Santa Maria Antiqua

 

 

Heinrich Michael Knechten

 

 

 

Caligula erweitert den Palast des Kaisers Tiberius auf dem Palatin bis zum Forum Romanum hinab. Das große Wasserbecken im Vorraum der späteren Kirche Santa Maria Antiqua gehört zu einem Peristyl des von Caligula errichteten Anbaues.

 

Nach dem Brand Roms im Jahre 80 nach Christus wird die Domus Tiberiana von Domitian wiederaufgebaut. Zu Füßen des Palatins, auf dem Forum, baut er eine Empfangshalle, die als Eingang zum Palast dient. Mit dieser Vorhalle ist ein Gebäude verbunden, das vielleicht als Wache für jene Mannschaft, die den Nordeingang des Palastes zu kontrollieren hatte, dient.

 

Dieses Gebäude aus der römischen Kaiserzeit auf dem Forum Romanum wird um 525 zu einer Kirche umgewandelt. Im 7. Jahrhundert dient sie den vom Ikonoklasmus verfolgten Griechen als Ort für ihre Liturgie. Zur Zeit, in welcher der Osten gegen die Bilder kämpft, werden hier bewusst Bilder geschaffen. Nach dem Erdbeben des Jahres 847 wird diese Kirche aufgegeben. Als Ersatz für sie entsteht Santa Maria Nova, heute Santa Francesca Romana.

 

Die Kirche Santa Maria Antiqua wird 1702 wiederentdeckt und nach 1900 freigelegt.

 

Ein quadratischer, unbedeckter Vorraum mit dem großen Wasserbecken dient dem Gotteshaus als Vorhof. An ihn schließt sich der dreischiffige Kirchenraum an und an diesen wiederum das Presbyterium mit zwei Seitenkapellen. Dargestellt sind in den Fresken an der Langwand des ersten Seitenschiffes der thronende Christus, rechts von Ihm elf lateinische und links neun griechische Heilige. In der Kapelle am Ende des ersten Seitenschiffes Christus am Kreuz, darunter die thronende Muttergottes mit den heiligen Petrus und Paulus, mit Quiricus und seiner Mutter Julitta.

 

 

Santa Maria Antiqua

 

 

 

Wannensarkophag, 250/270

 

Christliche und heidnische Motive finden sich nebeneinander. Links ist ein Segelschiff dargestellt, rechts zwei Fischer, die ihr Netz hochziehen. Das Meeresungeheuer (der Ketos), siehe Jonas 2,1, Jonas, aus dem Ungeheuer errettet (Jonas 2,11), Jonas, schlafend in der Kürbislaube (vgl. Jonas 4,6). All dies steht als Symbol für Tod und Auferstehung, passend auf einem Sarkophag. Auf dem Dach der Kürbislaube liegen Opfertiere, ein Ziegenbock und zwei Widder. Opfer werden als Sühne für die Sünden des Verstorbenen dargebracht.

 

Eine Orantin (Betende): Ihr Gesicht ist bossiert, das heißt, das Gesicht ist in der Rohform belassen. Der Sarkophag war also vorgefertigt worden und konnte später nach den Angaben der Käufer ausgestaltet werden. Hier geschah dies allerdings nicht.

 

Ein Philosoph: Sein ursprünglich bossiertes Gesicht ist mit den Zügen des Verstorbenen ausgestaltet worden. Zu dieser Zeit liebt man es, sich als Philosoph darstellen zu lassen, auch wenn man keiner war.

 

Der gute Hirt (Joh 10,11).

 

Die Taufe des Herrn: Christus ist als Kind und Knecht (puer) dargestellt (alte Christologie). Darüber schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube (Mt 3,16). Daneben steht der taufende, bärtige Johannes.

 

 

 

Die Makkabäer, vor 650

 

Zu sehen sind Eleazar (2 Makk 6,18-20), der Lehrer der Kinder, Solomone, die Mutter, und ihre sieben Söhne (2 Makk 7). Von fünf sind die Gesichter erkennbar.

 

Hier herrscht ein impressionistischer Stil, der an die Fresken von Pompeji erinnert. Der Meister stammt aus Konstantinopel.

 

Die Figuren scheinen von Luft umgeben, sodass sich ihre Umrisse auflösen. Körper, Gewänder und Gesichter sind nur durch kontrastierende Farbtöne angegeben. Tiefe Schatten und starke Glanzlichter dienen mehr dazu, die Figuren anzudeuten als sie festzulegen. Die Pinselführung ist schwungvoll und leicht.

 

Der blaue Himmel im Hintergrund teilt Solomones Nimbus in zwei Hälften.

Sie hat einen winzigen Kopf, einen überlangen Körper sowie nur skizzenhaft angedeutete Züge. Alles ist immateriell und transparent. Die Formen der Söhne lösen sich in Luft und Licht auf. Der Impressionismus täuscht reale Körper vor, aber er verklärt sie auch.

 

 

Verkündigung, vor 650

 

Sie befindet sich an einem Pfeiler gegenüber den Makkabäern. Dargestellt ist ein schlanker und graziöser Engel, der körperlos (asōmatos) ist. Es handelt sich um kühne, impressionistische Malerei. Spiritualität und Jenseitigkeit.

 

 

Heilige Anna, vor 650

 

Sie trägt die kleine Maria im Arm. Tief eingefurchte Schatten und dünne, scharfe Glanzlichter, die Seide vortäuschen. Der Kopf hat im Verhältnis zum Körper gegenüber der Solomone an Gewicht und Substanz gewonnen.

 

 

Heilige Barbara, vor 650

 

Sie ahmt Solomone nach, ist aber fleischiger.

 

 

 

Freskenpalimpsest

 

 

Der Freskenpalimpsest

 

Das griechische Wort pálin bedeutet wieder, das Verb psēn, psáō – abreiben, abkratzen.

 

             I.      Links ist Maria als Himmelskönigin auf dem Thron zwischen Engeln dargestellt. Frontalansicht, hart und abstrakt. Zwischen 536 und 550 enstanden.

          II.      Rechts oben die Verkündigung (Lk 1,26-38). Das Gewand des schönen Engels hat Helldunkelübergänge und Farbfeinheiten. Hellenistisch (Künstler aus Konstantinopel). Entstanden um 600.

       III.      Der heilige Basileios und der heilige Johannes Chrysostomos. Auf den Schriftrollen sind Texte des Laterankonzils von 649 zu finden. Die Entstehungszeit ist also um 650.

      IV.      Der heilige Gregor, eine große und schwere Figur. Entstanden zur Zeit des Papstes Johannes VII (705-707), der griechischer Herkunft ist.

 

 

 

Verkündigungsengel

 

 

 

Verkündigung, um 700

 

Nach etwa zwei Generationen wird die Verkündigungsszene im Hauptschiff mit einem anderen Fresko gleichen Themas übermalt. Ikonographisch ist dieses Gemälde dem früheren ähnlich, stilistisch jedoch völlig verschieden. Die impressionistische Technik, die im früheren Werk so kühn angewandt worden war, ist immer noch deutlich zu erkennen. Sie dient jetzt aber dazu, feste, massive Formen zu modellieren. Der Künstler benutzt die Figur des Engels zu einer Art stummer Kritik am Werk seines Vorgängers. Dies ist eine Engelsgestalt, die alles andere als unkörperlich ist. Der herkömmliche Modus für Engel wird durch ein übergeordnetes Interesse an Monumentalität und Masse in seinem Wesen und in seiner Bedeutung vollkommen verwandelt.

 

 

Heiliger Andreas und heiliger Paulus, 705-707

 

Die Figuren sind fest und schwer dargestellt. Sie schauen den Betrachter direkt an.

 

 

Kreuzigung

 

 

Kreuzigung, zwischen 741 und 752

 

Diese Darstellung befindet sich in der Kapelle des Quiricus und der Julitta. Christus ist mit dem syrischen Kolobion, einem ärmellosen Rock, bekleidet. Dargestellt sind die Gottesgebärerin, der Hauptmann Longinus mit der Lanze, die Darreichung des Essigs und der heilige Evangelist Johannes.

 

 

Weiterführende Literatur

 

o       Baedeker, Karl, Italien von den Alpen bis Neapel, Leipzig 71926, 290f.

o       Bourmer, Achim, Madeleine Reincke u. Reinhard Strüber, Rom, Ostfildern 152009, 194.

o       Bussagli, Marco, Hg., Roma. L’arte nei secoli, Udine 1999.
Rom. Kunst und Architektur, Übers. v. C.Bostelmann, J.Götze, G.Grassi, M.Höpfner, P.Kaiser, P.Klöss, M.Wöll, R.Wolff u. A.Zipperer, Königswinter 2004, 154.214.221.310.314.

o       Kitzinger, Ernst, Byzantinische Kunst im Werden. Stilentwicklungen in der Mittelmeerkunst vom 3. bis zum 7. Jahrhundert, Übers. v. Anke Kreutzer, DuMont-Dokumente, Köln 1984, 227-245.

o       Peterich, Eckart, Italien. Ein Führer, Bd. 2, München 1961, 135-138.

o       Stützer, Herbert Alexander, Das antike Rom. Die Stadt der sieben Hügel: Plätze, Monumente, Kunstwerke. Geschichte und Leben im alten Rom, Köln 31982, 161.

o       Stützer, Herbert Alexander, Frühchristliche Kunst in Rom. Ursprung christlich-europäischer Kunst, Köln 1991, 176f.

 

 

Verweise

 

o       Santa Maria Antiqua (Tesori di Roma)

o       Santa Maria Antiqua (Wikipedia Deutsch)

o       Santa Maria Antiqua (Wikipedia Italienisch)

 

Hauptseite