im nördlichen Baltikum, Berlin 22005, 45f.

[124] Sandbank – rev.

[125] Im Livländischen Krieg (1558-1583).

[126] Sowohl Dorpat als auch Tartu kann Mühle bedeuten oder vom altestnischen Wort turvas (Auerochse) stammen. Vgl. Dietmar Urmes, Handbuch der geographischen Namen, Wiesbaden 2004, 332.

[127] Der Bau des Domes wurde im 13. Jahrhundert begonnen. Während des Livländischen Krieges verfiel die Kirche. Im Chorraum entstand nach 1806 die Universitätsbibliothek. Dieses Faktum weist auf die Größe der Ruine.

[128] Gen 28,11f.

[129] Gen 28,18f. Beth El – Haus Gottes.

[130] Ex 20,25.

[131] Libation von Wein aus besonderen Gefäßen (Rhyton).

[132] Jes 57,6.

[133] 1781.

[134] Der frühere Patriarch der Russischen Orthodoxen Kirche war Metropolit von Tallin. Sein Vater war Deutscher.

[135] Samuel Noah Kramer, Die Geschichte beginnt mit Sumer. Fünfundzwanzig Erstlinge aus der schriftlich überlieferten Geschichte der Menschheit, Übers. v. P.Baudisch, Frankfurt am Main 1959.

[136] Gen 11,31-12,3.

[137] Um 1728-1685 vor Christus. Unter dem sumerischen Namen Kadingira wird der Ort schon in der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends vor Christus erwähnt.

[138] Tempel des Grundsteins von Himmel und Erde.

[139] Rekonstruktion im Pergamon-Museum in Berlin.

[140] Der Name bedeutet Tor Gottes.

[141] Robert Boulanger, deutsche Bearbeitung v. M.Stillger u. F.Melichar, Mittlerer Osten, Die Blauen Führer, Paris 1966, 88: „Im Sommer sind Reisen an der Mittelmeerküste (allerdings besitzen zahlreiche Hotels in Beirut jetzt Klimaanlagen) und im syrischen Wüstengebiet anstrengend; absolut abgeraten wird in dieser Jahreszeit von einer Fahrt in den Irak, in den Süden von Iran und in das Zentrum des iranischen Hochlandes (Gebiet um Yezd und Kirman).

[142] Assyrien eroberte und zerstörte 689 vor Christus Babylon.

[143] Tempel der Welt – ekurru-kišarra.

[144] Vgl. Werner Keller, Und die Bibel hat doch Recht. Forscher beweisen die Wahrheit des Alten Testaments, Köln 1989, 238f. Der Wissensstand dieses Buches entspricht hauptsächlich dem der 1950-er Jahre. Es enthält zahlreiche Fehler; vor allem Ortsnamen werden immer wieder falsch geschrieben. Sein Vorteil ist aber die begeisternde Sprache eines Journalisten, der allerdings von Exegese wenig Ahnung hat.

[145] Wenn Ninive nach der babylonischen Göttin Nina/Ninta benannt ist, muss es eine Gründung von Babylon aus gewesen sein.

[146] Sancherib (705-681).

[147] 669-629 vor Christus.

[148] 1842-1933 ausgegraben. Sie befinden sich im Britischen Museum in London.

[149] Geflügelte Stiergenien mit Götterkrone. Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 96: „So viel scheint aber sicher, daß sich die Menschen dieser Zeit um 3000 v. Chr. ohne Verkleidung in ein Tier wehrlos fühlen. Noch ist das Tier, wie es scheint, der mächtigste Träger von Wirkung auf die Welt, dem Menschen in allen Fähigkeiten weit überlegen. Daraus erklärt sich wohl die Tatsache, daß der Mensch der ausgehenden Vorgeschichte die Mächte, die den Weltlauf bestimmen, vorwiegend in Tiergestalt erblickt.“

[150] Vgl. M.Khačikjan, The Elamic Language, Rom 1998; Manfred Krebernik, Elamisch, in: Sprachen des Alten Orients, hg. v. Michael P.Streck, Darmstadt 32007, 159-182.

[151] Vgl. Johannes Odenthal, Syrien. Hochkulturen zwischen Mittelmeer und Arabischer Wüste, Köln 81995, 9.

[152] Fenchelkap – Ras Šamra.

[153] Wie zur gleichen Zeit in Byblos.

[154] Die Kultur dieser Stadt wurde zerstört durch den Ansturm der so genannten Seevölker.

[155] Sergiopolis ist Resafa, südlich des Euphrat.

[156] Palmyra (griechisch) – Palmenstadt; semitisch Tadmur.

[157] 32 nach Christus, mit Erweiterungen bis zum 2. Jahrhundert nach Christus.

[158] Etwa 150 km östlich von Ankara, nordöstlich von Yozgat, befindet sich Boğazkale (boğaz, türkisch – Kehle, Tal, Schlucht, Pass; kale – Burg, Festung), das bis 1937 Boğazköy (köy – Dorf, Landgemeinde) hieß.

[159] Vgl. Hans Martin Kümmel, Ersatzrituale für den hethitischen König, Studien zu den Boğazköy-Texten 5, Wiesbaden 1967.

[160] Vgl. Friedrich/Bedřich Hrozný, Die Sprache der Hethiter, Boghazköi-Studien 1f, Leipzig 1917; Johannes Friedrich, Hethitisches Elementarbuch, Indogermanische Bibliothek, Reihe 1: Lehr- und Handbücher, Bd. 1, Heidelberg 31974; Bd. 2, Heidelberg 21967; H.A.Jr.Hoffner u. C.Melchert, A Grammar of the Hittite Language, Languages of the Ancient Near East 1, Winina Lake 2007.

[161] Vgl. G.A.Melikišvili, Urartskij jazyk, Moskau 1964; Die urartäische Sprache, Übers. v. K.Sdrembek, Studia Pohl 7, Rom 1971.

[162] Vgl. Ilse Wegner, Einführung in die hurritische Sprache, Wiesbaden 2000.

[163] Vgl. Christian Girbal, Beiträge zur Grammatik des Hattischen, Europäische Hochschulschriften, Reihe 21: Linguistik, Bd. 50, Frankfurt am Main, Bern u. New York 1986.

[164] Vgl. H. Craig Melchert, The Luwian Language, in: The Luwians, hg. v. Dems., Handbook of Oriental Studies, Section 1: The Near and Middle East, Bd. 68, Leiden u. Boston 2003, 170-210; Rudolf Werner, Kleine Einführung ins Hieroglyphen-Luwische, Orbis Biblicus et Orientalis 106, Freiburg im Uelzgau u. Göttingen 1991; Annick Payne, Hieroglyphic Luwian, Elementa Linguarum Orientis 3, Wiesbaden 2004.

[165] Vgl. Ignacio J.Adiego, The Carian Language, Handbook of Oriental Studies, Section 1: The Near and Middle East, Bd. 86, Leiden u. Boston 2007.

[166] Vgl. Onofrio Carruba, Das Palaische, Studien zu den Boğazköy-Texten 10, Wiesbaden 1970.

[167] Beschrifteter Fels (türkisch) – yazılıkaya.

[168] Vgl. Kurt Bittel, Hattuscha. Hauptstadt der Hethiter. Geschichte und Kultur einer altorientalischen Großmacht, Köln 31991, 133-161 (Das hethitische Felsheiligtum von Yazılıkaya, seine Deutung und Datierung).

[169] Horst Klengel, Hg., Altbabylonische Rechts- und Wirtschaftsurkunden, Vorderasiatische Schriftdenkmäler der staatlichen Museen zu Berlin, Neue Folge 2, Berlin 1973. Das altbabylonische Reich währte von 1830 bis 1530 vor Christus.

[170] Georg Eissler und Julius Lewy, Die altassyrischen Rechtsurkunden vom Kültepe, Mitteilungen der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft, 4 Bde., Leipzig 1930.1935. Das altassyrische Reich bestand von 1850 bis 1700 vor Christus. Kanesch (kültepe, türkisch – Aschenhügel) war ein Handelszentrum der Assyer in Anatolien. Es lag außerhalb der Stadt der einheimischen Bevölkerung. Der Ort befindet sich in der Nähe der heutigen Stadt Kayseri, früher Cäsarea in Kappadokien, dem Bischofssitz des heiligen Basilius des Großen.

[171] Vgl. Robert Boulanger, Türkei, Die Blauen Führer, Übers. u. bearbeitet v. M.Stillger u. F.Melichar, Paris 1968, 554f.

[172] Türkisch Ulu Cami.

[173] Die Ägypter bezeichnen ihr Land als Kem, schwarzes, fruchtbares Land, im Gegensatz zur weißen, unfruchtbaren Wüste. Ägypten kommt vom griechischen Aigyptos. Manche leiten dies von Kaphtor ab, Deltabewohner, andere vom Schöpfergott Ptah.

[174] Furcht vor leerem Raum – horror vacui.

[175] Bei Menofiye in der Mitte des Nildeltas.

[176] Bei Malavi im Niltal.

[177] Weltordnung – ma‛at. Vgl. Jan Assmann, Ma‛at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 21995.

[178] Schatten – šwt.

[179] Körper – h‛ (cha).

[180] Die Ethnologie spricht von der Exkursionsseele, auch im Schamanentum.

[181] Name – rn.

[182] Paneas (griechisch) wird zu Banyas (arabisch).

[183] Vielleicht identisch mit dem biblischen Ba‛al Gad (vgl. Jos 13,5). Im Mittelalter wurde die Stadt als Dan bezeichnet.

[184] Die Markinische Wende.

[185] Vgl. Mk 8,27-38.

[186] Zur Etymologie von Tabor drei Erklärungsversuche: 1. Hügel (vgl. arabisch nabara – emporheben); 2. Kult des Zeus Atabyrios/Itabyrios; 3. Kultstätte einer kanaanitischen Gottheit (vielleicht ba‛l tevōr).

[187] Mt 17,3.

[188] Vgl. Ex 24,18; Ex 33,23; 1 Kön 19,8.13.

[189] Karmel – Fruchtgefilde, Baumgarten.

[190] Vgl. Jes 35,2.

[191] Vgl. 2 Kön 2,25.

[192] An der Stelle, die von der Überlieferung her bekannt ist. Früher war hier eine Moschee. Es gibt zahlreiche Höhlen am Karmel.

[193] Sir 48,1.

[194] Vgl. Ps 1,2.

[195] Garizim – Berg des Segens (vgl. Dtn 11,29).

[196] Nord-Süd-Gegensatz: Spannungen zwischen dem Nord- und dem Süd-Reich.

[197] Joh 4,21.

[198] Die Assyrer (Sargon) deportieren 722 vor Christus die Oberschicht und siedeln Menschen aus der babylonischen Stadt Kutha im Nordreich an.

[199] Vgl. Lk 10,33.

[200] Morija – Ort, an welchem man Gott schaut.

[201] Gen 22,4.

[202] Abraham.

[203] Mamre ist der Name eines Amoriters, der Freund und Verbündeter Abrahams ist (vgl. Gen 14,13.24). Etymologisch von mr’ III – sich mästen, weiden. Beleibtheit gilt im Orient als Zeichen des Reichtums, des Glücks und der Schönheit.

[204] Gen 18,1.

[205] Ägyptische Kolonie.

[206] Ernst übernachtet wie Abraham im Tausend-Sterne-Hotel unter freiem Himmel.

[207] Vgl. Gen 13,18.

[208] Vgl. Gen 18,2.

[209] Vgl. Gen 18,10.

[210] Am 25.2.1994 ermordet der Siedler Baruch Goldstein 29 Muslime in der Abraham-Moschee in Hebron. – Ein Gegenbeispiel: Ein Krieg gegen Israel beginnt am höchsten jüdischen Fest, dem Versöhnungstag (jom kippur), am 6.10.1973.

[211] Mar Saba (syrisch) – Herr Sabas.

[212] In dieser Zeit gab es nur wenig Mönche, die Priester waren, daher wurde dies bei Sabas besonders hervorgehoben.

[213] Indus bedeutet Strom, Fluss. Das Wort Hindu (davon Hinduismus) kommt aus dem Altpersischen.

[214] Im Gegensatz zum linearen, zielgerichteten Denken. Vgl. Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Frankfurt a.M. 1984.

[215] 93 km nordwestlich von Mysore, 49 km südöstlich von Hassan.

[216] Vindhyagiri oder Indragiri. Dieser Berg erinnert an die Einwanderer, die von Norden, aus dem Vindhya-Gebirge, kamen und Anhänger des Gottes Indra waren.

[217] Die Zahlenangaben weichen beträchtlich voneinander ab. TempleNet (www.indiantemples.com/Karnataka/sravana.html; nicht mehr abrufbar): 500 Stufen; Franz Bätz, Heilige Berge, Tempelstädte und Asketen. Der Jainismus – eine lebendige Kultur Indiens, Gnas 1997, 61: etwa 620 Stufen; Ernst zählt ca. 800 Stufen; Paul Wagret, Hg., Nagels Enzyklopädie-Reiseführer, Indien. Nepal, Genf, Paris u. München 1980, 758: rund 1000 Stufen. Diese großen Unterschiede lassen sich damit erklären, dass es zahlreiche Halbstufen gibt, die wohl nicht alle mitgezählt wurden.

[218] Zusammenhang mit der iranischen Religion.

[219] Andere Bezeichnung: Bahubali.

[220] Mahamastakabhishekam-Fest. Die Statue wird in einer Mischung aus Milch, Quark, zerlassener Butter, Safran (persisch – Krokus) und Goldmünzen gebadet. 1981 kamen zu diesem Fest 750.000 Pilger auf den Berg. 1993 (in diesem Jahr setzte man sogar einen Hubschrauber ein, der ein Blumenmeer ausschüttete) und 2005 waren die folgenden Salbungen.

[221] Schlingpflanzen sind auch Symbol der Essenz des Lebens.

[222] Bewegungslos (acala) sein wie ein Berg. Vgl. Otto von Böhtlingk, Sanskrit-Wörterbuch in kürzerer Fassung, 7 Bde., St. Petersburg 1883-1886, hier: Bd. 1, St. Petersburg 1883, 13. Monier Monier-Williams, neu hg. v. E.Leumann u. C.Cappeller, A Sanskrit-English Dictionary, Oxford 21899, 274: kāyôtsarga (Übung der Bewegungslosigkeit). Siehe auch Symeon der Säulensteher (390-459) in Qal‛at Sim‛ān bei Aleppo (Syrien).

[223] Gen 3,14: „Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang.“

[224] Gen 3,4f: „Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet mitnichten sterben, sondern Gott weiß, dass euch die Augen aufgehen werden, sobald ihr davon esst, ihr wie Gott sein und wissen werdet, was gut und böse ist.“ Gen 3,15: „Feindschaft will ich setzen zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse.“ Offb 12,9: „Hinausgeworfen wurde der große Drache, die alte Schlange, genannt der Teufel und der Satan, der die ganze Welt verführt, auf die Erde geworfen und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.“

[225] Num 21,9: „Da machte Moses eine eherne Schlange und hängte sie an den Signalmast. Wenn nun eine Schlange jemanden biss und er die eherne Schlange anschaute, so blieb er am Leben.“ Joh 3,14f: „Wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an Ihn glauben, das ewige Leben haben.“

[226] Mt 10,16: „Seid klug wie die Schlangen“.

[227] Siehe die Uräusschlange am Stirnreif der Pharaonen. Ouraios ist die gräzisierte Form des ägyptischen j‛r.t.

[228] Mahāvira – großer Held.

[229] Jina – Sieger, Überwinder.

[230] Heute etwa drei Millionen Anhänger, vor allem in Südindien. Vgl. A.Bareau, W.Schubring u. C. von Fürer-Haimendorf, Buddhismus – Jinismus – Primitivvölker, Die Religionen Indiens 3, Die Religionen der Menschheit 13, Stuttgart 1964.

[231] Weißgekleideter – śvetāmbara.

[232] Luftgekleideter, Nackter – digambara. Sie haben in einzelnen Abhandlungen (prakarana) bruchstückhaft ältestes Überlieferungsgut der Jainas erhalten.

[233] Veda – Wissen. Die meisten Veden sind in der Zeit von 1500 bis 500 vor Christus entstanden. Die ältesten Texte sind Hymnen auf Indra, den König der Götter, und auf Agni, das vergöttlichte Feuer. Hier zeigt sich der Zusammenhang mit der Religion der Iraner.

[234] Tat – karma. Jede geistige oder körperliche Handlung hat eine Konsequenz, steht innerhalb einer Kette von Ursache und Wirkung.

[235] Gewaltlosigkeit – ahimsā.

[236] Dem Vischnuismus gehören heute etwa 200 bis 300 Millionen Menschen an.

[237] Belur (Velapura) liegt 30 km nördlich von Hassan, am rechten Ufer der Yagachi. Hauptstadt der Hoysala-Dynastie im 12. Jahrhundert. Chenna – gut, ehrwürdig (in Kannada, der Sprache von Karnataka).

[238] Tempelturm nordindischer Heiligtümer – śikhara. Nordindischer Stil: nāgara – städtischer [Stil].

[239] Herabkunft – Avatāra. Um den Dharma, die allumfassende Ordnung, zu erhalten oder wiederherzustellen oder um ihre Verehrer zu schützen, steigen von Zeit zu Zeit Götter von ihrem Sitz im Himmel oder auf einer Bergspitze herab und nehmen irdische Gestalt an. Eine Inkarnation des göttlichen Bewusstseins auf Erden. Er wird nicht aus karmischer Notwendigkeit wie die Menschen geboren, sondern aus freier Entscheidung. Er ist frei von den Bindungen der Selbstsucht und damit jenseits der Dualität (Subjekt-Objekt). Er zeigt neue Wege religiösen Lebens auf und vermittelt göttliche Erkenntnis durch Berührung, Blick oder Schweigen. Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 77f: „Immer und überall leben die Götter aus der Fülle, die keine dogmatisch-enge Verkürzung duldet. Die Vielheit der Namen, die Vielheit der Erscheinungen, die Vielheit der Möglichkeiten, ihnen zu begegnen, sind äußeres Spiegelbild dieser Fülle. Aber diese zahllosen Namen, in denen der Reichtum ihres unverkürzten Wesens erscheint, sind nicht alle gleichwertig und gleichrangig. Der Ägypter kannte eine Hierarchie der Namen“.

[240] Visnu – Durchdringer.

[241] Rāmāyana ist neben dem Mahābhārata eines der beiden bedeutendsten Sanskrit-Epen des Hinduismus. Die ältesten Teile des Epos datieren in das 5. Jahrhundert vor Christus; im 3. Jahrhundert nach Christus war es abgeschlossen. Es beschreibt den Lebenslauf des Rāma, den die Gläubigen als göttlich verehren.

[242] Krischna – Krsna. Etymologisch bedeutet dies seine Hautfarbe: dunkelblau oder schwarz. Volkstümlich wird dieser Name aber aus der Wurzel krs erklärt: der alle an sich Ziehende.

[243] Mk 9,12: „Elias wird zuerst kommen und alles wieder zurechtbringen.“ Vgl. Mal 3,23.

[244] Anagarika (Hausloser) Govinda, Der Weg der weißen Wolken, London 1966, vom Autor übersetzt und erweitert, München 2000, 265f: Die muslimischen Eroberer zerstörten die buddhistischen Klosteruniversitäten zu Nâlanda (Bihar) und Vikramaśâla (Bengalen) und löschten damit den Buddhismus in Indien aus. Der Hinduismus war dezentralisiert und nicht von einer monastischen Organisation abhängig. Daher konnte er im häuslichen Kreis und von Wanderasketen weitergepflegt werden.

[245] Apg 17,22f: „Athener! Ich sehe, dass ihr die Götter überaus verehrt. Ich bin nämlich umhergegangen, habe mir eure Heiligtümer angesehen und fand auch einen Altar, auf dem geschrieben war: Dem unbekannten Gott.“

[246] Gesang des Erhabenen – bhagavadgitā. Er ist Teil des zwischen dem 5. Jahrhundert vor Christus und dem 2. Jahrhundert nach Christus entstandenen indischen Nationalepos Mahābhārata (6. Buch).

[247] Hoysāla wird erklärt als: hoy Sāla – Erschlage [ihn], Sāla! Er soll einen Tiger getötet und dadurch Anführer des Stammes geworden sein. Die Hauptstadt hieß früher Dvarasamudra. Dann wurde sie hale bidu – alte Hauptstadt genannt. König Sāla gründete sie um das Jahr 1000 nach Christus. Die Stadt liegt 14 km von Belur entfernt, 31 km nördlich von Hassan und 149 km nordwestlich von Mysore.

[248] Malik Kafur zerstörte ihn im frühen 14. Jahrhundert.

[249] Er verfügt über zerstörerische Kraft. Euphemistisch wird er als Śiva – segensreich bezeichnet. Allerdings geht es nicht um die Zerstörung an sich, sondern um die Wegbereitung neuen, schöpferischen Lebens. Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 72: „Der Papyrus einer Sängerin des Amun aus der 21. Dynastie (um 1000 v.Chr.) enthält neben anderen interessanten Szenen eine einzigartige Darstellung: vor einem gestirnten Hintergrund steht eine geflügelte Schlange auf zwei Beinpaaren, ihr Schlangenleib endet vorn in einen bärtigen Menschenkopf, hinten in einen Schakalkopf. Es ist, wie uns eine Beischrift belehrt, ‚Tod, der Große Gott, der Götter und Menschen gemacht hat‛, also eine Personifikation des Todes als Schöpfergott und eine eindrucksvolle Verbildlichung des Gedankens, daß der Tod zu den Bedingungen der Schöpfungswelt, des Seins gehört“.

[250] Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 156: „Die Vorstellung, daß die Götter sich täglich erneuern müssen, wird selbst in Amarna nicht aufgegeben; der Aton, einziger Gott Echnatons, wird ‚täglich am Himmel (neu) geboren‛, geht also durch den Kreislauf von Tod und Neugeburt, den die alten Götter durchlaufen. In dieser Sicht, in der Verjüngung und Erneuerung nur durch den Tod möglich sind, entfällt das Befremdliche an der Sterblichkeit ägyptischer Götter. Sie gibt ihnen die Möglichkeit, immer wieder jung zu werden und der Abnutzung, die alle Zeit mit sich bringt, zu entfliehen.“

[251] König des Tanzes – Natarāja.

[252] In den beiden hinteren Händen hält er Trommel und Feuer. Die rechte vordere Hand ist in der Geste der Schutzgewährung erhoben. Die linke vordere Hand zeigt auf das linke erhobene Bein. Dadurch wird die Erlösung durch den Gott verkündet.

[253] Der Flammenkranz weist auf den Kosmos, die Stätte des Tanzes.

[254] Dieser Frauenring weist auf seine androgyne Doppelnatur hin.

[255] Seine Haare sind zur Tiara geflochten. Die Stierhörner seines Reittiers sind hier in eine Mondsichel umgeformt.

[256] Mutter gangā steht für Fruchtbarkeit, Leben, Reinigung, aber auch für Zerstörung, Tod, Bedrohung. Daher musste der Gott die Wucht des Aufpralls mildern, indem er den Fluss mit den Brauen auffing und durch seine Locken lenkte. – Bei der Taufe im Jordan stirbt in symbolischer Weise der alte Mensch durch Ertrinken; der neue Mensch wird geboren: Das Bad der Wiedergeburt. – In Ägypten steht die grüne Farbe des bewässerten Fruchtlandes unmittelbar neben der gelben Farbe der lebensfeindlichen Wüste. – Bei Flutkatastrophen wird die zerstörerische Kraft des Wassers sichtbar.

[257] Vgl. Giuseppe G. Lanza del Vasto (1901-1981, Schüler von Gandhi, gründet 1948 die Arche), Pilgerfahrt zu den Quellen. Ein Indienbuch (Pèlerinage aux Sources, Paris 121943; Paris 1972), Übers. v. J.-P.Wilhelm, Düsseldorf 1951, 59-61.82f.103.

[258] Pārvatī – aus dem Berg (Himalaya).

[259] Der Stier verkörpert die Fruchtbarkeit des Gottes.

[260] Nandi – Freude.

[261] Reittier – upavāhya. 2 Sam 22,11; Ps 18,11: „Er reitet auf dem Cherub.“

[262] Biblia pauperum.

[263] Mahabalipuram liegt 54 km südlich von Madras (Hauptstadt des Staates Tamil Nadu). In der Antike hieß es Mamallapuram – Stadt des Malla, Titel des Königs Narasimhavarman I. (um 630-668), der diesen Tempel erbauen ließ. Vgl. Marilia Albanese, Übers. v. K.-J.Hofmann, Das antike Indien, Köln o.J. [2001], 262-269.

[264] Vimāna – Luftschiff. Pyramidenförmiger Dachaufbau mit Terrassen über der Cella in Südindien.

[265] Bindú – imaginärer Punkt an der Spitze des Gebäudes.

[266] Allerheiligstes. Garbhagrha – Kammer des Embryos.

[267] Das göttliche Abbild – mūrti.

[268] Katabasis und Anabasis.

[269] Offb 1,8: „Ich bin das Alpha und das Omega.“

[270] Kennzeichen; Phallus; Götterbild – linga. Es ist die Achse, um die sich das Universum dreht und wird daher mit dem Berg Meru, dem mythischen Zentrum des Universums gleichgesetzt. Das Linga ist die Quelle aller Existenz, das Absolute, aus dem alles Leben entspringt und in das es zurückkehrt. Vgl. Axel Michaels, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 1998, 239-243.

[271]Schoß; Vagina; Ursprung, Quelle – yóni.

[272] Kanchipuram – Goldstadt. 76 km südwestlich von Madras gelegen.

[273] Seine Errichtung wird Narasimhavarman II. Rajasimha, 700-828, zugeschrieben. Varadaraja – Wunscherfüller.

[274] 1053 von den Cholas erbaut.

[275] Ekambareśvara – der nackte Herr Śiva, der Asket par excellence.

[276] Einige Muster werden auf Saris gedruckt.

[277] Calcutta/Kalkutta/Kolkata wird hergeleitet von Kālī-ghāt – die heiligen Stufen des Kalitempels. Die Brücke führt über den Fluss Bhagirati (alias Hooghly/Hugli), im zentralen Stadtteil Howrah/Haora.

[278] Die Schwarze – Kālī, Kālikā. Der Tempel ist 200 Jahre alt.

[279] Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 88f: „Sollen Gottheiten einander ‚angeglichen‛ werden, bis man in einem unbestimmten, solar gefärbten Pantheismus endet? Solch ein glättender Austausch ist unägyptisch, eher hellenistisch. Der Ägypter stellt die Spannungen und Widersprüche der Welt nebeneinander und steht sie durch.“

[280] Sie trägt einen Gürtel aus abgeschlagenen Armen, eine Halskette aus Schädeln, die untere linke Hand trägt den Kopf des Dämons der Unwissenheit, von der sie befreit, die obere linke ein Schwert, mit der oberen rechten Hand macht sie die Geste der Furchtlosigkeit, mit der unteren rechten gewährt sie Wohltaten. Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, 104: „In Hathor ist die mütterliche Sanftheit der Kuh, aber, neben vielem anderen, auch die Wildheit der Löwin und die Unberechenbarkeit der Schlange. Jegliche Art der Darstellung kann nur ein Versuch sein, etwas von diesem komplexen Wesen der Gottheit anzudeuten.“

[281] Kraft, Macht, Energie – śákti. Göttliche Mutter, Personifizierung der Ur-Energie, der dynamische Aspekt Gottes (bráhman – Grund des kosmischen Seins), durch den er schafft, erhält und auflöst.

[282] Tamilen verehren eine Schwarze Madonna als Kālī, etwa in Einsiedeln. Vgl. Annette Wilke, Mythos in Bewegung. Die große Göttin in Symbolsystem, Kultus und Alltag, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft 80 (1996), 265-283, hier 279.

[283] Die Zunge ist blutverschmiert.

[284] Hld 1,4: „Nigra sum, sed formosa.“

[285] Erleuchtung – bodhi; der Erleuchtete – buddha (Wurzel: bhās – glänzen, leuchten; einleuchten; erscheinen). Bodhgayā: Gayā ist der alte Name des Ortes.

[286] Geburtenkreislauf, Seelenwanderung; Welt; Dasein, Existenz – samsāra.

[287] Nach der längeren Chronologie liegt das Todesjahr des historischen Buddha zwischen 486 und 477 vor Christus, nach der kürzeren starb er etwa 368 vor Christus.

[288] Zerstörung im 12. Jahrhundert, Gewalttätigkeiten im 14. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert Śiva-Tempel. 1811 verlangt der König von Birma die Restitution an die Buddhisten. 1949 wird festgesetzt, dass der Tempel Eigentum des Schiwaiten bleibt, und dass er von einem aus Hindus und Buddhisten zusammengesetzten Rat verwaltet wird.

[289] Adi Shankara (etwa 788-820) ist ein religiöser Lehrer des Hinduismus. Er systematisiert die Philosophie des Advaita Vedanta. Er führt viele Streitgespräche mit den Buddhisten. In Benares verfasst er sein Hauptwerk, einen Kommentar zu den Brahmasutren. Es gelingt ihm, den Hinduismus auf der Basis der Upanishaden-Philosophie zu erneuern. Sein Erfolg beruht auf seiner bildhaften Sprache, wodurch er auch Laien verständlich wurde (vgl. Wikipedia).

[290] Vgl. Giuseppe G. Lanza del Vasto, Pilgerfahrt zu den Quellen. Ein Indienbuch (Pèlerinage aux Sources, Paris 121943), Düsseldorf 1951, 387.

[291] Der Heilige Feigenbaum – ficus religiosa. Er spendete Buddha Schatten während seiner Meditation.

[292] Dies sind Wunsch- oder Gebets-Tücher, die in vielen Teilen der Welt verbreitet sind. Manchmal weist die Farbe auf die Art des Wunsches hin.

[293] Edmund Oppermann, Geographisches Namenbuch, Hannover u. Berlin 21908, 147: „Benares, benáres. Im Besitz des besten Wassers.“

[294] Hirschpark – sārnāth.

[295] Lehre – dharma.

[296] Nach der Überlieferung war er Königssohn.

[297] Entbehrungen, Fasten, Kasteiungen der bisher üblichen religiösen Praxis.

[298] Ursprünglich trugen sie ein großes Rad der Lehre.

[299] Nehru über den Fluss Ganges.

[300] Judentum, Christentum und Islam sind geschichtliche Religionen, deren Theologie sich unter anderem auf bestimmte historische Ereignisse gründet. Hinduismus, Jainismus und Buddhismus dagegen sind ahistorische Religionen. Welten und Wesen, die ohnehin eine Illusion (māyā) sind, kehren periodisch wieder. Es gibt eine Vielzahl Viśnus, Jainas und Buddhas. Von daher ist es auch möglich, mehreren Religionen gleichzeitig anzugehören.

[301] 1542-1605. Akbar bedeutet: der Größere. Fatehpur bedeutet Eröffnungsstadt. Öffnen im Sinne von Erobern, Siegen. Sikri ist der alte Name des Ortes.

[302] Mogul, mughul, persisch – Mongole. Von Timur abstammendes indisches Herrscherhaus.

[303] Gebetsstätte, in der freitags gepredigt wird: masğīd al-ğum‛a (arabisch), masğed-e ğāme‛ (persisch). Das arabische Wort masğīd leitet sich vom Verb sağada ab: sich verehrend beugen, anbetend niederwerfen.

[304] Als Zeit der Erbauung dieser Moschee werden die Jahre 1571-1576 angegeben.

[305] Versöhnung aller – sulch kull (arabisch), sulch-i-kull (persisch).

[306] Delhi – Schwelle (K.Schlemmer, nach E.Oppermann, Geographisches Namenbuch, Hannover u. Berlin 21908, 147). Nānak (1469-1539).

[307] Sikh – Schüler (Gurū Nānaks).

[308] Diesen Grundgedanken entnahm Nānak der Richtung der bhakti: Erlösung durch Liebe, Demut und Hingabe.

[309] 1708.

[310] Die erste, ursprüngliche Schrift, der grundlegende Text – ādi granth.

[311] 14 Millionen Sikhs leben allein im Fünfstromland (punjab).

[312] Tempel des 8. Gurū, Har Kriśan (1656-1664).

[313] Die Windzufuhr erfolgt durch einen Blasebalg, der mit der linken Hand betätigt wird.

[314] Manali – Heimat des Mánu, des Stammvaters der Menschheit. Der Ort liegt 1900 m über dem Meeresspiegel, am Ende des Kulu-Tals, des Tales der Götter. Das tibetische Kloster wurde 1956 erbaut.

[315] Boddhisattva – Anwärter auf die Buddhawürde.

[316] Mandalas, Meditationsbilder.

[317] 3.978 m hoch.

[318] Die Portugiesen nannten diese Insel, die vor Mumbai liegt, Elephanta, weil sie hier die Statue eines Elefanten fanden. Der Haupttempel ist im 6. oder 8. Jahrhundert nach Christus entstanden.

[319] Vgl. John Swindells, Hg., Bede Griffiths. Ein Mensch sucht Gott, Vorwort v. R.R.Ropers, Übers. v. J.Herr, Petersberg 1998, 104.

[320] Ardhanārīśvara – Herr Mann-Hälfte: ardhá – Hälfte; nára – Mann; iśvará – Gebieter.

[321] Der Gegenstand in der anderen Hand ist abgebrochen. Bei einer anderen Pārvatī-Statue (an einer Säule des Tempels der Śivakamasundari, der Schönen, die Śivas Liebe ist, in Chidambaram, etwa 100 km südlich von Mahabalipuram) ist in der rechten vorderen Hand ein Schwert. Dies weist auf ihre Verbindung zur Göttin Kālī. In den übrigen Händen ist ein Spiegel, ein Sistrum (Symbol des kosmischen Tanzes) und ein Linga (Symbol Śivas).

[322] Mumbai: 1675 ließ eine Inderin namens Mumba einen Tempel an der Nordseite des englischen Forts Saint George erbauen. Ihr Name ging auf den Tempel über, der dann Mumba Devi Mandir hieß, Tempel der Göttin Mumba. (Die Kirche der Erbauerin Cäcilia wird zur Kirche der hl. Cäcilia in Trastevere). Heute wird Mumbai abgeleitet von der Göttin Mumba, der Patronin der Salzsammler und Fischer. Die Bezeichnung „Bombay“ entstand aus dem portugiesischen bom baía – gute Bucht. Parsi ist ein Gläubiger aus Persien. In Indien gibt es 76.000 Parsen, von denen etwa dreiviertel in Mumbai leben. Der Feuerkult ist seit dem 4. Jahrhundert nach Christus nachgewiesen. Der Religionsstifter Zarathustra lebte zwischen dem 2. und 1. Jahrtausend, wahrscheinlicher aber zwischen dem 7. und 6. Jahrhundert vor Christus im Nordostiran (heute Turkmenistan bzw. Kasachstan). Er begründete eine Religion des Dualismus: Kampf zwischen Gutem und Bösem. Dort beheimatete Vorstellungen wie das Paradies oder die Engel sind in andere Religionen übergegangen.

[323] Jagannath Shankarshet Road.

[324] Das Yasna-Ritual wird zum Heil der Gemeinde täglich vollzogen. Yasna – Opfer, Verehrung.

[325] Ahura Mazdā – weiser Herr. Er wirkt durch den Guten Geist, dem der Böse Geist entgegensteht. Er erschafft und ordnet den Kosmos. Er ist Vater der Wahrheit (arta).

[326] Im antiken Rom hüteten jungfräuliche Vestalinnen das Heilige Feuer. In Kirchen brennt das Ewige Licht.

[327] China wird abgeleitet von der Dynastie Qin (Ch’in), die 255-206 vor Christus regierte. Nach dem Sieg über die rivalisierenden Reiche gründete König Zheng 221 vor Christus das chinesische Kaiserreich, das bis 1911 bestand. Das russische Wort Kitaj rührt von dem tungusischen Stamm K’itan her, der im 10. Jahrhundert China eroberte.

[328] Nördliche Hauptstadt/Metropole – bĕi jīng. Vgl. R.H.Mathews, Chinese-English Dictionary, Schanghai 1931; Cambridge, Mass. 192000, 688 (Nr. 4974). Die Töne. Erster Ton: ā – hoch und eben. Zweiter Ton: á – steigend. Dritter Ton: ă – fallend und steigend. Vierter Ton: à – fallend.

[329] Höchster Punkt ganz, der allerhöchste Punkt, das Absolute – tài jí quán.

[330] Boot-Region – háng zhōu. Seelenzufluchtskloster – líng yĭn sì. Vgl. Anke Kausch, China. Die klassische Reise – Kaiser- und Gartenstädte, Heilige Berge und Boomtowns, Ostfildern 42006, 309-311; David Leffmann, Simon Lewis u. Jeremy Atiyah, China. Der Osten, Berlin 2004, 426-430.

[331] Leitfaden – sūtra. Die Sūtras sind Lehrreden des Buddha.

[332] Buddha der Zukunft – maitreya, wörtlich: „der Liebende“, der Buddha des Mitleids. Vgl. Die Welt des Buddhismus. Geschichte und Gegenwart, hg. v. H.Bechert u. R.Gombrich, München 2002, 92 (Étienne Lamotte, Übers. v. I.Höhn). Nota bene: Es gibt je einen (oder mehrere) Visnu, Śiva, Buddha der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. – Der buddhistische Rosenkranz, gefertigt aus dem Heiligen Feigenbaum, hat 108 Perlen.

[333] Gegenwärtiger = historischer Buddha – Śākyamuni, wörtlich: „der Weise aus dem Geschlecht der Śākyas“.

[334] Weg – dào. Der Daoismus wird in China ab dem 2. Jahrhundert nach Christus als Religion greifbar. Vgl. John Lagerwey, China. Der Kontinent der Geister, Düsseldorf 2002, 72-74 (Der Einsiedler auf dem Berg der Matrix gelangt zur Himmelspforte).

[335] Weite Region – guăng zhōu. Die Bezeichnung „Canton/Kanton“ leitet sich ab vom Namen der Provinz: guăng dōng – weiter Osten. Das Kloster der herrlichen Pietät – guāng xiào sì.

[336] Hui Neng (638-713) ist der 6. Patriarch des chán. Er begründet die Südliche Schule, welche die Lehre von der plötzlichen Erleuchtung betont. Er hatte sie selbst erfahren, als aus dem Diamant-Sūtra rezitiert wurde: „Lass deinen Geist frei fließen, ohne bei irgendetwas zu verweilen.“ Die Nördliche Schule lehrt die allmähliche Erleuchtung. Es geht um die Überwindung des Dualismus von Subjekt und Objekt.

[337] Sammlung, Versunkenheit – dhyāna (sanskrit), chán (chinesisch), zen (japanisch).

[338] Tang-Dynastie (618-906), der Dichter Cēn Sēn.

[339] Duftender Hafen – xiāng găng. In kantonesischer (südchinesischer) Aussprache ist dies etwa Höng gong. Davon leitet sich die ausländische Bezeichnung Hongkong ab. Fachleute für China waren: Kleine Maus, Pfirsichblüte, Mandelblüte sowie Der Unbegreifliche Führer.

[340] Taschként – Steinort, vgl. alttürkisch taš – Stein; altindisch kantham – Stadt.

[341] Zu Samarkánd vgl. iranisch *asmara – steinern oder turkotatarisch samar – Becken, Kanne; altindisch kantham – Stadt.

[342] 1195 wurden in Córdoba die Schriften des Philosophen Abu-l-walīd MuÐammad ibn aÐmad ibn MuÐammad ibn Rušd (Averroes) von islamischen Rechtsgelehrten und Theologen verurteilt und verbrannt. Der Philosoph selbst musste ins Exil gehen.

[343] Gur-i-emir (persisch und arabisch) – Grab des Befehlshabers/Herrschers/Fürsten, 1403/1404 errichtet. Vgl. Klaus Pander, Sowjetischer Orient. Kunst und Kultur, Geschichte und Gegenwart der Völker Mittelasiens, Köln 61990; Ders., Zentralasien, Ostfildern 62005.

[344] Es ist eine Doppelkuppel wie bei der Omaijaden-Moschee in Damaskus, die Ernst 1979 erlebte. Die innere Kuppel läuft oben spitz zu. Sie ist durch Streben mit der Außenkuppel verbunden.

[345] Nephrit, dunkelgrüne Jade.

[346] Timur Lang (1328-1405). Timur (tschagataisch) – der Eiserne, lang (persisch) – lahm, verkrüppelt. Er hatte eine Verwachsung an der rechten Kniescheibe. Latinisiert lautet sein Name: Tamerlan.

[347] Außerdem sind hier begraben: Timurs Lehrer Scheich Sa‛id Berke aus Medina, sein Minister Kumar Inak, seine Söhne Miranšah und Šahruch.

[348] Vgl. Giuseppe G. Lanza del Vasto, Pilgerfahrt zu den Quellen. Ein Indienbuch (Pèlerinage aux Sources, Paris 121943), Düsseldorf 1951, 224.

[349] Herberge, Konvent für Derwische und Sufis allgemein – chānegāh (persisch).

[350] Armer – faqīr (arabisch) – darwiš (persisch).

[351] Gedenken Gottes – dikr.

[352] Altindisch vihāra – buddhistisches Kloster.

[353] Chiva könnte mit der tatarischen Wurzel für lieb zusammenhängen.

[354] Die Oase, in der Chiva liegt, heißt Churazm. Al-chuwārizmī – der aus Churazm. Er lebte von 780-840.

[355] Der Algorithmus ist eine Rechenvorschrift, die auch automatisch arbeiten kann, ein komplexes Verfahren nach vorab festgelegten Schritten.

[356] Algebra – al ğabr (arabisch): Einrenkung. Lehre von den Beziehungen zwischen mathematischen Größen und den Regeln, denen sie unterliegen (Addition, Substraktion, Multiplikation, Division, Potenzieren und Logarithmieren). Al-chuwārizmī verfasste das Rechenbuch Al-muchtasar fī chisāb al-ğabr wa-l-muqābala (Abriss der mathematischen Operationen Einrenken und Gegenüberstellen), das der Algebra den Namen gab. „Einrenken“ (al-ğabr) bedeutet, das negative Glied zu beseitigen, zum Beispiel: 1 x2 = 40 x - 4 x2; 5 x2 = 40 x; x2 = 8 x. „Gegenüberstellen“ (al-muqābala) bedeutet Vereinfachen, zum Beispiel: 50 + x2 = 29 + 10 x; 21 + x2 = 10 x.

[357] Abū ‛Alī al-Chusain ibn ‛Abd-allāh Ibn Sīnā (980-1037) – Avicenna. Neben dem jüdischen Philosophen Rabbi Moše Ben Maimon (Maimonides) sind es die islamischen Philosophen Avicenna und Averroes (Ibn Rušd), welche Thomas von Aquin die Philosophie des Aristoteles mit Kommentierung und Weiterentwicklung überliefern.

[358] Afšana liegt 35 km von Buchārā entfernt.

[359] Vgl. Apollonios der Rhodier (Mitte des 3. Jahrhunderts vor Christus), die Argonautensage, in deren Mitte der Kampf um das Goldene Vließ steht.

[360] Die Bezeichnung für den Berg kommt aus dem Persischen: alb – versammeln; rās – Kopf. Also etwa: die beiden Häupter.

[361] Kreuzkuppelkirche, 7. Jahrhundert. Ateni liegt 12 km südlich von Gori. Dort befindet sich das Geburtshaus von Iosif Vissarionovič Ğugašvili, genannt Der Stählerne (9./21.12.1879-5.3.1953). Er lebte bis 1883 in Gori. 1899 wurde er wegen revolutionärer Gesinnung vom Priesterseminar verwiesen. Der Busfahrer hatte sein Konterfei an der Windschutzscheibe. Vor dem Rathaus stand sein Denkmal.

[362] Fresko aus dem Jahre 1080.

[363] Die Kirche stammt aus dem 8. Jahrhundert. Dranda ist 18 Verst von Suchumi entfernt und vier Verst vom Schwarzen Meer. In Suchumi war das Hotel abgebrannt. 1978 hatte es bereits einen Aufstand gegen die Georgier gegeben, im Juli 1989 kam es dann zu blutigen Auseinandersetzungen. Im August 1992 begann ein gnadenloser Partisanenkrieg. Im Mai 1994 wurde ein Waffenstillstand vereinbart.

[364] Der Ort heißt heute wieder Vagharschapat. Dies war die Bezeichnung der Hauptstadt Tiridastes III., der um 300 durch Gregor den Erleuchter zum Christentum bekehrt wurde.

[365] Kreuzstein – Chačkar.

[366] Seth besiegt die Apophis-Schlange. Ihr Blut färbt den Himmel rot. Jeden Morgen bedroht die Finsternis das Licht von neuem. Siehe auch Samuel Noah Kramer, Die Geschichte beginnt mit Sumer, Frankfurt am Main 1959, 131-140 (Der Kampf mit dem Drachen. Der erste „Sankt Georg“).

[367] „Katholikos“ ist seit dem fünften Jahrhundert die Amtsbezeichnung für Vorsteher von Kirchenbezirken östlich des Römischen Reiches (Mesopotamien, Armenien, Georgien), die zunächst zum Einflussbereich des Erzbischofs von Antiochien gehörten und später Autonomie erlangten. Bei den Armeniern stehen die Patriarchen unter dem Katholikos.

[368] 1923 Verstaatlichung, 1939 Überführung in die Hauptstadt, 1959 in das Matenadaran. – Wie kommt es, dass der armenische Wein im vorigen Jahr den ersten Preis erhielt und in diesem Jahr nur den dritten? Radio Erevan denkt nach und sagt dann: Das verstehen wir auch nicht. Wir haben den Wein aus demselben Fass geschöpft.

[369] Am 7.12.1988 starben 25.000 Menschen.

[370] Danach verehren die Gläubigen das Evangeliar.

[371] Sie war zunächst eine Kirche zum Fest Mariä Verkündigung und übernahm 1847 das Patrozinium von einer benachbarten verfallenen Antoniuskirche.

[372] In seinen Pass wurde versehentlich „Celibidache“ eingetragen. Diese fehlerhafte Schreibung wird heute offiziell gebraucht.

[373] Gesprochen: jasch.

[374] Im September 1979 mit dem Stuttgarter Radio-Symphonie-Orchester.

[375] Die Rillen der Langspielplatte.

[376] Vgl. Andersens Märchen.

[377] Himmelfahrtskirche von 1497. Die Ursprünge des Klosters liegen im 14. Jahrhundert.

[378] Paisij (Veličkovskij), * 21.12.1722 in Poltava, † 15.11.1794 in Neamţ.

[379] Vasilij von Poiana Mărului (Apfelbaumlichtung), * 1692, † 25.4.1767.

[380] Paisij ging, ebenso wie Nil Sorskij, für einige Jahre zum Heiligen Berg Athos und kehrte dann in die Bucovina (Buchenland) zurück.

[381] Alt-Orhei – Orheiul Vechi.

[382] Es gab Konflikte mit dem Landbesitzer dieser Region.

[383] Dies ist eine Kalksteinrippe.

[384] Vgl. Maria Sărbu, Orheiul Vechi, in: Mănăstiri Basarabene, hg. v. Tudor Ţopa u. Vasile Trofăilă, Chişinău 1995, 232-241.

[385] Stadt am Fluss Už – Užgorod.

[386] Er starb 1651 hundertjährig.

[387] Ikone der Gottesmutter von Elec.

[388] Die erste Kirche wurde 1060 erbaut.

[389] Svjatoslav Jaroslavič riet ihm, für eine Zeitlang hierhin zu gehen, um dem Zorn des Kiever Fürsten Isjaslav auszuweichen.

[390] 11. Jahrhundert.

[391] 1908-1997.

[392] Um 1100. Berestovo – Birkenwald.

[393] Vgl. Joh 21,7.

[394] 1051 gegründet.

[395] Es war um 1100 entstanden.

[396] Trapeza – Refektorium.

[397] Heute (19.7.2002) ist das Kloster wiederhergestellt.

[398] Ein Fresko der Gottesgebärerin.

[399] Genauer: Eine Ikone zu schreiben.

[400] Der Gründungsbau wurde 1037 begonnen.

[401] Slava – Lob, Preis, Ehre, Ruhm, Herrlichkeit.

[402] Spr 9,1.

[403] Das kann man im wörtlichen Sinne auffassen. Aufgrund ihrer damaligen Körpergröße konnte sie die Tasten nicht mit solch großer Kraft anschlagen, wie dies erforderlich gewesen wäre. Für das Lernen spielt ein derartiges frühes Konzert aber eine wichtige Rolle.

[404] Pskov.

[405] Diese Bezeichnung kann auf die Schweden zurückgehen, die als Ruotsi (finnisch), Ruderer, Seefahrer, bezeichnet wurden.

[406] Stockholm, Historisches Museum, 1.9.2004.

[407] Der Ort Vyšgorod / Vyšegrad liegt 15 Verst nördlich von Kiev am Dnepr’.

[408] Qagan (mongolisch: Herrscher, König) Batú (mongolisch: stark, fest, ehrenhaft) ist Enkel von Činggis Qagan. Er zerstörte Kiev, verheerte Polen, Schlesien und die Donauländer. Er vernichtete bei Liegnitz im Jahre 1241 das von Herzog Heinrich II. von Schlesien geführte polnisch-deutsche Ritterheer. An der Volga gründete er sein eigenes Qaganat, das als Goldene Horde bekannt wurde. Die Hauptstadt Saraj liegt südöstlich gegenüber dem heutigen Volgograd, an der anderen Seite der Volga. Im 19. Jahrhundert hieß dieser Ort Carev. Batu starb 1255.

[409] 1700.

[410] Der Chassid ist der Fromme. Die Chassidische Bewegung entstand im 18. Jahrhundert in der heutigen Ukraine (Podolien) und erneuerte das Judentum von innen her.

[411] Michail Semënovič Voroncov (1782-1856) war seit 1823 Generalgouverneur von Neurussland. Ab 1824 legte er den großartigen Park in Alupko (Krim) an, und erbaute dort von 1833 bis 1855 seinen Palast. Die Reisenden sahen dies am 13.7.2002.

[412] 1817-1900.

[413] In der Literatur wird die Bezeichnung „Purpurgeborene“ gebraucht. Porphyrogénnētos ist der in Purpur, während der Regierungszeit seines Vaters, geborene Sohn. Falsch ist die Erklärung: im Purpurgemach geboren.

[414] Einzäunen – ogorodit’; Stadt – gorod.

[415] Golosniki.

[416] 1629-1680.

[417] Obed duševnyj, Moskau 1681; Večerja duševnaja, Moskau 1683.

[418] Um 1110-1173.

[419] 1847.

[420] 1893.

[421] Der Jesuit Luis de Molina (1535-1600) versucht, den freien Willen, die Gnade und die Prädestination miteinander in Einklang zu bringen. Er möchte einen Weg finden, auf dem die Eigenständigkeit und moralische Verantwortung des Menschen mit der allumfassenden Leitung und zielgerichteten Lenkung aller Dinge durch Gott in Übereinstimmung gebracht werden können.

[422] 16.-19. Jahrhundert.

[423] In der Hauptkirche, der Verklärungskathedrale, waren zur Verfolgungszeit hauptsächlich Geistliche inhaftiert. Der Prominenteste unter ihnen war der Universalgelehrte Pavel Florenskij, der am 1.9.1934 hierhin kam, allerdings bald in der Jodfabrik an der Philippus-Einsiedelei (pustyn’) forschen konnte. Am 8.12.1937 wurde er erschossen.

[424] Besuch dort am 22.7.2000. Kathedrale des heiligen Nikolaus, des Patrons der Seefahrer, 1903 erbaut.

[425] Jes 12,3.

[426] Jes 58,11.

[427] Ps 36,9f.

[428] Ps 87,7.

[429] Joh 7,38.

[430] Lebensweise einiger Mönche nach dem Vorbild der Wüstenväter der Sketis in Ägypten.

[431] Er selber war ein Schüler des großen Starec Paisij (Veličkovskij) in der Bucovina.

[432] Kleopa, dessen weltlicher Name nicht überliefert ist, wurde in Putivl’ (Gouvernement Kursk) geboren, 1797 Mönch in Neamţ bei Paisij und kam 1801 nach Valaam. Er starb am 22.5.1816 im Alter von 66 Jahren. Vgl. Valaamskij monastyr’ i ego svjatyni, Leningrad 1990, 147.

[433] Bogen – luk.

[434] Das Große Schema ist eine Kleidung, die Menschen verliehen wird, welche den höchsten monastischen Grad verwirklichen.

[435] In einer Art Skapulier.

[436] Mt 16,24f.

[437] Um 1503, vor 1505.

[438] Sie befindet sich heute im Ikonenmuseum des Kreml’ von Vologda.

[439] Eine Überlieferung berichtet, dass er aus Lübeck stamme.

[440] Der Name bedeutet: Große Stadt an der Mündung des Flusses Jug in die Suchona.

[441] Es befindet sich heute in der Nikolauskirche, 17.-19. Jahrhundert erbaut: 50 cm hoch, etwa 35 cm breit und 7 cm dick.

[442] Nach dem Brand der Kirche der heiligen Boris und Gleb wurde der Neubau im Jahre 1495 dem heiligen Prokopij geweiht. Dort ist heute sein Schrein.

[443] Mündung der Sysola. Syktyvkar (Komi): Stadt (kar) an der Mündung der Sysola.

[444] Lager Vorkutá.

[445] Sommer- und Winterkirche, 1558 erbaut.

[446] In Narva. Ernst sah sie sich am 4.7.2001 an.

[447] Das russische Wort Kreml’ (Festung, Burg) hängt zusammen mit dem slavischen Wort krem’ – Abschnitt des Waldes, in welchem die besten Stämme wachsen. Vgl. Max Vasmer, Russisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Heidelberg 1976, 659. Lautlich nicht möglich ist die Herleitung aus dem mongolischen kerem – Festung. Ungesichert ist der Zusammenhang mit dem griechischen krēmnós – abschüssiger Ort, Abhang.

[448] Die Bezeichnung für die Stadt, welche 863 erstmals urkundlich erwähnt wurde, kommt von dem Platz, an dem Schiffe und Boote geteert wurden: smolit’ – teeren.

[449] Ihr Grundstein wurde 1045 gelegt.

[450] 48 Bronzeplatten, die zwischen 1152 und 1154 in Magdeburg gegossen wurden.

[451] 1515 erbaut.

[452] 1821-1881.

[453] Erschienen in der Zeitschrift „Russkij Vestnik“ (St. Petersburg) 1871f.

[454] Erschienen in „Otečestvennye zapiski“ (St. Petersburg) 1875.

[455] Erschienen in der Zeitschrift „Russkij Vestnik“ (St. Petersburg) 1879f.

[456] Im lateinischen Taufritus bedeutet das Salz eine Erinnerung an das Wort: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz verdirbt, womit kann man salzen?“ (Mt 5,13). Das neugeborene Kind soll vor dämonischen Gefahren bewahrt werden (römischer Brauch). Salz reinigt, konserviert, würzt. Lev 2,13 spricht vom Salz des Bundes. Es ist Symbol der Vereinigung von Mensch und Gott. Es wird dem Gast als Zeichen der Gastfreundschaft gereicht. Salz heilt das Wasser einer Quelle (vgl. 2 Kön 2,19-22). Daher wird es dem Weihwasser beigemischt.

[457] Pskov.

[458] Etwas zur Lebenssituation 1985 in der Sowjetunion: Von dem durchschnittlichen Einkommen von 160 Rubeln sind 25 Rubel als Steuer zu entrichten und 16 Rubel für die Miete zu bezahlen. Ein Päckchen Tee kostet im Laden 35 Kopeken. In der Gaststätte kostet ein Glas Tee zwei Kopeken, eine Scheibe Schwarzbrot eine Kopeke.

[459] Koseform von Evgenija (Eugenie).

[460] Großmütterchen.

[461] Koseform von Leja. Lea ist die erste Frau Jakobs (vgl. Gen 29,16-27).

[462] Tanja selbst starb zwei Jahre später, unfähig, die Nachwirkungen von Entkräftung und Hunger zu überwinden. Sie und ihre Angehörigen sind auf dem Piskarëvsker Friedhof begraben.

[463] 1660f, nach anderen Angaben: 1668f, da das Gemälde unvollendet ist.

[464] 1750-1768 erbaut.

[465] Aleksandr Sergeevič Puškin, Carskosel’skaja statuja, 1830. Heute (25.8.2004) ist bereits die dritte Statue zu sehen. Die einzelnen Fassungen weichen deutlich voneinander ab. Die erste Statue (Bronze) stammt aus dem Jahre 1810 und wurde von P.P.Sokolov geschaffen. Ernst sah 1985 noch die zweite Fassung. – Puškin empfing die Anregung zu diesem Gedicht aus Frankreich. Vgl. Jean de La Fontaine (1621-1695), Fables choisies mises en vers, 1668, Buch 7, Fable 9, Paris 1990, 190f (La laitière et le pot au lait). Eine Frau berechnet im Gehen, was sie sich nach dem Verkauf leisten kann. Der zerbrochene Milchkrug bedeutet das Ende ihrer Träume. Puškin macht daraus eine metaphysische Reflexion über Trauer und Unendlichkeit. La Fontaine wiederum benutzt als Quelle: Bonaventure Des Périers (um 1510-1543/1544), Nouvelles récréations et joyeux devis, 1558, Nouvelle XIV: Comparaison des alquemistes à la bonne femme qui portait une potée de lait au marché.

[466] Andacht.

[467] 1844-1930.

[468] Römische Hausgötter.

[469] Er arbeitete an diesem Bild 1880-1891.

[470] Griechisch: glykophilousa – die süß Küssende; russisch: umilenie – Rührung.

[471] Großrostov heißt diese Stadt zur Unterscheidung von Rostov am Don, das allerdings heute wesentlich größer ist.

[472] Die Kirche wurde 1670 errichtet. Die Fresken stammen von Dmitrij Grigor’ev sowie Gurij Nikitin und wurden 1675 gemalt.

[473] Als Bild liegt die Jakobsleiter zugrunde (vgl. Gen 28,10-19). Johannes Klimakos (um 575-650) gestaltet dieses Bild zu einer dreißigstufigen Leiter aus, der er sein Buch „Klimax“ widmet.

[474] Holzkirche 991. An der heutigen Kirche aus Kalkstein wurde wegen mehrerer Brände vom 12. bis zum 16. Jahrhundert gebaut.

[475] Eine ältere Sammlung stammt aus dem 16. Jahrhundert. Sie wurde durch Metropolit Makarij von Moskau herausgegeben.

[476] Das Material für den Monat Januar ist auf zwei Bände verteilt.

[477] 1824-1836 erbaut.

[478] Vgl. Dimitrij (Tuptalo), Duchovnoe vračestvo, Moskau 1997; Theophan der Klausner, Sobranie pisem, Bd. 1, Moskau 1898, 46.154.213; Bd. 4, Moskau 1899, 247; Bd. 8, Moskau 1901, 222; Načertanie christianskago nravoučenija, Moskau 21895, 39; Pis’ma o christianskoj žizni 32, Moskau 31908, 64.

[479] Kapitalismus, Kommunismus und Sozialismus wollten sich treffen. Der Sozialismus kam zu spät. Wo bist du gewesen? Ich musste für Wurst anstehen. Da fragte der Kapitalismus: Was ist anstehen? Der Kommunismus fragte: Was ist Wurst? – Der Kommunismus hat die alte Frage gelöst: Was war eher, das Ei oder das Huhn? Antwort: Früher war hier beides. (Dies wurde am 29.8.1991 in Kostroma erzählt. Nach dem Putsch.)

[480] Markt – torg. Daraus Toržok.

[481] 16./17. Jahrhundert.

[482] 18. Jahrhundert.

[483] 17. Jahrhundert.

[484] Nikita Minič (1605-1681) war 1652-1666 Patriarch von Moskau. Er setzte die von seinen Vorgängern begonnene Korrektur der liturgischen Bücher nach dem Vorbild der griechischen fort, in der Annahme, die griechischen Texte seien die ursprünglicheren. Er wusste nicht, dass diese neuen Drucke zum Teil fehlerhaft kopierte Handschriften verwandt hatten. Leider wurde versucht, die liturgischen Reformen unter Zwang durchzusetzen.

[485] Alter Stil: 26.8.

[486] Auf russischer Seite hatte General M.I.Kutuzov die Leitung. Denkmal, historisches Museum, Erlöserkloster (1830-1870) mit Kathedrale der Vladimirer Gottesmutterikone (1812-1820). Im Dorf Borodinó die Kirche der Geburt Christi, Ende des 17. Jahrhunderts. Margarita Michajlovna Tučkova (1781-1852) lässt an der Stätte, an der ihr Mann General A.Tučkov (1777-1812) in der Schlacht fiel, das Erlöserkloster errichten. Sie wird Igumen’ja unter ihrem monastischen Namen Marija.

[487] In der Moskauer Tret’jakóv-Galerie ist ein derartiges Relief aus dem Jahre 1320.

[488] Vgl. Jean-Paul Deschler, Der heilige Nikolaus von Možajsk, in: Der Christliche Osten 43 (1988), 222f.

[489] 1520.

[490] 1673-1692.

[491] Ende des 17. Jahrhunderts.

[492] Wieviel Dollar сколько долларов.

[493] Dies ist die Hauptkirche Russlands. Sie wurde 1475-1479 erbaut.

[494] Um 1530-17.2.1612.

[495] 1530. Weihe der Kirche 1532.

[496] Das Gotteshaus ist 63 m hoch.

[497] Ziergiebel aus einem Kielbogen, welcher der Frauenkopfbedeckung (kokóšnik) nachgebildet ist.

[498] Vgl. Dan 4,8.17.

[499] Der Lebensbaum steht in der Mitte des Paradieses (vgl. Gen 2,9).

[500] Offb 22,2.

[501] Die Tora: die fünf Bücher Moses. Sie werden durch die Mischna, die Tosefta und den Talmud erläutert. Die Übersetzung „Gesetz“ ist einseitig, da sie nur den juridischen Charakter berücksichtigt. Es geht um Folgendes: die Erfüllung des Willens Gottes, eine Lebensweise, die Gott und dem Nächsten dient, die Übernahme von Verantwortung, Heiligung, Lehre und Wegweisung

[502] Vgl. Ps 1,3.

[503] Hld 2,3.

[504] Kéntauros (griechisch) – Mythisches Wesen mit menschlichem Oberkörper und Pferdeleib.

[505] Der Paradiesvogel Sirin leitet sich von den griechischen Sirenen her (Homer, Odyssee). Der Paradiesvogel Alkonos könnte auf den Eisvogel Alkyónē zurückgehen. Der Gesang dieser Vögel erinnert an das Paradies, verheißt aber auch den Tod.

[506] 1158-1161 erbaut.

[507] Vgl. Offb 6,14.

[508] Ewald Behrens, Kunst in Rußland. Ein Reisebegleiter zu russischen Kunststätten, Köln 71986, 187: „die verlorenen Fresken im Westen des Nordschiffes haben also wohl die Qualen der Verdammten geschildert.“

[509] Das Löwenjunge ist nach der Geburt zunächst drei Tage lang tot und wird erst dann durch den Vater erweckt. Daher ist der Löwe ein Symbol der Auferstehung. Vgl. Der Physiologus 1, Übers. u. erläutert v. O.Seel, Zürich u. München 61992, 6.

[510] Dan 7,3-5: „Vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer. Sie waren alle verschieden. Das erste sah aus wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel ausgerissen wurden. Es wurde von der Erde aufgehoben und auf zwei Füße gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben. Siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären. Es hatte sich aufgerichtet. In seinem Maul waren zwischen den Zähnen drei Rippen. Man sprach zu ihm: Auf, friss viel Fleisch!“ – Am 5,18f: „Weh denen, die den Tag des Herrn herbeiwünschen! Was soll er euch? Denn der Tag des Herrn ist Finsternis und nicht Licht, gleichwie wenn jemand vor dem Löwen flieht und ein Bär begegnet ihm; er kommt in ein Haus, stützt die Hand an die Wand, da beißt ihn eine Schlange!“

[511] Mit seinem Horn schlägt es ein Kreuz, reinigt das von der Schlange vergiftete Wasser und ist somit ein Hinweis auf Christus, der die Welt von Sünden erlöst. Vgl. Der Physiologus 22, Zürich 61992, 36.

[512] Offb 9,7-11: „Die Heuschrecken sahen aus wie Pferde, die zum Krieg gerüstet sind. Auf ihren Köpfen war etwas wie goldene Kronen, und ihr Antlitz glich der Menschen Antlitz; sie hatten Haar wie Frauenhaar und Zähne wie Löwenzähne, Panzer wie eiserne Panzer, und das Getöse ihrer Flügel war wie das Getöse von Wagen mit vielen Pferden, die in den Krieg laufen. Sie hatten Schwänze wie Skorpione und einen Stachel. In ihren Schwänzen war die Macht, den Menschen fünf Monate lang Schaden zuzufügen. Sie hatten über sich einen König, den Engel des Abgrunds“.

[513] Der Mensch soll auf seine Sünden schauen wie der Pfau, der wild und klagend aufschreit, wenn sein Blick auf seine Füße fällt, die der Schönheit seiner Federn nicht entsprechen. Vgl. Der Physiologus 53, Zürich 61992, 78.

[514] Vgl. Lk 16,23.

[515] 1152 errichtet.

[516] Wer in den 1930er Jahren eine Kuh besaß, galt als Kulak und wurde nach Sibirien verschickt. Daher schafften sich die Menschen eine Ziege an. Im Deutschen spricht man von der Eisenbahnerkuh, da dieser Berufszweig sprichwörtlich arm war (vgl. Gerhard Hauptmann, Bahnwärter Thiel, 1892).

[517] 1860-1900. Er starb in Moskau an seiner Herzerkrankung. Plës ist der gerade Abschnitt der Volga zwischen zwei Biegungen.

[518] 1823-1886.

[519] Jasnaja Poljana bedeutet: Helle Waldlichtung. Krieg und Frieden erschien 1868f in Moskau in vier Bänden, Anna Karenina erschien 1875-1877 in der Zeitschrift „Russkij Vestnik“ (St. Petersburg) und 1878 in Moskau in Buchform.

[520] 1811 errichtet.

[521] Heute Gor’kij-Straße.

[522] Kursk liegt am Fluss Kura.

[523] 1752-1778 erbaut.

[524] Sveaborg (schwedisch) – Schwedenburg; Suomenlinna (finnisch) – Finnenstadt liegt im Bereich Helsinki.

[525] Die frühere Benennung dieses Ortes.

[526] Diesen Ausdruck gab es damals noch nicht. Vielmehr hatte Faddej Venediktovič Bulgárin (Tadeusz Bulharyn, 1789-1859) im Jahre 1846 in einer Rezension des „Petersburger Sammelbandes“ (Peterburgskij sbornik) die verächtlich gemeinte Bezeichnung „natürliche Schule“ vor allem gegen Gogol’ geprägt.

[527] Ende des 16. Jahrhunderts errichtet.

[528] Genannt Sten’ka Razin, um 1630-1671.

[529] Im gleichen Jahr 1671 wurde Sten’ka Razin hingerichtet.

[530] 1698-1710 vom leibeigenen Künstler Dorofej Mjakišev erbaut.

[531] Dieses Kloster wurde 1983 dem Patriarchat zurückgegeben.

[532] Nikephoros (Theotokes), Kyriakodromion, 2 Bde., Moskau 1796.1837. Russische Übersetzung: Moskau 1809.1847. Behandelt werden die Sonntagsevangelien des Kirchenjahres.

[533] In Kazan’ wurde die Moschee im Kreml’ wiedererrichtet, die Ivan IV. 1552 zerstört hatte.

[534] Knien mit einer Verneigung bis zum Boden.

[535] Michail Aleksandrovič Šolochov, Tichij Don, in den Zeitschriften Oktrjabr’ und Novyj Mir in Moskau 1928 bis 1940 erschienen. Revidierte Fassung: Moskau 1953. H.Ermolaev, R.A.Medvedev und A.Solženicyn vermuten, zumindest die Anfangsteile des umfangreichen Romans stammen von dem 1920 verstorbenen Kosakenschriftsteller Fëdor Krjukov. M.Anikin nennt Aleksandr Serafimovič (eig. Popov; 1863-1949) als eigentlichen Verfasser. Er habe Šolochov lediglich als Strohmann benutzt, um die schwankende Haltung der Kosaken ungeschminkt darstellen zu können.

[536] Pjatigorsk bedeutet Fünfberg: Džuca (974 m), Mašuk (993 m), Beštau (1401 m), Razvalka (928 m) und Zmejka (994 m). Es gibt außerdem: Lysaja (739 m), Železnaja (852 m), Byk (817 m) und Verbljud (885 m).

[537] Bei den ägyptischen Obelisken war die Spitze vergoldet, sodass die ersten Strahlen der Sonne sie zum Leuchten brachte.

[538] Der Adler findet sich dort ein, wo Erschlagene liegen (vgl. Hiob 39,30). Jesus weist mit diesem Bild auf Seine Auferstehung hin (vgl. Mt 24,28; Lk 17,37).

[539] Lermontov wurde 1814 in Moskau geboren.

[540] Eine Friedhofskirche. Die zentrale Michaelskathedrale mit wertvollen Fresken war in den 1930er Jahren zerstört worden.

[541] Eine Frau in traditioneller Tracht trägt einen runden Brotlaib, in dessen Mitte ein Salzfass steht. Jeder bricht ein Stück Brot ab und isst es mit etwas Salz.

[542] Alter Stil 20.7., Neuer Stil 2.8.

[543] † 1936.

[544] Kloster Mariä Schutz und Fürbitte, 1893 gegründet, in den 1930er Jahren zerstört. Pfarrei- und Ikonenschule, Krankenhaus. 1908: 18 Schwestern und 96 Novizinnen.

[545] Finnisch-ugrische.

[546] In den Bylinen der Volkstradition besingen fahrende Sänger altrussische Helden und Begebenheiten der Vergangenheit.

[547] Gegründet 1643.

[548] 90 km volgaabwärts von Nižnij Novgorod.

[549] Das untere Novgorod (Neustadt), da es südlicher als Novgorod liegt.

[550] So genannte Stalinorgeln.

[551] 1649.

[552] 1722-1726 erbaut.

[553] Nach der krimtatarischen Familie Naryška, welche diesen Stil zuerst verbreitete.

[554] Turko-tatarische, mongolische und mandschu-tungusische Sprachen werden herkömmlich als die altaische Sprachfamilie bezeichnet. Sie haben Gemeinsamkeiten in der Syntax, in der Formenbildung und im Vokabular. Die uralischen (finno-ugrischen) weisen wie die altaischen Sprachen Vokalharmonie und Agglutination von Suffixen auf.

[555] Farben sind alte geographische Bezeichnungen. Vgl. Herbert Ludat, Farbenbezeichnungen in Völkernamen. Ein Beitrag zu asiatisch-osteuropäischen Kulturbeziehungen, in: Sæculum 4 (1953), 138-155. Sach 6,6: „Die schwarzen Pferde ziehen nach Norden, die weißen nach Westen“. Weiß steht für den Westen (Weißrussland, von Moskau aus gesehen), schwarz für den Norden (Schwarzes Meer, vom Mittelmeer aus gesehen), rot für den Süden (Rotes Meer, vom Heiligen Land aus gesehen), golden für den Osten (Goldene Horde). Horde hängt mit dem Wort ordo zusammen und bezeichnet die Heeres- und Stammesordnung.

[556] Felsblock, Findling – bul čuluu (mongolisch).

[557] Später wurden nach ihrem Vorbild ähnliche Steinskulpturen angefertigt.

[558] Gegründet 1866.

[559] Dieser Zwischenboden hat eine Randleiste. Auf ihm wurde auch gesponnen. Er ragt halb in den Raum hinein.

[560] Zar Nikolaj II., Zarin Aleksandra, Thronnachfolger Aleksij, Prinzessinen Ol’ga, Tat’jana, Marija und Anastasija.

[561] Es gehörte dem Bergbauingenieur Nikolaj Ipat’ev.

[562] Die Schwester der Zarin.

[563] Zwei Gipfel: 4.506 und 4.440 Meter hoch.

[564] Nikolaus Rörich (1874-1947) wurde in St. Petersburg in der Familie eines Notars geboren.

[565] G.Drosdowski, Duden. Das große Fremdwörterbuch, Mannheim, Leipzig, Wien u. Zürich 1994, 1230: Schamane aus dem tungusischen šaman, dies aus dem Sanskrit: śramaná – Bettelmönch zu śráma – Anstrengung. V.Diószegi, Shamanism, hg. v. M.Hoppál, Budapest 1998, XVII: Das Wort šámán bedeutet in der tungusischen Sprache „der Wissende“.

[566] Nagar, Kulu-Tal, Himalaja, Indien.

[567] Seine Trommel ist mit Rentierfell bespannt. Das Tier wird in diesem Augenblick lebendig.

[568] P.I.Mel’nikov (A.Pečerskij), v lesach, Moskau 1958, 187: „Als schwarze Krähe fliegt die Schamanin unter den Wolken, als Hecht schwimmt sie im Wasser und als graue Wölfin jagt sie über die Felder.“

[569] Vgl. Hortense Reintjens-Anwari, Vogel, Rentier, Fisch. Mächte und Gewalten der oberen, mittleren und unteren Welt im noreurasiatischen Schamanismus, in: Una Sancta 62 (2007), 278-287.

[570] Aufenthalt in Omsk 24.-28.6.2007.

[571] Священная исторiя Ветхаго и Новаго Завета, Bd. 2, Moskau 1820 (Übersetzung aus dem Französischen).

[572] Johannes unterbricht nicht seine Fahrt, sondern reist gleich nach der Weihe weiter. Warum diese Eile? Der eine Grund ist, dass er zu diesem Zeitpunkt in ganz Russland bekannt und beliebt ist. Daher hat er während der verhältnismäßig kurzen Zeit des Sommers zahlreiche Verpflichtungen. Man darf ja nicht außer acht lassen, dass Russland ein Sechstel der Erdoberfläche bedeckt. In der übrigen Zeit des Jahres wirkt Johannes in Kronstadt. Der andere Grund: Er ist nicht mehr der Jüngste. Er stirbt am 20.12.1908, mit 79 Jahren.

[573] 50 km südlich von Omsk, mit dem Tragflächenboot auf dem Irtyš eine Stunde.

[574] GULAG – Главное управление лагерей, Hauptverwaltung der Straflager. Zur Zeit Stalins sind ständig etwa zwölf Millionen Häftlinge in diesen Lagern.

[575] John Eric Sidney Thompson (* 31.12.1898 in London, † 9.9.1975 in Cambridge) war einer der Pioniere der Maya-Forschung.

[576] Jurij Valentinovič Knorozov (* 19.11.1922 in der Nähe von Char’kov, † 30.3.1999 in St. Petersburg).

[577] Die Aufgabe war zunächst, Dubletten zu erkennen. Es gibt nämlich mehrere rein orthographische Varianten. Insgesamt gibt es (variantenbereinigt) etwa 700 Maya-Schriftzeichen. Eine alphabetische Schrift hat weit weniger Zeichen, auch eine Silbenschrift hat nicht so viele Zeichen. Daher mussten auch Logogramme vorkommen.

[578] Diego de Landa Calderón (* 12.11.1524 in Cifuentes/Guadalajara, † 29.4.1579 in Mérida/Yucatán) trat in Toledo in das Kloster San Juan de los Reyes ein, wurde Franziskaner, dann Guardian und Provinzial, schließlich Bischof von Yucatán. Er ließ zahlreiche Maya-Codices verbrennen. In seinem Bericht gibt er Hinweise auf die Lesung einiger Zeichen. Vgl. Diego de Landa Calderón, Relación de las Cosas de Yucatán, hg. v. A.M.Garibay, Mexiko 131986; Bericht aus Yucatán von Diego de Landa, Übers. v. U.Kunzmann, Leipzig 21993.

[579] Darüber hatte er seine Doktorarbeit geschrieben. Vgl. Jurij Valentinovič Knorozov, Diego de Landa Calderón, Relación de las Cosas de Yucatán, 1566, Soobčenie o delach v Jukatani, Moskau 1956.

[580] Vgl. Jurij Valentinovič Knorozov, Drevnjaja pis’mennost’ Central’noj Ameriki, in: Sovetskaja Ėtnografija 3 (1952), 100-118.

[581] Tat’jana Proskurjakov (* 23.1.1909 in Tomsk, † 30.8.1985 in Philadelphia) fand heraus, dass es historische (also nicht nur kultische) Maya-Texte gibt. Vgl. Tat’jana Proskurjakov, Historical Data in the Inscriptions of Yaxchilan, 2 Teile, in: Estudios de Cultura Maya 3f (1963f).

[582] Auf dem Flug nach Tomsk, 18.6.2007.

[583] Auf den Ikonen hat Christus einen kleinen Mund. Seine Taten und seine Person wirken in erster Linie, erst dann seine Worte.

[584] Aufenthalt in Tomsk: 19.-24.6.2007.

[585] Vgl. Sören Kierkegaard, Was fühlte Isaak nach dem Versuch, ihn zu opfern?

[586] Gebetsruf – adān.

[587] Nikita Sergeevič Chruščëv.

[588] Speisesaal, Mensa, Kantine – столовая.

[589] Karl Bædeker, Rußland. Handbuch für Reisende, Leipzig 51901, 448.

[590] Es handelt sich hier um einen überlieferten Reinigungsritus anlässlich der Sommersonnenwende, die nach dem Alten Stil am 24. Juni, nach dem Neuen Stil am 7. Juli gefeiert wird. Dazu gehört auch das Springen durch Feuerreifen: Der Mensch muss durch Feuer und Wasser gehen (vgl. Ps 65,12 Septuaginta). Die Germanen rollten Feuerräder die Abhänge hinab, welche den Sonnenkörper versinnbildlichten, der von diesem Tag an bis zur Wintersonnenwende geringeren Schein auf die Erde wirft.

[591] Утро вечера мудреннее. Утром будет видно.

[592] Dies geschah am 14. Dezember 1825, daher werden die Aufrührer als Dekabristen (Dezembermänner) bezeichnet.

[593] M.Bestužev-Rjumin, P.Kachovskij, S.Murav’ëv-Apostol, P.Pestel’ und K.Ryleev.

[594] Die Urenkelin Lomonosovs.

[595] Elf Frauen waren ihren verbannten Männern nach Sibirien gefolgt, bevor der Zar dies verbot.

[596] Der Buddha „Lehrer der Heilmittel“ – bhaibajya-guru-buddha. In Burjatien wird er Manla genannt. Ex 15,26: „Ich, der Herr, bin dein Arzt.“ Mt 4,23f: „Er zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen, predigte das Evangelium vom Reich und heilte jede Krankheit sowie jedes Gebrechen im Volke. Sein Ruf verbreitete sich in ganz Syrien. Sie brachten alle Leidenden zu Ihm, die mit mancherlei Krankheiten und Qualen behaftet waren, Besessene, Mondsüchtige sowie Gelähmte, und Er heilte sie.“ Lk 6,17-19: „Er stieg mit ihnen hinab, stellte sich auf einen ebenen Platz und [mit Ihm] eine große Schar Seiner Jünger sowie eine große Menge Volkes aus dem ganzen jüdischen Lande, aus Jerusalem und von der Meeresküste von Tyrus und Sidon, die gekommen waren, um Ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden; und die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt. Alle Menschen suchten Ihn anzurühren; denn eine Kraft ging von Ihm aus und heilte alle.“

[597] Manchmal hält er auch einen olivenartige Früchte tragenden Zweig des Arzneibaums Myrobalan (tibetisch: arura), der im Himalaja wächst, oder eine Schale mit einer Essenz aus diesen Früchten.

[598] Die rechte Hand wird mit gestreckten Fingern und nach vorne zeigender Handfläche auf Schulterhöhe erhoben: abhaya-mudrā. Oft wird auch die Geste der Erdberührung (bhūmisparśa-mudrā) dargestellt.

[599] Merke: Je länger in der russischen Sprache ein Wort ist, desto eher besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine Abkürzung handelt.

[600] Bahā’i ist eine Abkürzung für Bahā’u’illāh (arabisch) – Glanz, Herrlichkeit Gottes. Er schrieb um 1873 im Iran das Buch der Gesetze (Kitāb-i-Aqdas), die Grundgesetze der religiösen Weltordnung. Dieses Buch in arabischer Sprache darf  nicht übersetzt werden. Er starb 1892 in Bahjí bei Akko. Seit 1844 entsteht diese Religion im Iran. Ihr Ziel ist es, alle Religionen zusammenzuführen, eine Sprache zu sprechen, allen Menschen gleiche Rechte zu geben. Das Zentrum ist in Haifa (Israel), ein prächtiger Tempel inmitten großzügiger Gartenanlagen (persisch: Paradies). Etwa vier Millionen Menschen sind Mitglieder.

[601] Vgl. A.P.Čechov, Ostrov Sachalin, Sobranie sočinenij, Bd. 10, Moskau 1956, 39-379.

[602] Vgl. Aleksandr Ostrovskij, Religioznye verovanija Nivchov, Južno-Sachalinsk 2005, 25.

[603] Verchneparatunsk liegt 62 km südwestlich von Petropavlovsk-Kamčatskij.

[604] Kamčatka liegt eine Zeitzone östlicher als Japan. Der Avačinskij-Vulkan ist in der Luftlinie etwa 20 km nördöstlich von Petropavlovsk-Kamčatskij.

[605] Der Korjakskij-Vulkan mit einer Höhe von 3.458 Metern. Sein letzter Ausbruch war 1957.