Gedanken über die Einheitswirklichkeit in theologischer und philosophisch-psychologischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung der orthodoxen Theologie

 

Klaus Bambauer

 

Zur Erinnerung an: Gregory Bateson (1904-1980) Jean Gebser (1905-1973), Lama Anagarika Govinda (1898-1985), Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) und Erich Neumann (1905-1960)

Die meisten von uns haben diesen Sinn für die Einheit der Biosphäre und der Menschheit verloren, der uns alle mit einem sicheren Gefühl für Schönheit ausstatten und verbinden würde...Wir haben den Kern des Christentums verloren. Gregory Bateson, Geist und Natur(1)

Wenn Christus im Johannes-Evangelium in seinen Abschiedsreden sagt: "Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist, und ich in dir, so sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast" (Joh 17,20f), so wird häufig diese Bitte um Einheit in einem eher vordergründig-organisatorischen Sinn verstanden: daß so etwas wie eine Kircheneinheit auf äußerer Ebene im ökumenischen Sinne stattfinden möge. Doch dies ist nur die eine, eher exoterische Sicht des Verständnisses, die die weithin übliche ist und viel beschworen wird. Eine weitergehende und angemessenere Interpretation sieht diese Bitte Jesu Christi um Einheit in einem spirituellen bzw. ontologischen Sinne. Da Christus aus der Sicht des in sich mit dem Vater, dem Seinsgrund der Wirklichkeit, verbundenen Gottessohnes, gleichsam mit dieser Wirklichkeit eins ist ["Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" Joh 14,6], eine Tatsache, die durch die zahlreichen johanneischen Ich bin - Worte unterstrichen wird, sieht er, daß ein Mensch für einen anderen Menschen kein Fremder sein kann, weil es in und durch Gott so etwas wie eine ontologische Verbundenheit des Wesens aller Menschen gibt. Wir können jedenfalls aufgrund des neutestamentlichen Textbefundes von dieser Sicht ausgehen.

Der Gedanke der Einheit findet auch seinen Ausdruck in den Aussagen des Epheserbriefes: "Denn er [Christus] ist unser Friede, er, der die beiden Teile zu einer Einheit gemacht und die trennende Scheidewand, die Feindschaft, weggeräumt hat, nachdem er durch die Hingabe seines Leibes das Gesetz mit seinen in Satzungen gefaßten Geboten beseitigt hatte, um so die beiden in seiner Person zu einem einzigen neuen Menschen, [d.h. zu einer neuen Wesenheit], als Friedensstifter umzugestalten und die beiden in einem Leibe mit Gott durch das Kreuz zu versöhnen" (Eph 2,14-16).

Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) wird diese Wesenseinheit durch die Liebe eindrucksvoll verdeutlicht, da der Samariter in der Selbstvergessenheit seines Ego das Ich des Überfallenen zum eigenen Ich, d.h. dem Selbst werden läßt, dessen Schmerzen trägt, durch diese Tat der Barmherzigkeit in den Bereich des Überindividuellen eintritt und das Du des anderen aus dem Bereich der objektivierten Gegenständlichkeit in das eigene Ich (Selbst) hineingenommen wird. Der Samariter hat in seiner Tat die Dimension überschritten, die H. Le Saux in den Worten ausdrückt: "Wer noch ein Ich und ein Du ausspricht, die ihn von seinem Mitmenschen unterscheiden, hat bislang weder die Welt noch sich selbst aufgegeben, noch ist er zur Ebene des Wirklichen vorgedrungen. Wer noch ein Ich und ein Du ausspricht, die ihn von Gott unterscheiden, zeigt damit, daß er Gott noch nicht kennt".(2) Lama A.Govinda hat dies so beschrieben, daß aus dieser neuen Schau von Einheitswirklichkeit "das Wissen um die Nichtverschiedenheit und Wesensgleichheit alles Lebendigen" heranreift, weil erst die Zuwendung zum Menschen die verhärtete Ich-Struktur transparent für diese universelle Verantwortlichkeit macht.(3) Was im Gleichnis Jesu vom barmherzigen Samariter geschieht, erfährt von Govinda die sachgerechte Interpretation: "Es bricht plötzlich in einem Menschen, der offensteht, als ein ganzheitliches, "totales Ergriffensein vom Leid und der Not aller Wesen durch...Das Erlebnis dieses vollkommenen Ergriffenseins, das keinen Platz für irgend etwas anderes läßt, bewirkt einen tiefgehenden Wandel für den Betroffenen. Selbst wenn das Erlebnis längst verhallt ist wie der Ton einer nur einmal angeschlagenen Glocke und wenn die Welt längs wieder ihren Tribut fordert: Es bleibt die bestimmende richtunggebender Kraft im Leben dessen, dem es widerfuhr".(4)

Henri Le Saux drückt dies so aus: "Wie der Vater in mir zu sich erwacht und in mir seinen einzigen Sohn betrachtet, so tut er es in allen meinen Brüdern und Schwestern, wie bescheiden und unbedeutend sie auch sein mögen. Mit jedem Menschen habe ich Kommunion in der geheimnisvollen circumincessio (wechselseitigen Durchdringung) und circuminsessio (Kohärenz), die das Charakteristikum eines ungeteilten Lebens der Heiligen Dreifaltigkeit ist".(5)

So entdeckte nach H. Le Saux im Herzen des Seins "der Christ den Geist als die äußerste Innerlichkeit und Vollendung Gottes, denn der Geist ist unendliche Fülle, vollkommener Friede und höchste Glückseligkeit".(6) Diese Nicht-Dualität spricht sich auch im Wort Christi aus: "Glaubt mir, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist" (Joh 14,11). Diese von ihm empfundene, gelebte und vielfach in Worte gefaßte, stets Grenzen überschreitende Interpersonalität deutet darauf hin, daß Gott sich im Sohn, ja in allen Dingen (im Weinstock, im Licht, im Leben), erkennt, und diese Erkenntnis Gottes im Sohn läßt diesen wiederum im Geheimnis der Wesenseinheit mit dem Vater sich in allem – in den Dingen und in den Menschen – erkennen. Nur auf diesem Hintergrund und mit diesem Verständnis lassen sich die Gerichtsworte Jesu Christi (Mt 25,31-46) hinreichend verstehen. Sie sagen aus, daß Er, daß sein Selbst, in jedem Menschen verborgen ist: "Und was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40). Im Mitmenschen haben wir das dem Menschen verborgene Selbst, das ewige Ich bin, nämlich Christus getränkt, bekleidet und besucht.

Bede Griffiths hat dies in die Worte gefaßt, daß in jedem Menschen das Pneuma existiert, "der Geist, der es uns ermöglicht, uns selbst zu erkennen und uns als offen für das göttliche Geheimnis zu erleben und zu erfahren, wie wir zu etwas hingezogen werden, das größer als das Selbst ist. Karl Rahner sagte, der Eindruck der Selbst-Transzendenz sei für den Menschen von wesentlicher Bedeutung".(7) Wenn, wie Teilhard de Chardin es formulierte, die Einheit differenziert, so bedeutet dies, nach Griffiths, "daß wir umso mehr wir selbst sind, je mehr wir mit anderen vereint sind. Jeder ist somit in dem anderen und in dem Einen, der alle anderen vereinigte".(8) Erst der Begriff der Trinität, wo in völliger Selbsthingabe der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist, stiftet diese vollkommene Beziehung der Einheit, mit anderen Worten, es handelt sich um eine völlige Nicht-Dualität, und trotzdem stellen wir hier eine wesentliche Differenzierung fest. Zwischen Gott und Christus gibt es auch im innertrinitarischen Geschehen den Unterschied zwischen dem Vater und dem Sohn, obwohl gilt: "Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat" (Joh 12,45). Oder: "Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen" (Joh 14,9).

Dieses Sehen erfahren wir in unserem Leben durch das Gefühl der Liebe, wenn wir an der Identität eines anderen teilhaben. Der endgültige Zustand ist es, wenn wir schließlich den Zustand der reinen Identität in Differenzierung erreichen".(9) Sri Aurobindo sagt: "Nur durch bewußte Identität kann Erkenntnis entstehen, denn nur das ist das wahre Wesen, – ein seiner selbst innegewordenes Sein. Was wir sind, erkennen wir nur insofern, als wir bewußt unseres Selbsts innewerden; das übrige bleibt verborgen. Ebenso können wir nur das wirklich erkennen, mit dem wir in unserem Bewußtsein eins werden, doch auch nur insofern, als wir mit ihm eins werden".(10) Aurobindo macht darauf aufmerksam, daß – ganz im trinitarischen Sinne – das Leben als Einheit sich als eine kontinuierliche Durchdringung vollzieht: "Vielmehr empfängt und wächst es [das Leben] umso mehr, je mehr es hingibt. Je mehr es mit anderen verschmilzt, desto mehr nimmt es diese in sich hinein und vermehrt so die umfassende Weite seines Wesens. Physisches Wesen erschöpft sich, wenn es sich zu sehr verausgabt. Es ruiniert sich, wenn es sich zuviel verzehrt. Wenn das Mental sich auf das Gesetz der Materie stützt, erleidet es im gleichen Maß dieselbe Beschränkung. In dem Maß aber, in dem es in das eigene Gesetz hineinwächst, neigt es dazu, diese Beschränkung zu überwinden. Je mehr es die materielle Beschränkung überwindet, desto mehr werden Geben und Empfangen eines. In seinem Emporsteigen wächst das Mental in das Gesetz der bewußten Einheit in Unterschiedlichkeit, in das göttliche Gesetz des geoffenbarten saccidananda".(11)

Bemerkenswert ist, daß Sri Aurobindo hier im weiteren Zusammenhang differenziert: Während die Liebe ihrer Natur nach der Wunsch ist, sich an andere hinzugeben und andere im Tausch dafür zu empfangen, stellt er fest: "Physisches Leben begehrt nicht, sich hinzugeben; es begehrt nur, zu empfangen. Es ist wahr, daß es gezwungen wird, sich hinzugeben; denn das Leben, das nur empfängt und nicht selbst gibt, muß unfruchtbar werden, verdorren und zugrunde gehen, – falls ein solches Leben in vollem Umfang überhaupt hier oder in irgendeiner Welt möglich ist. Es wird aber gezwungen und ist selbst nicht willens. Es gehorcht eher dem unterbewußten Impuls der Natur, als daß es bewußt daran Anteil hat".(12) Demgegenüber erfährt die umfassendere Sicht die Charakterisierung: "In seinem Lebens-Ursprung ist das Gesetz der Liebe der Impuls, sich selbst in anderen und durch andere zu verwirklichen und zu erfüllen; reich zu werden, indem man andere bereichert; andere zu besitzen und selbst ein Besitz der anderen zu sein, weil man, wenn man nicht auch von den anderen in Besitz genommen wird, sich selbst nicht bis zum letzten besitzen kann".(13) Hier unterliegt der Mensch nicht mehr dem Begehren des Natur-Gesetzes, sondern der Freiheit der Liebe und des Geistes. Diesen Lebensstatus hat Sri Aurobindo so umschrieben: "In ihm wird die ewige Einheit der Vielen durch den Geist realisiert. Dann werden die Lebensfunktionen bewußt nicht mehr auf die Zerteilungen des körperlichen Daseins gegründet, auch nicht auf die Leidenschaften und den Hunger der Vitalität oder auf die Gruppierungen und unvollkommenen Harmonien des Mentals oder auf die Kombination all dieser, sondern auf die Einheit und Freiheit des Geistes".(14)

Nicht anders als es Jesus Christus in seinen johanneischen Aussagen formuliert hat, so deutet Aurobindo: "Bewußtes Einssein kann nur dadurch zustandekommen, daß wir in Jenes eingehen, in dem wir mit ihnen eins sind, in das Allumfassende. Die Fülle des Allumfassenden existiert aber bewußt nur in dem, was für uns überbewußt ist, im Supramental: In unserem üblichen Wesen ist dessen größerer Teil unterbewußt".(15) Wollten wir Parallelen zu dem suchen, was Aurobindo mit "Supramental" beschrieben hat, so könnten wir vorsichtig und ansatzweise vom Geist des Vaters und des Sohnes sprechen, in dem – nach dem Johannesevangelium – die Gläubigen miteinander und mit dem Vater und dem Sohn eins und trinitarisch verbunden sind.

Diese Einheit in der Liebe gibt der Person die "Vollkommenheit" eines Bewußtseins der Ungetrenntheit von seinen Mitmenschen im Sinne der Bergpredigt, da dort die "Vollkommenheit" des Vaters mit dem Beispiel demonstriert wird, daß er als der Nichttrennende und als der Eine über Guten und Bösen seine Sonne aufgehen und es auch regnen läßt, und Jesus von Nazareth mutet es zu: "Darum sollt ihr vollkommen sein [im Sinne des nicht mehr unterscheidenden göttlichen "Bewußtseins"] wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5,48). Solange christliches Denken ausschließlich in der Dualität des stets trennenden Bewußtseins verharrt, was wiederum eine Folge des in sich gespaltenen, d.h. rein mentalen Bewußtseins ist, solange Gott noch im projizierenden und objekthaften Sinne als der "Gott da draußen oder auch oben" verstanden wird, werden wir dessen nie gewahr, daß mit dem Wort "Gott" die Totalität des Seins oder auch der "Seinsgrund" im personalen (d.h. christlichen) als auch im (buddhistischen/apersonalen) Sinne zu verstehen ist, da wir "Gott" nicht in zwei Felder des Seins oder der Wirklichkeit aufteilen können, weil er alles in allem ist.(16)

Zu diesem Verständnis der Überwindung von Dualität, die nicht beseitigt, sondern vielmehr aufgehoben werden soll hinein in eine den Verstand überwindende "höhere Vernunft" im Sinne Hegels, eine Dualität, die oft in einem dramatischen Lebensprozess der Spaltung des Bewußten und des Unbewußten bis zur äußersten Grenze erlitten werden muß, um dann in das Bewußtsein der so empfundenen Nichtdualität, die dennoch kein Monismus ist, umzuschlagen, verhilft die fundamentale Einsicht, daß jedes Wissen, solange es außerhalb seines Gegenstandes steht und nicht mit diesem "Gegenstand" gleichsam eins bzw. identisch geworden ist, eine Sache, ein Bild, ein Gleichnis nicht wirklich verstanden wurde. Eine Sache bzw. auch einen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen bedeutet, sich damit zu identifizieren, sich hinein zu versenken und sich "selbstvergessend" in gewissem Sinne in seiner Subjektivität auszuschalten. In diesem Sinne verstand auch Hegel seine Denkbewegung, sich kontemplativ und selbstvergessend in den Gegenstand zu versenken und ihn dann als den "Begriff" und als "lebendige Wesenheit" wirken zu lassen.

Erst wo das bisherige Wissen, vor allem das begriffliche, d.h. verstandesmäßige Wissen bzw. Vorstellen, zum Nichtwissen geworden ist, kann wirklich Wissen aufleuchten, nämlich die mich umfangende, tragende Wirklichkeit, die, so wichtig zunächst oder auch später Verstandes-Begriffe oder Definitionen als Interpretationshilfen und unverzichtbare Kommunikationsmittel sein mögen, nicht im dürren Begriffsgerüst der Ratio (d.h. des Verstandes) allein einzufangen ist. Begriffe im herkömmlichen Sinne haben häufig hinweisenden Charakter, sie sind nicht die Sache selbst. Sehr prägnant umschreibt Lama A.Govinda diesen Tatbestand: "Denn Begriffe – als Abstraktionen von Erfahrungen oder Erfahrbarem haben ihr Eigenleben und sind im Laufe der Jahrhunderte einem Wandel unterworfen, so daß sie sich oft in späterer Zeit von dem ursprünglich dahinterstehenden Grunderlebnis immer mehr entfernen. Begriffsgleichsetzungen sind daher grundsätzlich nur im zeitlich engen Rahmen eines bestimmten Kulturkreises möglich".(17)

So kann mit Govinda "jede echte geistige Ausdrucksform...als eine Gestaltung des vielfältigen Lebens" respektiert werden, so wie die Vielfalt der Pflanzen in einem Garten bewundert werden und man mit der nötigen wachen und offenen Empfangsbereitschaft des Geistes sich keiner Erscheinungsform verschließt.

Erst wenn das Wort, oder der Begriff im richtigen Moment – paulinisch gesprochen: im Kairós – so trifft und damit betroffen macht, daß ein zentrales, möglicherweise sogar bis dahin eher unbewußtes Lebensproblem angesprochen wird, entfaltet sich das Wort, vom Geist impulsiert, in seiner Dynamik, der Geist belebt die Seele und die Wahrnehmung so, daß das Wort neu, anders und belebend, gleichsam – im Sinne des Johannesevangeliums (Joh 5,24 u. 28f.) oder der Hymnen Symeons des Neuen Theologen – als vom Tode erweckendes Wort gehört werden kann. Das "Ohr wird erweckt" (Jes 50,4f), der vernehmende Geist verlebendigt, das Bewußtsein aus dem Schlaf auferweckt. Das Wort, das Lazarus aus dem Grab rief (Joh 11,43), dringt in die unbewußten Tiefenschichten des Hörenden ein und entfaltet seine transformierende, ganzmachende und auferweckende synthetische Kraft, indem der Geist den Leib und die Seele aufs neue zusammenfügt, ja neue Organe des Sehens, Hörens und Verstehens ins Leben ruft, wie dies paradigmatisch auch die zahlreichen Heilungen (Totenauferweckungen) Jesu verdeutlichen wollen. Es ist dies die Dynamik des auferweckenden Wortes Christi, das alle, die in den Gräbern des Todes, der Unbewußtheit und Unwissenheit ruhen, zum Leben erweckt. Symeon der Neue Theologe beschreibt diesen geistigen Zustand in seinem 31. Hymnus: "Tote, die noch leben, ja, noch wandeln. Blind sind sie und glauben noch zu sehen [vgl. Joh 9,41], wahrhaft taub und glauben, noch zu hören. Gewiß: sie leben, hören auch und sehen wie die Tiere. Ohne Einsicht haben Einsicht sie, in unsinnlichem Sinn, in totem Leben. Es kann ja leben, der nicht lebt, und sehen, der nicht sieht, und hören, der nicht hört. Wie, sag es mir, sag es mir gleich, wie können die, die nach dem Fleische leben, die sich an Dingen dieser Welt berauschen, die nur mit Fleischesohren hören, wie können die auf himmlische und göttliche Gespräche lauschen? Sie sind alle im Geiste taub und blind und tot. Denn kurz gesagt: nicht sind aus Gott sie, daß sie leben könnten [vgl. Joh 1,13]. Nicht haben sie das Gotteslicht empfangen und geschaut. Und da dies keineswegs geschah, so blieben sie auch völlig taub".(18)

Erst dort, wo diesem Wort Christi, dem lebenschaffenden Logos, die notwendige Kraft auch zugetraut wird in freier Liebe, der Sehnsucht des Hörens und dem Wunsch nach Befreiung aus Knechtschaft, kann und wird es seine Dynamik entfalten. Ja, es sorgt selbst dafür, daß – wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn bildhaft beschrieben– die Erinnerung an die lebenschaffende Dynamik des "Vaterhauses" und des "väterlichen Seinsgrundes" die innere Wendung vollzogen wird, die metanoia erfolgt und der Zurückgekehrte den unendlichen Reichtum erfährt, der ihn stets, ihm unbewußt, begleitete und nun lebenschaffend aktiviert wurde. Erst angesichts dieses ihn überschüttenden Reichtums des Vaterhauses kommt ihm zum Bewußtsein, von welch trüben Quellen ("dem Schweinefraß") er sich bis dahin hat ernähren müssen. Eine spirituell-poetische Deutung dieses Vorganges hat uns Symeon der Neue Theologe in seinem 40. Hymnus hinterlassen: "Nein, du selbst, durch deine Herzensgüte angeregt, hast dich zu mir, da ich in tiefster Lache lag, herabgelassen, und wie ich so im tiefsten Strudel jenes Unrats unten lag begraben, wie ich so da saß, hast du die fleckenreine Rechte dein mir zugestreckt. Ich sah dich nicht (wie hätte ichs gekonnt und wies nur ahnen können, der ich, ganz von Schmutz bedeckt, schon am Ersticken war)...Und wenn nicht jener mich mit seiner Hand ergriffen, mich an den Quell nicht hingestellt und meiner Seele Füße mir als Führer nicht gelenkt, nie hätte sprudelnd Wasser ich gefunden. Doch wenn mir jener diese Sprudel wies, mit reinem Wasser öfter mich waschen hieß, so schöpfte ich auch mal von ungefähr mit meiner Hand vom Schlamm am Quellenrande her".(19)

Erscheinen die Wirklichkeit oder das Leben ("In ihm war das Leben", Joh 1,4) selbst, so bricht jedes zuvor zurechtgezimmerte verstandesmäßige Begriffs-System von Wirklichkeit zugunsten eines Lebens zusammen, das transparent für die andere, jenseitig-diesseitige Wirklichkeit ist, von der auch Dietrich Bonhoeffer sprach. Es verwirklicht sich in einem bestürzenden Akt von Selbst- und Welterkenntnis, daß "in ihm das Leben war" und dieses Leben war das Licht der Menschen (Joh 1,4). Dieses Leben, das "war", dieses Leben "ist" auch jetzt als stets präsente Macht des Seins. Es nimmt Gestalt an im ewigen "Ich bin", der "ist", ehe Abraham "war" (Joh 8,58).

In seiner profunden Darstellung "Erfülltes Leben aus Zen" formuliert D.T.Suzuki diesen Tatbestand des Zusammenbruchs des Begriffs-Systems, das der Wirklichkeit nicht mehr standhält: "Als Bankei die Strahlende Tugend als eine Teilerfahrung seiner Persönlichkeit zu verstehen suchte, d.h. objektiv als Gegenstand seines intellektuellen Selbst, konnte er keinen Erfolg haben. Je eifriger sein Bemühen, umso mehr entwich ihm der Gegenstand. Es war, als liefe er seinem eigenen Schatten nach, und das Ergebnis war äußerste Erschöpfung, der Zusammenbruch seines ganzen Wesens. Ein solcher Versuch bedeutete das ständige Zerstören seiner ganzen Struktur. Unvermeidlich mußte Bankei einen erbarmungswürdigen Anblick bieten. Seltsamerweise aber offenbart sich die Wahrheit nur, wenn die oberflächliche Struktur des eigenen Wesens nachgibt".(20)

An dieser Stelle bleibt nur ein gangbarer und sinnvoller Weg übrig: Das Bewußtsein bricht zusammen, der Mensch erfährt sein Damaskus-Erlebnis(21); er überschreitet dann die Grenzen des bis dahin für möglich Gehaltenen, um mit einem völlig neuen Blickfeld und Bewußtseinsraum dem neu Erkannten Raum zu geben und es dann auch zu leben. Doch zuvor steht eben die nicht mehr selbst zu verantwortende und doch nicht ohne mein Zutun initiierte metanoia, die Umkehr.

Die Oberflächenstruktur gibt nur dann nach, wenn – um mit D.T.Suzuki zu sprechen – Gott sich mir bekannt macht, wenn Er zu meinem Ich wird und doch nicht ganz Ich, weil Gott und Ich nicht dasselbe Wesen sind. Dennoch hat es Gott so eingerichtet, daß er sich des Menschen bedient, damit Gott sich – im Sinne Hegels: als Geist – im Menschen verkörpert und somit der Mensch die Chance bekommt, am schöpferischen Prozeß der Weltwerdung – und – nach Suzuki und Hegel auch der Gottwerdung des Gottes, der sich im Menschen selber neu bewußt wird, mitzuwirken. Ähnlich wie C.G.Jung in "Antwort auf Hiob"(22) formuliert D.T.Suzuki die in üblicher christlicher Sicht zwar häretische, im Sinne Meister Eckharts aber eher vertraute These: "Im Satori [nach Suzuki Überbewußtsein oder Bewußtsein des Unbewußten] wird Gott sich seiner selbst bewußt. Bis dahin stand er in keiner Beziehung zu sich selbst". Im Satori sieht Suzuki das bei Gott befindliche Unbewußte, das vor der Schöpfung war, das auf dem Grund der Wirklichkeit liegt, das kosmische Unbewußte. Dieses Unbewußte, das stets mit dem Bewußtsein zusammen und dennoch von ihm getrennt ist, muß als metaphysischer Begriff bezeichnet werden. Das in ihm verborgene und erst vom Geist offenbar gemachte Verstehen drückt sich in Begriffen logischer Widersprüche, in Antinomien aus, wie sie uns aus neutestamentlichen Zitaten – etwa auch der Bergpredigt – hinlänglich bekannt sind.

Solange der Begriff einer Sache mir in objektiver Distanz gegenüber steht, bleibt die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt, die wiederum auf eine Dualität meines Bewußtseins zurückgeht, die Quelle zahlreicher Irrtümer und Verwirrungen. Auch der Philosoph Heidegger hat auf die Dringlichkeit der Überwindung von Dualität und objektivierendem Denken hingewiesen: "Die alltägliche Erfahrung der Dinge im weiteren Sinne ist weder objektivierend noch eine Vergegenständlichung. Wenn wir z.B. im Garten sitzen und uns an den blühenden Rosen erfreuen, machen wir die Rose nicht zu einem Objekt, nicht zu einem Gegenstand, d.h. zu etwas thematisch Vorgestelltem. Wenn ich gar im stillschweigenden Sagen dem leuchtenden Rot der Rose hingegeben bin und dem Rotsein der Rose nachsinne, dann ist dieses Rotsein weder ein Objekt, noch ein Ding, noch ein Gegenstand wie eine blühende Rose. Diese steht im Garten, schwankt vielleicht im Wind hin und her. Dagegen steht das Rotsein der Rose weder im Garten, noch kann es im Wind hin und her schwanken. Gleichwohl denke ich es und sage von ihm, indem ich es nenne. Es gibt demnach ein Denken und Sagen, das in keiner Weise objektiviert noch vergegenständlicht".(23) So wird Wirklichkeit auf neue Art und Weise geschaut, indem sie uns ergreift, indem wir uns von ihr kontemplativ ergreifen und auf eine höhere Ebene transformieren lassen. Erst durch solche Meditation kann "durch Überwindung der Vor- und Gegenüberstellung durch die Ineinssetzung des Schauenden mit dem Geschauten im Erlebnis der Schauung" das Erlebte den Schauenden verwandeln, "weil es in den Strom des inneren Lebens eintritt und in ihm als bildende Kraft weiterwirkt wie das Samenkorn in der Erde".(24) Was hier von Govinda angesprochen wird, nämlich die in den ursprünglichen Sinnesqualitäten verborgene übersinnlich-sinnliche Tiefe – er nennt es: die Urerfahrung der Sinne   bildet eine Wurzel des übersinnlichen Geistes, durch den sich die Lebensfülle erschließt. Daß die Sinne eine solche sinnlich-übersinnliche Tiefe haben und nicht nur der Buddhist Govinda von der Urerfahrung der Sinne sprechen kann, vermitteln uns auch die zahllosen Hinweise Jesu Christi, der immer wieder auf das Schauen der sinnlichen Welt hingewiesen hat, die in sich das Geheimnis des Überweltlichen, die gütige Hand des Vaters verbirgt: "Seht die Vögel des Himmels an: sie säen nicht und ernten nicht und sammeln nichts in Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr wert als sie?" (Mt 6,26). Nur das von Gott getrennte Bewußtsein wird sorgen, Sorglosigkeit stellt sich dann ein, wenn das empirische kleine zeitliche Ich vom ewigen Ich bin umgriffen wird. Gerade auch von tiefenpsychologischer Seite erfährt diese spirituelle Sicht ihre deutende Interpretation: "Aber sie nützt so wenig diese Sorge; sie ist einer der geraden Wege meines Nur-Ich-Seins, die mit den unübersehbaren Wegen des Lebendigen nicht übereinstimmen. Wo ich aber – selten genug – im Sorglosen bin, da strömt es von selber: Probleme lösen sich, Aufgaben erfüllen sich, Hilfe wächst zu. Es ist so, als ob überhaupt erst dann die Tore des Lebendigen sich zu öffnen begännen, wenn ich den Riegel meiner Sorge zurückgezogen habe".(25)

Was M.Heidegger am Beispiel der Rose verdeutlichte, findet seine Ergänzung und Vertiefung bei K.Nishitani, wenn er über diese kontemplative Selbst-Vergessenheit schreibt: "Gewöhnlich halten wir die Dinge in der Außenwelt für real; aber wenn wir das tun, ist es fraglich, ob wir an die Realität der Dinge wahrhaftig heranreichen. Tatsache ist, daß wir, selbst wenn wir die Dinge für real erachten, gewöhnlich zu den Dingen keinen wirklichen Kontakt haben. Nur selten 'sieht man schärfer hin' zu den Dingen, so daß wir unser 'armseliges Selbst vergessen' und selber die Dinge werden, die wir sehen. Noch seltener ist es, daß wir in ihnen 'Gottes weiter Welt' oder des 'Universum' als des Unendlichen umittelbar gewahr werden".(26) So wird für japanischen Philosophen – ebenso wie für M.Heidegger wichtig, daß wir vor all unseren Vorstellungen und Gedanken über die Dinge diesen die Gelegenheit geben, bei uns selbst ihre wirkliche Realität [das Rot bei Heidegger] zu enthüllen. Deshalb ist es nach K.Nishitani auf der Ebene des Bewußtseins, das immer denkt und vorstellt, d.h. objektiviert, nicht möglich, mit den Dingen, wie sie wirklich sind, in Berührung zu kommen, "nämlich auf ihrem eigenen Grund und Boden, wo sie in sich und durch sich selbst sind, mit ihnen vertraut zu werden".(27) So läßt sich mit Nishitani zusammenfassen: "Auf dem Feld des Bewußtseins, auf dem wir von den Dingen getrennt sind, den Dingen gegenüberstehen, sind wir somit immer schon vom Selbst getrennt und kommen nicht wirklich mit uns Berührung".(28) Die Wirklichkeit erkennen und erfahren, wie sie ist, gelingt erst dann, wenn wir alle Projektionen in uns zurückgenommen haben, d.h. mit der Welt und auch mit jedem Menschen so umzugehen lernen, als ob wir ihnen gleichsam "am ersten Tag der Schöpfung" begegnen würden, nicht festgelegt auf das, was wir von ihnen wissen. Dies bedeutet auch eine stets neue Revision unserer Gottesbilder, deren Formung uns gutem Grund verboten wird, da Gott, der personale und impersonale Seinsgrund der Wirklichkeit nicht auf anthropomorphe Bilder festgelegt werden darf, da sein Wesen einzig und allein in seiner enigmatischen Selbstvorstellung "Ich bin, der ich bin" (2 Mose 3,14) aussagbar ist. Wenn der Mensch ein Ebenbild Gottes ist, gilt für unsere "Menschenbilder" vom Prinzip her das Gleiche. Auch der Mensch ist sowohl für den Mitmenschen als auch für sich ein Mysterium, da Gott sein ungegenständliches Abbild in den Menschen gelegt hat.

Solange Gott noch als "Gegenstand" des Wissens betrachtet wird, als der Gott, "den es gibt" (D.Bonhoeffer) bzw. "den es nicht gibt", erleidet eine umfassendere und notwendige, nicht mehr ausschließlich antropomorphe, objektivierende "Vorstellung" von Gott großen Schaden. Denn Gott "ist" im Individuum bzw. das Individuum "ist" in Gott und dennoch von ihm getrennt.(29)

Wie auch die bisherigen, freilich stets überholbaren, Ergebnisse der Naturwissenschaft gezeigt haben, entspricht jeder Mensch (Mikrokosmos) dem Makrokosmos, der in allem vorhanden ist. Ist also die vollkommene Einheit nicht-dual und entläßt aus sich dennoch die Vielfältigkeit aller Gestaltungen des Universums, so muß ebenso von einer vollkommenen Wechselbeziehung und Abhängigkeit gesprochen werden, die jede in sich abgekapselte Ego-Struktur ad absurdum führt. Eben an dieser Stelle setzt die Überlegung zum Text des Johannes-Evangeliums neu ein und läßt die dort apostrophierte Idee der Einheit ("damit sie alle eins seien") von allen und Allem in neuem Licht von Strukturzusammenhängen erscheinen, die unübersehbar auch für die Theologie geworden sind. Ist Nicht-Dualität der Wirklichkeit (hinduistisch: Advaita) einmal zur selbstverständlichen Anschauung geworden, so erschließen sich von dort auch die bisher noch eher dunklen Textstellen des Kolosserbriefes, die den ganzen Kosmos in das Erlösungswerk Christi einbeziehen. Wenn Gott durch ihn alles mit sich versöhnte (Kol 1,20), so ist dieses Versöhnen ein Schaffen von Einheit, die nicht anders als das Erkennen einer Wesenseinheit aller Menschen und damit als Einheitswirklichkeit zu beschreiben ist. Wie diese Wesenseinheit zu verstehen ist, verdeutlichen die Hinweise, die uns der Deuter der Schriften des Starez Siluan hinterlassen hat. Abt Sophronij schreibt zu diesem Thema: "Dem nicht-spirituellen Menschen erscheint es unglaublich, daß man die Menschheit in ihrer Fülle als eine integrale Existenz empfinden kann, eingeschlossen in die persönliche Existenz eines jeden Menschen, ohne daß man jedoch damit die Andersartigkeit der anderen menschlichen Hypostasen aufheben wurde. Aber nach dem Sinn des Gebots Christi: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, kann und soll man die ganze menschliche Welt als ein einheitliches Sein auffassen und in das persönliche Sein einschließen".(30) In ähnlicher Weise konnte auch der Apostel Paulus im Römerbrief Kap.5, 12ff. die ontologische Wesenseinheit – die hypostatische Union –  aller Menschen in Adam bzw. in Christus, dem neuen Adam begründet sehen.

Exkurs: Die Einheitswirklichkeit in orthodox-theologischer Sicht

Die ontologische Wesenseinheit (hypostatische Union) spielt gerade in der orthodoxen Theologie aufgrund ihrer trinitarischen Verankerung ein wichtige Rolle. Dies kann dadurch begründet werden, daß das Dogma von der Wesenseinheit das Herzstück der orthodoxen Trinitätslehre ist. "Von der Annahme oder Nichtannahme dieses Dogmas hängt es ab, in welche Richtung sich das menschliche Denken entwickelt".(31)

So sei D.Staniloae zitiert: "Leontios von Jerusalem muß im Rahmen des Denkens des heiligen Kyrill verstanden werden, wenn er von einer "gemeinsamen" Hypostase Christi redet: eine Hypostase, die anstatt eine 'besondere', isolierte und individualisierte Hypostase in der Gesamtheit der Hypostasen zu sein, die die menschliche 'Natur' ausmachen, ist im Gegenteil der hypostatische Archetyp der gesamten Menschheit, in dem diese, und nicht bloß ein Individuum 'rekapituliert' wird, der Archetyp, in dem die Vereinigung mit Gott gefunden wird. Dieser Sachverhalt ist nur möglich, wenn die Menschheit Christi nicht die eines 'einfachen' Menschen ist, sondern einer Hypostase ist, die frei ist von der Begrenztheit des Geschaffenen".(32) Staniloae ergänzt: "Das vollständige Eingehen des Heiligen Geistes in die menschliche Natur ereignet sich in Christus, denn dieser, der ja selber göttliche Hypostase des Wortes ist, wird nun zugleich zur Hypostase der menschlichen Natur, indem er uns zeigt, daß diese zur höchsten Vereinigung mit Gott fähig ist".(33)

Staniloae zieht die Konsequenz aus dieser hypostatischen Union: "Deshalb strahlen die göttlichen Energien, die durch seine menschliche Natur hindurchlaufen, nicht aus einer anderen, fremden Hypostase hervor, sondern aus der dieser Natur eigenen Hypostase, die zugleich Hypostase der göttlichen Natur ist, durch die Christus als Mensch durch seine Menschheit, die organisch an uns angeknüpft ist, mit uns verbunden ist und uns alle zugleich als Gott liebend umfaßt. Der Sohn Gottes ist, indem er zur Hypostase einer menschlichen Natur wurde, die nicht in eine eigene menschliche Hypostase eingeschlossen worden ist, eine Art Grundlage für alle menschlichen Hypostasen". (34) Durch die Vereinigung mit Christus ergibt sich: "Die Distanz zwischen uns und Gott und zwischen uns untereinander wird so überwunden". (35) Es ist mit D.Staniloae davon auszugehen, daß "die Begründung und Vollendung der Gemeinschaft anderer Personen mit Gott und dieser Personen untereinander in Analogie zur innertrinitarischen personalen Gemeinschaft" gesehen werden muß. Das Vorhandensein der personalen Gemeinschaft kann nur auf dem trinitarischen Hintergrund gedacht werden, die eine Einheit unverwechselbarer Person darstellt. Diese Gemeinschaft ist, wie D.Staniloae zeigt, an das Vorhandensein eines gemeinsamen Wesens bzw. einer gemeinsamen Natur gebunden. In diesem Sinne ist Person im Vollsinne nur in der Wesensgemeinschaft existent. "Nur wenn zwischen den göttlichen Personen und denen der Menschen eine Einheit der Naturen zustande kommt, ist es möglich, daß göttliche Personen mit den menschlichen völlige Gemeinschaft haben, ohne daß sie verwechselt werden und dennoch völlige Einheit zwischen ihnen zustande kommt. Die Vereinigung der menschlichen mit der göttlichen Natur in einer Hypostase bildet die maximale Form der Vereinigung der beiden Naturen. In gewissem Sinn sind wir durch unsere Natur alle in der Hypostase des Logos vereinigt".(36) So kann Menschwerdung im personalen Sinne nur in engster Verbindung mit der Trinität gedacht werden. Der Gedanke an die Einheit mit anderen Menschen verwirklicht sich nur durch Christus: "Indem er [Christus] Mensch wird, verwirklicht der Sohn Gottes zugleich die Einheit nach der menschlichen Natur mit den übrigen Menschen. Dieses bedeutet eine tiefere Verbindung mit ihnen als vor der Fleischwerdung. Innerhalb dieser Wesensvereinigung durch die menschliche Natur geschieht eine unmittelbare Beziehung durch ein besonderes Wirken und durch Gnade. Der neue Adam bringt im Rahmen der Menschheit, der er durch seine menschliche Natur angehört, eine neue Wirklichkeit seiner Gottheit zur Geltung, die ihm in personaler Weise eignet. Die Verbindung Gottes mit uns Menschen in Jesus Christus beruht auf der Gemeinsamkeit der menschlichen Natur, aber auch auf Kommunikation der göttlichen und menschlichen Natur, die er in sich vereint. So entsteht eben eine direkte Beziehung zwischen dem Gott-Logos und den Menschen. Da die Menschen miteinander durch die gleiche Natur verbunden sind, ist für sie zugleich die Möglichkeit einer maximalen zwischenpersönlichen Kommunikation gegeben, wobei freilich der Einsatz ihres Willens nicht unnötig ist".(37) Diese von Christus durchdrungene Personalität gibt der menschlichen Natur eine neue Offenheit und Fassungskraft.

Wollen wir die tiefe Bedeutung der johanneischen Ich bin - Worte noch besser verstehen, so verhilft dazu die nachstehende Interpretation der Zusammenhänge: "Die menschliche Natur besaß in Jesus Christus die gesamte hypostatisch-personale Aktualisierungsmöglichkeit, über die sie auch verfügt, wenn sie in realer Weise als selbständiges Subjekt in den anderen Menschen existiert".(38) Wenn Christus sich die Ich bin - Aussagen zu eigen macht, so geschieht dies auf dem Hintergrund, daß er nicht auf sich selbst, sondern auf Gott zentriert und mit Gott – dem ewigen Ich bin, der ich bin als Person identisch war und ist. Insofern kann er stets alle anderen Menschen in seine Existenz einschließen, da er die Verbindungen der anderen Menschen mit ihm nicht als solche wußte, die außerhalb Gottes sind, sondern die er stets als Verbindung mit Gott selbst verstand.

Dieses hypostatische Zentrum, das seine Richtung auf Gott hatte und sich zugleich in den Menschen sah, "von dem mehr an Güte ausstrahlt als aus allen nur menschlichen Zentren", (Staniloae), ist auch unser Zentrum. Doch erst in ihm "hat unsere leibliche Natur ihre wahre, angemessene Aktivierung erfahren" (Staniloae). Wenn in diesem Sinne – nach D.Staniloae – die menschliche Natur in Christus in ihrer vollen und eigentlichen Authentizität aktiviert worden ist, aktualisiert der inkarnierte Gott-Logos die menschliche Natur mit ihren Kräften und Strebungen in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Wesen: "Weil er diese Strebungen zu vollem Nutzen der anderen Menschen aktualisiert, kann man sagen, daß er die menschliche Natur aufs authentischste personalisiert hat, wenn anders unter 'Person' eine Einheit verstanden wird, die sich immer in positiver Weise auf andere Personen bezieht".(39) Wird so durch Christus die menschliche Natur authentisch gelebt, so wird sie vergöttlicht, da die Natur mit ihm in einer Hypostase vereinigt wird, "indem er unseren natürlichen Willen in seiner eigenen göttlichen Natur wieder herstellte" (Staniloae). Die obigen Deutungen erfahren ihre vertiefte Ergänzung durch I. von Kologriwofs Darstellung der personhaften Einheit, indem er sagt, daß der Logos, der menschliche Natur annahm, nicht bloß ein Einzelmensch wurde, "sondern in gewissem Sinne die gesamte Menschheit, genauer gesagt, er hat als Folge seiner Menschwerdung die ganze menschliche Natur ohne jegliche Beschränkung und in ihr den ganzen Kosmos mit sich vereinigt".(40) Wie dieses umfassende Ich bin Jesu Christi im Sinne dieser personhaften Einheit mit dem ganze Menschengeschlecht zu verstehen ist, erfährt folgende Interpretation: "Obschon unser Stammvater [Adam] vor dem Sündenfall eine bestimmte Person, ein konkretes Ich war, war er, da er schon die Allheit der Menschheit in sich enthielt, sozusagen ein Allmensch, d.h. der Mensch, der das ganze Menschengeschlecht in sich trug. Trotzdem er ein individuelles Wesen war, besaß er keine 'Individualität' im beschränkenden Sinne des Wortes, als eine Folge der durch die Sünde zerrissenen Ordnung. 'Durch die Erbsünde ist die Einheit der Natur in tausend Stücke gebrochen', sagt der hl. Maximus der Bekenner,' und jetzt vernichten wir einander wie wilde Tiere".(41) So hat sich – nach Kologriwof – die gefallene Menschheit, "anstatt ein harmonisches Ganzes zu bilden, in unzählige Einzelindividuen mit den entgegengesetzten Strebungen zersplittert. Heute kennen wir keine Person, die nicht zugleich eine abgesondert-einsame Individualität wäre. Sie ist der Gegenstand unseres Hochmutes, denn sie ist das einzige Bild von der Person, das wir uns noch vorstellen können."(42) In diesem Sinne lassen sich die Aussagen des Apostels Paulus verstehen: "Der erste Mensch Adam wurde zu einem lebenschaffenden Seelenwesen, der letzte Adam zu einem lebenschaffenden Geisteswesen. (1 Kor 15,45). Christus, der Mensch, wird auch der "zweite Adam, der Erstgeborene vor aller Schöpfung" (Kol 1,15) genannt. "Er ist aber ebenso absolut auf Erden, weil ja das Antlitz des neuen Adam, im Sinne des ersten und des Allmenschen, das Antlitz der gesamten Menschheit ist".(43) Erst auf dem Hintergrund des Gedankens der Logos-Christologie und auch der Wesenseinheit sind die Aussagen des Apostels Paulus über die Wirklichkeit eines seelischen bzw. eines himmlischen Leibes zu verstehen (l Kor 15,45-49). "Der Logos hat von uns Menschen alles aufgenommen, außer der menschlichen Persönlichkeit", so zitiert Kologriwof Maximus Confessor und fügt hinzu: "Von dem Augenblick an, da unsere Natur in Christus eine einzige Person mit Gott bildet, ist deshalb auch unser Leben ein großes Geheimnis geworden".(44) Dennoch hebt – nach Kologriwof – dieses geheimnisvolle Sichgleichsetzen Christi mit dem ganzen Menschengeschlecht in seiner menschlichen Natur das eigene Wesen des Menschen nicht auf, sondern dem Menschen wird die Freiheit und Selbständigkeit belassen: "Die Menschheit Christi tritt nicht an die Stelle unserer eigenen Menschheit, sondern sie lebt und leidet mit ihr durch die Kraft dieses Sichgleichsetzens".(45)

Folgen wir weiter v. Kologriwofs Ausführungen, so ergibt sich: "Dank dieser Wesensgleichheit mit Christus ist also das gesamte Menschengeschlecht schon im Augenblick Seiner Menschwerdung wurzelhaft, als Wesen, vergöttlicht. 'Der einziggeborene Sohn Gottes, ...der in seinem Wesen den ganzen Vater enthält, ist Fleisch geworden... Er hat sich mit unserer Natur vermischt (àναμγύς) durch eine unaussprechliche Vereinigung mit einem irdischen Leibe... So vereinigte er in sich selbst zwei in sich sehr verschiedene Naturen und verlieh dem Menschen Gemeinschaft und Teilhabe an der göttlichen Natur. Die Gemeinschaft des Geistes ist somit tatsächlich zu uns herabgekommen. Der Geist hat auch in uns Wohnung genommen. In Ihm selbst hat sich das zuerst verwirklicht. Da er uns ähnlich geworden ist, d.h. ein Mensch, war er gesalbt und geheiligt, obgleich er in seiner göttlichen Natur, insoweit sie aus dem Vater entspringt, durch seinen Geist selbst den Tempel seines Leibes heiligte, wie auch den ganzen Kosmos in dem Maße, in dem er der Heiligung bedurfte. Folglich ist das Geheimnis, das sich in Christo vollzogen hat, der Aufgang und der Mittelpunkt unserer Teilnahme an dem Geist und unserer Vereinigung mit Gott' (Cyrill von Alexandreia)".(46)

An anderer Stelle kommt v. Kologriwof noch einmal auf Cyrill v. Alexandreia zu sprechen und interpretiert ihn so: "In ihm [Christus] und durch ihn sollten auch wir Söhne Gottes sein, der Natur nach und aus Gnade, φυσικως τε και χάριν. Der Natur nach in ihm und in ihm allein, φυσικως μεν ως εν αυτω τε και μόνω; der Teilnahme nach, μεδεκτικως, aus Gnade durch ihn in der Kraft des Geistes... Die gesamte menschliche Natur ist metaphysisch in der seinen eingeschlossen. Alle menschlichen Personen, die zum Leben und Sein berufen sind, finden ihr wahres und echtes Antlitz in der Person Christi wieder. Die ganze Menschheit ohne Einschränkung, die vergangene, gegenwärtige und zukünftige, ist in ihm als eine metaphysische Einheit zusammengefaßt... Er ist das allumfassende, das allmenschliche, das allgroße Ich...  In ihm findet sich ohne irgendwelche individuellen Einschränkungen die ganze Fülle der Menschheit. Deshalb ist ihm nichts Menschliches, die Sünde ausgenommen, fremd, und jeder einzelne Mensch, dessen eigentliches Sein auf ihm beruht, ist 'sein Nächster'. Diese metaempirische und mystische Tatsache, dieses Sichselbstgleichsetzen Christi mit dem gesamten Menschengeschlecht, demzufolge sein persönliches Menschenleben sich so ausweitet, daß es die ganze Geschichte der Menschheit umfaßt, ist nicht die Folge unserer äußeren, empirischen Vereinigung mit dem Heiland. Das kommt schon deshalb nicht in Frage, weil Christus ein rein individuelles Leben führte, das räumlich und zeitlich ebenso bestimmt wie beschränkt war. Hier liegt eine innerliche, metaempirische, geheimnisvolle Verbindung vor. Dies läßt sich behaupten auf Grund jener allgemeinen Tatsache, daß die Menschwerdung Christi in allen ihren zeitlichen Ereignissen und Momenten zugleich auch eine überzeitliche, ewig-dauernde Bedeutung hat; daß die Verbindung, die er mit der Welt und mit der Menschheit hat, nach seinem Heimgang zum Vater keineswegs aufgehoben ist. "Ich bin bei euch bis ans Ende der Welt" [Mt 28,20]. Sie bleibt bestehen und erstreckt sich über alles Vergangene und Zukünftige hinaus".(47)

Schließlich führt v. Kologriwof eine dritte Belegstelle von Cyrill von Alexandreia an: "Um uns zu vereinigen, um uns in der Einheit mit Gott und miteinander zu verschmelzen, obwohl wir durch die Unterscheidung unserer Seelen und Leiber in Einzelpersönlichkeiten getrennt sind, [φυσικης ένώσεως] hat der Einziggeborene ein Mittel ersonnen, das er in seiner Weisheit fand... Durch einen einzigen Leib – seinen eigenen – segnet er jene, die an ihn glauben, in der mystischen Teilnahme, indem er sie sich selber wie auch untereinander einverleibt... Wer wäre fortan imstande, die, die durch ihre Einigkeit in Christus, vermöge seines einzigen und heiligen Leibes, miteinander verbunden werden, aus dieser physischen Vereinigung untereinander [...] herauszureißen, sie wieder zu trennen? ...In Christus kann es ja keine Teile geben! Darum ist die Kirche Leib Christi genannt, wir aber seine Glieder".(48) Wenn wir mit Kologriwof die personhafte Einheit Christi mit der Göttlichkeit als die "Ausdehnung der Menschwerdung des Ewigen Wortes auf jedes Glied des Menschengeschlechtes verstehen", so hat diese Einheit ihren theologischen Anhalt daran, daß Christus spricht: "Und ich heilige mich, d.h. ich heilige sie als mich selbst in mir, weil auch sie in mir ich sind. 'Damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit'; was heißt 'auch sie' als: wie ich; 'in der Wahrheit'; als: was ich selbst bin! Mit anderen Worten, die Vereinigung, die wir mit Christus haben, ist gleichsam eine Wesenseinheit. Der hl. Augustinus wagt zu sagen; wir seien in sein Ich mithineingenommen; oder vielmehr, nicht Augustinus, sondern der Heiland selbst sagt 'ich', indem er von uns spricht".(49)

Von großer Wichtigkeit ist für die altkirchliche Christologie die Zwei-Naturen-Lehre, wobei Kologriwof die oft verworrenen Vorstellungen über die endlich-empirische Natur Jesu Christi einer deutlichen Klarheit zugeführt hat: "In dem Augenblick, da der Heiland in unsere zeitlich und räumlich beschränkte Welt herniederkam, indem er eine menschliche Natur annahm, die als solche der Geschichte unterliegt, hat er sich zugleich auch eine empirische Gestalt angeeignet. Er wurde eine historische Person. Er wurde zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte geboren, gehörte einer bestimmten menschlichen Umwelt an, sprach eine bestimmte Sprache, kurz, unterlag als geschichtliche Persönlichkeit einer notwendigen Beschränkung. Zur Zeit, da er sich in Bethlehem befand, konnte er nicht in Rom sein; da er aramäisch sprach, konnte er nicht gleichzeitig lateinisch sprechen; er war weder ein Grieche noch ein Römer.  Allein diese rein empirische, historische Individualität ist gewissermaßen nur seine geschichtliche Hülle, sein 'empirischer Ausweis'. In Wirklichkeit kennt ja die Individualität Christi überhaupt keine seinsmäßigen Beschränkungen. Denn er ist nicht bloß ein gewöhnlicher Mensch, wie jeder andere beliebige in der zahllosen Menschenmenge, sondern er ist der Mensch als der Allmensch. In ihm ist sowohl die Menschheit in ihrer Ganzheit, wie Gott sie schaut, aktuell enthalten, als auch jede menschliche Person mit all ihren persönlichen Eigenschaften. Denn, wie Gregor von Nyssa es ausdrückt, das ganze Geschlecht ist eine solidarische Gemeinschaft, die in die Person des Logos als ein einziges Ganzes aufgenommen wird, sobald ein Teil dieser Gemeinschaft in diese Person eintritt. Dieser Teil wird nun auf eine ganz besondere Weise mit dem Logos vereinigt, und zwar in der absoluten Einheit der Person. Dennoch wird er der Erstling oder der privilegierte Teil der ganzen Gemeinschaft. Doch selbst als Erstling tritt er aus seinem Zusammenhang mit dem Geschlechte nicht heraus. In ihm, durch ihn wird die ganze Gemeinschaft von der Person des Wortes angezogen".(50)

Wie die Arbeit von Martin George über ganzheitliches Heilsverständnis in der byzantinischen Liturgie gezeigt hat, findet der von uns ausführlich dargestellte Aspekt der Ganzheit und Wesenseinheit auch in den liturgischen Texten der orthodoxen Kirche seinen umfassenden Ausdruck. So umschließt nach M.George der Gedanke der Vergöttlichung (Theosis) auch dies, daß in der Teilhabe am Mysterium der Eucharistie die Gläubigen mit Leib und Seele zu dem werden, was dieses Mysteriums selbst ist, eben zum Leib Christi "und damit werden sie gottähnlich, soweit das dem Menschen möglich ist".(51) Umschreiben wir den Gedanken der Wesenseinheit auf dem Hintergrund der Trinität mit dem Wort "Liebe", so kommt diese geistige Liebe dort zum Ausdruck, wo Pawel Florenskij sie in seinem Werk "Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit"(52) so umschrieben hat: "In der Überwindung der Grenzen der Selbstheit, in dem Heraustreten aus sich selber, wozu eine geistige Gemeinschaft miteinander erforderlich ist". Er begründet dies mit dem johanneischen Zitat: "So wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm [mit Gott] haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. So wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander" (l Joh 1,6f). P.Florenskij sieht das Einströmen der göttlichen Liebe, ihre metaphysische Natur, in der überlogischen Überwindung der nackten Selbst-Identität Ich=Ich und in dem Heraustreten aus sich selber. Die göttliche Kraft zerreißt die Bande der menschlichen endlichen Selbstheit, und dadurch wird das Ich im anderen, im Nicht-Ich zu diesem Nicht-Ich, wird wesenseins mit dem Bruder – wesenseins, nicht nur wesensgleich.(53)

Ein weiterer, gerade für die orthodoxe Theologie wichtiger und schon oben erwähnter Denker, Gregor von Nyssa, hat sich ebenfalls über die Wesenseinheit geäußert. In seiner Einleitung zum Werk Gregors "Der versiegelte Quell" führt Hans Urs von Balthasar aus: "Hier aber wird eine andere Grundlehre Gregors wesentlich, die bisher noch unerwähnt blieb, und die in ihrer Tiefe aufzurollen hier auch nicht der Raum ist, die Lehre von der ontologischen, ja physischen Einheit der Menschennatur. Nach Gregor ist der eigentliche Träger des Gottesbildes nicht die Einzelseele, sondern die eine, einzige Menschennatur, von der die individuellen Menschen nur Ausdruck und Darstellung sind. Christus hat, indem er individueller Mensch wurde, zugleich diese allgemeine Menschennatur angenommen und vergöttlicht, und durch sie stehen alle Menschen gleichsam in unmittelbarer, seinshafter Kommunion mit ihm. So zerbrechen die geschlossenen Monaden und werden von innen geöffnet für den Strom der vergöttlichenden Gnade. Die Menschwerdung wird also erst völlig vollzogen sein, wenn die gesamte Menschennatur, in all ihren Gliedern, durchlässig geworden ist für die Gnade der Menschwerdung, wenn aus dem Leibe 'Adams' der mystische Leib Christi geworden ist".(54)

Die altkirchliche Christologie und Anthropologie sieht also die Menschheit als ein Ganzes, "dessen Haupt der Erstmensch Adam ist. Hieraus wird offenbar, daß die Erschaffung, die übernatürliche Berufung und Prüfung des Erstmenschen zugleich auch die Erschaffung, Berufung und Prüfung des gesamten Menschengeschlechtes gewesen ist; d.h. allen Menschen ist jene übernatürliche Ausstattung des Erstmenschen als 'natürliche' Mitgift zugedacht worden. Bei jedem Einzelmenschen sollte also die Natur so wie beim Erstmenschen beschaffen sein".(55) Daraus schließt mit Cyrill von Alexandreia auch I. von Kologriwof: "So ist auch jeder Einzelmensch in Adam zugrunde gegangen und verliert so die Gerechtigkeit, die er durch Adam erhalten sollte"(56), wobei zwar die Natur des Menschen nicht in ihrem Wesen zerstört wurde, "doch ist sie, wie der hl. Thomas von Aquin (1225-1274) sagt, der übernatürlichen Gaben entkleidet und in ihrem natürlichen Wesen verwundet worden".(57)

In der Nachfolge Gregor von Nyssas kann der russische Religionsphilosoph Nikolaj Berdjajew diese innere Verbindung der Wesenseinheit in die Worte fassen, daß religiöses Leben ein Erwerben von Verwandtschaft des Außerhalbliegenden ist und führt dazu weiter aus: "Aber die Nähe, die Verwandtschaft des ganzen Seins erschließt sich nur in der geistigen Erfahrung, während das Sein in der seelischen und sinnlichen Erfahrung gespalten und entfremdet ist. Wenn uns das Sein fremd und fern scheint, wenn es uns drückt, so sind wir nicht im Geiste, sondern in der abgeschlossenen seelischen und körperlichen Welt. Darum ist der Geist nicht nur Freiheit, sondern auch Liebe, Vereinigung und gegenseitiges Durchdringen der Teile des Seins zu einem einheitlichen konkreten Leben. Darum auch ist das Christentum eine Offenbarung des Lebens des Geistes.(58)

Wie der Gedanke der Einheitswirklichkeit seinen literarischen Niederschlag in der russischen Literatur gefunden hat, darauf hat der Philosoph Reinhard Lauth am Beispiel Fjodor Dostojewskijs, der N.Berdjajew sehr beeinflußte, aufmerksam gemacht. In seiner Darstellung "Die Philosophie Dostojewskijs" charakterisiert Lauth nicht nur den von dem russischen Dichter besonders herausgestellten Freiheitsgedanken, sondern stellt in seinem Buchteil "Vom Wesen Gottes" dar, wie Dostojewskij diese Einheitswirklichkeit, in der Mensch und Gott untrennbar miteinander verbunden sind, schaute: "Alles kommt von Gott her, alles lebt und geschieht von Gott umschlossen... Alle Menschen und alle Wesen sind von Gott her und stehen in unmittelbarer Verbindung mit ihm. Gottes Existenz ist als die einer unendlichen Person (in Analogie) anzusehen, und nicht als die eines über und in der ganzen Schöpfung ausgegossenen Geistes. Er ist der Schöpfer des Alls und aller seiner Wesen".(59) R.Lauth macht darauf zurecht aufmerksam, daß in den philosophischen Gottesbegriff des Dichters sehr stark christlich-orthodoxe Glaubenslehren einfließen.

Die Metaphysik Dostojewskijs erkennt in der Liebe allein vollkommene Erkenntnis, denn "in ihrer höchsten Form verbindet sie sich mit der Erkenntnis zu einer Einheit", denn "durch die Liebe", heißt es bei Dostojewskij an einer anderen Stelle, erfaßt der Mensch 'das Geheimnis Gottes in den Dingen', das ein Geheimnis des sündlosen [d.h. ungetrennten Seins, d.h. der Einheitswirklichkeit] ist".(60) Ebenso zitiert I. von Kologriwof den russischen Dichter: "Alles ist ein Geheimnis, in allem ist ein Geheimnis Gottes... In jedem Baum, in jedem Stäubchen, ...ob ein kleines Vögelchen singt, ob die ganze Sternenschar in der Nacht am Himmel funkelt – alles ein und dasselbe Geheimnis".(61) "Wenn eine einzige Person ein solches Zentrum darstellt [der in Einklang mit Gott und allen Menschen stehende Mensch], aus dem Leben und geistige Einigungskräfte ausstrahlen, die unerschöpflich und deren Liebesgewalt nicht den kleinsten Schatten des Egoismus aufkommen läßt, so muß es sich um eine göttliche Person handeln, die in unmittelbare Beziehung zu uns Menschen getreten ist, als menschliche Person in höchster Vollendung".(62)

In den johanneischen Ich bin - Worten hat Christus die ganze menschliche Welt in diesem Sinne in seinem Ich bin eingeschlossen – und trotzdem bleibt der darin eingeschlossenen Hypostase die Möglichkeit, ihr eigenes Ich bin in diesem umfassenden Ich bin wiederzufinden und sich davon umschlossen zu sehen.

So sah es Starez Siluan vom Berg Athos auch als unbezweifelbar erwiesen an, daß dank der ontologischen Einheit des Menschengeschlechts das göttliche Wort eine neue Erfahrung in der menschlichen Seele hervorrufen und dadurch in ihr neues Leben erwecken konnte: "Und wenn das schon in unseren menschlichen Beziehungen so ist, wieviel mehr dann, wenn Gott selbst handelt. Ist die Seele aufnahmebereit, so bringt das göttliche Wort selbst neues Leben, und zwar das ewige Leben, das in diesem Wort eingeschlossen ist. 'Die Worte die ich rede, sind Geist und Leben' (Joh 6,63)".(63) Wenn der Mensch nach dem Bild Gottes, seines Schöpfers geschaffen ist, so ist dieses Bild auch "befähigt, durch die Gabe der Gnade mit der ungeschaffenen Gottheit in Gemeinschaft zu treten. Obwohl also der Mensch am göttlichen Wesen als solchem nicht teilhat, wird er durch die Gnade doch Teilhaber am göttlichen Leben".(64)

Daß die Wesenseinheit gerade für orthodox-theologisches Verständnis von größter Bedeutung ist, wird auch, das bisher Gesagte ergänzend, unterstrichen durch die Darlegungen von B.Zenkowsky, wenn er schreibt: "Die christliche Anthropologie muss anstelle der Idee der 'Wesensgleicheit' die Idee der 'Wesenseinheit' (nach der Analogie mit der Wesenseinheit in der Hl. Dreieinigkeit), d.h. die Idee der metaphysischen Einheit der Menschheit (die – außerhalb der Grenzen von Zeit und Raum – als Ganzes genommen wird) herausstellen. Diese Einheit beseitigt in keiner Weise das Prinzip der Persönlichkeit (wie auch in der Hl. Dreieinigkeit bei der Einheit der 'Wesenheit' die Dreiheit der Hypostasen behauptet wird), sie postuliert sogar das Prinzip der Persönlichkeit als den hypostatischen Ausdruck der einen, unteilbaren 'Wesenheit' der Menschheit. Man kann nur eines sagen: das Prinzip der Persönlichkeit selbst erhält in der Idee der Wesenseinheit jene Einschränkung, die den metaphysischen Pluralismus unmöglich macht".(65) B.Zenkowsky konstatiert, daß eine Unterscheidung von "Persönlichkeit" und "Natur" nötig sei: "die Persönlichkeit ist die Trägerin der Eigenart des Menschen, die Natur – die Trägerin der bei allen gleichen Wesenheit".(66) Zenkowsky ergänzt seine Darstellung mit folgenden Bemerkungen: "Schon in der Anthropologie des Apostels Paulus finden wir nicht wenige Stellen, deren Sinn nur im Lichte der Idee der Wesenseinheit der Menschheit richtig gedeutet werden kann. Der bekannte Text aus dem Briefe an die Römer (5,12) lautet in der russischen Übersetzung (die die frühere lateinische Deutung des hl. Ambrosius wiederholt) wie folgt: 'in ihm (d.h. in Adam) haben wir alle gesündigt', was schon der hl. Augustinus kategorisch im Sinne unserer metaphysischen Einheit mit Adam deutet".(67) In seiner weiteren Darstellung zeigt Zenkowsky, daß die Lehre von der "Wesenseinheit" bei den hl. Vätern stets eine Rolle spielte, was durch die Zitate des hl. Athanasius oder des hl. Gregor von Nyssa belegt wird. So stellt – nach Zenkowsky – Gregor von Nyssa die Behauptung "von der Vielpersonenhaftigkeit der Menschen" auf, und dieser die zweite zur Seite, daß "der Mensch in allen Menschen einzig ist" und fährt fort: "Hieraus sind auch die Worte des hl. Gregor zu deuten, dass Adam in uns lebt. 'Das ganze Wesen', schreibt er [Gregor von Nyssa] 'das sich von den ersten bis zu den letzten Menschen erstreckt, ist gewissermassen ein einziges Bild des Seienden'. Überhaupt durchdringt dieser Gedanke vom 'Verwachsensein' der Menschen in eine lebendige Einheit die ganze Auffassung der hl. Väter vom Menschen; die Kirche wird von ihnen so gesehen, dass sich in ihrem gnadenreichen Leben der göttliche Plan von der Einheit der Menschheit offenbart. Denn der Mensch nimmt, da er das Wesen Adams besitzt, auch an seinem Fall teil, und die Kirche ist durch die 'Aneignung' und 'Teilnahme' an der Erlösungstat des Heilandes der Weg zur Erlösung; die Anthropologie ist hier nicht von der Soteriologie und Ekklesiologie und umgekehrt zu trennen".(68) Daraus können wir also den Schluß ziehen, daß der neutestamentliche Terminus vom mystischen "Leibe Christi" dem in der orthodoxen Theologie und Spiritualität fest verankerten Begriff der "Wesenseinheit" der Menschheit entspricht.

Der Gedanke der Wesenseinheit bei Sergej Bulgakow

Insofern konnte auch – nach Zenkowsky – S.Bulgakow in seinem Werk "Die Braut des Lammes" von der "Allmenschheit eines jeden Menschen" sprechen.(69) Bulgakow schreibt: "Das Zeugnis der religiösen Erfahrung bestätigt, daß wir damit in Christus wirklich einen 'vollkommenen' Menschen (Ecce Homo) sehen, mit der ganzen Fülle der Menschheit, ohne irgendeine individuelle Begrenzung; ein Mensch, dem nichts Menschliches, ausgenommen die Sünde, fremd ist, noch auch irgendein Mensch, dessen authentisches Sein sich in Seiner Menschheit findet. Dogmatisch drückt man es aus, indem man sagt, daß Christus die ganze menschliche Natur ohne irgendeine Begrenzung angenommen hat, und man muß diese Idee in diesem Sinne entwickeln, daß von der menschlichen Natur Christus das ganze kosmische Sein angenommen hat, deshalb, weil der Mensch die zusammengefasste Welt ist, der Mikrokosmos.(70) Er erschien wie der neue, der 'letzte' Adam (1 Kor 15,45). Obwohl unser erster Verwandter vor dem Fall eine bestimmte Person, ein konkretes Ich gewesen ist; er trug in sich die ganze Menschheit, er war ganz-menschlich; in ihm lebte wirklich die menschliche Art mit all ihren Gesichtern. Zudem besaß Adam, darin ganz eine Person seiend, keineswegs eine Individualität im negativen und restriktiven Sinne des Wortes wie eine Frucht der zersetzten Ganz-Einheit, zur schlechten Pluralität des Egozentrismus geworden. Unsere geschwächte Menschheit empfand die Persönlichkeit wie ein Einzelwesen. Wir kennen keine andere Individualität, wir würden dadurch in Hochmut fallen, wie von der einzigen Gestalt der Personalität, die uns zugängig sein könnte. "Die Personen sollten dort füreinander transparent sein: alle in allen und jede für alle, – dies ist die Ontologie der Persönlichkeit. Mit dem Fall schwand das Bild der ganzheitlichen Menschheit in Adam dahin, es war nicht mehr als nur eine Einzelpersönlichkeit, die nur noch Einzelpersönlichkeiten hervorbringen konnte. Und der erstgeborene [Sohn] Adams war Kain, bei dem der Egozentrismus sich in all seiner Gewalt bis zum Brudermord manifestierte. Kain war der erste Individualist mit seiner Nachkommenschaft der Kainiten. Eine solche Individualität ist mit dem Fall verbunden, mit dem Verlust des sophianischen Bildes durch die Menschheit. Aber in dem Neuen Adam verwirklicht sich dieses Bild, die schlechte Individualität ist überwunden ('Ich erfülle nicht Meinen Willen, sondern denjenigen des Vaters, der Mich gesandt hat', damit der, der Mir folgen will, sich selbst verleugne, – dieses sind die Prinzipien des neuen Lebens in Christus"(71)

Zum Thema der "All-Menschheit [frz. toute-humanité] heißt es bei Bulgakow: "Empirisch ist Christus der Eine der Vielheit in der historischen Menschheit; in Wirklichkeit enthält Er sie [die Menschheit] ganz in Sich in Seiner Menschheit. Das, was sich in der folgenden Geschichte offenbart, die chronologische Konsequenz (Folge) wird in Ihm in einer metaphysischen Einheit zusammengefasst: die gesamte Menschheit ohne jede Einschränkung, ebenso die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Seine Natur ist wie die metaphysische Ganzheit der ganzen menschlichen Natur, und alle menschlichen Gestalten, die ins Sein hervorgerufen wurden, finden sich in der [Gestalt] Christi in ihrer Authentizität. Eine solche metaphysische Tatsache, eine solche ontologische Beziehung, bleiben für den Menschen in seinem sündigen und getrennten Zustand transzendent; sie sind für ihn nur ein religiöses Postulat. Dennoch verwirklicht sich diese meta-empirische Tatsache für uns, selbst in der empirischen Wirklichkeit; dieses Postulat ist nichts weniger als die Kirche, der Leib Christi, oder Christus ist alles in allen (Kol 3,11)".(72)

Schließlich führt Bulgakow aus: "Um das menschliche Wesen zu erlösen und das menschliche Geschlecht zu verklären, mußte der Herr das Fleisch des Menschen annehmen, das des Adam, aber Er mußte nicht das Fleisch des gefallenen Adam annehmen: Er mußte es anders annehmen, gemäß der Ähnlichkeit(73) der Menschen" (Phil 2,7). Christus hat keineswegs das menschliche Wesen als solches, wie es jeder Mensch hat, angenommen, begrenzt, beschränkt, egozentrisch, kurz – individuell oder atomistisch; Er hat jenes angenommen, das Adam hatte, der erstgeborene, entlassen aus den Händen des Herrn, das heißt ganzheitlich".(74) Diese Natur, dieses "Fleisch" empfing Christus nach Bulgakow von Seiner Allreinen Mutter. "Die negative Bedingung dieser Tatsache war die Abwesenheit der menschlichen Empfängnis 'in der Sünde', d.h. – die Geburt ohne Vater. Die Ursünde wird deutlich durch die menschliche Empfängnis übertragen und mit ihr werden die schlechte Vielheit, der Egozentrismus, die Begrenzung übertragen. Die Abwesenheit der natürlichen Empfängnis wurde durch den Heiligen Geist ausgeglichen, der die Heiligste Jungfrau bei der spirituellen Empfängnis begeisterte. Jene bestand darin, daß die Liebe der Selbstverleugnung sich durch Jenen [Geist] entzündete, der in Ihr geboren werden lassen sollte, was sie hervorbrachte. Diese Liebe für den Sohn hatte eine vollkommene Fülle des Lebens zur Folge und ebenso des körperlichen Lebens, d.h. - die jungfräuliche Empfängnis".(75)

Ergänzen wir Bulgakows Aussagen durch die Sicht v. Kologriwofs, der mit Bulgakow übereinstimmt, so ist festzuhalten: "Nach dem ursprünglichen Plane des Schöpfers sollte die Person kristallhell-durchsichtig sein für jede ihr gegenüberstehende andere Person. Alle in allen und jeder in allen - das ist das wahre Wesen der Person. Mit dem Sündenfall aber verfinsterte sich das Bewußtsein Adams, und das Abbild der Allmenschheit in seiner Seele ging verloren. Von nun an wird der Mensch nur noch abgesondert-einsame Individualitäten zeugen und diese zeugen wiederum andere. Und der erste, den Adam zeugte, war Kain, in welchem die Selbstsucht im höchsten Maße, ja bis zum Brudermord sich offenbarte".(76)

Aufgabe wäre es, diese Bestimmung von der Wesenseinheit oder ontologischen Verbundenheit der Menschheit, die den Menschen nicht als isoliertes Individuum betrachtet, in seinem Verhältnis zum Kosmos und zum sozialen Ganzen neu zu bewerten, da der Mensch ganzheitlich mit dem Ganzen verbunden ist. Wesenseinheit setzt voraus, daß in der Persönlichkeit nach B.Zenkowsky grundlegende "transzendentale" Funktionen eine Sozialphilosophie erfordern, wie sie aus dieser Perspektive der hier ausführlich dargestellten hypostatischen Union der Menschheit zu entwerfen wäre.

Der Gedanke der Wesenseinheit bei Pawel Florenskij

J.A.Swiridow hat in seiner kleinen Arbeit "Die Wesenseinheit der Heiligen Dreifaltigkeit" aus der Perspektive P.A.Florenskijs zusammengestellt. Florenskij differenziert zwischen den beiden Begriffen "homoúsios" (wesensgleich/wesenseins) und "homoiúsios" (wesensähnlich) und sieht in ihnen den "Ursprung entgegengesetzter weltanschaulicher Systeme" (Swiridow). Swiridow faßt Florenskijs Position so zusammen: "Die Verkündigung des Dogmas von der Wesenseinheit der in der Heiligen Dreifaltigkeit vereinten Personen ist ein 'seiner dogmatischen und philosophischen Bedeutung nach höchst gewichtiges und einzigartiges' Ereignis in der Kirchengeschichte gewesen. Nach seiner [Florenskijs] Auffassung 'ging es hier nicht um eine theologische Spezialfrage, die lediglich in der dünnen Luft hoher theologischer Spekulationen gedeiht, sondern es ging um das Wesen der kirchlichen Weltanschauung schlechthin, um die Selbstbestimmung der Kirche Christi."(77) So sieht J.A.Swiridow mit Florenskij in dem Terminus homoúsios eine "pneumatische Bewertung der Denkgesetze, ein neues Prinzip der Vernunfttätigkeit" und nicht umsonst habe man Athanasius den Großen, den Vorkämpfer für die Wesenseinheit, den Retter der Kirche und die Säule der Orthodoxie genannt.(78) Wir halten fest, daß gegenüber einer Philosophie der Ähnlichkeit "die Philosophie der Wesenseinheit (Konsubstantialität) erklärt, daß alle Wesen innerlich, seinsmäßig miteinander verbunden sind. 'Für die Philosophie der Wesenseinheit kann es keinen Bruch geben zwischen Wort und Begriff, Namen und Benanntem, Gebet und Angebetetem, Glauben und Leben, Glaube und Liebe. Das Leben kann und soll wesenseins sein mit dem Glauben und der Mensch mit der Liebe".(79)

Nach Swiridow gingen Florenskijs Anschauungen der Lehre von der Wesenseinheit bis auf die platonische Ideenschau zurück. "Schauen heißt nach Platon, das Vielfältige als Eines zu erkennen und das Eine im Vielfältigen zu entdecken; anders gesagt, im Schauen vereint sich die Unendlichkeit des Wesens mit der Begrenztheit des konkret Gegebenen."(80)

Swiridow stellt im Blick auf die Bedeutung der Vorstellung der Wesenseinheit fest: "Die aller Religion innewohnende Idee der Konsubstantialität hat viele Philosophen auch nach Platon inspiriert. Plotin(81) und Proklos, Thomas von Aquino und Nikolaus von Kues haben, je auf ihre eigene Weise, die Metaphysik der Alleinheit – wie man diese Konzeption später genannt hat – fortentwickelt. Der Ruhm, die Idee der Alleinheit im russischen Denken von neuem belebt zu haben, gebührt W.S.Solowjow, in dessen Nachfolge viele russische Religionsphilosophen, von J.N.Trubezkoi bis zu S.L.Frank und L.P.Karsawin, diese Idee in den Mittelpunkt ihrer Systeme gestellt haben".(82) So war es sowohl Florenskij als auch den anderen genannten Denkern möglich, aufgrund des Prinzips der Wesenseinheit, "die Welt als organisches Ganzes zu verstehen und auch die Einheit der Menschheit zu begreifen, eine Einheit, die nicht allein genetischer, sondern wahrhaft ontologischer Natur ist. Die Menschen sind Brüder nicht nur wegen ihrer Abstammung von einem Urvater, Adam, sondern auch ihrem Wesen nach".(83) Insofern ist der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß, wenn die Menschheit mit der ganzen Welt eins ist, auch eine reale Verantwortung des Menschen für die gesamte Schöpfung besteht. Das Gegenteil wäre die rassische, nationale und individuelle Vereinzelung, die Entfremdung und Selbstisolation, die nicht der von P.Florenskij vertretenen ontologischen Wesenseinheit bzw. Liebestheorie entspricht, die sich aus der Wesenseinheit ableitet. Die Liebe ist nach Florenskijs Definition "das Wirken Gottes in mir und meiner in Gott; dieses Zusammen-Wirken ist der Ursprung meiner Teilhabe am göttlichen Leben und Sein, d.h. der wesenhaften Liebe, denn die unbedingte Wahrheit Gottes enthüllt sich gerade in der Liebe".(84)

Angesichts einer Zeit, in der ökologisches Bewußtsein infolge der Umweltzerstörung wesentlich geschärft worden ist, sind solche Denkansätze wie die von P.Florenskij von hoher Zeitgemäßheit: "Auf dem Prinzip der Wesenseinheit beruht auch das christliche Verhältnis zur Kreatur, zur gesamten sichtbaren Welt", eine Einsicht, aus der Florenskij schon in jungen Jahren ein ganz besonders "Naturgefühl" entwickelte, das seinen literarischen Niederschlag in seinen autobiographischen Erinnerungen fand.(85) So war – nach Swiridow – Vater Pawel Florenskij, der Philosoph und Theologe, durch und durch erfüllt "von der pneumatischen Erfahrung der Seinsfülle" und schrieb: "Die ganze Natur ist beseelt, sie ist lebendig im Ganzen und in ihren Teilen, ...alles ist durch innige Bande miteinander verknüpft... Die Energien der Dinge strömen auf andere Dinge über, und jedes lebt in allen und alle in jedem".(86) So wurde in Florenskijs Theologie und Philosophie der Ontologismus hervorgerufen, der konträr zu jedem Subjektivismus stand, so daß Swiridow Florenskijs Intentionen zusammenfaßt: "Die Abkehr vom Ontologismus, der Philosophie der Wesenseinheit, ist die Abkehr von der Wahrheit des Lebens und die Hinkehr zu Formalismus und Illusionismus... 'Die Wesenseinheit als sittliche Kategorie ist die Heiligkeit', das unendliche Streben zur Theosis, zur Vergöttlichung, d.h. das Streben zur wirklichen Gemeinschaft mit Gott, zur wirklichen Wesenseinheit mit der Heiligkeit Gottes. Dieses Streben ist eine Kundgabe des Prinzips, das von Christus dem Erlöser Selbst grundgelegt: 'Auf daß sie alle eins seien, gleichwie Du, Vater, in mir und ich in Dir: daß auch sie in uns eins seien' (Joh 17,21)."(87)

Exkurs: Der Gedanke der Trinität bei P.Florenskij

Im dritten Brief seines Werkes "Die Säule und die Grundfeste der Wahrheit" hat sich P.A.Florenskij dem Thema der Trinität gewidmet, einem dogmatischen Thema. Da dieser Brief über die Trinität in der Ausgabe des "Östlichen Christentums" nur in Auszügen von H.Ehrenberg in deutscher Sprache veröffentlicht wurde,(88) fügen wir in diesem Exkurs aus der französischen Übersetzung des Werkes "La colonne et la fondement de la vérité"(89) in Auswahl weitere wichtige Texte Florenskijs, übersetzt in deutscher Sprache, an, um auf dieser Basis sein theologisches Anliegen mit seinen Original-Texten noch deutlicher werden zu lassen.

"Man weiß, daß die Vorstellung der einzigen Substanz durch das Wort homoousios ausgedrückt wird. Tatsächlich sind alle trinitarischen Kontroversen rund um dieses [Wort] und aus diesem Grund in Gang gekommen. Die Geschichte dieser Auseinandersetzungen zeigt uns alle Farben und alle Nuancen dieser Vorstellung. Es ist nicht notwendig, darüber noch eine Analyse anzustellen, die Dokumente sind vorhanden, um es uns noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Man weiß, daß weder die heidnische noch die kirchliche Literatur vor Nizäa die Unterscheidung zwischen ousia und Hypostase kannte, später als Fachbegriffe betrachtet. In der Philosophie entspricht ousia ohne Zweifel der Hypostase. So war es noch bis zum 5. Jahrhundert. Man hatte allen Grund zu glauben, daß die Väter des ersten ökumenischen Konzils eine entsprechende Annahme gegenüber den Begriffen der Hypostase und der Substanz aussprachen und daß sie keineswegs den Unterschied im Blick hatten, den hier die spätere Theologie einführte. Der hl. Athanasius der Große benutzte sie in einem identischen und gleichen Sinne 35 Jahre nach dem Konzil von Nizäa, er bestätigt in einem Brief, daß "die Hypostase die Substanz ist und nichts anderes als das gleiche Sein bedeutet". Dies war die Position der alten Generation der Nizäaner. Am Ende des 4. Jahrhunderts erklärt der hl. Hieronymus in seinem Brief an Papst Damasus, daß "die Schule der weltlichen Wissenschaften keinen anderen Sinn für das Wort Hypostase kennt als den der ousia".

Später wurden die beiden Begriffe unterschieden. Unterschieden, gewiß, aber sind sie verschieden durch ihren Inhalt? Es ist nicht zweifelhaft, daß sich der eine vom anderen unterscheidet, ebenso wie sich rechts von links unterscheidet und umgekehrt, wenn man vom einen in Beziehung zum anderen spricht. Aber würden sie jeder einen unterschiedlichen Inhalt durch sich selbst haben, außerhalb aller Beziehung mit dem anderen? Würde man Grund zur Bestätigung haben, daß einer von diesen beiden Begriffen (Hypostase) das Individuelle bezeichnet, während der andere (Substanz, ousia) das Gemeinsame oder das Allgemeine bezeichnet?

Eine Antwort wird uns zunächst durch die Tatsache geliefert, daß man ein Wortpaar gewählt hat, wo der Inhalt von jedem in jeder Hinsicht zusammenfällt mit dem des anderen. Und warum ist dies? Einfach weil, was sie bezeichnen, sich im Logischen nur als korrelativ unterscheidet, aber nicht in sich.

Um auf einen groben Vergleich zurück zu kommen, die Inhalte der beiden in Frage stehenden Begriffe beziehen sich einer auf den anderen wie ein Objekt auf sein Spiegelbild in einem Spiegel, wie eine Hand auf die andere, wie ein nach rechts drehender Kristall sich auf einen nach links drehenden. In allen diesen Fällen ist der wesentliche Unterschied des einen Objekts durch Beziehung auf das andere deutlich wahrgenommen, aber, logisch kann es nur durch die Beziehung auf das andere Objekt charakterisiert werden: ihr Verständnis vermittelt uns nicht die gleiche Sache, aber wenn man uns fragt, worin genau der Unterschied besteht, können wir tatsächlich nicht diese Objekte, die sich unterscheiden, identifizieren und wir sind ausdrücklich gezwungen, darin die Identität wieder zu erkennen.

Ebenso geht es dabei um die Begriffe Hypostase und Substanz (ousia oder Essenz). Die "Ein-Substantialität" bezeichnet die konkrete Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und keineswegs eine nominelle Einheit. Homoousios, bei dem hl. Athanasius und den alten Nizäanern entspricht genau dem aus dem Wesen des Vaters (ek ousias tou Patros). Wenn es damit so steht, ist die Hypostase die persönliche Essenz (das Wesen) des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, in dem Maße, wo jede getrennt von den anderen betrachtet wird, ohne sich ganz mit einer anderen Hypostase zu vermischen, von der sie dennoch untrennbar ist. Wenn von einem terminologischen und formellen Gesichtspunkt das Wort Hypostasis prinzipiell unterschiedlich von ousia geworden ist, vom Gesichtspunkt seines Inhalts und von seiner logischen Bezeichnung ist Hypostasis entschieden der gleiche Begriff wie ousia. Die unvergleichliche Größe der Väter von Nizäa liegt gerade darin, daß sie die Kühnheit besaßen, identische Ausdrücke für den Sinn zu benutzen, worin die mit der Fassungskraft durch den Glauben triumphierten; und dank dieses mutigen Aufschwungs empfingen sie die Kraft zum Ausdruck, zugleich mit einer reinen sprachlichen Genauigkeit, das unausdrückbare Mysterium der Trinität auszudrücken.

Man versteht, daß alle Versuche, ousia und Hypostasis abzugrenzen, um ihnen jeweils eine logische unabhängige und nicht korrelative Position außerhalb des dogmatischen Zusammenhangs zuzuteilen, unfehlbar führen mußten und tatsächlich zu einer Rationalisierung des Dogmas, zu einer "Teilung des Unteilbaren" geführt haben, zu dem, was man den Tri-Theismus oder die Häresie der drei Götter nennt. Seit der Antike wurde die Anklage des Tritheismus gegen die Kappadozier erwogen. Sie ist sicher ungerecht, aber sehr bezeichnend. Die Tendenz zum Rationalismus wird noch stärker bei den Homoiousianern unterstrichen. Homoiousios oder homoios kat’ ousian bezeichnet " eine gleiche [oder: ähnliche] Substanz; und, außerdem, wenn man ihm den Sinn von homoios kata panta gegeben hat, "gleich [ähnlich] in allem", kann dies niemals die numerische und konkrete Einheit bezeichnen, verstanden unter homoousios. Alle Kraft des geheimnisvollen Dogmas wird begründet durch die Wirkung des einen Begriffs des homoousios, den die 318 beim Konzil souverän verkündigt haben, denn dieser Begriff zeigt soviel reale Einheit wie reale Unterschiedenheit an. Man kann sich nicht ohne ein heiliges Beben an diesen einen und für immer durch seine philosophische und dogmatische Wichtigkeit bedeutsamen Augenblick erinnern, den Augenblick, wo der Donner des "Homoousios" zum erstenmal oberhalb der Stadt des Sieges widergehallt hat. Es handelte sich nicht um eine besondere Frage der Theologie, sondern um eine radikale Definition, die die Kirche Christi sich von sich selbst gab. Der einzigartige Begriff des "homoousios" drückte nicht nur das christologische Dogma aus, sondern verschaffte außerdem eine spirituelle Bewertung der Regeln der Vernunft. Das Begriffsvermögen war dort in den Tod geschickt worden. Zum erstenmal wurde das neue Prinzip der vernünftigen Aktivität dort verkündigt urbi et orbi.

Denken wir wirklich darüber nach, daß dies die ganze christliche Vorstellung des Lebens ist. Dies ist die Entwicklung eines musikalischen Themas, welches das System der Dogmen, die Dogmatik, ist. Und was ist die Dogmatik? Die Analyse des Glaubensbekenntnisses. Was ist das Glaubensbekenntnis? Nichts anderes als das entfaltete Taufformular: "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes". Und dieses ist unzweifelhaft die Entfaltung des Begriffes homoousios. Den Baum des christlichen Begriffs des Lebens zu betrachten, der Senfsamen im edlen Schatten, wie das Wachstum der Vorstellung der "Konsubstantialität", dies ist nicht nur eine logische Möglichkeit. So war es historisch. Der Begriff homoousios drückt dieses antinomische Samenkorn des christlichen Gedankens aus, dieses Wort einzig der Drei Hypostasen (" Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" und nicht "in den Namen").

Die philosophischen Richtungen repräsentierten zu einem großen Teil einen Raum der homoiousianischen Rationalisierung. Dies ist der Grund, warum Athanasius der Große, Asket und spiritueller Athlet, der vielleicht durch den höheren Willen keine philosophische Bildung empfangen hatte und der in jedem Fall mit allem, was nicht aus dem Glauben stammte, gebrochen hatte, mit einer mathematischen Präzision das auszudrücken gewußt hatte, was in späterer Zeit Intellektuellen schwer fällt, genau zu definieren.

Wieviel hatte es den Kappadoziern an Anstrengungen gekostet, die sich ihrer Universitätsjahre schmeichelten, um gegen die philosophische Terminologie zu kämpfen, die sie gegen den Tritheismus übten. "Die Gemeinschaft der Natur (koinônia), nach der Meinung der ganzen Terminologie der Kappadozier, spricht nicht wieder vom wahrhaften Sein der Substanz und bestätigt damit nicht die numerische Einheit. Die Natur bei der Gottheit und bei den Menschen kann eine sein, aber sie findet ihre konkrete Realisierung in den Hypostasen".(90)

Trotz dieses tritheistischen Klanges ihrer Schriften waren die Kappadozier ganz und gar von orthodoxem Geist erfüllt. Es ist deutlich, daß ihre tiefe Vorstellung bei weitem die Ungenauigkeit der Worte überholte. Wie um sich zu korrigieren, sagte Basilius der Große in seinem 38. Brief: "Sei nicht erstaunt, daß wir sagen, daß eine einzige gleiche Sache wiedervereinigt und getrennt ist, und wenn wir intellektuell eine bestimmte neue und außergewöhnliche Trennung wie eine Wiedervereinigung und eine Einigung wie getrennt darstellen, wie in Rätseln".(91)

Die Einheitswirklichkeit in tiefenpsychologischer Sicht

Was philosophisches Denken seit Kant als das tranzendentale Ich gegenüber dem empirischen Ich beschrieben hat und was Hegel als die Verkörperung des Geistes in den Individuen deutete, findet sowohl im neutestamentlichen Kontext als auch in naturphilosophischen Überlegungen der Moderne seine volle Bestätigung: daß eine revolutionäre Umkehr unserer Weltsicht auch im Sinne von Mt 3,2 ("Kehrt um, wandelt euer Denken) notwendig ist. Hier, an diesem Punkt, wo geistige Umkehr gefordert wird, ist mit Jean Gebser, dem Vordenker des 21. Jahrhunderts, eine integrale bzw. diaphane Weltsicht gefordert.(92) Hier beginnt die Überlogik, der Bereich des Transrationalen, des Unergründlichen und des Transparenten (im Sinne Gebsers: des Integralen). Henri Le Saux hat das hier angesprochene Geheimnis so beschrieben: "Erst wenn der Mensch erkennt, daß er selbst ein unergründliches Geheimnis ist – das heißt, daß sein wahres Sein jenseits aller Gedanken oder allen Bewußtseins liegt, das er von sich selbst haben mag – erst dann kann er in den Tiefen seiner Erfahrung das unergründliche Mysterium Gottes entdecken. Das unerkennbare Wesen des Menschen ist von derselben Art wie das Gottes, denn der Mensch kommt von Gott und ist in seinem Bilde erschaffen worden".(93)

Daß wir in einer sogenannten "Einheitswirklichkeit" leben und nicht mehr in getrennten Bewußtseinswelten – es gibt nur ein Bewußtsein so wie es nach Hegel auch nur ein Denken (differenziert in Gedanken) gibt, wurde in unserem Jahrhundert vor allem durch die Forschungen von Tiefenpsychologen wie Carl Gustav Jung und Erich Neumann deutlich. In seinem Aufsatz "Die Psyche und die Wandlung der Wirklichkeitsebenen" zeigte E.Neumann, daß der Mensch in einem unzentrierten Systemfeld des Wissens und der Wahrnehmung lebt, einem Feld, das Neumann als das extrane Wissen bezeichnete.(94)

Konnte Neumann schon sehr früh die participation mystique als unbewußten Zustand und als eine Fülle von Zusammenhängen und Bezogenheiten zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Tier sowie Mensch und Welt erklären und erstaunlichen Deutungen zuführen, so kann man nun mit ihm sagen, daß, indem wir die Wirklichkeitswelt des Bewußtseins verlassen und an Regionen geraten, in denen eine Einheitswelt wirklich ist, in der Psychisches und Physisches nicht mehr polar entgegengesetzt sind.(95) Es ist anzunehmen, daß die Vorstellung, die Archetypen und das nach C.G.Jung so bezeichnete kollektive Unbewußte eine Schicht darstellen, auf die man durch Introversion "in uns" stoße, nicht mehr zu halten ist, da schon Jung vom transgressiven Charakter des Archetyps gesprochen habe, "in welcher das Innenphänomen des Archetyps auch außen, in Wirkung auf die Außenwelt, in Erscheinung tritt".(96) Es konnte von Neumann aufgewiesen werden, daß der von Jung so genannte Individuationsprozess nicht als ein ausschließlich innerpsychischer Prozess zu denken sei, sondern "sich mit und an der Welt, an den Menschen, an der Natur und den Mächten  abspielt".(97) Es ist also in einem zunächst scheinbar innerpsychischen, scheinbar isolierten Vorgang stets der ganze Zusammenhang, "den wir Leben in der Welt nennen" (Neumann) beteiligt. Der Individuationsprozess umschließt also nicht nur die Einzelpersönlichkeit und ihr Unbewußtes, das dem Bewußtsein partiell integriert wird, sondern es ist davon auszugehen, daß der Mensch in einem Raum des Unbewußten lebt, von dem ein Teilbereich auch sein "Inneres" erfüllt. In ähnlicher Weise unterstützt Ken Wilber diese schon vor Jahrzehnten gewonnenen Ansichten Neumanns mit dem Hinweis auf die Arbeiten von Gregory Bateson: "das wirkliche Ich des Menschen sei das gesamte kybernetische Netzwerk aus Mensch, Gesellschaft und Umwelt – und so werde es auch wahrgenommen. Schon diese Aussagen belegen, daß die Empfindung, ein isoliertes und an den Körper gebundenes Ego zu sein, bestenfalls eine Halbwahrheit darstellt; je entschiedener wir diese Empfindung für wahr halten, desto mehr wird sie zu reiner Illusion".(98)

Es ist ein archetypisches Einheitsfeld anzunehmen, das zwischen den Menschen und ihren jeweiligen Bezugspunkten eine große Rolle spielt. So stellt die Wirklichkeit als Einheitsfeld ein energetisch-dynamisches Feld dar, von dem gesagt werden kann, daß die Erfahrung eines erweiterten Wissens, "bei der die Persönlichkeit in das archetypische Feld eingebettet ist", als eine numinose zu bezeichnen ist. Wird in dieser Weise das von C.G.Jung mit dem Christus-Archetyp verbundene Selbst erfahren, so "treten Welt und Psyche nicht mehr als zwei nebeneinander und unabhängig voneinander existierende Welten auf, von denen jede eine in sich geschlossene Gesetzlichkeit besitzt. Beide Teile des Einen sind wie ergänzend aufeinander bezogen, sie sind zwar noch nicht identisch, aber sie bilden eine zusammenhängende sich komplimentierende Einheit".(99) Aufgrund dieser Sicht kommt es dazu, daß in einem bewußten bzw. überbewußten Zustand und Psyche, Außen und Innen, Oben und Unten nur zwei durch das Bewußtsein auseinandertretende Aspekte des Einen sind".(100) Das Selbst wird – nach E.Neumann – nicht nur als das Zentrum der Psyche erfahren, sondern es steht an der Grenze des Personalbereichs und hat mit seinem archetypischen Charakter auch an der extrapersonalen Wirklichkeit Anteil und ist als Symbol der Gottheit Symbol des Nicht-Personalen, da Gottheit den personalen und impersonalen Bereich in sich zusammenschließt. "Deswegen ist die Gottheit immer innen und außen, und das Selbst als Zentrum der Psyche ist nicht zufällig auch als Gottheit der "Schöpfer der Welt". Wir geraten hier von der Psychologie aus an die gleichen Probleme, mit denen sich die indische Atman-Philosophie beschäftigt".(101) Neumann hat nachgewiesen, daß im Zen "durch die gesammelte Spontaneität" des Tuns und des Seins eine Einheit von Psyche und Welt erreicht wird, "welche der des ursprünglichen Einheitsfeldes ähnelt".(102)

Daß die Einheitswirklichkeit den Menschen ergreifen und ihn transformieren kann, haben nicht nur die Religionen mit großer Klarheit erkannt, sondern auch die analytische Psychologie hat Wege dahin gewiesen, das unendliche Feld des Unbewußten, in dem wir leben, mit großer Subtilität und hoher Achtung vor dem sich darin verbergenden Geheimnis neu zu beschreiben: "Damit aber erweist sich der Mensch als die höchste und wichtigste Form des Lebendigen, und der zentrierte Mensch erscheint als gestaltgewordene Spontaneität des Schöpferischen, als numinos Ergreifender und Ergriffener, ebenso wie als Erleuchteter und Wissender, in dem die Luminosität [!] der Welt sich selbst erfaßt, in der Mitte der Welt".(103) Aufgabe wird es sein, daß das Ich die Botschaften des Selbst aufnimmt und erspürt, daß dieser Archetyp die Enge der bewußten Ich (=Ego)-Einstellung jeweils überschreiten möchte. Betrachten wir die Einsichten der (orthodoxen) Theologie, der Psychologie und auch der Philosophie, so ist festzuhalten, daß Mikrokosmos und Makrokosmos in einem unübersehbaren Entsprechungsverhältnis, in einer sie zusammenschließenden Einheitswirklichkeit, stehen. Schon C.G.Jung hat in seiner Darstellung der Synchronizitätsphänomene auf einen bewußtseinstranszendenten Einheitsaspekt des Seins hingewiesen und ihn als den unus mundus bezeichnet."(104)

Auf unsere Fragen ist E.Neumann auch in seiner Arbeit "Die Erfahrung der Einheitswirklichkeit" eingegangen.(105) Neumann definiert: "Der Begriff der Einheitswirklichkeit steht im Gegensatz zu der uns bekannten polarisierten Wirklichkeit unseres Ich-Bewußtseins, das immer in der Spaltung von Subjekt und Objekt, von Mensch und Natur oder Mensch und Welt sich bewegt. Diese polarisierte Wirklichkeit unseres Normalbewußtseins ist aber, wie wir heute wissen, eine spezifische diesem Ich-Bewußtsein zugeordnete Wirklichkeit. So wie unser Bewußtsein nur ein Teil der Psyche, das Ich nur eine Teilinstanz innerhalb der psychischen Instanzen ist, ist auch die polarisierte Welt unseres Bewußtseins eine Ausschnittswelt... Die Schwierigkeit, die wir zu überwinden haben, liegt darin, daß der Begriff der Einheitswirklichkeit für unser Bewußtsein einen Grenzbegriff darstellt".(106) Nach E.Neumann ist die Einheitswirklichkeit "eine der besonderen Erfahrungen des schöpferischen Menschen und des Mystikers". Schon für die ontogenetische Entwicklung des Menschen ist nach Neumann der Tatbestand gegeben: "Die [vorgeburtliche] Urbeziehung des Kindes zur Mutter ist die entscheidende Grundlage aller Du-Beziehung.(107) Auch die Beziehung des Ich zum Selbst [dem noumenalen ewigen Kern des Menschen], die Ich-Selbst-Achse der Psyche, fußt auf ihr. Damit aber erweist sich die Vertrauens- und Liebesbeziehung zur Mutter als zentral für die spätere Vertrauenshaltung des Ich zum Selbst und bildet die Grundlage allen Glaubens und aller Sicherheit in der Welt überhaupt".(108) Deshalb kann und soll die Welt vom Menschen als und im Zusammenhang erfahren werden. Neumanns Aussagen bestätigen den Kontext unserer früheren Überlegungen zum gestellten Thema: "Es scheint, daß die tiefe und ursprüngliche Liebeserfahrung der Urbeziehung eine Voraussetzung dafür ist, daß wir die Welt als ein Zusammenhängendes, in Sympathie miteinander Verbundenes in der Weise erfahren, daß alles in ihr als Voreinander, Nacheinander und Miteinander aufeinander bezogen ist".(109) Ist die Welt des modernen Bewußtseins "eine Welt der Ratio und der Unterscheidung durch Trennung und Gegensätze", identifiziert sich der Mensch völlig mit seinem Welt-Ich, so lebt der "ganze Mensch" aus einer anderen Dimension. Neumann, der sich in seinen Studien insbesondere der schöpferischen Struktur und Dimension menschlichen Daseins aus der Sicht der analytischen Psychologie zugewandt hat, sieht das Leben des schöpferischen Menschen in einer gesteigerten Spannung zwischen Bewußtsein und Unbewußtem.

"Und während das Kind fast gar nicht, der Frühmensch nur teilweise über die Erfahrung der Einheitswirklichkeit Aussagen machen kann, ist im Werk des schöpferischen Menschen immer auch die Bemühung lebendig, das, was er an Einheitswirklichkeit erfahren hat, nicht nur als Ganzheit zu erfassen, sondern auch mit Hilfe des Bewußtseins zu gestalten oder zu formulieren".(110) Wie diese Einheitswirklichkeit und das Schöpferische zusammenhängen, erfährt folgende Klärung: "Es gehört zu der Paradoxie dessen, was wir Einheitswirklichkeit nennen, daß sie sich zwar im schöpferischen Menschen und durch ihn manifestiert, aber auch von ihm nicht 'gewußt' werden kann. Nicht er faßt sie, sondern er wird von ihr ergriffen, und auch wenn er mit vollem Bewußtsein seine intuitive oder ihn allmählich ergreifende Erfahrung mit- und ausgestaltet, ist der Faktor des primären Überwältigtwerdens bedeutsam. Wir meinen hier nicht nur die relative Autonomie des schöpferischen Prozesses, der immer gnadenhaft ist und dessen Ursprung als Einfall und als plötzliche oder langsam sich durchsetzende Sicht niemals vom Ich willkürlich gemacht oder ergriffen werden kann. Die Faszination, von der das Ich ergriffen wird und durch welche die menschliche Persönlichkeit zum Instrument des Transpersonalen wird, das in ihr sich ausspricht, ist immer mit einem emotionalen Überwältigtsein identisch, das zur normalen Situation des seine Funktion handhabenden Bewußtseins-Ich im Gegensatz steht. Aber gerade dieses vielleicht nur augenblickshafte Überwältigtwerden von der Emotion ist die Voraussetzung für den Einigungs- und Erfüllungsprozeß, welcher die Ganzheit des schöpferischen Menschen herstellt und ihn mit der in ihm erscheinenden Einheitswirklichkeit verbindet".(111) Dem schöpferischen Menschen, dessen Weltbewußtsein – nach E.Neumann – mit dem Alter nicht schwächer sondern stärker wird, weil er sich selber "durchsichtig" zu werden beginnt, "verblassen die Grenzen des nur Persönlichen und Ichhaften" und es beginnt das, "was wir das Selbst und die mit ihm verbundene Einheitswirklichkeit nennen, stärker zu strahlen".(112)

Wie die Beiträge der Forschungen über den "Unus Mundus" gezeigt haben, entsprechen sich die Bezüge des Kosmos und der sie verbindenden Sympathie.(113) A.Jaffé fasst die Sicht des jungschen Analytikers so zusammen: "Neumanns 'Einheitswirklichkeit' ist ein Synonym des 'unus mundus'. Beide Formulierungen betonen den Aspekt des Kollektiven Unbewussten als einer Sphäre, in der die Gegensätze ineinanderfallen und darum nicht, oder noch nicht, erkennbar sind; darüber hinaus weisen sie auf die Tatsache, dass Innenwelt und Aussenwelt – oder die seelische und die konkret-kosmische Wirklichkeit, oder die Welt archetypischer Bilder und die Welt der Dinge – eine Einheit bilden und letzten Endes eine und dieselbe Wirklichkeit darstellen".(114) Wie für Jung, so gehörte auch für Neumann das dem Boden der "Einheitswirklichkeit" entspringende Schöpferische des Menschen zu den großen Geheimnisse, um die er sich zeit seines Lebens bemühte. Neumann hat das Schöpferische nicht kausal erklärt und leitete es – nach A.Jaffé – nie aus den biographischen Daten des schöpferischen Menschen ab. Mit C.G.Jung erkannte Neumann in der Dimension des Kollektiven Unbewussten "die Dimension des bewusstseinstranszendenten Zeitlosen, der grossen unbekannnten Sphäre, die Welt und Mensch und alle Gegensätze umfasst. Es ist die Einheitswirklichkeit. Sie bildet den unbewussten Anfang und Ursprung... Das große Verdienst Erich Neumanns liegt darin, von immer anderen Seiten her Manifestationen und Symbole der Einheitswirklichkeit aufgezeigt und sie dennoch in der Ferne des Unerklärbaren belassen zu haben".(115)

"In der ich- und bewusstseinsbetonten, polarisierten oder sogar gespaltenen Welt des abendländischen Menschen spielt das Schöpferische eine entscheidende Rolle; denn es vermag die Gegensätze des Bewußtseins in einer bewußt-unbewußten Ganzheit, in Symbolen der Einheitswirklichkeit, zu überbrücken. Dabei ist das Schöpferische durchaus an kein Gebiet gebunden: Es kann sich in der gegenständlichen und ungegenständlichen bildenden Kunst, in der Musik, der Wissenschaft entfalten, ebenso in der Religion, in zwischenmenschlichen Beziehungen und schließlich in der bewusst gelebten Individuation. Immer geht es darum, das Zeitlose im Zeitlichen, das Überpersönliche im Persönlichen zu erkennen, beides zusammenzuschauen und als Einheit zu erfahren: Ich-Erfahrung und Ganzheitserfahrung, Offensein den Partialwelten gegenüber und Durchlässigkeit für die ihnen zugrundeliegende Einheitswirklichkeit, empfangende Überwältigung und formende Gestaltung (bilden) die Gegensatzspannungen, in denen der schöpferische Mensch lebt und von deren Fruchtbarwerden sein Dasein und sein Werk abhängen. Den 'Durchbruch durch das Nur-Personale und durch die Partialwelten in ein Wesenhaftes, das den überpersönlichen Hintergrund der Wirklichkeit' ausmacht, nannte Neumann die große Erfahrung".(116)

Einheitswirklichkeit – interdisziplinär

Was in der fortgeschrittenen wissenschaftlichen Forschung und im interdisziplinären Gespräch längst selbstverständlich geworden ist, nämlich die Überwindung des Dualismus durch die grenzüberschreitenden Ganzheitserfahrungen im Kontext der Natur- und Geisteswissenschaft, sollte auch in theologischer Erkenntnis über J.Moltmanns ökologische Schöpfungslehre "Gott in der Schöpfung" und ihre ersten bemerkenswerten Ansätze hinaus, um einmal F.Capra(117), I.Prigogine, A.K.Coomaraswamy und E.Jantsch mit ihren Forschungen wenigstens zu benennen, zum Allgemeingut werden.(118)

Von großer Bedeutung wird die Frage sein, wie das Christentum in Zukunft mit dem noch ungewohnten Gedanken der Nicht-Dualität – hinduistisch: dem Advaita – als neuem Paradigma umzugehen hat. Henri Le Saux hat einen Weg dorthin gewiesen, wenn er es für dringlich hält, daß etwa die spirituelle Erfahrung des Hinduismus vom Christentum zu integrieren wäre. Diese Erfahrung setzt die Ungetrenntheit, die All-Einheit der Welt, also die Einheitswirklichkeit, voraus und damit die Möglichkeit, daß der Mensch in der Tiefe seines Wesens und Geistes "den Laut des Ich bin von Dem-der-ist vernehmen" kann. "Er wird das strahlende Licht sehen, dessen einzige Quelle das Selbst ist, er selbst, das einzige Selbst".(119) Geschähe dies nicht, hätte das Christentum sein Anrecht verloren, sich zur universalen Erlösungsreligion zu erklären.

Das Gespräch sowohl mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft, insbesondere auch mit der analytischen Psychologie, aber auch mit den Traditionen östlicher Religionen wie Hinduismus und Buddhismus können uns davon befreien, die Wirklichkeit als Ganze, die Einheit der Wirklichkeit, in das stets abgrenzende, mentale Begriffsgehäuse unserer westlichen Schemata zu zwängen. Solange die westliche dualistische und zweidimensionale Logik allein die Maßstäbe für unser Denken setzt, solange die Dimension abstrakter, verstandesmäßiger Begrifflichkeit allein das ganzheitliche Verstehen verhindert, sind schöpferische, neue Denkansätze, wie sie schon vor Jahrzehnten von Zukunftsdenkern wie Sri Aurobindo und Jean Gebser(120) entwickelt wurden, kaum in Sicht gekommen.

Solange wir noch mit Worten und Begriffen operieren als seien sie direkter Ausdruck von Wirklichkeit, unterliegen wir einem falschen Denkansatz. Dualität wird erst dann überwunden, wenn die Beziehung aller Dinge aufeinander, eingebettet in die wechselseitigen Relationen realisiert wird. Erst die Erkenntnis gegenseitiger Bezogenheit und Abhängigkeit des Lebens öffnet uns den Blick und das Gespür für das, was wir die Einheitlichkeit nennen. Diese Einheitswirklichkeit wird etwa im biblischen Sinne erst dann sichtbar und spürbar, wenn es zu einem Erlebnis der Transzendenz, des Überschreitens kommt. Erst wenn das in sich eingekapselte Ego überschritten wird in einem Moment des Ergriffenseins von der göttlichen Liebe, kann die Einheit und Verbundenheit von Gott, Mensch, Welt und Natur und konkretes, umwandelndes Erlebnis gespürt und erst danach in Worte gefaßt werden, die das Widerfahrnis denkend nachvollziehen und einen neuen Kontext erschließen, in dem keine ego-bedingten Abgrenzungen mehr vorhanden sind. "In dem Maße, in dem uns dies gelingt, verliert die Ich-Illusion Gewalt über uns, weil wir im Augenblick des Loslassens eine neue Freiheit und einen neuen Frieden erleben, durch den sich uns die Wahrheit von der Grenzenlosigkeit unserer Natur offenbart in einer Erfahrung, die über eine bloß verstandesmäßig gewonnene Überzeugung weit hinausgeht".(121) So entspricht es sicher biblischer Tradition, wenn Lama A.Govinda in der Sprache seiner östlichen Tradition zusammenfaßt: "Die Liebe ermöglicht uns ein spontanes 'Sich-dem-anderen-Gleichsetzen', ohne daß dabei Gefühle einer moralischen oder geistigen Überlegenheit aufkommen. Die Weisheit aber läßt uns das bedingte Entstehen aller Erscheinungen in gegenseitiger Abhängigkeit erschauen, läßt uns die 'Ichlosigkeit' aller Elemente der Wirklichkeit erfahren, führt uns zur Erkenntnis der Leere [=der Selbstlosigkeit], zum Erleben des Ineinander-Verwobenseins aller Wesen".(122)

Ist die Wirklichkeit nur als die Eine zu verstehen, so kann im Sinne der Überwindung des Dualismus nicht mehr von einer Entgegensetzung des Transzendenten zum Immanenten gesprochen werden, sondern die "Transzendenz" ist in der "Immanenz" zu finden. Mit J.Gebser ist zu schließen, daß das Transzendente nicht eine abgesonderte Region der Welt ist, sondern als Transzendentalität eine uns innewohnende Kraft oder Seinsmöglichkeit, ja, daß sie überhaupt die grundlegende Seinsmöglichkeit unseres Daseins ist.(123) In der Aufnahme der Heideggerschen Terminologie sieht sich Gebser in seiner Sicht einer aperspektivischen und diaphanen, d.h. transparenten Welt bestätigt. Schon bei Heidegger habe die "Lichtung des Seins" den Gegensatz von Transzendenz zu Immanenz illusorisch gemacht denn "die Lichtung, in die das Seiende hineinsteht, ist in sich zugleich Verbergung" [Heidegger]. So konstatiert Gebser: "Transzendenz und Immanenz sind nur verschiedene Formen der ,Anwesenheit der Lichtung oder des Achronon [=Zeitlosigkeit] und werden der Irrationalität und Rationalität durch die dem Achronon innewohnende Arationalität enthoben; sie werden in der Transparenz (Diaphanität) als 'Dimension der Wahrheit' wahrnehmbar".(124)

Für Gebser war die Konkretion des Geistigen in der Ganzheit das Ziel der Entwicklung. Dazu bedurfte es, wie von ihm in "Ursprung und Gegenwart" dargestellt, zahlreicher Bewußtseinsmutationen, wobei gerade das häufig als Verfall empfundene "Absinken aus der Ursprungsnähe in die Ursprungsferne" einer notwendigen Bewußtseinsintensivierung diente, da nur die Distanzierung die Bewußtwerdungsmöglichkeit in sich barg. Wie überzeugend J.Gebser das Ganze der Einheitswirklichkeit, von der Transparenz des Geistigen durchwirkt, auszusagen wußte, machen seine Formulierungen deutlich, daß es für den ichfreien [d.h. ego-losen] und ungeteilten Menschen, der nicht mehr die Teile sieht, sondern das "Sich", d.h. das "Selbst" [im Jungschen Sinne] und das zeitlose Ich bin [im johanneischen Sinne] realisiert, "weder Himmel noch Hölle, weder Diesseits noch jenseits, weder Ich noch Welt, weder Immanenz noch Transzendenz, sondern über deren magische Einheit, deren mentale Entzweiung und Synthese hinaus das nur wahrnehmbare Ganze" schaut.(125)

Wir haben im obigen Kontext von der Bewußtwerdung gesprochen. Hierzu mag auch als Illustration die Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) dienen. Vom Blindgeborenen heißt es, daß er von Geburt an blind war. Die Realität seines Blindseins von Geburt an ist paradigmatisch für das sündhaft (=abgesonderte) und blinde Wesen, wie es sich bei allen Menschen von Geburt an als der einen Realität, als grundsätzlich konstitutiv für das Menschsein, zeigt. Daß es nicht bei dieser Blindheit (oder auch Unwissenheit/Unbewußtheit) bleiben muß, wird deutlich in der Aussage, daß Christus das Licht der Welt ist, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen (Joh 1,9). Der Geist Jesu Christi wird dieses im Menschen gleichsam verborgene, ihnen unbekannte oder auch unbewußte Licht entzünden, und die Menschen werden sich dann als Brüder und Schwestern Jesu Christi und als Kinder Gottes erfahren (Joh 1,12). Das Licht ist potentiell da, es bedarf nur des Hinweises und des einladenden Postulates darauf: "Ihr seid das Licht der Welt! Eine Stadt, die oben auf dem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter einen Scheffel, sondern auf den Leuchter, dann leuchtet es allen, die im Hause sind. Ebenso soll auch euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der im Himmel ist, preisen" (Mt 5,14-16). Wenn dieses Licht zu leuchten beginnt, erscheint uns die Welt in einem neuen Licht. Die Dinge sind geblieben, was sie vorher waren, und doch sind "Himmel und Erde neu geworden". Himmel und Erde werden als neue erkannt im Medium eines neuen, durchlichteten Bewußtseins, dem die – hinduistisch gesprochen: avidya – die fundamentale Blindheit genommen wurde. Jeder Mensch lebt – so wie der geheilte Blindgeborene – zunächst vom Zeitpunkt seiner Geburt an in dieser fundamentalen Blindheit. Das Sehen ergibt sich – wenn die Gnade es zuläßt – stufenweise. Erst auf dem Höhepunkt der wieder gewonnenen Sehkraft sagt der geheilte Blindgeborene: EΓΩ EIMI - Ich bin.(126)

Karlfried Graf Dürckheim hat aus der Sicht einer transpersonalen Psychologie den Gedanken der Wesenseinheit in die Worte gefaßt: "Im Wesen sind, so lehren die Weisen, Eingeweihten und Gotteskünder aller Zeiten und Zonen, alle Menschen eins. Das bedeutet nicht, daß sie 'gleich' sind, sondern eins in der gemeinsamen Teilhabe am göttlichen Einen. Und die 'Gemeinschaft im Wesen' bedeutet nichts anderes als diese gemeinsame Teilhabe am göttlichen Einen. Kraft dieser gleichen Teilhabe am Einen sind auch die bleibenden Verschiedenheiten der Menschen aus der Individualität ihres Wesens niemals trennend, denn sie sind nur individuell verschiedene Weisen, das göttliche Eine, das sich in allen bekundet und manifestieren will, zu spiegeln und zu vernehmen und bedeuten nur verschiedene Wege zu dem einen Ziel: In diesem raumzeitlichen Dasein das Sein, in diesem kleinen Leben das in uns verkörperte Große Leben, im Endlichen das Unendliche, im Irdischen das Göttliche zu offenbaren".(127) Daß diese Wesenseinheit, wie sie unter verschiedenen Aspekten in den obigen Ausführungen dargestellt wurde, sich allein der Liebe verdankt, erfährt durch Dürckheim ihre schöne Interpretation: "Wo immer das Wesen aufging, sind die Menschen einander in einer Liebe verbunden, die das Verschiedene als Fülle empfindet und das Trennende zwischen ihnen entmachtet. Die Liebe, die aus dem nicht endlichen Wesen aufsteigt, ist der Ausdruck jener wirkenden Einheit im Grunde, die das an der Oberfläche des Daseins Getrennte einander zugeneigt sein läßt.(128)

In ähnlicher Weise drückte der Dichter aus, wenn er sagte: "Ich glaube an nichts in der Welt so tief, keine andere Vorstellung ist mir so heilig wie die der Einheit, die Vorstellung, daß das Ganze der Welt eine göttliche Einheit ist, und daß alles Leiden, alles Böse nur darin besteht, daß wir einzelne uns nicht mehr als unlösbare Teile des Ganzen empfinden, daß das Ich sich zu wichtig nimmt".(129)

Die Gestalt des Adam aus der Sicht Carl Gustav Jungs

Wie die umfangreichen Ausführungen von I. von Kologriwof gezeigt haben, kommt der Gestalt des Adam sowohl im neutestamentlichen als auch im patristischen Kontext eine besondere – wir könnten sagen – archetypische Bedeutung zu. Es war C.G.Jung, der im Zusammenhang seiner alchemistisch-historischen Studien, die auch die Patristik miteinbezogen, sich besonders der Gestalt des Adam zugewandt und ihn - wie schon seine theologischen Vorgänger – als Symbol der Ganzheit betrachtet hat. Einige Zitate aus seinem religionspsychologischen Werk "Mysterium Coniunctionis" können dies verdeutlichen.(130) Im Kapitel "Die Gegensätzlichkeit Adams" schreibt Jung: "Als erster Mensch ist Adam homo maximus, Anthropos, aus dem der Makrokosmos hervorgeht, oder welcher derselbe überhaupt ist. Er ist nicht nur die prima materia, sondern auch eine anima universalis, welche die Seele zum mindesten aller Menschen ist. Nach mandäischer Ansicht ist er das Mysterium der Welt".(131) Wie Jung weiter ausführt, gibt es drei Quellengebiete, nämlich das jüdische, das christliche und das heidnische, auf welche diese Adam-Spekulation im Zusammenhang mit alchemistischen Gedankengängen zurückgeführt werden kann. Im 16. Jahrhundert war es in erster Linie die Kabbala, die das jüdische Element stärker in den Vordergrund brachte. In seinem Kapitel "Der alte Adam" weist Jung darauf hin, daß "der alte Adam" dem Adam Kadmon der jüdischen Tradition gleichgesetzt wurde und ergänzt: "Man würde dabei statt 'der alte' wohl eher 'der zweite' oder 'der ursprüngliche' erwarten, und zwar hauptsächlich darum, weil der alte Adam unter allen Umständen zunächst den 'alten' sündenbeladenen, unerlösten Menschen bedeutet nach dem Vorbild von Röm 6,6: 'dieweil wir wissen, daß unser alter Mensch samt ihm [Christus] gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort der Sünde nicht dienen" [Luther].(132) In seinem Kapitel "Adam als Ganzheit"(133) erwähnt Jung eine Quelle, in der Adam mit dem Körper des Volkes Israel sowie mit dessen anima generalis identifiziert wird. Hier erscheint Adam als der homo maximus und in dieser Funktion als eine Ganzheit, "als das 'Selbst' des Volkes, als der innere Mensch dagegen entspricht er der Ganzheit des Individuums, nämlich als Zusammenfassung aller Seelenteile, in erster Linie also des Bewußten und des Unbewußten".(134) "Das Herausgehen der Seelen aus dem Urmenschen kann als die Projektion eines psychischen Integrationsprozesses verstanden werden: die erlösende Ganzheit des inneren Menschen (das heißt der 'Messias') kann nicht zustande kommen, solange nicht alle Seelenteile bewußt geworden sind. Aus diesem Grunde dürfte es auch erklärlich sein, warum es so lange geht, bis der endgültige, zweite Adam erscheint".(135)

In seinen "Späten Gedanken" über die künftige Entwicklung des Christentums führt Jung aus, daß das Christentum der christlichen Völker eingeschlafen sei und daß es versäumt habe, "im Laufe der Jahrhunderte seinen Mythus weiter zu bauen". Er schlägt deshalb vor: "Die Weiterentwicklung des Mythus sollte wohl dort anknüpfen, wo der Hl. Geist sich an die Apostel austeilte und sie zu Gottessöhnen machte, und nicht nur sie, sondern alle anderen, die durch sie und nach ihnen die filiatio, die Gotteskindschaft, empfingen und damit auch der Gewißheit teilhaftig wurden, daß sie nicht nur autochthone, erdentsprossene animalia waren, sondern als zweimal Geborene in der Gottheit selbst wurzelten. Ihr sichtbares, körperliches Leben war von dieser Erde; ihr unsichtbarer innerer Mensch aber hatte seine Herkunft und seine Zukunft im Urbild der Ganzheit, im ewigen Vater, wie der Mythus der christlichen Heilsgeschichte lautet... Da nach den dogmatischen Voraussetzungen des Christentums Gott in jeder der drei trinitarischen Personen ganz ist, so ist Er auch ganz in jedem Teil des ausgegossenen Hl. Geistes. Auf diese Weise kann jeder Mensch des ganzen Gottes und damit der filiatio, der Gotteskindschaft, teilhaftig werden".(136)

Die Gestalt des ersten und des zweiten Adam aus des Sicht von Pierre Teilhard de Chardin (137)

In seinem Werk "Mein Glaube" hat sich Teilhard de Chardin mit weiterführenden Hinweisen der Gestalten des ersten und des zweiten Adam angenommen.(138) Als Theologe und Paläontologe hat der Autor naturgemäß eine andere Zugangsweise zu den Symbolgestalten der Bibel als C.G.Jung. T. de Chardin äußert sich sehr deutlich und distanziert sich damit auch von zahlreichen bisher skizzierten Positionen: "Es ist unmöglich, den ersten Adam zu universalisieren, ohne seine Individualität platzen zu lassen".(139) Er hält es für ausgeschlossen, alles Übel von einem einzigen Menschen abzuleiten, weil es schon lange vor dem Menschen den Tod und damit auch das Übel gab. "Und in den Tiefen des Himmels, fern allem sittlichen Einfluß der Erde, gibt es auch den Tod".(140) Dagegen sah der Apostel Paulus in der Erbsünde, die vom ersten Adam per Erbfolge auf alle weiteren Menschen überging, die Ursache von Sünde, Leiden und menschlicher Sterblichkeit. "Sie [die Erb-Sünde] ist die allgemeine Lösung des Problems des Bösen".(141) Dabei folgert – nach de Chardin – der Apostel, daß aus dem Tod zu schließen sei, es liege Sünde vor und der Tod sei die Bestrafung für die Sünde (vgl. Röm 6,23). Dem widerspricht T. de Chardin: "Da in dem Universum, das wir kennen, weder ein Mensch noch die ganze Menschheit eine derartige allverderbliche Rolle zu spielen vermöchten, müssen wir, wenn wir den wesentlichen Gedanken des heiligen Paulus retten wollen, das opfern, was in seiner Sprache Ausdruck der Ideen eines Juden des ersten Jahrhunderts ist – anstatt um den Preis des grundlegenden Glaubens des Apostels gerade diese hinfälligen Vorstellungen bewahren zu wollen".(142) T. de Chardin kommt zu der Auffassung, daß die in ihrer Allgemeinheit genommene Erbsünde keine spezifisch irdische Krankheit noch an das Menschengeschlecht gebunden sei. "Sie symbolisiert einfach die unvermeidliche Wahrscheinlichkeit des Übels [Necesse est ut veniant scandala: Mt 18,7], die an die Existenz allen teilhabenden Seins gebunden ist. Überall, wo Sein in fieri [im Werden] entsteht, treten unmittelbar als sein Schatten Schmerz und Sünde auf: nicht nur infolge der Tendenz der Geschöpfe zur Ruhe und zum Egoismus, sondern auch [und das ist verwirrender] als unausweichliche Begleiterscheinung ihres Fortschrittbemühens".(143) "Die Erbsünde ist die wesentliche Reaktion des Endlichen auf den Schöpferakt. Unvermeidlich schleicht sie sich im Schatten jeder Schöpfung in die Existenz ein. Sie ist die Kehrseite jeder Schöpfung. Eben indem Gott schafft, verpflichtet er sich, wider das Übel zu kämpfen und folglich auf die eine oder andere Weise loszukaufen".(144) T. de Chardin sieht also den Sündenfall als etwas, das lange vor uns in das ganze Universum "von den niedrigsten Bereichen der Materie bis hin zu den Scharen der Engel eingegossen war. Streng genommen gibt es keinen ersten Adam. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein universelles, unverbrüchliches Gesetz des Rückfalls [Reversion] oder der Perversion, das Lösegeld für den Fortschritt".(145) In seinem Abschnitt über den zweiten Adam wiederholt T. de Chardin noch einmal: "Das Universum zeigt uns keinerlei Divergenzpunkt, an dem der erste Adam seinen Ort haben könnte".(146) Von besonderer Wichtigkeit aber für unseren Zusammenhang ist seine Bemerkung, daß das Universum sich kraft seiner universellen und wachsenden Einswerdung der Eigenschaft erfreue, "daß jedes seiner Elemente in organischem Zusammenhang mit allen anderen steht".(147) Unter diesen Bedingungen sei es wohl denkbar, daß eine menschliche Individualität ausgewählt werde, die zur "prima super omnes" geworden sei: Christus. Die besondere Menschheit Jesu habe eine universelle morphologische Funktion gewinnen können. Noch einmal betont T. de Chardin in diesem Zusammenhang, daß man auf die Vorstellung eines anfänglichen an einem einzigen Menschen aufgehängten Universums, d.h. des ersten Adam, verzichten müsse. Da es für T. de Chardin nicht einsichtig ist, daß in der Weite des Kosmos nur eine Erde willkürlich zum Zentrum der Erlösung ausgewählt worden sei, kann er auch nur von einer Erlösung "mit vielen Gesichtern" sprechen. Wenn der Autor die Frage nach dem zweiten Adam nicht deutlich beantwortet, bleibt für ihn dennoch der biblische Befund in Kraft: "daß es einen Christus gibt, in quo omnia constant [In dem alles Bestand hat, Kol 1,17]. Alle sekundären Glaubensinhalte müssen, wenn nötig, diesem grundlegenden Artikel weichen. Christus ist alles oder nichts".(148)

Pierre Teilhard de Chardin war ein Vertreter des ganzheitlichen Denkens und konnte im Zusammenhang seines Aufsatzes über "Pantheismus und Christentum" nicht nur von der ontologischen Konsolidierung des Universums sprechen, sondern gab auch perspektivenreiche Hinweise zum Thema einer "Einheitswirklichkeit", wenn er schreibt: "Dieses wechselseitige Begreifen, diese Harmonie der Geister in ihrem kollektiven Durchdringen des Wirklichen verlangt einen Seinsgrund, der nur in der Existenz eines regelnden und einsmachenden Prinzips der individuellen Wahrnehmungen zu suchen ist. Zur Klärung des Gelingens des menschlichen Denkens genügt es also nicht, daß jedes Bewußtsein zum ganzen Erkennbaren koextensiv sei. Darüber hinaus muß noch eingeräumt werden, daß alle als ein Ganzes begriffenen Bewußtheiten von einer Art höherem Bewußtsein beherrscht, beeinflußt und gelenkt werden, das die verschiedenen von jeder Monade isoliert verwirklichten Besitztümer des Universums beseelt, kontrolliert, synthetisiert. Nicht nur ist jeder von uns teilweise das Ganze, sondern alle zusammen werden in einer einsmachenden Gruppe erfaßt, kohäriert. Es gibt ein Zentrum aller Zentren, ein Zentrum, ohne das das ganze Gebäude des Denkens zu Staub zerfallen würde".(149)

Einheitswirklichkeit in philosophischer Sicht

Karen Gloy schreibt zum Thema "Einheit im gegenwärtigen Denken"(150): "Themen wie Monismus, Henologie, Alleinheitslehre stoßen heute in weiten Kreisen der Philosophen auf Desinteresse. Sie gelten für esoterisch, hermetisch, abstrakt, was gleichgesetzt wird mit empirisch unausweisbar. Als empirisch unausweisbar werden sie für suspekt gehalten und folglich für suspendierbar".(151)

K.Gloy beschreibt die philosophische Situation: Während in den empirischen Wissenschaften der Positivismus dominiert, beherrschen daneben die analytische Philosophie, die sprachanalytische Philosophie, die Wissenschaftstheorie, der Intuitionismus, der Axiomatismus sowie der kritische Rationalismus das Feld. Sie subsumiert alle dargestellten Richtungen unter dem gemeinsamen Nenner einer "Philosophie der Erfahrung". Sie alle sind sich in ihrer Frontstellung gegen die traditionelle Metaphysik einig, "insbesondere gegen die großen Systemkonzeptionen des deutschen Idealismus". Jetzt laute die Devise: Zurück zu den Phänomenen, den Fakten, unter Suspendierung aller theoretisch unentscheidbaren und sozial nutzlosen Hypothesen. So könnte man – sich an das Thema des Hegel-Kongresses von 1977 haltend – sich die Frage stellen: "Ist systematische Philosophie überhaupt noch möglich?"

"Angesichts dieser pluralistischen Grundeinstellung mußten und müssen monistische Bestrebungen und Systematisierungstendenzen als obsolet erscheinen. Wer dennoch an ihnen festhielt, wie in den 50er und 60er Jahren W.Cramer mit seiner Monadologie(152), H.Wagner mit seiner Letztbegründungsphilosophie(153), E.Heintel mit seinen systematischen Betrachtungen zur Fundamentalphilosophie(154) oder H.Holz mit seiner Transzendentalphilosophie und Metaphysik(155), setzte sich dem Vorwurf aus, nur Altes zu reaktivieren, nicht progressiv an neuen Theorien mitzubasteln. Nicht selten geriet er in den Verdacht, reaktionär zu sein".(156) Dennoch sieht K.Gloy seit einigen Jahren eine positive Gegenentwicklung, für die die Namen W.Beierwaltes(157), W.Kuhlmann(158) sowie D.Henrich(159) stehen. Im 3. Teil ihres Aufsatzes beschreibt K.Gloy ein monistisches Denken, das in Opposition zum pluralistischen Denken stehe und dieses zu überwinden suche, wobei sie auf die wohl eindrucksvollste Schilderung der Dialektik von Einzelheit und Allgemeinheit in Hegels Phänomenologie des Geistes verweist. Zahlreiche Argumente, die hier nicht darzustellen sind, werden von der Autorin aufgewiesen für ihre Behauptung, daß all diese für einen Monismus sprächen, "der im Gegensatz zum Pluralismus nur ein einziges Prinzip annimmt, das schlechthinnige Allgemeinheit und Allbezogenheit aufweist".(160) Da K.Gloy sich vehement gegen die Pluralitätsannahme wendet, so sieht sie sich genötigt, "von einem Monismus auszugehen, der im Gegensatz zum Pluralismus die Einheit und Ganzheit, die Allrelationalität und durch den durchgängigen Zusammenhang betont"(161) und damit unserem Thema, der angenommenen theologisch-spirituellen Wesenseinheit von Welt und Mensch aufgrund des trinitarischen Strukturgefüges von philosophischer Seite konform geht und entgegenkommt.

K.Gloy rekapituliert den philosophischen Standpunkt des Monismus, der von Parmenides über Plotin bis hin zu Spinoza vertreten wurde, daß nämlich – nach Parmenides – alle Dinge im Grunde eines sind. "Das gesamte vielfältige Seiende ist in Wahrheit eines, ganz, absolut gleichartig... Mit Parmenides beginnt in der europäischen Geistesgeschichte die Diskriminierung der Erscheinungswelt. Gegenüber dem eigentlichen Wissen stellt das auf die Sinnenwelt bezogene Meinen lediglich eine Vorstufe, wenn nicht gar einen Gegensatz dar".(162) K.Gloy bezeichnet im weiteren Verlauf ihrer Auseinandersetzung mit der Sicht des Parmenides diese als eine "archaische".(163) Noch Spinozas monistische Substanzmetaphysik ist davon bestimmt.

"Auch der "religiöse" Monismus [Hegels] erscheint von hier in einem neuen Licht. In der Tat hat Hegel in seiner Spätphilosophie die spekulative dialektische Methode zur Reformulierung des christlichen Monismus [d.h. insbesondere des Trinitätsdogmas] benutzt. Das göttliche Eine steht nicht länger mehr in einem äußerlichen Verhältnis zur Welt, sondern Gott in seinem ewigen Beisichsein läßt von sich ab, entäußert sich, wird zum Anderen seiner selbst, um sich in diesem Anderen – der entäußerten Welt – als er selber wiederzufinden und so erst voll zu realisieren. Die Welt wird nicht länger mehr als Abfall vom Göttlichen verstanden, sondern gehört zu ihm als integraler Bestandteil, in welchem dies seine Vollendung erfährt. Erst ein so verstandenes Absolutes wird seinem Namen gerecht, die Totalität zu repräsentieren, die nichts außer sich, sondern alles in sich enthält. In Abhebung vom primitiven religiösen Monismus, der auf schlichtem Gefühl und religiöser Erfahrung basiert, gehört der jetzige in den Bereich der spekulativen Theologie".(164) War Hegel freilich der Meinung, mit seiner Philosophie sei die Philosophie überhaupt an ihr Ende gekommen, so wird dies heute ablehnend oder mit Einschränkungen gesehen. So zieht K.Gloy den Schluß, daß an die Stelle des Hegelschen Monismus, d.h. an die Stelle des geschlossenen Systems, des sogenannten statischen "en bloc Monismus" und "Universalismus" ein dynamischer Monismus zu setzen sei, wobei die Geschlossenheit des Systems durch die Offenheit des Horizontes zu überwinden sei und auf die Relation zwischen beiden, der Geschlossenheit des Systems und der Horizontoffenheit hingewiesen werden müsse, um so Übergang und Bewegung zu schaffen: "Naturgemäß wird dieser Monismus eine andere Struktur aufweisen müssen als die klassischen Monismen, die auf größtmögliche Einheit und Geschlossenheit zielten; er wird sich als umfassend und allbezüglich erst dann erweisen, wenn er die Offenheit mit einbezieht".(165)

Schluß

"Nur in Gott und durch Gott können wir den Bruder wahrhaft lieben, denn nur wer den Dreieinigen Gott erkannt hat, ist Seines Wesens teilhaftig geworden. Wissen und Lieben beruhen auf meinem Sein in Gott und Gottes Sein in mir. Die metaphysische Natur der Liebe besteht in der überlogischen Überwindung der Selbstidentität. Kraft dieses Heraustretens aus sich wird das Ich im anderen zum Nicht-Ich. Das Ich entäußert sich und unterwirft sich freiwillig der neuen Gestalt [analog der Kenosis Gottes in Jesus Christus]. Dadurch wird das unpersönliche Nicht-Ich zum persönlichen Du. In dieser Kenosis aber wird das Ich wiederhergestellt in seiner Seinsnorm... Im Anderen wird die Gestalt meines Seins erlöst von der Sünde abgesonderten Daseins, und im Dritten (in Gott) wird sie als erlöste verklärt, d.h. in ihrem Wert befestigt. In Gott wird die Wesenseinheit der Liebenden erreicht".(166)

B. Griffiths schreibt: "Wir sollten heute die Menschheit als einen Körper, als ein organisches Ganzes sehen. Unsere Vorväter sahen Adam in der ganzen Menschheit. Der hl. Thomas von Aquin sagte in einem sehr schönen Satz: Omnes homines, unus homo, alle Menschen sind ein Mensch. Wir alle sind Teil dieses einen Menschen, der gefallen und in Konflikten und Unwissen geteilt ist. Jesus hat die Menschheit, nicht nur die Juden oder Christen, zu dieser Einheit zurückgeführt. Im neuen Adam wird sich die Menschheit ihrer grundsätzlichen Einheit und ihrer Einheit mit dem Kosmos wieder bewußt. Dies entdecken wir heute, wenn wir unsere Menschlichkeit neu entdecken".(167)

Anmerkungen

(1) G.Bateson, Geist und Natur, Frankfurt 1995, S. 28.

(2) Henri Le Saux, Wege der Glückseligkeit, München 1965, S. 32. Zit. Le Saux. Vgl. dazu auch das Kap. 6 "Der barmherzige Samariter, gesehen mit den Augen des Zen", in: Ruben Habito, Barmherzigkeit aus der Stille, München 1990, S. 81-86. Habito deutet sehr schön im Sinne der Nicht-Dualität: "Er [der barmherzige Samariter] tut nur sofort das, was er auch bei eigenen Schmerzen tun würde. Und genau das geschieht, wenn jemand die Dualität durchbricht und den 'anderen' als sein eigenes Selbst sieht" (a.a.O., S. 83). Oder: "Das Zen bietet uns den Schlüssel zur Welt des Mitleids oder eigentlich der Barmherzigkeit, denn dank dieser Übung kann die Schranke der Dualität zwischen Subjekt und Objekt durchbrochen werden" (a.a.O., S. 83). Schließlich: "Der wahrhaft erleuchtete Mensch lebt in der Weisheit der Nicht-Dualität, aus der ganz natürlich das Mitleid fließt. Weisheit und Mitleid sind nicht zwei verschiedene Dinge; das Mitleid stützt sich auf die Nicht-Dualität, die Vorbedingung zum Einssein" (a.a.O., S. 84). Auf die sehr umfassende und tiefgründige Studie von Michael von Brück, Einheit der Wirklichkeit. Gott, Gotteserfahrung und Meditation im hinduistisch-christlichen Dialog,, München 1986, kann hier nur aufmerksam gemacht werden, ohne sie in den Kontext unseres Zusammenhanges einbeziehen zu können.

(3) Lama Anagarika Govinda, Lebendiger Buddhismus im Abendland, München 1986, S. 45f. Zit. Govinda.

(4) Govinda, a.a.O., S. 138.

(5) Le Saux, S. 153.

(6) A.a.O., S. 155.

(7) Bede Griffiths, Die neue Wirklichkeit, Grafing 1990, S. 267. Zit. Griffiths.

(8) A.a.O., S. 210.

(9) Griffiths a.a.O., S. 210.

(10) Sri Aurobindo, Das Göttliche Leben, Bd. 1, Gladenbach 1991, S. 244. Zit. Aurobindo, Bd. 1.

(11) Aurobindo, Bd. 1, S. 234. Vgl. dazu auch die neutestamentliche Belegstelle Mt 10,39: "Wer sein Leben findet, wird es verlieren, und wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden". Sat – Sein, cit – Bewußtsein, ananda – Seligkeit. Dies ist die klassische Formel des späteren Vedanta.

(12) Aurobindo, Bd. 1, S. 234.

(13) Aurobindo, Bd. 1, S. 235. Vgl. dazu auch das Kapitel über "Herrschaft und Knechtschaft" bei Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt 1973, S. 145-155.

(14) Aurobindo, Bd. 1, S. 236.

(15) Aurobindo, Bd. 1, S. 244.

(16) Vgl. dazu die wegweisenden Ausführungen bei Ken Wilber, Wege zum Selbst, München 1991, S. 30-65. Zit. Wilber, Bewußtsein.

(17) Govinda, S. 42f.

(18) Symeon der Neue Theologe, Licht vom Licht. Hymnen, Übers. von K.Kirchhoff, München 1951, S. 207. Zit. Symeon, Hymnusn.

(19) Symeon, Hymnusn, S. 255ff.

(20) D.T.Suzuki, Erfülltes Leben aus Zen, München 1973, S. 108.

(21) Vgl. dazu auch: G.Wehr, Stichwort: Damaskus-Erlebnis. Der Weg zu Christus nach C.G.Jung, Stuttgart 1982.

(22) C.G.Jung, Antwort auf Hiob, Olten 1973.

(23) Martin Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Frankfurt 1996, GA Bd. 9, S. 73.

(24) Lama A.Govinda, Durchbruch zur Transzendenz, Festschrift für Graf Dürckheim, Weilheim 1966, S. 266.

(25) Erich Neumann, Mensch und Sinn, in: Der schöpferische Mensch, Zürich 1959, S. 166.

(26) Keiji Nishitani, Was ist Religion, Frankfurt 1986, S. 49. Zit. Nishitani.

(27) Nishitani, S. 50.

(28) Nishitani, S. 50.

(29) Vgl. dazu Apg 17,28: "Denn in ihm leben, weben und sind wir, wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts".

(30) Vgl. Starez Siluan, Mönch vom Berg Athos, Bd.1, Düsseldorf 1980, S. 123. Zit. Starez Siluan.

(31) So Johannes A.Swiridow, Die Wesenseinheit der Heiligen Dreifaltigkeit, in: Stimme der Orthodoxie 1983 Heft 2, S. 42. Zit. Swiridow, Wesenseinheit.

(32) So D.Staniloae, Orthodoxe Dogmatik, Bd. 1, Zürich 1985, S. 193f., mit der Aufnahme eines Zitates von John Meyendorff, Le Christ dans la théologie byzantine, Paris 1969, S. 100. Zit. Staniloae, Dogmatik Bd. 1.

(33) Staniloae, Dogmatik, Bd. 1, S. 50.

(34) Staniloae, Dogmatik, Bd. 1, S. 194.

(35) Staniloae, Dogmatik, Bd. 1, S. 194.

(36) Staniloae, Dogmatik, Bd. 1, S. 84.

(37) D.Staniloae, Orthodoxe Dogmatik, Bd. 2, Zürich 1990, S. 39f. Zit. Staniloae, Dogmatik, Bd.2. Nach Kologriwof ist in dem "neuen Adam " Christus alle "böse Individualität" ganz und gar abgestorben. "In ihm, insofern er Gott-Mensch ist, läßt sich Gott mit uns in eine Einheit bringen. Er kommt zu uns, um in uns sein Dreifaltigskeitsleben selbst zu leben. Und wiederum sind wir, insofern er Mensch-Gott ist, durch ihn eine Einheit mit Gott" (Kologriwof, S. 105).

(38) Staniloae, Dogmatik, Bd. 2 S. 36.

(39) Staniloae, Dogmatik, Bd. 2, S. 37.

(40) Iwan von Kologriwof, Das Wort des Lebens, Regensburg 1938, S. 100. Zit. Kologriwof. Vgl. dazu auch Kol 1,14-20. Vgl. dazu auch. M.Fox, Vision vom kosmischen Christus, Stuttgart 1991, S. 127-162.

(41) Kologriwof, S. 103.

(42) Kologriwof, S. 103f.

(43) Kologriwof, S. 140.

(44) Kologriwof, S. 351.

(45) Kologriwof, S. 111.

(46) Kologriwof, S. 102.

(47) Kologriwof, S. 106ff.

(48) Kologriwof, S. 307f.

(49) Kologriwof, S. 355.

(50) Kologriwof, S. 106.

(51) Martin George, Ganzheitliches Heilsverständnis in der byzantinischen Liturgie, in: Horizonte der Christenheit, Festschrift für F.Heyer, Oikonomia Bd. 24, Erlangen 1994, S. 293. Vgl. dazu auch die ergänzende Studie von Kyriakos Savvidis, Die Lehre von der Vergöttlichung des Menschen bei Maximos dem Bekenner und ihre Rezeption durch Gregor Palamas, St. Ottilien 1997 (Münchener Universitätsschriften, Reihe: Veröffentlichungen des Instituts für Orthodoxe Theologie Bd. 5).

(52) P.Florenskij, Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit, in: H.Ehrenberg (Hg.), Östliches Christentum, Bd. 2, München 1925, S. 59. Zit. Florenskij.

(53) Florenskij, S. 59f.

(54) Gregor von Nyssa, Der versiegelte Quell, hg. von H.U. von Balthasar, Einsiedeln 1954, S. 20f.

(55) Kologriwof, S. 175f.

(56) Kologriwof, S. 177.

(57) Kologriwof, S. 178.

(58) Nikolai Berdjajew, Philosophie des freien Geistes, Tübingen 1930, S. 38.

(59) Reinhard Lauth, Die Philosophie Dostojewskis, München 1950, S. 470. Zit. Lauth.

(60) Lauth, S. 408.

(61) Kologriwof, S. 189.

(62) Staniloae, Dogmatik, Bd. 2, S. 39.

(63) Starez Siluan, S. 189.

(64) Starez Siluan, S. 211.

(65) Vgl. B.Zenkowsky/H. Petzold, Das Bild des Menschen im Lichte der orthodoxen Anthropologie, Marburg 1969, S. 32. Zit. Zenkowsky/Petzold.

(66) Zenkowsky/Petzold, S. 32.

(67) Zenkowsky/Petzold, S. 32f.

(68) Zenkowsky/Petzold, S. 32ff.

(69) So Zenkowsky/Petzold, S. 34. Vgl. S.Bulgakov, Du verbe incarné, Paris 1943. Hier spricht Bulgakow von der 'toute-humanité' (S. 132). Zit. Bulgakov, Du verbe incarné. Die folgenden Zitate wurden vom Verf. aus dem Französischen übersetzt. Vgl. auch: P.Evdokimov, Christus im russischen Denken, Trier 1977, S. 213-232.

(70) Vgl. dazu auch die Bemerkung bei Staniloae, Dogmatik, Bd. 1: "Einige Kirchenväter meinten, der Mensch sei ein Mikrokosmos, eine kleine Welt, die die große Welt in sich einschließt. Maximus Confessor bemerkte, es sei eher anzunehmen, der Mensch stelle einen Makrokosmos dar, sei er doch dazu bestimmt, die ganze Welt in sich aufzunehmen: er sei dazu imstande, ohne sein Selbst, das sich von ihr unterscheide, zu verlieren, also eine höhere Einheit als die ihn umgebende Welt zu verwirklichen, hingegen könne die Welt als Kosmos, als einfache Natur den Menschen nicht völlig in sich schließen, ohne ihn zu verlieren - mit ihm verlöre sie den wichtigsten und eigentlich sinngebenden Teil der Wirklichkeit" (S. 22). Dem Begriff des Mikrokosmos stellt D.Staniloae den des "Makro-Anthropos" gegenüber, "der die Tatsache umschreibt, daß die Welt eigentlich dazu berufen sei, zur Gänze humanisiert zu werden, also ganz und gar das Siegel des Menschlichen zu erhalten, pan-human zu werden, indem sich in ihr eine Notwendigkeit aktualisiert, die von Anfang an zu ihrer Bestimmung gehört; sie soll als ganze ein menschlicher Kosmos werden, während der Mensch hingegen nicht dazu bestimmt ist, verweltlicht ("kosmisiert") zu werden – er könnte das auch nicht, selbst wenn er der Welt noch so sehr verfiele und in ihr aufginge" (a.a.O., S. 22). Vgl. zum Gedanken der Humanisierung des Kosmos auch die vielfältigen Hinweise im Gesamtwerk von Teilhard de Chardin.

(71) Bulgakov, Du verbe incarné, S. 132.

(72) Bulgakov, Du verbe incarné, S. 132f.

(73) Vgl. dazu den 31. Hymnus bei Symeon, Hymnen: "Die er würdig findet, die bildet Gottes Geist im Innern [...] deshalb, weil er Gott ist, nachdem er diese in sich aufgenommen, gänzlich um, macht sie gänzlich neu, erneuert sie auf unsagbare Weise, läßt sich von ihren Flecken nicht beflecken... Da er ein Licht ist ohne Abend, macht er, die er bewohnt, zum Lichte alle. Und da er Leben ist, so teilt er reichlich allen Leben mit. Und da er Christi Wesens teilhaftig ist und mit ihm eines Wesens und seiner Glorie Genoß und ihm vereint, so macht er sie auch gänzlich Christus ähnlich" (S. 210f.)

(74) Bulgakov, Du verbe incarné, S. 133.

(75) Bulgakov, Du verbe incarné, S. 133.

(76) Kologriwof, S. 104. Vgl. dazu die Bemerkung bei Staniloae, Dogmatik, Bd. 1: "Wenn der erste Mensch nicht in Sünde gefallen wäre, dann wäre seine Natur und mit ihr die Welt ohne weiteres zur Vollendung bei Gott fortgeschritten und beide, Mensch und Welt, hätten bereits in dieser Schöpfung die volle Gemeinschaft mit Gott erreicht. Nun ist aber diese Vollendung und damit die Errettung aus eigener Schwachheit weder dem Menschen noch der Natur mehr ohne die natürliche Offenbarung möglich" (S. 33).

(77) Swiridow, Wesenseinheit, S. 42.

(78) Swiridow, Wesenseinheit, S. 42.

(79) Swiridow, Wesenseinheit, S. 43.

(80) Swiridow, Wesenseinheit, S. 43.

(81) Vgl. Ingrid Craemer-Ruegenberg, Plotins idealistische Lehre von der Einheit der Welt, in: Unus Mundus-Kosmos und Sympathie, hg. von Thomas Arzt und Maria Hippius-Gräfin Dürckheim, Roland Dollinger, Frankfurt 1992, S. 43-54. Zit. Unus Mundus-Kosmos und Sympathie, vgl. bes. das Kapitel "Die Einheit aller Seelen und die Sympathie", S. 49ff. "Der Gedanke der Empfindungsgemeinschaft, der sympatheia, aller beseelten und durch Seele gestalteten Körper miteinander durchzieht das ganze plotinische Opus, als sei es für Plotin eine Selbstverständlichkeit, daß das gesamte physische Universum mit der Erde und mit den Himmelskörpern und mit allen Lebewesen eine quasi-organische Einheit bildet, in welcher jedes mit jedem in Verbindung steht, wobei der Zustand eines jeden auf alles andere irgendeinen Einfluß hat. Historisch gesehen, ist dieser Gedanke durch Platon vorgebildet, vermutlich in früheren Platoniker-Schulen ausgestaltet und durch den Stoiker Poseidonios systematisiert worden" (a.a.O., S. 49).

(82) Swiridow, Wesenseinheit, S. 44.

(83) Swiridow, Wesenseinheit, S. 44.

(84) Swiridow, Wesenseinheit, S. 44.

(85) Vgl.P.A.Florenskij, Erinnerungen an eine Jugend im Kaukasus, Stuttgart 1993, Kapitel "Natur", S. 62-138. Vgl. auch zu den naturphilosophischen Ansichten Florenskijs: Felix Feldmann, Das Problem Menschheit in naturwissenschaftlicher und religiös-philosophischer Annäherung, in: Jahrbuch für Philosophie des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover 9 (1998), S. 57-74.

(86) Swiridow, Wesenseinheit, S. 45 (zit aus: P.A.Florenskij, Die allgemeinschlichen Wurzeln des Idealismus, in: Theologischer Bote 1908, Heft 2, S. 292).

(87) Swiridow, Wesenseinheit, S. 45.

(88) Östliches Christentum, Bd. 2, hg. von H.Ehrenberg, München 1925, S. 37-46.

(89) Paul Florensky, La colonne et le fondement de la vérité, Lausanne 1975, S. 40ff. Zit. Florensky, La colonne.

(90) Zitat bei Florenskij nach A.A.Spasskij, Geschichte der gegenwärtigen Dogmatiken zur Zeit der ökumenischen Konzilien, Sergiev Posad 1906, S. 500.

(91) Florensky, La colonne, S. 40-43.

(92) Vgl. Gerhard Wehr, Jean Gebser – Individuelle Transformation vor dem Horizont eines neuen Bewußtseins, Petersberg 1996.

(93) A.a.O., S. 27

(94) E.Neumann, Die Psyche und die Wandlung der Wirklichkeitsebenen, in: Eranos-Jahrbuch 1952 (Bd. XXI), Zürich 1953. Zit. Neumann.

(95) Neumann, S. 183.

(96) Neumann, S. 184.

(97) Neumann, S. 187.

(98) Wilber, Bewußtsein, S. 26. Vgl. auch Gregory Bateson, Geist und Natur, Frankfurt 1987.

(99) Neumann, S. 210.

(100) Neumann, S. 212.

(101) Neumann, S. 203.

(102) Neumann, S. 214.

(103) Neumann, S. 215.

(104) Vgl. dazu: Marie-Luise von Franz, Symbole des Unus Mundus, in: Dialog über den Menschen, Festschrift für Wilhelm Bitter, Stuttgart 1968, S. 231-253.

(105) E.Neumann, Die Erfahrung der Einheitswirklichkeit, in: Der schöpferische Mensch, Zürich 1959, S. 59-103. Zit. Neumann, Einheitswirklichkeit.

(106) Neumann, Einheitswirklichkeit, S. 60.

(107) Vgl. dazu auch: E.Neumann, Das Kind. Struktur und Dynamik der werdenden Persönlichkeit, Zürich 1963.

(108) Neumann, Einheitswirklichkeit, S. 79.

(109) Neumann, Einheitswirklichkeit, S. 80.

(110) Neumann, Einheitswirklichkeit, S. 85.

(111) Neumann, Einheitswirklichkeit, S. 86f.

(112) Neumann, Einheitswirklichkeit S. 100. Vgl. dazu auch: Aniela Jaffé: Die Einheitswirklichkeit und das Schöpferische, in: Kreativität des Unbewußten. Zum 75. Geburtstag von Erich Neumann (1905-1960), Basel/München 1980, S. 140-147, [Original: Analytische Psychologie 11, S. 312-320, (1980).]. Zit. Jaffé, Einheitswirklichkeit. Diese Interpretation von A.Jaffé ergänzt das von uns Gesagte. Sie weist darauf hin, daß Neumann in seiner "Ursprungsgeschichte des Bewußtseins" [Reihe Geist und Psyche, Bd. 2042/43, München o. J., zit. Ursprungsgeschichte] noch nicht von einer "Einheitswirklichkeit" sprach, "sondern er brauchte das mythische Bild des Uroboros, der sich in den Schwanz beissenden Schlange, um das 'Gegensatzenthaltende' zu veranschaulichen. Neumann nannte den Uroboros auch das 'große Runde', und dieses entspricht der Urchriffre des Mandala, das seinerseits als ein Symbol des Selbst die Gegensätze der psychischen und der leiblichen Sphäre, des Bewusstseins und des Unbewussten, umfaßt" (S. 140f.). Zum besseren Verständnis, wie "Einheitswirklichkeit" und "Uroboros" einander korrespondieren, hier die Erläuerung bei E.Neumann: "Im uroborischen Frühzustand herrscht ebensosehr eine Verschmelzung des Menschen mit der Welt wie des Einzelnen mit der Gruppe. Die Grundlage beider Phänomene ist die Nichtherausgelöstheit ders Ichbewußtseins aus dem Unbewußten, d.h. die Tatsache, daß es psychologisch noch nicht zur Trennung dieser beiden psychischen Systeme voneinander gekommen ist" (Ursprungsgeschichte, S. 218f.).

(113) Vgl. Unus Mundus - Kosmos und Sympathie.

(114) Jaffé, Einheitswirklichkeit, S. 142.

(115) Jaffé, Einheitswirklichkeit, S. 146f. Vgl. dazu auch das Kapitel: "Nikolai Berdjajew als Anreger für eine Idee des Schöpferischen in der Psychotherapie am Beispiel Erich Neumanns, in: N.Berdjajew, Wahrheit und Offenbarung, hg. von K. und G.Bambauer, Waltrop 1998, S. 67-78.

(116) Jaffé, Einheitswirklichkeit S. 145f. Vgl. dazu auch: K. Graf Dürckheim, Im Zeichen der Großen Erfahrung, Weilheim 1974.

(117) Erfreulicherweise wird Fritjof Capra von J.Moltmann "eine hervorragende Zusammenschau" in dessen Buch "Wendezeit", Bern 1983, attestiert. Vgl. Moltmann, a.a.O., S. 26, A. 10.

(118) J.Moltmann, Gott in der Schöpfung, München 1993. Vgl. außerdem: J.Moltmann, Das Erkennen des Anderen und die Gemeinschaft der Verschiedenen, in: J.Moltmann, Gott im Projekt der modernen Welt, München 1997, S. 125-140.

(119) Le Saux, S. 76.

(120) J.Gebser, Ursprung und Gegenwart, Bd. 1-3, München 1973.

(121) Govinda, S. 98f.

(122) Govinda S. 64.

(123) Gebser, Ursprung und Gegenwart, Bd. 2, S. 552.

(124) Gebser, a.a.O., S. 556.

(125) Gebser, a.a.O., S. 689.

(126) Vgl. dazu die Interpretation bei G.Wehr in: Wege zu religiöser Erfahrung, Darmstadt 1974, S. 98ff. G.Wehr ergänzt unsere Interpretation: "Nun hat Licht mit Wahrnehmung, mit Bewußtwerdung und mit dem Erkennen zu tun. 'Licht' darf nicht einfach mit Bewußtsein gleichgesetzt werden, aber es handelt sich um einen bedeutsamen Aspekt jedes Reifungsvorganges, in dem ein (kleines, begrenztes) menschliches in ein größeres, in das Ich-bin Christi (psychologisch: in das Selbst) hinein erwacht" (a.a.O., S. 98). So kommt G.Wehr ganz im Sinne unserer Sicht zum Schluß: "Fest steht, daß der Bericht unserer Perikope [Joh 9] dadurch gekennzeichnet ist, daß es keineswegs nur ein physisches Erblindetsein geht, sondern daß das Nicht-sehen-Können der physische Ausdruck für die Christus- und 'Selbst'-Blindheit ist" (S. 99). Insofern bedeutet Jüngerschaft Christi: "aus einem Nichtsehenden zu einem Sehenden zu werden, bedeutete ein Zugewinn an Bewußtsein, bedeutete Christus- und 'Selbst'-Erkenntnis gemäß Joh 17,3." (Wehr, a.a.O., S. 100).

(127) Karlfried Graf Dürckheim, Durchbruch zum Wesen, Bern 1972, S. 56.

(128) A.a.O., S. 57.

(129) Hermann Hesse, Mein Glaube, Frankfurt 1974, S. 20.

(130) C.G.Jung, Mysterium Coniunctionis. Untersuchungen über die Trennung und Zusammensetzung der seelischen Gegensätze in der Alchemie, Solothurn/Düsseldorf 1995. Zit. Jung, Mysterium.

(131) Jung, Mysterium, S. 176.

(132) Jung, Mysterium, S. 181.

(133) Jung, Mysterium, S. 183ff.

(134) Jung, Mysterium, S. 183.

(135) Jung, Mysterium, S. 184.

(136) C.G.Jung, Erinnerungen – Träume – Gedanken, Olten 1971, S. 335ff. Vgl. auch G.Wehr, C.G.Jung und das Christentum, Olten/Freiburg 1975.

(137) Vgl. zur Adam-Christus-Typologie auch: H.M.Knechten, Rechtfertigung und Synergie bei Theophan dem Klausner, Waltrop 1998, S. 89-106.

(138) Pierre Teilhard de Chardin, Mein Glaube, Olten 1988. Zit. de Chardin, Mein Glaube.

(139) De Chardin, Mein Glaube, S. 51.

(140) De Chardin, Mein Glaube, S. 51.

(141) De Chardin, Mein Glaube, S. 51.

(142) De Chardin, Mein Glaube, S. 52.

(143) An anderer Stelle seines Werkes "Mein Glaube" sagt de Chardin: "Man darf vielleicht sagen, daß alle Schöpfung, da der Schöpferakt [per definitionem] das Sein von den Grenzen des Nichts [das heißt aus den Tiefen des Vielen, das heißt aus der Materie] zu Gott aufsteigen läßt, als ihr Risiko und ihren Schatten Sünde mit sich bringt, das heißt unausweichlich mit einer Erlösung verbunden ist" (S. 66).

(144) De Chardin, Mein Glaube, S. 52.

(145) De Chardin, Mein Glaube, S. 53. So stellt der Autor die drei physisch untrennbaren Glieder, die sich gegenseitig kompensieren und legitimieren, einander gegenüber: Fortschritt-Schöpfung, Sünde-Fall, Schmerz-Erlösung und interpretiert: "Und die drei müssen verbunden werden, um den Sinn des Kreuzes adäquat zu begreifen (S. 53, A. 11)

(146) De Chardin, Mein Glaube, S. 53.

(147) De Chardin, Mein Glaube, S. 53.

(148) De Chardin, Mein Glaube, S. 57. Vgl. zu diesem Thema auch die weiteren Deutungsversuche de Chardins in: Meine Glaube, S. 58-70.

(149) De Chardin, Mein Glaube, S. 77.

(150) Vgl. Einheitskonzepte in der idealistischen und gegenwärtigen Philosophie, hg. von K.Gloy und D.Schmidig, Frankfurt 1987, S. 157ff. Zit. Gloy, Einheit.

(151) Gloy, Einheit S. 157.

(152) W.Cramer, Die Monade, Stuttgart 1954.

(153) H.Wagner, Philosophie und Reflexion, München-Basel 1959.

(154) E.Heintel, Die beiden Labyrinthe der Philosophie, Wien-München 1968.

(155) Transzendentalphilosophie und Metaphysik, Mainz 1966, sowie ders. Einführung in die Transzendentalphilosophie, Darnstadt 1973.

(156) Gloy, Einheit, S. 160.

(157) W.Beierwaltes, Identität und Differenz (1980) sowie Ders., Denken des Einen (1985).

(158) W.Kuhlmann, Reflexive Letztbegründung, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 1981.

(159) D.Henrich, All-Einheit (1985).

(160) Gloy, Einheit, S. 169.

(161) Gloy, Einheit, S. 170.

(162) Vgl. dazu die Kapitel "Die sinnliche Gewißheit oder das Diese und das Meinen", und "Die Wahrnehmung oder das Ding und die Täuschung", in. G.W.F.Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt 1973, S. 82-92 bzw. S. 93-107.

(163) Gloy, Einheit, S. 171.

(164) Gloy, Einheit, S. 180.

(165) Gloy, Einheit, S. 182. Vgl. zu Einzelfragen einer ganzheitlichen Sicht der Weltbetrachtung: K.Gloy, Das Verständnis der Natur, Bd. II, Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens, München 1996, bes. S. 154-197, sowie ebenso: Klaus Michael Meyer-Abich, Praktische Naturphilosophie, München 1997.

(166) Michael Silberer, Die Trinitätsidee im Werk von Pavel A.Florenskij, Versuch einer systematischen Darstellung in Begegnung mit Thomas von Aquin, Würzburg 1984, Das östliche Christentum Neue Folge, Bd. 36, S. 82.

(167) B.Griffiths, Wege zum Christus-Bewußtsein, Grafing 1994, S. 74.

 

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