Grochtmanns Vor- und Frühgeschichte

 

hg. von Heinrich Michael Knechten

 

 

Die heutige Landschaft

 

Dattelner Mühlenbach

(26) Auf Dattelner Gebiet fließen der Lippe mehrere Bäche zu.[1] Der bedeutendste hiervon ist der Dattelner Mühlenbach. Er entsteht an der Grenze Hagem – Rapen durch den Zusammenfluß dreier Bäche: einer kommt aus dem Esseler Bruch, der zweite, Westerbach genannt, hat in Erkenschwick seine Quelle (an der Westerbachstraße), der dritte kommt vom Norden und heißt heute Steinrapener Bach. In diesem vereinigen sich wiederum mehrere Bäche (vgl. dazu die Deutung des Namens "Rapen als an den dunkelfarbigen Wasserläufen"), von denen hier der Hilgenbach, der Hengebach und der Hachhausener Bach genannt seien. An einen Werderbach erinnert heute noch die Werderstraße in Erkenschwick.

 

Das am Südabhang der Haard gelegene Gebiet von Rapen und Klein-Erkenschwick ist reich an Quellen. Noch mehr Wasser entspringt jenseits, d.h. westlich der Schwelle, die Haard und Recklinghäuser Höhenrücken verbindet. Aus diesen Quellen geht der Silvertbach hervor, der in entgegengesetzter Richtung der Lippe zufließt und so das Gegenstück zum Dattelner Mühlenbach bildet.

 

Der Dattelner Mühlenbach führte früher seinen Namen sehr zu Recht: Er trieb eine ganze Reihe Mühlen. Sieben sind uns bekannt. Die älteste Mühle, von der wir wissen, gehörte zum Gut Nethövel; sie wird 1188 im Güterverzeichnis des Grafen von Dale genannt. (27) Vor etwa 60 Jahren [1895] gab es am Mühlenbach noch folgende Mühlen: eine Getreide- und eine Ölmühle auf Gutacker, die Möcklinghoff-, die Sandhofen- oder Höttingsmühle, die Hundrup- und die Brauckmannsmühle. Von ihnen besteht nur noch die Möcklinghoffmühle (Pächter Rüping), aber sie wird nicht mehr vom Wasser getrieben. Infolge der Regulierung des Mühlenbachs wurden bald nach 1930 die Sandhofen-, die Hundrups- und die Brauckmannsmühle stillgelegt (über das Ende der beiden Mühlen auf Gutacker s. unter dem Kapitel "Adelige Burgen .... im Kirchspiel Datteln"). Nichts übriggeblieben ist von den Herrensitzen, die, wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, sich Dattelner Adelsfamilien in den Niederungen des Mühlenbaches errichtet hatten.

 

Früher floß der Mühlenbach langsamer, hatte kein festes Bett, überschwemmte die Umgegend und versumpfte sie. Das ist heute nicht mehr der Fall: In den zwanziger Jahren (ab 1923) wurde er begradigt, sein Bett tiefer gelegt und mit Betonschalen eingefaßt. Hinter dem Dorfe wendet er sich aus seiner westöstlichen Richtung in eine süd-nördliche und fließt dann durch Pelkum geradewegs der Lippe zu. Vor der Regulierung drehte er sich unweit des Klaukenhofs nach Nordwesten, floß bei Brauckmann am Brink vorbei und mündete dann in die Lippe. Das Bett dieses abgeschnittenen Endstückes ist heute noch erhalten und führt auch noch einiges Wasser.

 

Westlich des alten Dorfes Datteln, in der Bauerschaft Hagem, nimmt der Mühlenbach heute den Dümmerbach auf. Dieser ist ebenfalls verkürzt, verlegt und mit einem Betonbett versehen worden (1928/29). Er kommt eigentlich von Horneburg, wo er die Gräften der Burg speist; in Meckinghoven nimmt er den Mottbach auf. Vor seiner Regulierung mündete er nicht an der heutigen Stelle, sondern floß noch weiter in östlicher Richtung, vereinigte sich mit dem Bach, der, aus Waltroper Gebiet kommend, an dem Adelsgut Löringhof vorbeigeht, und ergoß sich dann an der Losheide in den Mühlenbach. Heute fließen die beiden Bäche getrennt in den Mühlenbach, der Dümmerbach kurz vor der Wiesenstraße, der Löringhofer Bach bei der Brücke von Schacht 3/4.

 

Klosterner Mühlenbach

 

(29) Durch Klostern fließt der Bach, der die Gräften des Hauses Vogelsang speist und dort in die Lippe fließt. Er ist der Mühlenbach der adeligen Häuser Wildaue, Klostern und Vogelsang. Nur die Klosterner Mühle klappert noch, aber durch elektrische, nicht mehr durch Wasserkraft. Auf Vogelsang drehte sich das Mühlenrad 1924 zum letzten Male. Daß bei der Wildaue einst eine Mühle stand, daran (30) erinnert heute noch der Name "Weuste Mühle". Mehrere Quellen des Klosterner Mühlenbaches, die leider auch begonnen haben zu versiegen, finden sich im "Redder Braik" (Redder Brüche).

 

Malenburger Mühlenbach

 

(30) Die Gräften der in der Bauerschaft Bockum gelegenen Malenburg wurden von einem Bach gespeist, der heute, da er auch die dortige Mühle trieb, Malenburger Mühlenbach heißt. Ursprünglich hieß er wahrscheinlich Radelenbeke (vgl. das in dem Kapitel über die Adelsgeschlechter und Burgen zur Malenburg Geaagte). Er fließt heute nicht mehr unmittelbar an der Malenburg vorbei, da er gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dort umgeleitet worden ist. Er entspringt an der Ostseite der Haard auf dem Küßberg. Sein Lauf ist bis zur Malenburg durch mannigfache Umwege und Krümmungen gekennzeichnet.

 

 

Die Zeit der Römer

 

Brukterer

 

(123) Am längsten erhalten hat sich der Name der Brukterer; er hat die Völkerwanderungszeit überdauert und wurde bis ins frühe Mittelalter hinein die Bezeichnung für das Gebiet oder den Gau südlich der unteren und mittleren Lippe, zu dem auch das spätere Vest Recklinghausen gehörte. Zu den Brukterern zog, wahrscheinlich im Jahre 694, der Angelsachse Suitbert, um ihnen das Evangelium zu verkündigen. Als durch Karl den Großen das Sachsenland dem fränkischen Reiche eingegliedert wurde, bildete dieses Gebiet den Brukterergau. In dem ältesten Heberegister der Abtei Werden, das dem Ende des 9. Jahrhunderts angehört, werden unter den Einkünften der Abtei besonders die "In pago Borathron"[2] aufgeführt. Da erscheinen Güter und Höfe, die alle südlich der unteren Lippe zu suchen sind. Darüber werden wir in einem späteren Abschnitt noch etwas hören (S. 179f). Hier sollte kurz gezeigt werden, daß unsere Gegend im Anfang ihrer eigentlichen Geschichte nach den Brukterern benannt worden und die Bezeichnung sich Jahrhunderte hindurch gehalten hat.

 

Zur Zeit jedoch, da Drusus und Germanicus mit den Germanen kämpften, saßen die Brukterer weiter nördlich, an der Ems bis zur Weser hin. Sie waren einer der mächtigsten Stämme in Nordwestdeutschland. (124) Jene Brukterer, die sich später südlich der Lippe festsetzten, können davon nur ein kleiner Teil gewesen sein.

 

 

Die Germanische und die Fränkische Zeit

 

Fuchsspitze

 

(167) Eine durch viel Forschungseifer und Phantasie bekannt gewordene Stelle ist der auf Dattelner Gebiet an seiner Ostgrenze in der Bauerschaft Markfeld gelegene, zum Hof Auferkamp gehörende Voßberg oder, wie er auf hochdeutsch genannt wird, die Fuchsspitze. Als eine langgestreckte schmale Kuppe ragt sie aus der Lippeaue hervor, verläuft parallel mit dem Fluß und der Flußterasse.

 

(171) Ohne Zweifel haben wir hier an der Fuchsspitze eine uralte Siedlungsstelle vor uns, auf der später wahrscheinlich eine Burg gestanden hat. Auch diese Siedlung lag auf der Lippeterrasse wie heute noch die Markfelder Bauernhöfe. Diese bilden eine Hofgruppe, die, wie wir später (S. 196) noch sehen werden, in ihren Anfängen sehr alt sein muß.

 

(196) Die Höfe wurden angelegt, wo die von der Natur gegebene Lage es ermöglichte oder begünstigte, besonders am Rande der Fluß- und Bachläufe oder in der Nähe einer oder mehrerer Quellen. Voraussetzung dabei war, daß sich auch der benötigte Ackerboden vorfand, der höher gelegen sein mußte aber nicht unfruchtbar und nicht schwer sein durfte. Waren diese Bedingungen erfüllt, dann hatte der Bauer, was er brauchte: In der Flußaue das unentbehrliche Wasser und Weide und Wald (Erlen- und Eichenwald) für das Vieh, und über den Niederungen, jenseits der Überschwemmungsgrenzen, konnte er sich Haus- und Wirtschaftsgebäude errichten und hatte noch nahebei das Feld, auf dem er sein Brotkorn anbaute. Noch heute liegen von den sieben Höfen der Bauerschaft Markfeld sechs nahe beieinander auf der unteren Lippeterrasse und einer (Rensmann) am Schwarzbach. Und wenn wir den Dattelner Mühlenbach entlanggehen, so können wir etwa ein Dutzend alter Höfe zusammenzählen, die auf der Terrasse dieses Gewässers wie auf einer ungeraden Schnur bald in näherem, bald in fernerem Abstand aufgereiht sind.

 

 

Bauernhöfe, Adelsgüter und Kirchdorf im Kirchspiel Datteln

 

Hagem und Pelkum

 

(179) In der Karolingerzeit, gegen Ende des 9. Jahrhunderts, setzt für unsere Gegend die eigentliche schriftliche Überlieferung ein. Einzelne Orte und Höfe werden zum ersten Male genannt. Zunächst ist die Überlieferung recht dürftig, nimmt dann im Laufe des Mittelalters immer mehr zu. Neben bestimmten Urkunden sind es vor allem die Güter- und Einkünfteverzeichnisse einzelner Klöster, Urbare genannt, in denen nicht wenige uns bekannte Orte und Höfe mit Namen verzeichnet stehen. Unter diesen Urbaren nehmen die der Abtei Werden den ersten Platz ein: Diese war in unserer Gegend besonders begütert. Das älteste Urbar dieses Klosters ist vor 890 angelegt worden.[3]

 

Dort begegnen uns in dem Abschnitt, der die Einkünfte im Brukterergau aufzählt (In pago Borathron, vgl. dazu S. 123), Namen, die als Orts- oder Hofnamen heute noch bestehen, so Heldringhausen und Hillen bei Recklinghausen, ferner Castrop und Mengede. Dort erscheinen auch zwei Namen, die wir in den heutigen Namen zweier Dattelner Bauerschaften, Hagem und Pelkum, wiederzufinden glauben: Wir lesen da:[4] "In villa Hagon sive Piluchem Hildiger liber XVI de sigilo", "Auf dem Hofe Hagon oder Piluchem (Pelkum) zahlt der Freie Hildiger 16 Scheffel Roggen". Hagen bzw. Hagem und Pelkum kommen als Hof- und Bauerschaftsnamen öfter vor, ein Hagen gibt es z.B. auch bei Selm, ein Pelkum bei Dorsten und Kamen, aber nirgendwo liegen, soweit ich das erfahren konnte, in dem ehemaligen Brukterergau zwei Höfe oder Bauerschaften Hagem oder Pelkum nebeneinander, außer im Kirchspiel Datteln. Hagem (180) ist allerdings nicht dasselbe wie Hagon oder Hagen, sondern kommt von Hagonheim oder Hagenheim. So erscheint unser Hagem 1188 als Haghenhem im Güterverzeichnis des Grafen von Dale: "In parochia Datlen domus in Haghenhem"[5] und in einer Urkunde von 1269[6] heißt es Hagenem, während in derselben Urkunde das im Kirchspiel Olfen gelegene Hagen schon genau so heißt wie heute. In dem Ursprungswort von Hagem ist Hagon oder Hagen Bestimmungswort zu dem Grundwort heim oder abgeschwächt hem, so daß Hagem ursprünglich soviel bedeutete wie Heim, Gehöft des Hagon oder Hagen, der derselbe sein dürfte, nach dem jene villa des Werdener Urbars benannt war.

 

Ein Piluchem, pilicheim, pelechem usw., in dem ebenfalls heim, hem als Grundwort steckt, wird öfter genannt, besonders in der Überlieferung der Abtei Deutz. Die ursprüngliche Form wurde zu Pelkum, wie buokheim zu Bockum. So dürfen wir auch von der Sprachgeschichte aus jene zwei Namen des Werdener Urbars für die beiden Dattelner Bauerschaften in Anspruch nehmen. Hagem und Pelkum wären somit die ersterwähnten Namen der Geschichte des Kirchspiels Datteln, aufgezeichnet in der ältesten schriftlichen Überlieferung des Vestes Recklinghausen.

 

(187) Heim haben wir als Grundwort in dem Bauerschaftsnamen Hagem, Pelkum, Bockum und dem Unterbauerschaftsnamen Sutum. Hagem und Pelkum wurden schon angeführt, und es wurde dort bereits gesagt, daß Hagem in seiner ursprünglichen Form "Heim (Gehöft) des Hagen" bedeutet. In Pelkum, das um 870, wie wir sahen, im ältesten Werdener Urbar piluchem heißt, haben wir wie in Hagem als Bestimmungswort wohl einen Personennamen, nämlich Pilug, der wahrscheinlich mit dem griechischen bel (tion, io) und dem lateinischen de-bilis (ent-kräftet) verwandt ist und "stark, gewaltig" bedeutet.

 

Das "Essener Kettenbuch"

 

(181) Jünger [als das Verzeichnis des Burgkaplans Everhard] ist das "Essener Kettenbuch".[7] Es ist um 1332 angelegt worden und enthält die Besitzungen der Äbtissin von Essen, darunter aus dem Kirchspiel Datteln einen Hof (mansus) to Wenninctorpe (Wentrup, Unterbschft. und Hof, später Bienenhof genannt, in Meckinghoven) einen Hof Zeghebrechttynk in Steinrapen, zwei Höfe in Hagem, nämlich Nollenhuve, später Grage oder Grave geheißen, und Nederhuve (heute Nierhof), ferner einen Hof in Datteln "uppen Rode" (die heutige Nonnenrottstraße erinnert noch daran) und eine Hof in Pelkum, der später Loehof oder Höbbelers Hof heißt.

 

Hofstedde

 

(181) Neben der Überlieferung der Urbare und Güterverzeichnisse läuft die der Urkunden. Von den Dattelner Höfen ist Hofstedde der erste, (182) der in einer Urkunde aufgeführt ist: Im Jahre 1096 schenkt der Kölner Erzbischof Hermann III. der Abtei Siegburg mehrere Güter (predia), darunter auch Hovestete.[8] Daß hier der Dattelner Hof und nicht ein anderer gleichen Namens gemeint ist, geht daraus hervor, daß Hofstedde in mehreren Urkunden der folgenden Zeit als Lehen der Abtei Siegburg erscheint und die Abtei, soweit wir das wissen, nie einen anderen Hof dieses Namens besessen hat.

 

Erste Erwähnung Dattelns

 

(182) 50 Jahre jünger (1147) ist die Urkunde, in der Kirche und Ort Datteln zum ersten Male genannt werden. Es ist das eine Bulle des Papstes Eugen III., durch die der Abtei St. Heribert in Deutz ihre Besitzungen bestätigt werden, darunter die Kirchen in Gladbeck, Datteln, Kirchhellen, Buer und Waltrop.[9] Diese Namen erscheinen auch wieder in zwei weiteren päpstlichen Bullen von 1161[10] und von 1207,[11] durch die sich das Deutzer Kloster noch einmal seine Besitzungen bestätigen läßt.

 

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wird von dem Grafen Otto von Ravensberg das Prämonstratenserinnenstift Flaesheim gegründet. Dessen Grundbesitz erstreckt sich bald auch über das Kirchspiel Datteln. 1204 werden ihm Haus und Mühle zu Leven, der spätere Möllmannshof (damals zum Kirchspiel Datteln gehörig) vermacht.[12] 1234 verkauft Konrad von Ludrinkhoven (Löringhof) die Höfe Lendrinckhuiss im Kirchspiel Datteln und Wenekink im Kirchspiel Waltrop an das Kloster Flaesheim.[13]

 

Alte Höfe

 

(183) In weiteren Urkunden finden sich noch folgende Namen, die hier zwar Personen bezeichnen, aber an alten Höfen haften: Nierhöfer (in Hagem 1383), Schulte Pelkum (1408), Wehlmann (in Meckinghoven 1414), der Brüggenhof (Schulte-Rüping bei Datteln 1414), Lettmann (in Hagem 1421), Reddemann (in Redde 1424), Schmidt zu Wentrup (1421), Schemann (in Klostern 1440), Höbbeler (in Pelkum 1475), Kindermann (in Hagem 1492), Huxel (in Meckinghoven 1493), Schlüter (in Meckinghoven 1506).

 

Der Ortsname Datteln

 

(192) In der päpstlichen Bulle von 1147 heißt der Ort Datlen. In den Bullen von 1161 und 1208 Datilo, ebenso in einer Handschrift der Abtei Deutz, die um 1160 abgefaßt ist. Allerdings hat dort eine andere Hand an den Rand die Form Datelen hinzugeschrieben. Die Form Datilo erscheint außer an den drei genannten Stellen sonst nirgends, sondern nur noch[14] Datelen, Datlen u.a. Datilo, das auf ein Datiloh zurückgehen muß, wäre der Nominativ (1. Fall Einzahl). Das Grundwort -loh begegnet uns in unzähligen, zum Teil sehr alten Hof- und Ortsnamen.[15] Es bedeutet soviel wie "Hain", "angerodeter Wald", ist übrigens verwandt mit dem lateinischen lucus, das "Lichtung" oder "Hain" bedeutet. Neben dem Ortsnamen auf -loh begegnen uns nicht wenige auf -lohn, -lon, -laon, -len, -ln, wie unser Dattelen, Datteln (ob es mit einem oder zwei t geschrieben wird, spielt hier keine Rolle). Datteln, Dattelen geht also nicht auf jenes Datilo (Datiloh), sondern auf ein Datilon (193) (Datilohn) zurück, das wiederum ein als Lokativ gebrauchter Dativplural ist. Als älteste Form vermutet Baader Dathalon aus Dathalohon. (Ein th erscheint in der Schreibung einiger Urkunden, so in einer von 1276 und 1333.) Dies würde bedeuten: "am Wald (gelegenes Gehöft) des Datha". Dieses Datha ist wahrscheinlich wieder ein Personenname. Als solcher ist Datha im Altfränkischen und Altsächsischen belegt. Nach Baader enthielt der Name den Begriff "Versammlungsleiter", "Burrichter".[16] Die heutige Form Datteln kann nur aus dem Dativ plural Datilohn hervorgegangen sein, nicht aus dem Nominativ Datiloh. Ob diese Form, die urkundlich wie gesagt nur dreimal vorkommt, überhaupt gebraucht wurde, möchte man bezweifeln. Es ist aber möglich, daß beide Formen, der Nominativ Datiloh und der Dativ (Lokativ) Datilohn nebeneinander gebraucht wurden. Eine Parallele bietet Nottuln, das in einer Urkunde von 834 Nuitlon (Am Nußbaum), später Nutlon und Nutlo heißt. Ähnlich verhält es sich in der Überlieferung des benachbarten Olfen. Dies wird bereits 889 zum ersten Mal genannt,[17] und zwar als Ulfloo und Ulflaon (am Wolfshain); das letztere ist zu unserm Olfen geworden.

 

Der Name unseres Datteln muß schon im Hochmittelalter nicht mehr jung gewesen sein, da er bereits um diese Zeit in einer stark abgeschliffenen Form erscheint. Ein Rest von jenem Loh, nach welchem Datteln einst benannt worden, mag der Lohbusch sein. Dieser liegt am Nordostrande des alten Dorfes und gehörte zum alten Loehof.

 

Weitere alte Höfe

 

(219) Daß der Name Datteln auf ein hohes Alter deutet, wurde bereits gezeigt (S. 192f), auch, daß der Hof Loe – so heißt er im Pastoratsregister von 1526 – damit zusammenhängen und er als der Urhof Dattelns angesehen werden muß. Er lag nahe bei der Kirche und am Tigg (gegenüber der heutigen Vikarie, nicht wo heute der "Dorfschultenhof" steht). Im vorigen Jahrhundert und wohl schon früh nannte man ihn den Dorfschultenhof. Aber der Name Loe hat sich dort als Flurname bis auf den heutigen Tag erhalten. Zu dieser Flur gehört auch der Lohbusch.[18]

 

Noch andere Höfe wurden zum Dorfe gerechnet, so die Rotthofe (wo die Zimmerei und Schreinerei Stimberg & Jürgens war), der Buddenhof im Südosten und noch weiter östlich Hötting (an welchen Hof heute noch die Höttingssiedlung erinnert), am anderen Ende Möcklinghof und im Süden oder Südwesten das Adelsgut, das, wenigstens hernach, denselben Namen trug. Ohne Zweifel sind das sehr alte Höfe gewesen, die unabhängig vom Kirchdorf gegründet waren und erst später ins Dorf einbezogen wurden. Darum ist, wie noch die vorhin genannte Urkunde von 1541 zeigt, die Bauerschaft Datteln, die als Siedlung oder ursprünglicher Haupthof sehr alt sein muß, zu unterscheiden von dem Dorf, das um die Kirche enstanden ist.

 

Die Kirche Dattelns

(219) Schon früh,[19] wohl bereits im 9. Jahrhundert, vielleicht unter Karl dem Großen in den ersten Jahren der Sachsenbekehrung, hat Datteln eine Kirche bekommen. Sicher ist sie nicht aus Stein erbaut gewesen, sondern aus Holz oder aus Holz und Lehm. Zunächst war sie auch nicht Pfarrkirche, sondern gehörte einem mächtigen Grundherren; vielleicht war das der König selbst, der auf seinem Hof ein Kirchlein für die hier angesiedelten Franken errichten ließ, vielleicht war Hofstedde, welcher Hof vor 1096 im Besitz des Kölner Erzbischofs ist, der Rest dieses ehemaligen Königshofes, zu dem dann auch der Dattelner Loehof gehört haben mag.[20] Auf eine Frankenkirche deutet auch die eigenartige Tatsache, daß ein Lieblingsheiliger der Franken, der hl. Amandus, der Schutzpatron der Dattelner Kirche ist. Pfarrkirche war im Anfang St. Peter in Recklinghausen. Doch (220) bald muß Datteln selbst Pfarrei geworden sein, wenn auch die Kirche erst um 1160 als ecclesia parochiana bezeugt ist. Das Kirchspiel Datteln war nach Recklinghausen das größte des ganzen Vestes und darum sicher eines der ältesten. Obwohl Datteln am Rande dieser großen Pfarrei liegt, wurde es doch der Hauptort, weil es eben die Kirche hatte.

 

Um die Kirche siedelten sich Kleinbauern, Handwerker, Krämer und andere Gewerbetreibende an, Leute, die keinen Hof besaßen, auch nicht auf einem Hof unterkommen konnten oder wollten. Hier nahmen sie teil an dem Schutz und Frieden, der mit Kirche und Kirchhof verbunden war. Hier fanden sie Grund und Boden vor, der trocken und nicht wie ein großer Teil der Umgebung versumpft oder moorig war: Die Amanduskirche steht auf einer Bodenerhebung, die man den Dattelner Hügel nennen könnte. Hierher kamen jeden Sonn- und Feiertag die Bewohner des weitausgedehnten Kirchspiels zusammen, um dem Gebot der Kirche zu genügen, aber auch um sich miteinander zu treffen und vielleicht auch um Geschäftliches zu erledigen. Kein Wunder, daß sich um die Kirche ein Kranz von Worthen, Hausstätten, legte. Das war der Anfang des Dorfes Datteln. Als die Kirche Pfarrkirche geworden, war sie der Grundherr dieser Worthe in Person des jeweiligen Pfarrers. Ihm mußten die Inhaber der Worthe jährlich eine bestimmte Abgabe entrichten. Es gab auch Worthe, deren Obereigentümer die Kirchengemeinde war. Sie lagen ebenfalls in der Nähe der Kirche; aber älter sind die Pastoratsworthe. Das zeigt schon ihre Lage rund um die Kirche.[21]

 

Herkunft einiger Dattelner Straßennamen

 

(220) Das Dorf Datteln hat sich von der Kirche aus einseitig ausgedehnt: Nur die Nord- und Westseite wurden besiedelt, nach Süden und Osten erstreckten sich die Pastoratsländereien, weiter zurück lag ein Bauernhof (Schürmann op de Brügge, etwa wo heute Schacht 3/4), das Übrige war Sumpf und Moor. Im Norden ist das Dorf vorgedrungen bis zu dem Bruchgelände, an das noch die heutige Bruchstraße erinnert, im Westen bis zum heutigen Neumarkt, wo ebenfalls der Boden versumpft war. Innerhalb dieser Grenzen ist im Laufe der Zeit das ganze Gebiet von Wohnhäusern besetzt worden.

 

(221) Auf Erweiterungen des Kirchdorfes deuten noch heute die Namen auf -ort hin, die in Datteln bestimmte Dorfteile bezeichnen. Das Wort ort (ord) bedeutet "Ecke, Winkel, Ausbuchtung". In Datteln haben wir heute noch den Schragenort, den Fillort, den Pahlenort und den Türkenort. Der Schragenort liegt zwischen Kirche und Tigg und ist wohl die erste Erweiterung des Kirchdorfes nach Norden gewesen. Er führt seinen Namen wahrscheinlich deswegen, weil hier die Tische oder Buden der Händler während des Marktes standen oder während der anderen Zeit untergebracht waren oder auch weil sich hier dauernd irgendein Verkaufstisch oder eine Verkaufsbude befand. Schragen sind nämlich schräg oder kreuzweise zueinander stehende Holzfüße und dann auch die von solchen Holzfüßen getragenen Bänke, Tische und Buden.

 

Fillort, Pahlenort und Türkenort liegen am Rande der Dorfsiedlung. Sie scheinen die jüngsten Dorfviertel zu sein, sind jedenfalls jünger als das Viertel um Kirche und Tigg. Das sieht man auch an ihren Namen. Der Fillort trägt seinen Namen wohl daher, weil dort eine Abdeckerei bestand: Fill bedeutet soviel wie "die Haut, das Fell abziehen". Filler hieß daher der Abdecker, der den Tierleichen das Fell abzog und die Verwertung verendeter Tiere besorgte. Wie die alteingesessenen Dattelner noch wissen, hat sich dort tatsächlich früher eine Abdeckerei (Verwertungsstätte toter Tiere) befunden. Diese hat aber ursprünglich sicher außerhalb des Dorfes gelegen und ist erst ins Dorf gelangt, als dieses sich bis hierher ausdehnte. – Pahlenort wird man mit Pfählen (niederdeutsch Paohl) zusammenbringen müssen. Ob damit Grenzpfähle oder Pfähle dort in dem ehemals sumpfigen Gebiet oder Pfähle anderer Art gemeint sind, läßt sich wohl nicht mit Sicherheit entscheiden (daß die heutigen Dattelner Pahlenort und nicht wie es Niederdeutsch heißen müßte Paohlenort aussprechen, ist wohl auf den Einfluß des Hochdeutschen zurückzuführen).[22]

 

(222) Fillort, Pahlenort und Türkenort, am Rande der Dorfsiedlung gelegen, waren nach der anderen Seite hin durch Sumpfgebiet begrenzt (heute merkt man davon nur noch wenig). Innerhalb der angedeuteten Grenzen ist im Laufe nicht weniger Jahrhunderte jenes Datteln entstanden, wie es noch zu Anfang dieses Jahrhunderts vorhanden war und an das sich die alten Dattelner nicht ohne Wehmut erinnern. Daß das Dorf Datteln allmählich und ohne Plan und Regel geworden ist, darauf weisen heute noch hin die alten ungeraden und geschlängelten Straßen und Gassen, deren älteste ihren Ausgang von der Kirche nehmen.

 

Eine Stelle im Dorf ist nicht bebaut worden. Das ist der Tigg. Sein alter germanischer Name hängt zusammen mit dem griechischen deik(nynai) und dem lateinischen dic(ere) und bedeutet Gerichtsstätte und auch Versammlungsort. Denn hier versammelten sich die Bewohner des Kirchspiels zu regelmäßigen und außerordentlichen Zusammenkünften, kirchlichen und weltlichen, friedlichen und streitbaren.[23] Hier fand die Kirmeß statt, die die ganze Gemeinde nach der kirchlichen Feier zum Einkauf und Festestrubel vereinte. Hier wurden auch die Jahrmärkte abgehalten, die damals noch ein Ereignis für die Umwohner bedeuteten. Hier stand die Dorflinde (tilia): Man versammelte sich, wie es in einer Festordnung[24] und auch sonst heißt, sub tilia [unter der Linde] oder ad fori tiliam [bei der Marktplatzlinde].

 

Von den vorhin genannten alten Bauernhöfen, die zum Dorf Datteln gerechnet wurden, lag nur der Loehof, den wir als den Urhof Dattelns bezeichnet haben, innerhalb des eigentlichen Dorfes, und zwar, wie ebenfalls bereits gesagt worden, nahe der Kirche und des Tiggs. Andere, meist kleinere Bauernhöfe, die innerhalb des "Dorfringes" lagen und zum Teil heute noch bestehen, waren, wenigstens ursprünglich, Kotten, galten nicht als Bauernhöfe und erscheinen darum auch nicht in dem Meßkornregister von 1526. Daß übrigens (223) fast zu jedem Hause in Datteln auch ein Stück Acker gehörte, zeigt der schon genannte Schatzzettel von 1630, in welchem für das Dorf Datteln ein Höfner (Melchior Peters, jetzt Bauckholt) und über sechzig Kötter genannt werden.

 

Klostern

 

(185) In Klostern, das bis ins 16. Jahrhundert Knostern hieß (so noch in der Stiftungsurkunde des Armenfonds von 1541), haben wir ein adeliges Gut gleichen Namens, dessen Haus im Gegensatz zu den andern Dattelner Adelswohnungen nicht in einem sumpfigen Gelände, sondern inmitten guten Ackerbodens lag.

 

(190) Schwierig zu deuten ist der Name Klostern, mundartlich Klaustern. Daß diese Bauerschaft nichts mit einem Kloster zu tun hat, sehen wir daran, daß sie bis ins 16. Jahrhundert hinein Knosteren hieß. Baader nimmt an, daß die ursprüngliche Namensform wie die heutige mundartliche ein au enthielt, also Knausteren lautete, und deutet dies als "bei den Hügeln".[25]

 

(206) In der heutigen Bauerschaft Klostern saßen einst die Herren von der Wildaue. Vertreter dieses Geschlechtes begegnen uns in zwei Urkunden des Pfarrarchivs St. Amandus von 1325 und 1381 und in einer Urkunde des Klosters Flaesheim von 1333.[26] Ihren Namen führt heute noch eine Flur in Klostern. Dort hat ihre "Burg", für die 1381 eine Kapelle vom Besitzer gestiftet wurde,[27] gestanden, und zwar am Ostrand der Redder Brüche (Redder Braik, heute ist dort eine Wiese angelegt, die zum Kotten Reher-Schumacher gehört). Im Volk hat man von der Burg Wildaue bis in unsere Zeit gewußt, und (207) vom Wall und Graben waren vor einigen Jahrzehnten noch Reste zu sehen.[28] Als nach dem 2. Weltkrieg (1946) die Wiese planiert wurde, kamen noch Pfähle, Bohlen, eine ganze Giebelwand und andere Stücke zutage.[29] Die Wildaue muß eine ausgesprochene Sumpfburg gewesen sein. Noch heute ist der Boden dort moorig und naß; in der Urkunde von 1333 nennt Konrad von Wildaue als seinen Besitz, der nicht verschenkt wird, einen Sumpf am Graben seiner Burg (paludem declinantem super fossam castelli nostri), womit sicher die Redder Brüche gemeint sind. Wie lange die Wildaue bestanden hat, wissen wir nicht. Um 1430 ist das Gut in den Händen des Herren von Westerholt.[30] Das Geschlecht von der Wildaue scheint um diese Zeit bereits ausgestorben zu sein. Von der Burg hören wir nachher nichts mehr. Die neuen Herren haben sie wohl abbrechen oder verfallen lassen: Den Westerholtern mochte daran gelegen sein, ihren Besitz nach Datteln auszudehnen, aber nicht dort einen Herrensitz, der weit weg von ihrem Schlosse lag, unter erheblichen Kosten instand zu halten.

 

Nicht weit von der Wildaue, nordöstlich davon, aber nicht mehr im Sumpf, sondern auf trockenem Gelände liegt ein Bauernhof, der heute noch Haus oder Gut Klostern genannt wird (heutiger Besitzer ist Schürmann). Einst war dieser Hof tatsächlich ein Adelsgut. Mindestens seit dem Ende des 15. Jahrhunderts saßen hier die Herren von Grolle. Diese gerieten in Schulden und dadurch in wirtschaftliche Abhägigkeit von dem Gut Löringhof. Das Ende war, daß um 1700 das Gut Klostern in den Besitz von Löringhof überging. Damit war es auch mit dieser Burg vorbei. Daß hier einst mehr gewesen als ein Bauernhof, darauf deuten noch die Allee, die von der Straße Datteln – Ahsen dahinführt, und der für einen Bauernhof ungewöhnlich große Hofraum; die letzten Reste von Wall und Graben sind 1953 beseitigt worden.

 

Schwakenburg

(207) In einigen Urkunden des 14. und 15. Jahrhundert[31] und im Pastoratsregister von 1526 wird die Schwakenburg (Svakenborgh) genannt. Im 14. Jahrhundert sitzt dort ein Gosvin Fridag von Datteln, dessen Name in der Urkunde des Dattelner Pfarrarchivs von (208) 1325 erscheint und von dem es 1381 heißt, er sei auf der Schwakenburg gestorben. Dann kauft sie ein Dietrich von Berghem; dessen Mutter und Sohn verkaufen sie wieder mit anderen Besitzungen 1434 an den Herrn der Malenburg, van der Dorneburg, genannt Aschebrok. Ob im Pastoratsregister von 1526 mit der Bezeichnung Schwakenburg noch der alte Herrensitz gemeint ist oder ob dieser damals schon nicht mehr bestand und der Name nur die Flur bezeichnen sollte, wissen wir nicht. Jedenfalls ist wie die Wildaue und das Haus Klostern auch die Schwakenburg, als ihr Herr dort nicht mehr seinen Wohnsitz hatte, verschwunden.

 

Wo hat nun diese Schwakenburg gestanden? Nach der Urkunde von 1434 und den Angaben des Pastoratsregisters von 1526 lag in der Nähe das Land "up den Rode". Dieses gehörte dem Frauenkloster Essen, hieß darum, wenigstens später, Nonnenrott. (Die Bezeichnung ist noch als Straßenname erhalten.) Dieses Grundstück lag nordöstlich des Dorfes und dehnte sich etwa bis zu der Stelle aus, wo sich heute die Tankstelle Jaspert befindet. Ihr gegenüber waren noch vor nicht langer Zeit Überreste von Wall und Graben zu sehen, und hier kamen nach dem Bericht alter Dattelner bisweilen auch Holzbohlen und dergleichen zutage. Man erzählte auch die übliche Geschichte von einer Burg und dem bösen Ritter, der dort gehaust habe. Ohne Zweifel haben wir hier die Stelle der Schwakenburg. Ähnlich wie die Wildaue war sie errichtet auf einem ausgesprochen nassen Gelände: Vom Dorfe fällt es nach hier ab in eine Niederung des Mühlenbaches, dann steigt es wieder nach Nordosten und Norden an. Bis in die neueste Zeit war es hier, besonders im Winter so naß, daß die Dattelner Jugend, wenn das Eis hielt, hier ihre Schlinderwiese hatte. Schlingerwiese heißt die Stelle heute noch im Munde der alten Dattelner.

 

Pfarrhaus

 

(208) Im Bereich des Mühlenbaches, 300 bis 400 m von der Amanduskirche entfernt, liegt das Pfarrhaus. Früher, als die Pfarrer die Pastoratsländereien noch selber bewirtschafteten, war es der Pfarrhof, in den alten Akten Wedemhof oder ähnlich geheißen.[32] Ursprünglich hat unser Pfarrhof vielleicht anderen Zwecken gedient; (209) er kann ein Herrensitz, ein Guts- oder ein Fronhof gewesen sein. Das möchte man daraus entnehmen, weil er von einem breiten Graben umgeben war,[33] über den zwei Brücken führten, die eine zur Wohnung, die andere zu den Wirtschaftsgebäuden.[34] Vielleicht war der Dattelner Pfarrhof ursprünglich der Guts- oder Fronhof des Grundherrn der Amanduskirche, die ja ursprünglich aller Wahrscheinlichkeit nach eine Eigenkirche gewesen ist.[35]

 

Möcklinghof

 

(209) Nicht weit vom Pfarrhof, auf dem sogenannten Mühlenrott, hat nach einer alten Überlieferung einst das adelige Geschlecht gesessen, das gewöhnlich mit dem in Datteln so häufig vorkommenden Familiennamen Möcklinghof in Zusammenhang gebracht wird. Im vorigen Jahrhundert sind bei Bodenarbeiten dort noch große Steinplatten gefunden worden.[36] Über das adelige Geschlecht, dem dieser Herrensitz einst gehört hat, wissen wir sehr wenig. In der ältesten Urkunde des Pfarrarchivs von 1325 wird ein Goswin von Mobelink als Zeuge genannt und 1366 stiftet Johan van Mockenichem de wonachtig is to beke (das ist der Mühlenbach) der Kirche von Datteln eine Worth. Dieser Johan van Mockenichem wird auch sonst noch einige Male genannt.[37]

 

Im folgenden Jahrhundert gehört das Gut zu Löringhof. Es wird dessen Leibzucht für die Witwe und ihre Kinder. Deren Sitz, im Volksmund Junkernburg genannt,[38] lag aber weiter den Mühlenbach hinauf, dort, wo sich jetzt das Ehrenmal erhebt. Im vorigen Jahrhundert stand dort ein Bauernhaus, das im 18. oder 17. Jahrhundert gebaut sein mochte. Es ist 1897 abgebrannt. Nur noch die Mühle, die zu dem Gut gehörte (vgl. S. 27) besteht heute noch.

 

Von diesem Adelsgut ist der Bauernhof Möcklinghof zu unterscheiden. Er lag an der Hachhausener Straße, wo sich heute die Molkerei befindet. Um 1848 wurde er verkauft, dann aufgeteilt und Wohnhaus- und Wirtschaftsgebäude abgebrochen. Im Pastoratsregister von 1526 ist der Hof unter den meßkornpflichtigen verzeichnet. Er muß darum ursprünglich ein Hof für sich gewesen sein, denn  die Adelsgüter zahlten kein Meßkorn. Wohl war der Hof nach Löringhof, dessen Herren ja seit etwa 1400 auch das adelige Gut (210) Möcklinghof besaßen, abgabepflichtig. Im Pastoratsregister von 1598 steht vermerkt, daß der Scheffel Gerste des Hofes Möcklinghof "von der Leibzucht[39] zu Moulichem" entrichtet würde. Der Hof war also mit dem Adelsgut verbunden. Vielleicht ist das bereits der Falle gewesen, als im 14. Jahrhundert das Gut an Löringhof überging.

 

Möcklinghof ist, wenn nicht alles trügt, ursprünglich nur der Name des Hofes, nicht des Gutes gewesen: In den Urkunden von 1325, 1366 und in einer von 1371[40] führt der Name des Gutes gar nicht das Grundwort hof, sondern hem (heim) und das Bestimmungswort ist nicht Möckling; in dem schon genannten Pastroratsregister von 1598 heißt der Hof Moucklinghof, das Gut dagegen Moulichem. Dadurch daß der Hof Möcklinghof mit dem Gut verbunden und nach Löringhof abgabepflichtig war, wurden die beiden ursprünglich verschiedenen Besitzungen wohl nicht mehr auseinandergehalten und die Ähnlichkeit der Namen bewirkte, daß der Name des Hofes auch auf das Adelsgut überging. – Die heute in Datteln so zahlreich vorkommenden Möcklinghoffs stammen entweder von dem Hof Möcklinghof oder von Worthen (Hausstätten) des Gutes. Dieses besaß nämlich[41] im Dorfe viele zinspflichtige Worthe.

 

Peveling

 

(210) Ein anderes verschwundenes Adelsgeschlecht ist das der Herren von Peveling. Im Jahre 1381 stiftet "Heinrich Vrydach van Pevelinch" auf dem Hofe Enegelsberge (Ensberg in Hachhausen, jetziger Besitzer Schulte-Hubbert) eine Kapelle und im folgenden Jahr vor seiner "borgh und wonynge to Pevelingh". Einen Sohn, der seine Besitzungen erbte, scheint dieser Pevelingh nicht gehabt zu haben: Es werden nur eine Tochter und der Schwiegersohn, ein Lobbert van Rechede, genannt. Hernach wird das Geschlecht nicht mehr erwähnt, und auch von der Burg und der Kapelle ist nirgendwo mehr die Rede. Soweit ich feststellen konnte, gibt es darüber auch keine mündliche Überlieferung. Jene Burg und Wohnung des Herrn von Peveling hat wahrscheinlich ebenfalls am Mühlenbach gestanden, und zwar unweit des Hofes Peveling in Hachhausen. (Im 16. Jahrhundert (211) wurde der Hof in zwei Höfe geteilt: Ober- und Niederpeveling. Von Oberpeveling besteht noch ein Resthof an der Straße Datteln – Recklinghausen, heute im Besitz des Bauern Engelkamp; die meisten Ländereien des ehemaligen Hofes Peveling gehören der Zeche Emscher-Lippe und dem Herzog von Arenberg.)

 

Gutacker

 

(211) Etwa eine Viertelstunde den Mühlenbach weiter hinauf, aber auf der anderen Seite, in der Bauerschaft Hagem an deren Grenze nach Rapen hin, nahe der Straße Datteln – Recklinghausen, dort, wo sich drei Bäche, der Mühlenbach, der Westerbach und noch ein dritter [der Steinrapener Bach] vereinigen, stand einst das Adelshaus von Gutacker. Im 14. und 15. Jahrhundert war Gutacker wohl das bedeutendste Adelsgut des Kirchspiels. Die Herren von Westrem zu Gutacker haben zeitweise noch andere Güter besessen, so Haus Wilbring in Elmenhorst, Kirchspiel Waltrop. Um 1600 war Gutacker aber nach Akten des Dattelner Pfarrarchivs ungefähr bis zum Konkurs verschuldet, und es scheint, daß es aus den Schulden nicht mehr herausgekommen ist. Um 1820 schließlich wurde das ganze Gut an mehrere verkauft. Das Restgut mit dem Herrenhaus wechselte in den folgenden Jahren mehrfach den Besitzer und die Bewohner, bis es 1836 der Herzog von Arenberg kaufte. Das "Schloß" wurde nun nicht mehr bewohnt, es zerfiel und 1859 wurde es abgebrochen. Erhalten blieben zunächst die beiden zugehörigen Mühlen, eine Korn- und eine Ölmühle. Heute stehen auch sie nicht mehr: Die Kornmühle brannte 1896 ab, die andere wurde um 1908 abgebrochen.

 

Im 14. Jahrhundert muß Gutacker eine stattliche und wohlbefestigte Burg gewesen sein. Das zeigt eine Urkunde aus dem Jahre 1386, in der Goswin von Gutacker seine Burg mit Vorburg, Gräben und allen Festungsanlagen seinem Landesherrn, dem Erzbischof Friedrich von Saarwerden, überträgt.[42] Wahrscheinlich sind später, namentlich in der Barockzeit wie an den meisten Adelssitzen auch an Gutacker Umbauten und Erweiterungen vorgenommen worden. Was von der Burg mittelalterlich und was später hinzugekommen war, läßt sich heute natürlich nicht mehr feststellen. Wohl aber kennen wir den Grundriß der Gesamtanlage. Als nämlich 1934 der (213) Westerbach reguliert wurde, stieß man auf deren Überreste. Auf Wunsch des Provinzialkonservators wurde die Burganlage durch das Amt Datteln aufgedeckt. Die Leitung hatte technischer Inspektor J.Kisters, der auch die Zeichnungen anfertigte.[43] Die Maße der ergrabenen Anlage betrugen rund 4037 qm. Gefunden wurden zahlreiche bloße Mauerreste, Pfahlreste, Bohlen auf Pfählen z.T. mit Mauerresten. Es zeigte sich, daß auf drei eichenen Pfählen eine Eichenbohle gelegt war und darüber zwei Schichten Bruchsteine oder Findlinge und über diese die Mauer aus Ziegelsteinen aufgeführt war.

 

Löringhof

 

(213) Löringhof liegt in der Bauerschaft Hagem, nahe der Grenze Datteln – Waltrop, doch nur eine Viertelstunde vom Dorfe [Datteln] entfernt. Auch diesen Herrensitz sollten Sümpfe und Niederungen schützen. Am (214) Gute fließt der Löringhofbach vorbei, der früher in den Dümmerbach, heute direkt in den Mühlenbach mündet (vgl. S. 27). Über die Anfänge dieses Herrensitzes wissen wir ebensowenig wie über die der anderen. Ein Träger seines Namens, ein Conrad de Ludrinckhoven, begegnet uns 1234 zum ersten Mal (vgl. S. 182).

 

Das Herrenhaus von Löringhof – seit dem 2. Weltkrieg übrigens nur noch eine Ruine[44] – ist verhältnismäßig klein und von den Wirtschaftsgebäuden getrennt. Die ursprüngliche Anlage entstammt dem Mittelalter; Ende des 16. Jahrhunderts wurde sie umgebaut und erweitert, und auch in den folgenden Jahrhunderten wurden noch Veränderungen vorgenommen.

 

Malenburg

 

(214) Ähnliches [wie von Haus Löringhof] gilt von der Malenburg: Diese liegt weiter vom Dorf entfernt, in der Bauerschaft Bockum, an der Grenze von Klostern und Ahsen. Auch hier entstammt die Hauptanlage dem Mittelalter und wurde in der Barockzeit erweitert und verändert. Mit der Malenburg verbunden war eine Mühle (vgl. S. 30). Das heute noch erhaltene Mühlengebäude liegt ein gut Stück von dem Hauptbau entfernt. Die Mühle wurde von dem Bach getrieben, der früher wahrscheinlich Radelebeke geheißen hat. Jedenfalls war das der ursprüngliche Name der Malenburg: castrum Radelembeke, quod alio nomine Malenberch nominatur (die Burg Radelebeke, die anders Malenburg genannt wird), heißt es in einer Nachricht aus dem Jahre 1342.[45] Was die Lage der Malenburg angeht, so unterscheidet sie sich kaum von der der anderen Dattelner Burgen: Niedrig und sumpfig ist oder war es auch hier.

 

Vogelsang

 

(214) Das gleiche [wie von der Malenburg] muß auch von Haus Vogelsang gesagt werden. Hier sind es die Niederungen der Lippe und des ihr zufließenden Klosterner Mühlenbaches, welche die Gutsgebäude umgeben (vgl. Seite 29). Das Herrenhaus entstammt der Barockzeit, z.T. ist es noch jünger, so z.B. der Eckturm. Doch hat hier bereits nachweislich im Mittelalter (215) ein castrum gestanden. Erwähnt wird Vogelsang zum ersten Male im Jahre 1374.

 

Ahsen

 

(215) Auch Ahsen an der Lippe hat einst seine Burg gehabt. Sie ist wahrscheinlich die Stammburg der Herren von Ahusen gewesen, die uns in mehreren Urkunden vom Ende des 12. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts begegnen.[46] Um 1265 ist ein Graf Herbord von Dortmund castrensis in Ahusen, d.h. Burglehensmann, Inhaber des Burglehens in Ahsen.[47] Einige Jahrzehnte später (1287) wurde die Burg zerstört, in einem Kriege, der mehrere Jahre hindurch die nordwestdeutschen Gebiete verwüstete. Es ging um die Erbfolge in dem Herzogtum Limburg (an der mittleren Maas), für den Kölner Erzbischof aber auch um die Vormacht in Westdeutschland. Der Kölner war der Oberherr der Burg in Ahsen. Da sie an der Grenze seines Territoriums lag und hier den Lippeübergang deckte, mochte sie für ihn besonders wichtig sein. Einer der erbittertsten Gegner des Erzbischofs, der Graf Everhard von der Mark, der um die Selbständigkeit seines Gebietes kämpfte und mit dem mächtigen Grafen Adolf von Berg verbündet war, zerstörte auch die Burg Ahsen nach kurzer Belagerung.[48] Er scheint sein Werk gründlich vollführt zu haben: Die Burg ist nicht wieder aufgebaut worden, und man weiß auch nicht mehr die Stelle, wo sie gestanden hat. Die Burg in Ahsen, die mit dem dortigen karolingischen Königshof zusammenhängen mochte, war wahrscheinlich viel älter als die Adelssitze, die wir soeben kennengelernt haben, und auch die Herren von Ahusen haben wohl einem Adel angehört, der früher war als der, den die Herren am Mühlenbach, auf Löringhof, Malenburg und Vogelsang aufzuweisen hatten.

 

Dale

 

(215) Ohne Zweifel gilt dies auch von den Herren oder Grafen von Dale (Dahl), deren Burg einst höchstwahrscheinlich in Markfeld an der Lippe, auf der Grenze des Kirchspiels Datteln gestanden hat (vgl. S. 171). Das Güterverzeichnis der Grafen von Dale aus dem Jahre 1188 wurde in früheren Kapiteln bereits mehrfach erwähnt. Um die Zeit müssen die Herren von Dale an der unteren Lippe eine mächtige Stellung eingenommen haben.

 

Horneburg

 

(216) Alt, jedenfalls älter als die ersten schriftlichen Nachrichten über sie muß auch die Horneburg sein.[49] Man möchte annehmen, daß dort auf der Sehne des Lippebogens, an der alten Straße Wesel – Dorsten – Recklinghausen – Lünen, schon früh, vielleicht bereits in Karolingischer Zeit ein castrum, eine Burg errichtet worden ist. Von wem das aber geschehen und was für Herren vor dem 14. Jahrhundert auf der Horneburg gesessen haben, wissen wir nicht: Darüber fehlt uns jegliche schriftliche Überlieferung. Im 14. Jahrhundert haben die Herren von Oer sie in Besitz und versuchen von hier aus, sich ihr Eigentum und ihre Unabhängigkeit gegen ihren Landesherren, den Erzbischof von Köln, zu behaupten.

 

Was wir heute als Schloß in Horneburg sehen, war ehemals nur die Vorburg. Die Hauptburg lag nördlich davon. Sie bildete, wie Ausgrabungen, die Baurat Klotz 1927 durchgeführt hat, zeigten, ein Quadrat, dessen Seiten 27 m betrugen. Gegen Schluß des Dreißigjährigen Krieges, 1646, wurde sie von dem französischen General Turenne zerstört. Der Wiederaufbau unterblieb, dafür wurde die Vorburg zu einem Schloß, das Sitz der Kurfürstlichen Verwaltung war, ausgebaut. Die Burg, die in jenem Jahre zerstört wurde, muß damals in ihren Hauptteilen ungefähr 200 Jahre alt gewesen sein. Um 1450 nämlich unter Johann von Gemen, der das Vest mit der Horneburg vom Erzbischof zum Pfand erhalten hatte und glauben mochte, daß daraus ein dauernder Familienbesitz würde, war ein Neubau errichtet worden.[50] – Die Gräften der Burg wurden gespeist von einem Bach, der dem Dattelner Mühlenbach zufließt (vgl. S. 27).

 

Aufstieg der Sumpfburgen

 

Was wir von Dale, Ahsen und Horneburg annehmen möchten, daß nämlich ihre Burgen und die Adelsgeschlechter, die dort ursprünglich gesessen haben, zurückreichten über das Hochmittelalter hinaus, vielleicht bis in die Karolingische Zeit, das kann nicht gelten, wie bereits angedeutet worden, von Löringhof, Gutacker, Peveling, Möcklinghof, Schwakenburg, Wildaue, Malenburg und Vogelsang. Der Adel, der sich diese "Burgen" errichtete, war hervorgegangen teils aus Bauerngeschlechtern (Großbauern), teils aus ursprünglich unfreien Waffenknechten: Armiger (Waffenträger) nennt sich 1381 (217) Dietrich von Wildaue wie auch im folgenden Jahre Goswin von Gutacker.[51] Jene Herrensitze wurden erst erbaut, als der niedere Adel von seinen Gütern in Sümpfe und Niederungen hinabstieg, wo er sich vor Angriffen in Fehde oder Krieg ziemlich sicher glaubte. Die Bauernhöfe, die das Pastoratsregister von 1526 aufzählt, sind darum zum größten Teil älter als jene Sumpfburgen. Das gilt allerdings nicht für den Grundbesitz dieser Herren: So ein Adelsgut war meistens nichts anderes als ein großer und alter Hof, mochte nun das betreffende Geschlecht ihn von Anfang an oder doch schon sehr lange besessen oder ihn irgendwann vom Landesherren für einen Dienst zu Lehen erhalten haben. Eine Besonderheit unter den Dattelner Adelssitzen bildete, wie vorhin gesagt, das Haus Klostern: Hier war der Gutsherr nicht in den Sumpf hinabgestiegen, sondern auf seiner alten Hofstätte geblieben.

 

Niedergang der Sumpfburgen

 

(217) Wenn man die Dattelner Herrensitze und adligen Geschlechter, die uns aus dem Ende des Mittelalters bekannt sind, aufzählt, dann muß man staunen, wieviele es gewesen sind. Die Blütezeit dieses Bauernadels fällt zusammen mit der Blütezeit der Städte. Während in diesen, soweit sie sich von der Vormundschaft des Stadtherrn freigemacht hatten, die bürgerlichen meist aus dem Kaufmannsstande hervorgegangenen Patriziergeschlechter die erste Rolle spielten, geboten auf dem Lande jene "adligen" Herren, deren wirtschaftliche und soziale Sonderstellung auf ihrem bäuerlichen Grundbesitz beruhte. Der Stadt, die damals so manchen in ihren Bann zog, blieben sie bewußt fern, errichteten sich vielmehr auf dem Lande ihre "Burgen" und umgaben diese mit Wall und Graben. Ein Stück alter Bauernkriegerkultur hatte sich hier erhalten und behauptete sich neben der feineren bürgerlichen Kultur der Städte.[52]

 

Freilich war dieser landsässige Adel durch die Art, wie er sich sein Leben und Wohnen gestaltete, zeitbedingter und darum in seinem Bestehen viel anfälliger als das Bauerntum, aus dem er doch hervorgegangen war und mit dem er sich immer noch eng verbunden fühlte. Darum bestehen heute jene Adelsgeschlechter, ihre Güter und Herrensitze meist nicht mehr; zum Teil sind sie, wie wir sahen, bereits (218) im Mittelalter verschwunden. Die alten Bauernhöfe dagegen haben sich mit einigen Ausnahmen bis auf den heutigen Tag gehalten und sind um nicht wenige vermehrt worden.

 

In dem Kirchspiel Datteln, das gegen Ende des Mittelalters etwa 2000 Einwohner und nicht viel mehr als 100 Bauernhöfe zählte, gab es um die Zeit ohne Zweifel zuviele hohe Herren: Sie konnten sich nicht alle auf die Dauer halten. Manche von ihnen mögen auf zu großem Fuß gelebt haben. Die Errichtung und Unterhaltung der "Burgen" kostete viel Geld. Der Gutsbetrieb mußte von fremden Leuten, Bediensteten und hörigen Bauern aufrechterhalten werden: Es fehlten die beständigen und zuverlässigen Arbeiter, die der Bauer in der eigenen Familie hatte. So ist es wohl zu erklären, daß manche der Gustbesitzer in Schulden gerieten, sie nicht los wurden und ihr Anwesen verkaufen mußten. Besaß dann der Käufer schon ein Gut, so sank das hinzuerworbene zu einem Anhängsel des alten Besitztums herab, dessen Herrensitz man abbrechen und verfallen ließ. Zudem widersprach es alter, wohlbegründeter bäuerlicher Überlieferung, sich im Sumpf niederzulassen. Denn dort lebt und wirtschaftet es sich unbequem und ungesund. Die Sumpfburgen waren ja nur errichtet worden, weil man sich auf dem offenen Lande nicht mehr sicher genug fühlte. Jedes noch so gut angelegte Festungswerk wird aber nach einiger Zeit unmodern. So ist es auch manchem Adelssitz ergangen, der vorsorglich und kostspielig dort angelegt worden, wo sich der Mensch im allgemeinen nicht niederläßt.

 

Oer-Erkenschwick

 

(191) In Oer, gesprochen Or (in einer Stiftungsurkunde des Klosters Flaesheim um 1170 heißt es Ora, wieder ein Dativ-Singular als Lokativ gebraucht) steckt ein Wort, das sowohl "Wasser" wie "eisenhaltiger Sand" (mundartlich Ort) bezeichnen kann. Oer würde also bedeuten entweder "am eisenhaltigen Sand" oder "am Wasser". Da Oer und (192) seine Umgegend wasserreich ist (vgl. S. 26), trifft wohl die letztere Deutung zu. – In Erkenschwick (in dem Werdener Urbar um 1150 Erkeneswik) haben wir als Bestimmungswort wahrscheinlich den Namen Erken (vgl. d. Familiennamen Erkens), der "vorzüglich, echt, recht" bedeutet. Zusammensetzungen mit diesem Namen wie z.B. Erkenbrecht, Erkenbert waren bis ins Hochmittelalter in Deutschland recht häufig. Das Grundwort -wik,[53] das sich in vielen Ortsnamen findet, kann vom lat. vicus (Gehöft, Dorf) herkommen oder von einem jüngeren nordischen vik, das "Bucht, Hafen, Ausweichstelle" bedeutet. Die letztere Herkunft ist aber für unsere Gegend wenig wahrscheinlich. Das wik in Erkenschwick wie auch das des benachbarten Suderwich und anderer Nachbarorte ist darum von dem lat. Wort herzuleiten. Wahrscheinlich ist es aus den südlichen Niederlanden, mit denen unsere Gegend bis ins späte Mittelalter mancherlei rege Beziehungen unterhalten hat, eingedrungen.

 

Die große Vogteirolle

 

(194) Während der Drucklegung erschien "Die große Vogteirolle des Grafen Friedrich von Isenberg–Altena". Dieses Güterverzeichnis verdanken wir jenem unseligen Streit zwischen dem Grafen Friedrich von Isenberg– (Isenburg-) Altena und seinem Oheim, Engelbert von Berg, Erzbischof von Köln, um die Vogteirechte beim Stift Essen. (Der Ausgang des Zwistes ist bekannt: Engelbert wurde am 7. Nov. 1225 von Friedrich bei Gevelsberg erschlagen, und Friedrich büßte seine Tat ein Jahr später auf dem Rade.) Während dieses Streites hat der Graf, um, wie die Überschrift der Rolle besagt, sich und den Erben seine Rechte zu wahren, eine Aufstellung aller zum Stift Essen gehörenden Vogtei- oder Oberhöfe mit ihren Unterhöfen anfertigen lassen. Dies muß um 1220 geschehen sein.

 

Obwohl man von dem Bestehen einer solchen Vogteirolle wußte, ruhte sie Jahrhunderte fast unbenutzt im Fürstlich-Bentheimschen Archiv zu Rheda. Ihr Inhalt blieb so gut wie unbekannt, bis sie im Jahre 1955 zur 600jährigen Stadtwerdung Rhedas von Moritz Graf zu Bentheim, Tecklenburg, Rheda, fürstl. Reichsarchivrat a.D., herausgegeben wurde (Veröffentlichung aus dem Fürstlichen Archiv zu Rheda, im Rotaprintverfahren).

 

(195) Die Rolle zählt 36 curiæ oder curtes (Vogtei- oder Oberhöfe) auf mit insgesamt 1440 mansi (Höfe). Die Höfe lagen in 640 verschiedenen Orten. Nur diese werden bei der Aufzählung aufgeführt, nicht die Namen der Höfe selbst, während im "Essener Kettenbuch", das über hundert Jahre jünger ist, die Namen der Höfe erscheinen (vgl. S. 181). So werden zur "Curtis secunda dicta Huckerde" (Huckarde) folgende Orte des Kirchspiels Datteln mit der Zahl ihrer Höfe genannt: Winnincdorpe 1, Hagenheim 2, Rapen 1, Dattelen 1, Pillicheim 1. Gemeint sind die Höfe Wentrup in der gleichnamigen Unterbauerschaft, Nollenhuve (Grave) und Nederhuve (Nierhof) in Hagem, der Hof "uppen Rode" in Datteln und der Loehof oder Höbbelers Hof in Pelkum. Zur "Curtis Suderwic" (Suderwich) werden u.a. aufgeführt Höfe: in Rapen 1, Nortdorpe 1 und Winnincdorpe 1. Das sind die Höfe Zeghebrechttynk in Steinrapen (Verbleib des Hofes?), das Kapellengut, später "Im Hove" genannt, in Datteln-Natrop (das zweite dort genannte Nortdorpe ist wohl nicht das Dattelner Natrop) und der später Schmidt zu Wentrup geheißene Hof in Meckinghoven (vgl. S. 183)[54] Für die Geschichte unserer Bauerschaften ist wichtig, daß hier Hagem, Pelkum, Rapen, Wentrup und Natrop als besondere Orte erscheinen und die Namen Pelkum, Wentrup und Natrop in einer älteren und ursprünglicheren Form geboten werden als in der späteren Überlieferung.

 

Aus der Umgebung des Kirchspiels Datteln werden u.a. genannt: Waltrop (Waltdorpe), Leveringhausen (Liverinchusen), Holthausen, Döttelbeck (Duttelbeke = Oberwiese bei Waltrop), Horneburg, Erkenschwick (Erkenswic), Kleinerkenschwick (Lüttelenerkenswic), Selm (Seleheim), Sülsen und Vinnum (Vinheim). Dreimal erscheint ein Sutheim (Sutum): wahrscheinlich ist darunter auch die Dattelner Unterbauerschaft Suttum. Auch ein Marcvelde wird genannt, was unser Markfeld sein kann.

 

Jedenfalls nimmt die große Vogteirolle des Grafen Friedrich von Isenberg-Altena, enstanden um 1220, einen hervorragenden Platz in der schriftlichen Überlieferung der Geschichte unserer Heimat ein und ist von besonderer Wichtigkeit für die weitere Forschung.

 

Quelle

 

Hermann Grochtmann, Vor- und Frühgeschichte mit einer erdkundlichen Einführung, Schriftenreihe zur Geschichte der Gemeinden Datteln, Oer-Erkenschwick, Ahsen und Flaesheim, Bd. II, Datteln 1955. Die Zahlen in runden Klammern bezeichnen die Seiten. Hinzufügungen des Herausgebers stehen in eckigen Klammern. Von ebendemselben stammen auch die Zwischenüberschriften am linken Rande.

 

Worterklärungen

 

 

Von Grochtmann zitierte Quellen

 

 

Von Grochtmann zitierte Literatur

 

 

Hauptseite

 

 



[1] Ich stütze mich hier auf Angaben von Studienrat Dr. K.Alef, der die Bewässerung der Dattelner Gegend besonders erforscht hat, auf Unterlagen des Schauamtes für die Wasserläufe des Amtes Datteln und auf eigene Beobachtungen. Siehe Karte S. XXIV [vielleicht XXXII; S. XXIV stehen Literaturangaben.]

[2] Lacomblet, Archiv II S. 241 und Kötzschcke, Rhein. Urbare II 71.

[3] Zum ersten Male herausgegeben von Lacomblet, Archiv für die Geschichte des Niederrheins II 1857; hernach von Rudolf Kötschcke, Die Urbare der Abtei Werden, Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichte II, Rheinische Urbare 2, Bonn 1906

[4] Vgl. Kötschcke, a.a.O. [Die Urbare der Abtei Werden, Bonn 1906,] S. 71

[5] Kindlinger, Münst. Beitr. 19 S. 166

[6] Westf. Urkundenb. VII Nr. 1355

[7] Münsterarch. Essen

[8] Original im Staatsarchiv Düsseldorf

[9] Vgl. Lacomblet Arch. V S. 301

[10] Original im Staatsarch. Düsseldorf, dep. Hist. Arch. der Stadt Köln, Deutz Nr. 8 a

[11] Abschr. in Bayr. Staatsb. München, Samml. Redinghoven Bd. 15

[12] Herz. Arenb. Arch und Westf. Urkundenb. VII Nr. 29

[13] Westf. Urkundenb. VII 419 a

[14] Westf. Urkundenb. VII Nr. 1355, 1595, 1612, 1653, 1655, 419a

[15] Vgl. Niemeyer, [Die Ortsnamen des Münsterlandes] S. 51f

[16] Näheres darüber in dem vorhingenannten Aufsatz.

[17] Willmanns, Die Kaiserurkunden der Prov. Westf. I. S. 228

[18] Vgl. A.Jansen [Die Gemeinde Datteln] S. 12f

[19] Vgl. Grochtmann, Geschichte des Kirchsp. Datteln S. 15ff und S. 33f, S. 109ff 119f und S. 183f

[20] Vgl. Grochtmann S. 15ff

[21] Über die Dattelner Pastorats- und Gemeindeworthe vgl. Grochtmann a.a.O. S. 109ff und S. 119ff

[22] [Bei seiner Deutung des Namens "Türkenort" fußt Grochtmann auf Materialien in: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, bearbeitet von der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuches zu Berlin, Bd. 11, 1. Abteilung, 2. Teil (Bd. 22), Leipzig 1952, 1848-1854.]

[23] Vgl. Grochtmann a.a.O. [Geschichte des Kirchspiels Datteln von den Anfängen bis zur Gegenwart] S 90, 210, 249, 261 und öfter

[24] Pfarrarchiv St. Amandus

[25] [Vgl. Theodor Baader, Örtlichkeitsnamen des Kirchspiels Datteln, in: Vestische Zeitschrift 56 (1954), 5-23.]

[26] Vgl. Herzogliches Arenberger Archiv, Urkunde Nr. 93

[27] Vgl. H.Grochtmann, Geschichte des Kirchspiels Datteln von den Anfängen bis zur Gegenwart. Datteln, Ahesen, Horneburg, Datteln o.J. [1951], 56s 184f

[28] Vgl.A.Jansen, Die Gemeinde Datteln, S. 25

[29] Mitteilung des Pächters Rüter.

[30] Gräfl. Westerh. Arch. Urk. Nr. 849

[31] Pfarrarch. St. Amandus und Gräfl. Westh. Arch. Urk 61 und 315

[32] Vgl. Grochtmann, Kirchspiel Datteln S. 117

[33] Mitteilung von H Schuhmacher Erkenschwick; Reste des Grabens sind noch zu sehen

[34] Vgl. hierzu Hans Welters, Wasserumwehrte Pfarrhöfe, Rhein. Vierteljahrsb. Jahrg. 13 (1948) 228ff

[35] Vgl. Grochtmann a.a.O. S. 17ff

[36] So erzählte mir ein über 90 Jahre alter Dattelner

[37] [J.Körner u.] A.Weskamp, Bau- und Kunstdenkmäler S. 158 [Haus Möcklinghof]

[38] Vgl. Jansen a.a.O. S. 27

[39] [Leibzucht – das vertraglich gesicherte Altenteil bei Hofes- oder Güterübertragung auf die Nachfolgegeneration, meist Wohn-, Nutzungs- und Unterhaltungsrechte auf Lebenszeit; Zucht als angemessener (züchtiger) Teil.]

[40] Vest. Zeitschr. 19 S. 67

[41] Jansen, der das Archiv auf Löringhof benutzt hat, a.a.O. [Die Gemeinde Datteln] S. 15

[42] Kindlinger, Münst. Beitr. III, 2 Abteilung S. 414ff

[43] [Sie sind im Buche S. 212f wiedergegeben.]

[44] [Haus Löringhof wurde Ende der 1960-er Jahre abgerissen.]

[45] Urkunde von 1342, Staatsarch. Münster, Manuskr. Kindlinger, abgedruckt von Th. Esch in Vest. Zeitschr. 5 (1895) S. 57f

[46] Th. Esch, Ahsen, Vest. Zeitschr. 14. Bd. (1904) S. 13ff und Grochtmann: Gesch. des Kirchsp. Datteln S 206f

[47] Lacomblet U. B. II Nr. 559 und Westf. Urkundenbuch VII 1211

[48] Levold's von Northof, Chronik der Grafen v. d. Mark und der Erzbischöfe von Köln, hersg. v. Tross, Hamm 1859, S. 111, neu hersg. v. Fr. Zschaeck 1929

[49] Grochtmann a.a.O. [Geschichte des Kirchspiels Datteln] 224 und 227

[50] Akten darüber im Staatsarchiv Münster, Landes- und Lehnsarch. des Vestes Recklinghausen

[51] [A.Jansen, Die Gemeinde Datteln, Datteln 1881, 30f: Der älteste Name dieser Ritterburg ist Radelenbeke. Nach Kindlinger (Münster. Beitr., Bd. III) überließ Alexander dictus Malman armiger sein castrum Radelenbeke, quod alio nomine Malenburch nominatur, cum omnibus ædificiis etc. dem Erzbischofe von Köln und nahm es von diesem wieder als Lehen an, wogegen ihm E. B. Walram eine bestimmte Summe Geldes ausbezahlte, wie eine zur Bestätigung dieser Uebertragung von demselben im Jahre 1342 ausgefertigte Urkunde zeigt.]

[52] Vgl. Franz Steinbach: Geburtsstand, Berufsstand und Leistungsgemeinschaft, Studien für Geschichte des Bürgertums II, Rhein. Vierteljahrsbl. Jahrg. 14 (1949) S. 35ff

[53] Vgl. G.Niemeier, Die Ortsnamen des Münsterlandes S. 59

[54] Vgl. Ludwig Bette, Das freiweltl. hochadl. Damenstift Essen und das Vest Recklingh. Vest. Zeitschr. 34. Bd. (1927), S. 136ff und 35. Bd. (1928), S. 225ff.