Fasten ist Frühling der Seele

 

Angenehm ist für die Seeleute der Frühling, angenehm ebenfalls für die Landleute, doch weder für die Seeleute noch für die Landleute ist der Frühling so angenehm wie für diejenigen, die philosophieren wollen (die die Weisheit suchen), die Zeit des Fastens günstig ist, der geistliche Frühling der Seelen (ὁ τῆς νηστείας καιρός, τὸ πνευματικὸν τῶν ψυχῶν ἔαρ), die wahre Stille der Gedanken. Für die Landleute ist der Frühling tatsächlich angenehm; denn sie sehen die Erde, gekrönt von Blumen, und die Vegetation bedeckt sie wie ein vielfarbiges Gewand von allen Seiten. Für die Seeleute ist der Frühling ebenfalls angenehm; denn  sie können sicher über den Rücken des Meeres segeln, die Wogen sind besänftigt, die Delphine spielen auf den ganz ruhigen Wassern und schnellen oft an den Schiffswänden empor (überschlagern sich oft, wenn sie an die Schiffswände stoßen). Was uns anbetrifft, ist uns der Frühling des Fastens (der Fastenzeit) angenehm, weil er die Wogen, nicht der Wasser, sondern der unvernünftigen Begierden zu besänftigen pflegt, und uns eine Krone, nicht von Blumen, sondern von geistlichen Gnaden aufsetzt. Wirklich, ‚du wirst eine Krone von Gnaden auf deinem Kopf empfangen‘ (Spr 1,9), sagt die Schrift. Das Auftauchen einer Schwalbe pflegt nicht so sehr den Winter zu vertreiben wie das Fasten aus unserem Denken den Winter der Leidenschaften verbannt. Die Seele führt keinen Kampf mehr gegen das Fleisch, die Sklavin empört sich nicht mehr gegen die Herrin, sondern dieser ganze Krieg des Körpers ist beendet.

 

Johannes Chrysostomos, Über die Genesis 1,1, hg. v. L.Brottier, Sources chrétiennes 433, Paris 1998, 138.140.142, Übersetzung v. Pfr. Dr. Heinrich Michael Knechten, © Horneburg 2021.

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