Vom Zeitungsjungen zum Millionär

 

Der Autor

Hans Joachim Dominik wurde am 15. November 1872 in Zwickau geboren als Sohn der Hedwig, geborene Mügge (1846-1919), und des Journalisten sowie Verlegers Friedrich Wilhelm Emil Dominik (1844-1896). Hans studierte in Berlin Eisenbahntechnik, mußte sein Studium aber nach einem Jahr unterbrechen, da sein Vater schwer erkrankte und schließlich starb. Hans arbeitete als Elektriker im Rheinland, studierte dann weiter und reiste 1895 nach Amerika. Bei einer zweiten Reise blieb er ein Jahr in den USA, arbeitete als Elektroingenieur und gewann aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen den Stoff für sein Buch über den Aufstieg John Workmanns. 1898 brach er sein Studium ab und arbeitete als Elektroingenieur. Ab 1900 war er bei Siemens & Halske und fertigte für die Pariser Weltausstellung ein Stück im Rahmen der Elektrifizierung im Bergbau.

1905 wurde er technischer Lokalreporter beim Berliner Lokalanzeiger. 1907 leitete er das Sekretariat der Zeitschrift Der Motorwagen.

Er erfand ein neuartiges Kugellager, arbeitete an der Erdtelegraphie mit und entwickelte Diktiermaschinen sowie Lautsprecher.

1910 heiratete er Lieselotte Runge. Im Ersten Weltkrieg war er aufgrund eines Wirbelsäulenleidens dienstuntauglich und arbeitete bei Siemens & Halske im Bereich der Telegraphie. 1918 bis 1920 war er Dramaturg für technische Kurzfilme.

Aufgrund seiner technischen Kenntnisse und seiner Fähigkeit, schwierige Zusammenhänge leicht verständlich darzustellen, wurde er ein Erfolgsautor für Zukunftsromane. Er starb am 9. November 1945 in Berlin.

 

 

New York Herald

James Gordon Bennett senior (1795-1872), der Vater des modernen Journalismus, gab diese Zeitung ab dem 6. Mai 1835 heraus. Sein Sohn, James Gordon Bennett junior (1841-1918), übernahm den Verlag im Jahre 1866. 1922 ging die Zeitung im Konkurrenzblatt New York Tribune auf. 1966 wurde daraus The International Herald Tribune. Erscheinungsort ist Paris.

 

Handlung

Der zwölfjährige John Workmann verkaufte Zeitungen, um den Lebensunterhalt seiner kränklichen Mutter sowie seinen eigenen zu gewährleisten. Sein Vater, der Porträts gemalt hatte, war bereits verstorben.

John besuchte den sechsjährigen Zeitungsjungen Charlie Beckers, der an Tuberkulose und Lungenentzündung erkrankt war. Dessen Mutter war verstorben und seinen Vater hatte er nie kennengelernt. John bat einen Arzt, den Kranken zu besuchen, bezahlte dafür fünf Dollar in Centstücken, doch der Arzt konnte nur den baldigen Tod des Patienten voraussagen und eine schmerzlindernde Arznei verschreiben.

John informierte seine Kameraden; sie besuchten den Sterbenden und erfüllten seinen letzten Wunsch, nicht in einem Massengrab beigesetzt zu werden, sondern „so, wie unsere Millionäre“. Die Zeitungsjungen mussten drei Tage hungern, um das notwendige Geld dafür zusammenzubekommen.

Vor dem prächtigen Leichenwagen zog eine Musikkapelle, welche einen Trauermarsch spielte, dahinter gingen hundert Zeitungsjungen, die Beisetzung fand auf einem Kirchhof in Long Island statt, auf dem Grab würde kein Pfahl mit einer Nummer, sondern ein Grabstein mit dem Namen des Verstorbenen stehen. Die Zeitung berichtete davon und der Zeitungsverleger James Gordon Bennett lud John zu einem Gespräch ein.

Er bot ihm zwei Dollar pro Woche an, die nach mehreren Monaten auf sechzehn erhöht werden könnten, doch John lehnte ab, da er als Zeitungsverkäufer zwölf bis fünfzehn Dollar pro Woche verdiente. Ansonsten hätte er den Lebensunterhalt seiner Mutter nicht sichern können. Er konnte auch nicht von neun Uhr morgens bis fünf Uhr abends im Betrieb arbeiten, da er die Schule besuchen musste. So gab ihm der Zeitungsverleger einen Besuchschein, damit er wunschgemäß Bau und Funktion der Maschinen und der Fertigungsvorgänge studieren konnte.

Der Zeitungsjunge Robert Barney wurde beschuldigt, eine Handtasche gestohlen zu haben. Sie fand sich tatsächlich zwischen seinen Zeitungen. Sein Bruder Fred benachrichtigte unter Tränen John Workmann. Dieser erfuhr, daß neben Robert der jugendliche Dieb Bill Smith gestanden hatte. Mit Hilfe der anderen wurde Bill gefunden, er schoß mit seinem Revolver auf die Zeitungsjungen, verletzte einige, aber da diese in der Überzahl waren, konnten sie ihn überwältigen und der Polizei ausliefern. Vor Gericht gestand Bill, daß er die von ihm gestohlene Handtasche zur Tarnung zwischen die Zeitungen Roberts geschoben hatte. Diese erfolgreiche Detektivgeschichte wurde in der New York Herald mitgeteilt und John erhielt abermals eine Einladung zum Gespräch bei James Gordon Bennett.

Während dieses Gesprächs, das am 23. Januar 1909 stattfand, ertönte eine Alarmglocke. Das britische Postschiff (Royal Mail Ship) Republic war im dichten Nebel von dem italienischen Passagierschiff Florida gerammt worden. John Workmann durfte mit dem Herald-Nachrichtenboot Owlet mitfahren. Ein Blechkasten mit einem Bericht über das Unglück wurde von Bord der Baltic, welche Passagiere der havarierten Republic gerettet hatte, zum Nachrichtenboot geworfen, fiel aber ins Wasser. John Workmann sprang und rettete den Kasten. Der Herald war die erste Zeitung Amerikas, welche über das Unglück und die gigantische Rettungsaktion berichtete.

John erhielt von Bennett für seine Dienste fünfzig Dollar. Damit gründete er ein Heim für obdachlose Zeitungsjungen. Jeder zahlte pro Tag für den Aufenthalt fünf Cent, für Essen und Trinken fünf Cent und für das Übernachten nochmals fünf Cent. Damit wurden die laufenden Kosten gedeckt. Zugleich hatte er damit seiner Mutter, welche die Leitung des Heimes übernommen hatte, ein sicheres Einkommen geschaffen.

Nun brach er nach dem Westen auf. Während er schlief, überfielen ihn Indianer und schleppten ihn zu ihrem Lager, um ihn an den Marterpfahl zu binden. Ihr Häuptling Schwarzer Adler erklärte John, daß es sich hier um Pfadfinder handelte.

John schlief im Zelt von Fred Harryson, der noch Schüler war und Ingenieur werden wollte. Er fuhr mit ihm in der Eisenbahn gen Westen, um Geld zu verdienen. Am Bahnhof, mitten in einer gewaltigen Einöde, stiegen sie aus. Nachdem sie eine motorlose Dräsine (ein einfaches Schienenfahrzeug) mit einem Segel versehen hatten, fuhren sie auf einer Feldbahn durch die Prärie, um zur Farm zu kommen, auf der sie arbeiten wollten. Vor ihnen war jedoch ein großer Flächenbrand. John deckte sich und Fred mit Jacken ab und fuhr geradewegs durch die Flammenwalze. Sie hatten dadurch nur leichte Verbrennungen erlitten. Dann hörten sie ein Stöhnen. Sie fanden den meistgesuchten Verbrecher Bill Smith, der vom Feuer tödliche Wunden erhalten hatte. Beide erhielten zu gleichen Teilen die Belohnung für Bills Ergreifen und den Finderlohn für das von ihm gestohlene Silber und Gold, das er mit sich geführt hatte. Auf Bennetts Aufforderung hin schrieb er darüber für den New York Herald und ein Mitarbeiter der Farm übermittelte den Artikel telegraphisch.

Auf dieser Farm lernte er mit der Maschine mähen, dreschen und binden. Er pflügte und eggte. Dann trieb er zusammen mit Cowboys Rinder zur Eisenbahnhaltestelle und lernte, wie sie zu bändigen waren, als sie bei einem Gewitter in Panik davonstürmten. Er begleitete die Tiere im Zug bis Chikago, fütterte und tränkte sie.

In Chikago wurde ihm der Betrag des Schecks ausgezahlt, den er auf der Farm erhalten hatte, mehr als zweitausendsechshundert Dollar. Auf der Straße sprach ihn jemand an, der am Schalter hinter ihm gestanden hatte. Er lud ihn in ein Restaurant zu einem Glas Wein ein, lenkte ihn ab, gab K.-O.-Tropfen in Johns Glas und wartete dann ab, bis bei John die Betäubung einsetzte. Als John erwachte, fehlte seine Brieftasche. Glücklicherweise hatte er den größten Teil des Betrages in seine Geldkatze gesteckt, sodass nur hundertunddreißig Dollar fehlten.

Er traf am Hafen einen Arbeiter, der mit ihm die Rinder im Zug gefüttert hatte. Dieser stellte ihn einem Kollegen vor, der ihn einlud, bei ihm zu wohnen und in der gleichen Fleischfabrik wie er zu arbeiten. Einige Arbeiter beschimpften den Ingenieur und wurden sofort entlassen. Die verbliebenen mußten länger arbeiten, da Arbeiter fehlten. John bemerkte, daß das Schmieröl bei den Kühlaggregaten dunkel war, teilte dies dem Ingenieur mit und der entdeckte, daß die Entlassenen vor ihrem Rauswurf Schmirgelpulver hinzugefügt hatten, das nach drei Stunden die Funktion der Maschinen beenden würde. Der Ingenieur ließ alle Maschinen stoppen und die gewaltige Reinigungsaktion begann. Pro Maschine waren zwei Stunden notwendig, um alles Schmirgelpulver mit Petroleum auszuspülen. Bei acht Grad wäre das Fleisch verdorben, doch sieben Grad wurden nicht überschritten. Nach vielen Stunden war die Arbeit beendet und die Temperatur der Kühlhäuser sank wieder auf ein Grad. John erhielt eine Gratifikation und der New York Herald berichtete.

Er kehrte nach New York zurück, umarmte seine Mutter und wurde von den Zeitungsjungen mit Jubel empfangen. Er besuchte die Feuerwache am Hafen und erlebte auf einem ihrer Schiffe, wie die Folgen einer Dynamitexplosion bekämpft wurden. Auch darüber schrieb er im New York Herald.

Nun fuhr der ewig Rastlose wieder mit der Bahn in den Westen. Er war jetzt siebzehn Jahre alt. Er wurde bei den Ford-Werken eingestellt und entwickelte das Taylorsystem weiter.

[Henry Ford (1863-1947) gründete am 16. Juni 1903 mit anderen Investoren die Ford Motor Company.

Frederick Winslow Taylor (1856-1915) optimierte die Prozeßsteuerung von Arbeitsabläufen. Grundlegend ist sein Werk: The Principles of Scientific Management, New York 1911.]

Als John Workmann ein Grundstück erbte, verkaufte er es an Henry Ford, der darauf ein Werk zur Flugzeugfertigung baute. Er selber wurde in diesem Werk leitender Ingenieur und ließ sich auch zum Piloten ausbilden.

Mit James Webster, einem Prospektor (Gold-, Erzschürfer) fuhr er nach Chile, um in den Anden nach Gold zu suchen. Sie wurden fündig und brachten viel Gold unter mancherlei Gefahren nach New York. Mit der Bank, die John Pierpont Morgan (1837-1913) 1871 zusammen mit einem Teilhaber gegründet und ab 1895 nur noch mit seinem eigenen Namen benannt hatte, schuf John Workmann ein großes Unternehmen, das Gold und Erze abbaute. Bereits mit zwanzig Jahren war er ein Millionär.

 

Zitate

Abseits von der wartenden Gruppe stand ein hochaufgeschossener blonder Junge von etwa 12 Jahren, preßte sein Gesicht dicht an eine der großen Scheiben und schaute mit weitgeöffneten Augen auf die große Mehrfarbenpresse, welche ununterbrochen wie ein märchenhaftes Ungeheuer große, farbige Zeitungsblätter mit mathematischer Genauigkeit aus ihrem Innern herausbeförderte. Mit seiner ganzen kindlichen Intelligenz versuchte der Junge, sich den Vorgang klarzumachen und das Wunderwerk der modernen Technik zu verstehen. Sein sehnlichster Wunsch war es, auch einmal eine solche Maschine zu bedienen, ja, in seinem kühnen Traume sah er sich sogar als Besitzer solcher Maschinen, und wenn er auf dem Broadway seine Zeitungen verkaufte, hatte er das Gefühl, als stehe er im Dienste eines den Menschen unbekannten, ungeheuren mechanischen Riesen. – Ein Gefühl von Stolz und Selbstbewußtsein erfüllte dann den einfachen Zeitungsjungen, das ihn weit über seine Käufer hinaushob. (Dominik, John Workmann. Vom Zeitungsjungen zum Millionär, Menden 1982, 5f).

Sobald ein Junge seine Zeitungen erhalten hatte, eilte er in derselben Hast wie die Autos davon, und knapp zehn Minuten nach sieben Uhr erfüllten die gellenden Rufe der Zeitungsjungen den Broadway und rissen die Menschen durch den Ausruf der neusten Verbrechen oder sonstiger sensationeller Nachrichten aus ihren Gedanken.

Bereits um acht Uhr hatten die meisten Jungen ihre Zeitungen verkauft und gingen nach Hause, wenn sie ein Zuhause besaßen. Aber nur wenige unter den zehn- bis zwölfjährigen Jungen hatten ein Heim. Wie nestlose Vögel, wie die Spatzen, krochen sie in irgendeinen versteckten Winkel, der sie etwas gegen Kälte und Regen schützte. Dort schliefen sie – ein Paket alter Zeitungen unter dem Kopf – mit einer alten Decke, wie sie von den großen Auswandererdampfern im Hafen verschenkt wurden, zugedeckt. Wer keine Decke besaß, wickelte sich in die großen Zeitungsblätter. Wieder andere, die nicht so sparsam waren, bezahlten in einem der verrufenen 10-Cent-Hotels ein schmutziges, hartes Lager.

Hart und unerbittlich ist der Weg der meisten Zeitungsjungen, und doch – mit Stolz betrachtet der Amerikaner die wetterharten, zielbewußten, flinken Burschen und nennt sie: „die Finanzgarde“; denn aus diesen Reihen, aus dieser harten Schule kamen viele der leitenden großen Männer Amerikas. (Millionär, 7).

Vor einem alten Lagerhaus blieb John stehen. Vorsichtig tastete er sich auf einem dunklen Seitenweg neben dem Gebäude zum Hof und kletterte dann eine an der äußeren Wand befestigte Stiege empor.

Eine Art Lattentür stieß er oben am Ende der Treppe auf. Er mußte sich bücken und trat in einen niedrigen, kammerartigen Verschlag – die Wohnung des kleinen Charly Beckers.

Kein Licht erhellte den Raum, und da auf dem Hofe keine Laterne brannte, blieb John Workmann in der Öffnung des Verschlages stehen und rief.

Aus dem Dunkeln antwortete die dünne, heisere, vom Husten unterbrochene Stimme eines Jungen:

„Ja, John, ich liege hier.“

„Hast du kein Licht?“

„Ja – gleich neben der Tür steht eine Laterne. Ich war zu schwach, mich aufzurichten und sie anzuzünden.

John Workmann kramte aus seiner Tasche eine Schachtel mit Streichhölzern und zündete die neben der Tür stehende Stallaterne an, die statt [ein] Glas [zu haben] mit Ölpapier beklebt war. Jetzt konnte er den Raum notdürftig übersehen. Im hinteren Winkel, gleich unter dem Dach, lag auf einem Haufen von Papier, Stroh und Lumpen der kleine sechsjährige Charly Beckers. Eine alte Decke und zerrissene Säcke deckten ihn bis an den Hals zu. Mit fieberglänzenden Augen schaute der kleine Knirps auf seinen Kameraden, der neben dem Lager niederkniete und ihm die Hand auf die glühende Stirn legte. (Millionär, 11f).

„Ich binʼs, Charly“, sagte John Workmann und hockte sich ganz dicht an das Lager des Kranken. – „Erkennst du mich?“

„Ja“, hauchte Charly Beckers, „ich habe schon gewartet. Kurz bevor du kamst, träumte ich von einem goldenen Engel, der durch die Tür hereinkam und mich mit sich nehmen wollte. Und dann bekam ich wieder furchtbare Angst und wachte auf. – – – Gut, daß du da bist.“

John Workmann nahm die neben dem Bett stehende Medizinflasche und flößte Charly Beckers einige Tropfen zwischen die Lippen. (Millionär, 20).

Starr hingen die Augen von John Workmann an den mächtigen weißen Schleifen eines Lorbeerkranzes, die wie ein Banner von dem Sarg fast bis zum Boden herabreichten und auf denen in großen Goldlettern gedruckt stand:

„Ihrem toten Kameraden Charly Beckers
Seine Kameraden vom Broadway!“

Und die New Yorker stauten sich zu beiden Seiten der Straßen, die der Zug passierte, und blickten mit scheuer Bewunderung auf die ärmlich gekleideten Zeitungsjungen, welche ihrem Kameraden ein so glänzendes Begräbnis zuteil werden ließen. (Millionär, 25f).

Eine Stunde, bevor er gekommen war, hatten ihr Nachbarinnen die Abendzeitungen gebracht, und an erster Stelle konnte sie den Namen ihres Jungen lesen mit großen Buchstaben, wie sie die Zeitungen nur bei Königen, Fürsten oder großen Ereignissen gebrauchen. Und darunter die Beschreibung vom Begräbnis des kleinen Charly Beckers nebst Bildern. (Millionär, 27).

Es gibt einen Unterschied, den der liebe Gott in den Menschen hineinlegt. Der eine besitzt Kraft, der andere Intelligenz. Die Menschen, die nur Körperkraft besitzen, vermögen auf dem Arbeitsplatz, auf dem sie stehen, einzutreten und das genügt ihnen auch. Derjenige Mensch aber, der mit großer Intelligenz begabt ist, kann diese nur voll ausnützen, wenn seine Arbeit mit seiner Intelligenz im Einklang steht. (Millionär, 53).

„Stehlen, sagte mein alter Lehrmeister, aber nicht mit den Fingern, sondern nur mit den Augen. So ist die Sache zu verstehen, Jonny. Wenn du vorwärtskommen willst, mußt du mit sehenden Augen durch die Welt gehen und auf alles achten, alles zu begreifen versuchen.“ (Millionär, 65).

„Nein, Mister Bennet“, erwiderte John Workmann sehr energisch, „ich glaube, ein Mensch, der zwei Dollar besitzt, wird nicht um fünf Cent verlegen sein.“

„Das verstehe ich nicht, wie meinst du das?“

„Sehr einfach“, erklärte John Workmann, „ich habe meiner Meinung nach mehr Verstand in meinem Kopfe, als nötig ist, um eine Maschine zu bedienen.“ (Millionär, 84).

Ich habe ein Geheimnis der Millionäre entdeckt. – Es lautet: Viel Wenige machen ein Viel. (Millionär, 111).

„Diese 5 Cent für ein Klublokal sind gut angelegtes Geld. Denn ihr könnt, falls ihr auf der Straße leben müßt, euch schwere Krankheiten zuziehen. Ich erinnere nur an das Schicksal des kleinen Charly Beckers. Ich glaube sicher, er würde heute noch leben, wenn er nicht in so entsetzlichem Elend hätte wohnen müssen.“ (Millionär, 112).

Wie hatte doch der alte Werkführer Miller zu ihm gesagt: Dumm sein ist keine Schande, aber dumm bleiben! (Millionär, 125).

Das also war das Geheimnis; Etwas können, etwas wirklich gut und vollendet können und dann dieses Können an der richtigen Stelle verwerten und niemals mit dem Erreichten zufrieden sein. Stets weiterstreben und weiterlernen. (Millionär, 127).

„Welcher Amerikaner kennt nicht die Geschichte Edisons“, meinte Edward Winstons lachend. „Mit 15 Jahren Telegrafist, mit 18 Jahren Boß in einem Telegrafenamt und dabei unverwüstlicher Erfinder. Was uns Roosevelt vom strenuous life, vom angestrengten Leben erzählt hat, ist für Edison sicher nichts Neues.“ (Millionär, 129).

Einen Stärkeren überwindet man stets, wenn er sich nicht wehren kann. (Millionär, 141).

Und im Geiste sah er sich bereits im Besitz des Landes, herrschend wie ein großer Fürst und Tausenden Arbeit und Brot gebend. Er brauchte ja jetzt nur in die weite, unendliche Welt hineinzuwandern, und in ihm war eine Stimme, die ihm sagte:

„Du wirst das finden, was du hier suchst.“

Dann überlegte er. Eigentlich war es eine Dummheit, daß er auf die Manituba Farm ging, um dort wie ein gewöhnlicher Arbeiter mehrere Monate lang Geld zu verdienen. Er glaubte ja doch zu wissen, daß man Geld nicht mit den Händen verdient, sondern dadurch, daß man Tausende von anderen Händen für seine Sache in Bewegung setzt. Aber natürlich müßte er erst eine solche große Sache sein eigen nennen. (Millionär, 163f).

„Fernschreiben und lesen sind zweierlei“, erklärte Mr. Clarke. „Dieser Mann ist ein Aß. Er hat sich im Postbetrieb etwas überarbeitet und hier auf der Farm Stellung genommen, um seine Nerven zu erholen. Aber er arbeitet wie eine Maschine. Er liest das geschriebene Wort herunter und schreibt es gleichzeitig, ohne überhaupt seinen Sinn zu begreifen. Gerade so, als ob er nicht gutes Englisch, sondern Deutsch oder Französisch abschreibt. Ich wette, der Mann hat auch nicht eine Ahnung, wovon der Bericht überhaupt handelte. Aber solche Leute sind gut für uns. Solche Leute brauchen wir.“

John Workmann und Fred Harryson wanderten durch die Augustnacht ihrem Heulager zu.

„Das ist ja kein Mensch, Fred, sondern eine Maschine. So möchte ich niemals arbeiten. Ich will bei meiner Arbeit auch denken.“ (Millionär, 183).

John Workmann wurde unruhig. Er hatte in dem einen Jahr hier viel gelernt und noch mehr gesehen. Aber er hatte auch begriffen, daß er hier kaum finden würde, was er immer noch suchte: die Möglichkeit einer schrankenlosen Entwicklung nach oben. Wenn er Glück hatte und wenn er sich Zeit ließ, konnte er es hier vielleicht einmal bis zum Inspektor bringen. Aber das war nicht sein Ideal. Ihm schwebte ein Mann wie Mr. Bennet vor. Ein Mann, der Millionen von Menschen beeinflußte, Millionen von Dollars verdiente und auf die Weltpolitik einwirkte. So beschloß er, die erste Gelegenheit zu benutzen, um weiterzuwandern. (Millionär, 185f).

In New York hatte er sich zu allen Tages- und Nachtzeiten in den verrufensten Vierteln umhergetrieben, und niemals war ihm etwas passiert. Niemals hatte er auch nur das Gefühl einer Unsicherheit gehabt. Jetzt, mit der großen Summe Geldes, wurde er das Gefühl der Unsicherheit nicht los. Er suchte den Grund dieser Erscheinung und fand ihn nach einigem Nachdenken. Als er selbst noch zu den Ärmsten der Armen gehörte, war natürlich kein Mensch auf die Idee gekommen, bei ihm etwas zu suchen. In dem Augenblick dagegen, wo er in Banken ging, wo er Schecks einkassierte und Tausenddollarnoten in der Hand hielt, mußte er logischerweise die Aufmerksamkeit derjenigen auf sich ziehen, die vom Verbrechen an ihrem Nächsten lebten. (Millionär, 209).

„Können Sie mir die Karte einen Tag hierlassen?“

„Nein, Sir, diese Karte ist das Kostbarste, was ich besitze. Seit jener Unterredung, bei der Mr. Bennett sie mir gab, habe ich meinen Weg erkannt.“

„Und wohin soll dieser Weg führen?“

„Zum Millionär.“ (Millionär, 222).

Heftiger denn je tobte hier der Lärm der Zeitungsjungen. Gellend schrien sie die Überschriften in das Publikum, die Mr. Berns vor einer knappen halben Stunde geschrieben hatte.

„Authentische Informationen über die Betriebe von Armour and Company.“ [Diese Firma wurde 1867 gegründet.] „Unser Spezialberichterstatter John Workmann.“ „Unerkannt im Betriebe von Armour and Company.“ „Seine Erfahrungen in der Packerei.“ [Dieser Ausdruck kommt daher, weil das zerteilte, geräucherte oder gepökelte Fleisch zum Schluß des Arbeitsprozesses in Konservendosen gepreßt, also abgepackt, wird.] „Dreißig Schweine in der Minute.“ „Tausend Rinder am Tag.“ (Millionär, 231).

„Ich erinnere mich“, sagte John Workmann, „daß seinerzeit die Docks des Norddeutschen Lloyd brannten, große Ozeandampfer in Flammen gerieten und viele Menschen dabei umkamen.“

[Das walisische Adjektiv llwyd bedeutet grau und wird als Vorname verwendet.

Edward Lloyd (1713), dessen Vorfahren aus Wales stammten, eröffnete 1688 ein Kaffeehaus in London, in dem sich Seeleute, Kaufleute und Schiffseigner trafen und Geschäfte sowie Versicherungsangelegenheiten besprachen.

Lloyd bezeichnete seit dem 18. Jahrhundert Unternehmen und Institute der Handelsschiffahrt und des Seefahrt-Versicherungswesens.

Der Norddeutsche Lloyd wurde am 20. Februar 1857 von Hermann Heinrich Meier (1809-1898) und Eduard Crüsemann (1826-1869) in Bremen gegründet. Am 30. Juni 1900 brach am Hoboken-Pier in New York ein Großbrand aus. Dabei wurden die Schiffe Bremen, Main und Saale schwer beschädigt. Das Feuer war von einem Baumwollballen durch Selbstentzündung oder Brandstiftung ausgegangen und hatte schnell die hölzernen Gebäude und die gelagerten Waren in Brand gesetzt, angefacht durch starken Südwind. Dreihundert Menschen kamen ums Leben.]

Das frische Gesicht des alten Mannes wurde bleich und grau.

„Yes, Sir. – Sie tun mir keinen Gefallen, mich daran zu erinnern. Wenn an der Williamsburg-Brücke das gefährlichste Feuer war, das wir zu bekämpfen hatten [dieses Großfeuer brach am 26. November 1912 infolge der Explosion einer Schwefelfabrik aus], so war der Brand der Norddeutschen Lloyd-Docks das Entsetzlichste, das ich erlebt habe. Wie wir endlich die großen Ozeansteamer in den Ozean hinaustrieben, eine rote, farbige Hölle, mit Flammen, so hoch wie die Wolkenkratzer, mit Rauchwolken, so dicht, als wäre die ganze Luft ein einziger Ruß und Qualm, und wir mit unseren Feuerbooten dicht zu Seiten dieser brennenden Dampfer lagen, da kam erst das Gräßliche: Auf eisernen Leitern, die so heiß waren, daß uns die Haut an ihnen klebenblieb, standen wir und versuchten, die engen Bullaugen in den dicken Schiffswandungen mit unseren Äxten zu zerschlagen, um den armen Menschen, die dahinter standen und halb verrückt uns um Hilfe und Rettung anwimmerten, die rasend, verzweifelt, gellend und unsinnig schrien, Hilfe zu bringen. Und wir mußten von draußen zusehen, wie hinter ihnen die Teufelslohe, das fressende Feuer, gierig in die Kabinen eindrang. Und dann! – Vorbei, Sir! – Noch oft schrecke ich des Nachts aus wüsten Träumen empor. Dann höre ich die Rufe der Unglücklichen. Dann schlage ich wild mit den Fäusten in die Luft, als habe ich noch eine Axt und es würde mir gelingen, die dicke Schiffswand aus Stahl und Holz zu durchschlagen. – Yes, Sir. – Ein einziges Leben habe ich gerettet –.“ Die Stimme des alten Seebären wurde leise und rauh, fast heiser. John Workmann sah, daß seine klaren Augen einen feuchten Glanz erhielten und ein paar Tränen langsam über die Wangen hinabliefen.

„Ich habe ein kleines Kind, einen Säugling gerettet, den gab mir die Mutter durch das Fenster, durch diese kleinen Fenster, die nur so groß sind, daß ein Kind von wenigen Monaten hindurch kann. Und bis zum letzten Moment hielt ich das Kind der Mutter an das Fenster. Sie herzte und küßte es, bis sie die Flammen töteten.“ (Millionär, 239-241).

Da stand er vor dem mächtigen eisernen Tor und überlegte. Bei allen diesen großen Betrieben – das hatte er inzwischen herausgefunden – kam es immer darauf an, möglichst schnell und gradlinig an die rechte Stelle zu gelangen. Sein Vater, ein Deutscher, hatte aus seiner Heimat das Sprichwort mit über das große Wasser gebracht: „Man soll immer zum Schmied gehen und nicht zum Schmiedchen.“ (Millionäre, 253).

Der Amerikaner beherzigt auch heute noch das alte Sprichwort: Look the manʼs eye: Sieh dem Mann in die Augen. Wer den scharfen, prüfenden Blick des anderen frei aushält, wer nicht verlegen oder schuldbewußt die Augen niederschlägt, der ist bei der Prüfung schon zur Hälfte durchgekommen. (Millionär, 277).

Ein Drang nach Höherem und irgendwie Besonderem war wieder in ihm lebendig und zog ihn unklar in die Ferne. (Millionär, 293).

Wer nicht das rechte Unternehmen im rechten Augenblick ergriff, der hatte schweren Mißerfolg, wie zahlreiche industrielle Zusammenbrüche bewiesen. (Millionär, 301).

„Mr. Webster, ich glaube, wer etwas gewinnen will, der muß auch etwas riskieren.“ (Millionär, 329).

„Die erste Million ist die Schwerste. Die folgenden werden viel leichter erworben.“ (Millionär, 384).

„Ein gutes Geschäft soll beide Teile erfreuen.“ (Millionär, 391).

Andrew Carnegie [1835-1919] hat einmal gesagt: Wer es bewirkt, daß zwei Grashalme wachsen, wo vorher nur einer wuchs, der hat nicht vergebens gelebt. (Millionär, 400).

 

Einige Werke Dominiks

o   Befehl aus dem Dunkel, Berlin 1933.

o   Das Erbe der Uraniden, Berlin 1928.

o   Das stählerne Geheimnis, Berlin 1934.

o   Der Wettflug der Nationen, Leipzig 1933.

o   Die Macht der Drei. Ein Roman aus dem Jahre 1955, Leipzig 1922.

o   Die Spur des Dschingis-Khan, Berlin 1923.

o   John Workmann, der Zeitungsboy. Eine Erzählung aus der amerikanischen Groß-Industrie, zusammen mit seinem Co-Autor Kurt Matull (Eduard Carl Otto Wangemann; 1872-1920), Band 1: Im Reich des Zeitungsriesen, Berlin 1909; Band 2: Wanderjahre im Westen, Berlin 1921; Band 3: Neue Wunder der Großindustrie, Berlin 1921; Band 4: Lehr- und Meisterjahre im Süden, Berlin 1925.

o   König Laurins Mantel, Berlin 1928.

o   Land aus Feuer und Wasser, Leipzig 1939.

 

Literatur über Dominik

o   Fischer, William B., The Empire Strikes out. Kurd Lasswitz [1848-1910], Hans Dominik, and the Development of German Science Fiction, Bowling Green, Ohio 1984.

o   Härtel, Christian, „Vom Schraubstock zum Schreibtisch.“ Populärliteratur für die Volksgemeinschaft am Beispiel Hans Dominiks, in: Im Pausenraum des „Dritten Reiches“, herausgegeben von Carsten Würmann und Ansgar Warner, Bern 2008, 183-197.

o   Heermann, Christian, Eisbomber aus Bitterfeld. Hans Dominik und Hugo Junkers [1859-1935], Dessau 2014.

o   Hermand, Jost, Weiße Rasse – Gelbe Gefahr. Hans Dominiks ideologisches Mitläufertum, in: Utopie, Antiutopie und Science Fiction im deutschsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Hans Esselborn, Würzburg 2003, 48-58.

o   Hrachowy, Frank O., Der Autor als Agentur der Moderne. Hans Dominik und die Transformation populärer Literatur, München 2010.

o   Münch, Detlef, Hans Dominik und seine frühen technischen Gegenwartsromane der Jahre 1909-1916, Dortmund 2008.

o   Münch, Detlef, Zukunftskriege, Wunderwaffen, Zukunftsreiche im utopischen Werk von Hans Dominik 1921-1934 mit einer Betrachtung der NS-Zensur seiner Romane, Dortmund 2017.

o   Pietrek, Klaus W., Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Nation. Einige Überlegungen zu Hans Dominik und der Tendenzliteratur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Das Science Fiction 5 (1990), 83-99.

 

Nachwort

Dieses Buch, das Kindern vorgelesen wurde, handelt vom Amerikanischen Traum: Vom Zeitungsjungen (oder: Vom Tellerwäscher) zum Millionär. Nordamerika bezeichnete sich gern als Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Positiv ist, daß hier Zielstrebigkeit, Fleiß und Gestaltungsvermögen beispielhaft dargelegt werden. Realistisch ist, daß auch die Verlierer des Wettrennens genannt werden, die der Trunksucht und der Verzweiflung anheimfallen oder auf die schiefe Ebene geraten.

Negativ sind die Rastlosigkeit, die kaum Zeit für die Gründung einer Familie gibt, und die unverhohlene Habsucht. Sind das nicht die offenen Adern Lateinamerikas, durch die der Reichtum des Landes in den Norden fließt?

 

© Dr. Heinrich Michael Knechten, Düsseldorf 2023

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