Kirchen und Klöster

in Rußland und Georgien

im Juli 1987

 

Freitag, 17. Juli 1987

12.30 Uhr Flug ab Frankfurt mit der Luftlinie Aėroflot. In Moskau sind wir im Hotel Kosmos untergebracht, das mehr als dreitausend Personen beherbergen kann hat. Dieses Hotel befindet sich auf der anderen Straßenseite gegenüber der Allunionsausstellung (Выставка достижений народного хозяйства – Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft, seit 1958) und wurde im Jahre 1979 nach dem Entwurf des französischen Unternehmens Sefri für die Olympischen Spiele 1980 erbaut. Vor dem Hotel steht eine Statue zum Gedenken an den französischen Präsidenten Charles de Gaulle (1890-1970).

Unter der Leitung des evangelischen Pfarrers Martin Bauer (1939-2021) aus Emmerich machen wir eine Kirchenreise, die zu dieser Zeit noch ungewöhnlich ist. Unser Dolmetscher Valérij stammt aus Riga.

Die Kirche wird zu diesem Zeitpunkt noch unterdrückt, wie aus folgender Statistik hervorgeht:

Jahr

Anzahl der geöffneten Kirchen

1971

7.274

1975

7.062

1976

7.038

1981

7.007

1986

6.794

 

(Quelle: Василий Григорьевич Фуров (1907-1998), Извлечение из отчета Совета по делам религии членам ЦК КПСС.)

In Moskau gibt es 48 geöffnete Kirchen. Wenn 10 % der Einwohner zur Kirche gehen, bedeutet dies, daß jeweils eine Kirche für 10.000 Menschen vorgesehen ist. Im Norden Rußlands gibt es gar keine geöffneten Kirchen. Um diesen Zustand zu vertuschen, befinden sich neben den Touristenhotels geöffnete Kirchen. Dadurch entsteht der Eindruck von Freiheit der Religionsausübung. In Wirklichkeit dürfen keine Glocken geläutet werden und die Kirche hat sich strikt auf die Feier der Liturgie zu beschränken. Jede Form von Seelsorge oder religiöser Unterweisung ist untersagt.

Moskau nimmt eine Fläche von 900 Quadratkilometern ein und hat 8,8 Millionen Einwohner. Mit 22,4 Millionen Quadratkilometern ist dieses Land das flächenmäßig größte der Welt. Seine Länge von Ost nach West ist mehr als 10.000 Kilometer, von Nord nach Süd 4.500 km. Auf diesem Gebiet leben 282 Millionen Einwohner. Es gibt hier mehr als 130 Nationalitäten und Völkerschaften.

Die Uhr wird um zwei Stunden vorgestellt. Ich habe das Zimmer 15 im 23. Stockwerk und kann aus dem Fenster auf die Stadt blicken. Das Hotel hat insgesamt 25 Stockwerke.

An der Metrostation ВДНХ ist das Denkmal für die Eroberer des Weltraums (Монумент покорителям космоса), volkstümlich: Sputnikdenkmal, 1964 errichtet. Es stellt eine ansteigende Rakete mit einem blinkenden Schweif aus Titan dar. In dem mit Reliefbildern verzierten Sockel ist das Museum für Kosmonautik. Eine Allee, die mit Skulpturen der Helden des Kosmos geschmückt ist, führt zur Friedensavenue (Проспект мира), an dem das Hotel Kosmos liegt.

Der Fernsehturm in Ostankino, der 1967 erbaut wurde, ist 537 Meter hoch. In 328, 331 und 334 m Höhe befindet sich die drei Säle des Restaurants, das sich um die Achse des Turmes dreht. Vom Hotelzimmer aus erscheint er ganz nah.

Zum Abendessen gibt es Mineralwasser, weißes und dunkles Brot (Komißbrot, хлеб, weil es klebt), Butter und Krautsalat (Kohl, Kappes). Zum Hauptgericht gekochtes Kraut, Rindfleisch und Soße. Als Nachspeise Kuchen und Schwarzen Tee aus dem Samovar (Selbstkocher).

Fahrt mit der Metro ins Zentrum und Gang zum Roten Platz. Der Kreml (Кремль – Festung, Burg): Die Anhöhe im Winkel zwischen dem Fluß Moskva (Москва – Moskau) und der einmündenden Neglinka wird bereits 1156 als befestigter Fürstensitz erwähnt.

In der Mariä Entschlafenskathedrale (Успенский собор; Fest am 15./28. August) wurden Metropoliten und Patriarchen inthronisiert, Großfürsten und Zaren gekrönt. Der Metropolit von Kiev und der ganzen Russischen Lande, Pëtr, verlegte 1325/1326 seinen Amtssitz nach Moskau. Zur gleichen Zeit ließ Großfürst Ivan Danilovič Kalita (der Geldbeutel, der Sammler der Russischen Lande) den Grundstein für den Vorgängerbau legen. Dies war die erste Kirche in Rußland, die aus Stein erbaut worden war. Ivan III. Vasilʼevič der Große ließ an Stelle dieses Gebäudes 1475 bis 1479 ein neues als Staatskirche errichten. Architekt war Aristotele Fioravanti aus Bologna. Die Ikonostase ist von 1652. Besonders verehrt wird die Ikone der allheiligen Gottesgebärerin aus Vladimir (Владимирская). In Notzeiten wurde sie stets mitgeführt.

Die Erzengel-Michael-Kathedrale (Архангельский собор), erbaut 1505 bis 1508 von dem Architekten Aloisio Nuovo aus Mailand, hat silberne Kuppeln, weil sie die Grabkirche der Zaren ist. (Die Kuppeln der vorrangig der Liturgie gewidmeten Kirchen, sind vergoldet). Es ist eine dreischiffig angelegte Kreuzkuppelkirche mit Hauptkuppel. Der Vorgängerbau stammte von 1333 (Ivan Kalita).

Die Mariä Verkündigungskathedrale (Благовещенский собор, Fest am 25. März) ist die Hofkirche der Zaren. Der Vorgängerbau von 1397-1416 wurde 1482 abgetragen und die Baumeister aus Pleskau errichteten auf dem hohen Natursteinsockel einen neuen Bau. Vom Zarenpalast führt ein Übergang zur Empore der Kathedrale.

Die Gewandniederlegungskirche wurde 1484 bis 1486 erbaut zum Andenken daran, daß die Tataren am 2. Juli 1451 kampflos abgezogen waren, obwohl sie am Vortage die Stadt Moskau heftig angegriffen hatten. Der Hintergrund ist folgender: Am dritten Tage nach dem Tode der allheiligen Gottesgebärerin wurde ihr Grab in Jerusalem leer aufgefunden; nur noch ihre Gewänder lagen dort. Zur Aufnahme dieser Gewänder entstand in Konstantinopel die Blachernenkirche, die am 2. Juli 452 eingeweiht wurde. Die Blachérnai sind eine Vorstadt im Nordwesten Konstantinopels.

Die Kirche Mariä Schutz und Fürbitte (Покров, Fest am 1./14. Oktober) wurde 1555-1560 vom Baumeister Postnik im Auftrage von Zar Ivan IV. Vasilʼevič dem Schrecklichen (Грозный) erbaut. Das Volk gab ihr den Namen Basiliuskathedrale nach Vasilij, der als Tor um Christi willen (1 Kor 4, 10) nackt und barfuß in Moskau lebte und Zar Ivan dem Schrecklichen bildhaft vorwarf, er esse das Fleisch der Menschen. Um den Zentralbau gruppieren sich vier Turmkapellen in deren Winkeln wiederum vier Turmkapellen emporstreben. Wie züngelnde Flammen geben sie ein vielfarbiges Bild des Orients. Ivan ließ diese Kirche ja zum Sieg über die Kazaner Tataren erbauen.

Valerij sagte uns die Anzahl der geöffneten Kirchen nach staatlichen Angaben und lud uns ein, sie mit kirchlichen Aussagen zu vergleichen. Immerhin feiert die Russische Orthodoxe Kirche im nächsten Jahr ihr tausendjähriges Bestehen. Seit 1917 wurde sie verfolgt, doch nun wächst ihr Selbstbewußtsein.

Samstag, 18. Juli Tag der Auffindung der Gebeine des heiligen Sergij von Radonež

Unter dem Kopfkissen hatte ich meinen Brustbeutel mit Paß und Geld vergessen. Die Dame, welche das Zimmer reinigen wollte, entdeckte ihn und händigte ihn mir aus. Ich stand bereits am Aufzug, der aber glücklicherweise auf sich warten ließ. Mich durchfuhr ein heißer Schrecken.

Sergiev Posad liegt 70 km nordöstlich von Moskau. Der Ort war von 1930 bis 1991 nach dem Revolutionär Vladimir Michajlovič Zagorskij (1883-1919), eigentlich: Wolf (Volʼf) Michelevič Lubóckij, Zagorsk benannt.

Varfolomej lebte nach dem Tod seiner Eltern zunächst als Eremit und empfing dann bei der monastischen Tonsur den Namen Sergij. Als sich ihm Brüder anschlossen, empfing er widerstrebend die Priesterweihe und wurde Klostervorsteher. Er erbaute eine hölzerne Kirche, die er der Dreieinigkeit weihte, und Zellen für die Brüder. Dies geschah um 1340.

In Sergiev Posad ist das größte Kloster Rußlands und der Amtssitz des Patriarchen. Um 14.00 Uhr wird sich Patriarch Pimen I. (Izvekov; 1910-1990) heute dem Volk vom Balkon aus zeigen. Das Kloster wird mit dem Ehrennamen Lavra (λαύρα – Straße, Kloster; Großkloster im slavischen Sprachgebrauch) bezeichnet, deren es in Rußland und in der Ukraine nur vier gibt. Die anderen drei sind das Höhlenkloster in Kiev, die Lavra Počáev (Počáiv) und die Aleksandr-Nevskij-Lavra in Sankt Petersburg.

Die Zahl der Mönche steigt beständig; jetzt sind es 130. Nur Mönche können Bischof und Patriarch werden.

Moskau wird durch Wehrklöster geschützt. Im Süden sind dies Simonov, Danilov, Andronikov, Novospaskij (das neue Erlöserkloster), Novodevičij (Neujungfrauenkloster) und Donskoj, im Norden das Dreieinigkeits-Sergij-Kloster.

Seine Mauern sind 1360 m lang, 7 bis 14 m hoch und 6 m dick. Es gab Lauschfenster, durch die man hören konnte, ob die Gegner die Mauer unterminierten. Die Mauern haben dreigeschossig angelegte Schießscharten für Hakenbüchsen und Kanonen. Es gibt elf Festungstürme. Der schönste von ihnen ist der Ententurm von 1650 in der Ostecke der Festung, auf dessen Spitze eine Ente aus weißem Kalkstein ist, zur Erinnerung an die Aufenthalte Peters des Großen, der während der Strelizenaufstände 1682 und 1689 hier Schutz fand und sich die Zeit durch Entenjagd vertrieb.

1608 bis 1610 war das Kloster von polnisch-litauischen Truppen belagert. 35.000 Belagerer standen 2.500 Verteidigern gegenüber: Mönche, Strelizen (Schützen) und Bauern. Der Kampf war verlustreich. Man wußte nicht, ob man zuerst Leichname bestatten oder Verteidigungsmauern bauen sollte. Sie entschieden sich für Letzteres. Daher trugen sie die Leichname in die Mariä-Entschlafenskathedrale. Dort blieben sie bis zum Ende der Belagerung. Wegen des Frostes verwesten sie nicht. Von den 2000 Mönchen überlebten nur 200. Die Belagerer erlitten eine Niederlage und konnten keine weiteren Eroberungen im Land machen.

Die Dreieinigkeitskathedrale entstand 1423 und ist damit eines der ältesten erhaltenen Gotteshäuser im Gebiet Moskau. Auf die kielförmigen Sakomaren (Mauerabschlüsse) wurden Kokošniki (halbrunde Schilde, die nach dem gleichnamigen Kopfputz der Frauen benannt sind) gesetzt. Dadurch wurde die Strenge des Baukörpers aufgelockert. In der Ikonostase ist die Ikone der Alttestamentlichen Dreieinigkeit von Andrej Rublëv. Wir erleben die Göttliche Liturgie. Während der Priesterkommunion wird die Ansprache gehalten. Die Gesänge, die ergreifende Gläubigkeit – mir stehen die Tränen in den Augen.

Ich zähle 35 Mitrenträger. Hauptzelebrant ist der Metropolit von Minsk und Sluck, Filaret (Bachroméev; 1935-2021), der auch Leiter des Außenamtes der Russischen Orthodoxen Kirche ist. Ihm stehen zur Seite: der Metropolit von Volokolamsk und Jurʼjev, Pitirim (Nečáev; 1926-2003) und der Metropolit von Odessa und Cherson, Sergij (Petróv; 1924-1990). Es konzelebriert außerdem der Erzbischof von Smolensk, Kirill (Gundjáev). Er wird 1989 Erzbischof von Smolensk und Kaliningrad (Königsberg) sowie Leiter des Außenamtes der Russischen Orthodoxen Kirche. 1991 wird er Metropolit, 2008 Stellvertreter des Patriarchen und 2009 Patriarch. Anwesend ist auch der evangelische Landesbischof von Dresden, Johannes Hempel (1929-2020). Zum Schluß wurde das Мнҩгаѧ лѣта (Auf viele Jahre) gesungen, zuerst auf den Patriarchen, dann auf die Bischöfe, das Kloster und das Volk.

Die Mariä-Entschlafenskathedrale wurde 1554 bis 1585 erbaut. Sie faßt fünftausend Menschen. Auf dem Platz davor können weitere 15.000 Menschen stehen.

Unser Klosterführer ist Erzdiakon Longin. Er zeigt uns auch die Refektoriumskirche, die dem heiligen Sergij geweiht ist. Das Refektorium wurde 1686 bis 1692 erbaut. Die Außenbemalung erinnert an ein Schachbrett. Die Ausmalung des Inneren stammt aus den Jahren 1778-1780, auf Anordnung der Zarin Katharina der Großen. Diese Kirche gilt als eines der besten Beispiele des Moskauer Barocks. Der nördliche Seitenaltar ist Ioasaf von Belgorod und der südliche Serafim von Sarov geweiht. Im Refektorium finden Festveranstaltungen, aber auch Synoden statt. Oberhalb der Kirche befindet sich die Klosterbibliothek, die alte Handschriften aufbewahrt.

In der Heilig-Geist-Kirche (Grundsteinlegung 1476) steht der Schrein des heiligen Sergij. Viele Gläubige beten hier. Ein älterer Mönch (старец) im Rollstuhl segnet und erteilt geistliche Ratschläge.

In Milchkannen holen die Pilger Wasser aus der Heiligen Quelle der Brunnenkapelle (17. Jahrhundert), die neben der Entschlafenskathedrale wie ein Spielzeughaus wirkt, für ihr Heim. Sie geben es auch kranken Tieren zu trinken. Ich frage eine Pilgerin aus Sibirien, wie lange sie unterwegs war. Sie antwortet: „Viele Monde“.

Der Glockenturm von 1741-1769 ist 87 Meter hoch und überragt den Ivan-Glockenturm im Moskauer Kremlʼ um sechs Meter. Er trägt 42 Glocken. Durch die gleich breiten Bögen in allen vier oberen Geschossen, durch die die Bögen rahmenden Kalksteinsäulen und durch seine sich verjüngenden Pylone (Eingangstore; hier Fensteröffnungen) sowie durch seine Türkisfarbe erscheint der Turm trotz seiner Größe wie schwerelos.

Das Kloster beherbergt die Moskauer Geistliche Akademie, an der berühmte Professoren lehren, wie Aleksej IlʼOsipov (Liturgie und Fragen gegenwärtigen Christseins) und Konstantin Efimovič Skurat (1929-2021; Kirchengeschichte, Patrologie und Spiritualität). Die Anfänge lagen bei der slavisch-griechisch-lateinischen Schule, die 1687 von Sophronios und Ioanniki Lichud in Moskau gegründet worden war. Der Dichter und Naturwissenschaftler Michaíl Vasílʼevič Lomonósov (1711-1765) trennte 1754 Geistliche Akademie und die Pflege der übrigen Wissenschaften. Damit gründete er die Moskauer Staatliche Universität. Die Geistliche Akademie wurde nach dem Brand des Moskauer Gebäudes im Jahre 1813 nach Sergiev Posad verlegt. Nach 1918 kam auch das Priesterseminar hierhin. Es gibt 500 Studenten. Sie verbringen vier Jahre im Priesterseminar und vier Jahre auf der Akademie. Mit ihnen studieren die zukünftigen Chorleiterinnen, da Ehen zwischen Priestern und Chorleiterinnen erwünscht sind. Damit ist die liturgische Grundversorgung der Pfarrgemeinde gesichert.

Im Museum ist eine Brustikone des heiligen Georg aus dem 14. Jahrhundert.

Einkünfte werden erzielt durch den Verkauf von Ikonen, Holzschnitzereien und Holzspielzeug.

Einige Kilometer vom Kloster entfernt liegt der Gethsemane-Skit. Hier lebte Starez Isidor (Kozin; 1833-1909) über den der Religionswissenschaftler, Theologe, Kunstwissenschaftler und Mathematiker Pavel Aleksandrovič Florenskij (1882-1937) „Das Salz der Erde“ (Соль земли) schrieb.

Pereslavlʼ-Zaleskij liegt 142 km nordöstlich von Moskau am Ufer des Pleščeevo-Sees. 1152 begründete Jurij Dolgorukij (Langarm; 1090-1157) von Suzdalʼ aus diese Festung und benannte sie nach dem Ort Perejaslavlʼ der Kiever Rusʼ mit dem Zusatz Zaleskij (hinter den Wäldern). Dies bezieht sich auf die nordöstlichen russischen Lande, welche von Kiev durch dichte Wälder getrennt sind. Jurij hatte den Beinamen „Langarm“ erhalten, weil er sein Fürstentum durch verstärkte bauliche Tätigkeit zu sichern suchte (Repräsentation).

Dieser Ort liegt an der Kreuzung der Handelswege, die von Kiev zur Volga bei Jaroslavlʼ und von Novgorod bis zu den Volga-Bulgaren und damit zum Orienthandel führten.

Das Niketaskloster, benannt nach dem Großmartyrer Niketas dem Goten (4. Jahrhundert), geht auf das 12. Jahrhundert zurück. 1561-1564 ließ Zar Ivan der Schreckliche es als Wehrkloster neu erbauen, da es an der strategisch wichtigen Straße nach Archangelʼsk liegt. Bei der Niketaskathedrale findet sich die für das Moskauer Land des 16. Jahrhunderts typische gewaltige Hauptkuppel. Im Süden ist ein Nebenaltar für Nikita von Pereslavlʼ (12. Jahrhundert), der den Fürsten Michail von Černigov geheilt hatte. Nikita war ein unbarmherziger Steuereintreiber gewesen, bereute seine Taten und lebte beim Niketaskloster tagsüber auf einer Säule und nachts in einer Erdhöhle. Er tröstete Leidende und heilte Kranke.

Das Bergkloster zu Mariä Entschlafen am Pleščeevo-See wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gegründet. Die Anzahl der sieben Kuppeln der Mariä-Entschlafenskathedrale (1757) im Petersburger Barock ist ungewöhnlich: Vor dem Thron des Herrn stehen sieben Geister, die auch als sieben brennende Feuerfackeln bezeichnet werden (Offb 1, 4; 4, 5).

Die Christi-Verklärungskathedrale wurde 1152 bis 1157 erbaut und ist damit eine der wenigen erhaltenen vormongolischen Kirchen. Die einkupplige Kreuzkuppelkirche hat drei Apsiden. Durch die sich verjüngenden Mauern und Pfeiler wirkt die Konstruktion im Inneren leicht. Die Kathedrale diente als Begräbnisstätte der Fürsten von Pereslavlʼ. Die Fresken aus dem 12. Jahrhundert wurden bei Restaurierungsarbeiten im 19. Jahrhundert vernichtet; nur ein einziges Fresko, Apostel, konnte gerettet werden und befindet sich im Moskauer Historischen Museum. Die Kirche besitzt eine hervorragende Akustik. Der Sänger Fëdor Ivanovič Šaljapin (1873-1938), der ein Gut in einer Entfernung von dreißig Kilometern besaß, sang hier und gründete einen Bauernchor, mit dem er in alten Kathedralen wie hier auftrat.

Historisches und Kunstmuseum: Feofan Grek, Verklärung (14. Jahrhundert). Diese Ikone aus der Christi-Verklärungskathedrale wird in der Tretʼjakovgalerie aufbewahrt. Ikone Petrus und Paulus, 15. Jahrhundert, aus der Mariä-Schutz-und-Fürbittekirche in Pereslavlʼ. Schlichte Komposition, edle Farbgebung, russische Gesichtszüge. Über dich freuet sich die ganze Schöpfung, 16. Jahrhundert. Im Abbild ist das Urbild gegenwärtig. Vorwegnahme der Eschatologie: Präsenz des Heiles. Verglichen mit dem Recklinghäuser Ikonenmuseum, ist die Fülle und die Ausstrahlung der Ikonen in Pereslavlʼ überwältigend.

1688/1689 baute Peter der Große mit dem niederländischen Meister Carsten Brant zusammen fünf Schiffe und erprobte sie am Pleščeevo-See. 1692 nahmen hundert Schiffe an einer Parade teil. Hier war der Beginn der Russischen Seeflotte.

Jaroslavlʼ liegt 272 km nordöstlich von Moskau. Im 10. Jahrhundert besiedelten Slovenen aus Novgorod und Krivičen vom Oberlauf des Dneprʼ die Jaroslavler Lande.

Abends machen wir einen Spaziergang an die Volga. Sie entspringt in den Valdajhöhen und legt bis zur Mündung in das Azovsche Meer 4.500 km zurück. Stellenweise ist sie sehr breit. Die nach Sibirien Verbannten gingen zunächst nordöstlich bis Jaroslavlʼ und von da an östlich. Erst der heilige Doktor von Moskau, Dr. Friedrich Joseph Haass (1780-1853), sorgte dafür, daß unter die metallenen Hand- und Fußschellen Leder gelegt wurde, damit der Frost nicht noch größeren Schaden anrichte.

Sonntag, 19. Juli

Die Bezeichnung „Goldener Ring“ für die altrussischen Städte im Nordosten Moskaus gibt es seit dem II. Weltkrieg. Es handelt sich aber in Wirklichkeit um eine Goldene Pinzette; denn die Fahrt von Pereslavlʼ zu den nahegelegenen Städten Suzdalʼ und Vladimir wird mit dem Touristenbus nicht unternommen; stattdessen kehrt er nach Moskau zurück und fährt dann wieder in den Nordosten.

Die Theodoroskirche in Jaroslavlʼ entstand 1687. Liturgie mit Vladyko Platon (Udorénko), seit 1984 Erzbischof von Jaroslavlʼ und Rostóv, der 1977 Erzbischof von Lateinamerika und 1980 von Sverdlovsk (Ekaterinburg) geworden war. In seiner Ansprache begrüßt er uns und sagt, das Wichtigste sei, während der Liturgie mit dem Herzen dabeizusein. Die Russische Orthodoxe Kirche bereite sich auf die Tausendjahrfeier der Christianisierung (Taufe der Rusʼ) vor. Pfarrer Bauer antwortet und weist auf die wachsenden Gemeinsamkeiten der Kirchen hin. In Zagorsk finden Ökumenische Gespräche statt. (1974-1990 sind es sieben.) Unsere Dolmetscherin Olga übersetzt jeweils, hat aber große Schwierigkeiten bei Bibelzitaten, da sie diese theologische Sprache nicht gelernt hat. Sie bittet darum, man möge ihr künftig Bibelzitate vorher ankündigen.

Tatsächlich ist Russisch eine Sprache, die viel kirchenslavisches Gut bewahrt hat, soviel der atheistische Staat dies auch auszumerzen suchte. (Vgl. A. Šachmatov und G. Y. Shevelov, Die kirchenslavischen Elemente in der modernen russischen Literatursprache, Slavistische Studienbücher 1, Wiesbaden 1960.) Die Schwierigkeit bestand für die Dolmetscherin also darin, die Äquivalente im Deutschen mit denen im Russischen zu verbinden. Das erfordert einige Übung.

Fëdor Fëdorov malte hier in märchenhaftem Stil die Wunder der Gottesmutterikonen und den Sieg der russischen Armee über Chan Batu, die Vertreibung Tamerlans aus Moskau, die Befreiung Konstantinopels sowie die Belagerung des Kiever Höhlenklosters durch die Litauer.

Christi-Verklärungskloster am Ufer des Kotoroslʼ aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die Verklärung Christi hat eine Bedeutung für die ganze Schöpfung, die von der Sklaverei und Verlorenheit zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit werden soll (Röm 8, 21).

Das Heilige Tor ist das einzig erhaltene Gebäude vom Anfang des 16. Jahrhunderts in diesem Kloster. 1609 wehrte das Kloster erfolgreich eine polnisch-litauische Belagerung ab. 1792 wurde im Kloster die einzig bekannte Handschrift des Igorliedes aufgefunden und nach Moskau verbracht. Es war zwar eine Ausgabe angefertigt worden, die aber leider nicht sorgfältig war: Iroičeskaja pesnʼ o pochode na Polovcov udelʼnago knjazja Novagoroda-Severskago Igorja Svjatoslaviča, Moskau 1800. Tragischerweise verbrannte diese Handschrift im Jahre 1812 bei der Besetzung Moskaus durch die Franzosen. Der Custos der Sakristeibibliothek in Jaroslavlʼ zeigte, vom Schmerz bewegt, die leere Stelle im Buchregal, an der die Handschrift gewesen war.

Die Christi-Verklärungskathedrale, erbaut 1506-1516, an der Stelle eines Vorgängerbaues. Klare geometrische Formen, offene Galerie an der Westfassade, Rundfenster in den Sakomaren. Fresken von 1563/1564: Jaroslavler Schule. Pantokrator in der Mittelkuppel, Johannes der Täufer an der Ostwand, Jüngstes Gericht an der Westwand. Viele Gebäude der Russischen Lande sind auf den Fresken dargestellt; insofern findet sich hier ein „Zeitfenster“. Spiel von Licht und Schatten, bläulich-silberne Farbskala.

Prophet-Elias-Kirche, 1647-1650 vom Pelzhändler Skripin erbaut. Über dem südwestlichen Nebenaltar der Gewandniederlegung ist eine Zeltdachkirche, die kurz vor dem Verbot dieser beim Volk und bei den Touristen beliebten Architekturform vom Patriarchen Nikon (1605 geboren und 1681 in Jaroslavlʼ verstorben) errichtet worden war. Ikone des nicht von Menschenhand gefertigten Abbildes Christi, das Mandylion, 1657. Fresken von 1680, welche die alltägliche und die religiöse Welt farbenprächtig schildern. Es handelt sich um eine fließende Erzählung, bei der die Taten und Wunder der Propheten mit Szenen aus dem Handel und der Ernte abwechseln. Goldgelbe, rotbraune und rosa Töne, Himmelblau, Olivgrün der Landschaft. Es handelt sich gleichsam um einen Volksbilderbogen.

Acht Kilometer nordnordwestlich, an der Mündung des Flusses Tolga in die Volga, ist das Tolgakloster, 1314 entstanden, 1609 von polnisch-litauischen Truppen zerstört und in der 2. Hälfte des 17. / ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederaufgebaut. Hier werden die Ikone der Gottesmutter von Tolga (Ende des 13. Jahrhunderts) und der Schrein des heiligen Bischofs und geistlichen Schriftstellers Ignatij (Brjančanínov; 1807-1867) verehrt. Mutter Barbara (Igumenija Varvara Tretʼjak) zeigte uns die Zerstörungen, die durch Herunterwirtschaften und Sorglosigkeit entstanden waren. In der Refektoriumskirche (Kreuzerhöhungskirche, 1620-1627) hatte man die mittlere Säule entfernt, da die Kirche als Kinosaal verwendet wurde. Infolgedessen stürzte die Kirche ein.

Die Hauptkirche ist der Einführung der allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel geweiht. Sie wurde 1681-1688 erbaut. Ihre Fresken zeigen geschichtliche Szenen: die Kreuzesprozession mit der Fürbitte für die Volkswehr unter Leitung des Fürsten Dmitrij Požarskij 1612 und den Besuch des Zaren Michail Alekseevič 1683. Städte, Bauwerke, Kleidungsstücke und alltägliche Gegenstände sind realistisch dargestellt.

Montag, 20. Juli

Rostov Velikij (Großrostóv zum Unterschied von Rostov am Don) liegt 200 km nördlich von Moskau am fischreichen Nerosee. Der Name der Stadt soll von einem Fürsten Rosta stammen. Hier siedelten im 8. Jahrhundert uralische (ugro-finnische) Meren. Von Novgorod aus erfolgte im neunten Jahrhundert eine slavische Einwanderung. Durch das Flußsystem von Šeksna, Veksa und Kotoroslʼ konnten Waren verschifft werden. Rostov blühte infolgedessen durch Handel und Handwerk auf. 1207 wurde der Ort Hauptstadt eines selbständigen Fürstentums. 1238 fielen tatarisch-mongolische Heere ein, doch Rostov stand stets an der Spitze der Aufstände gegen sie, bis hin zur Teilnahme an der Schlacht auf dem Schnepfenfeld (Куликово поле, 1380), die den Wendepunkt zugunsten Rußlands markierte.

Ende des 16. Jahrhunderts erhielt der Bischof von Rostov den Rang eines Metropoliten. Jona und seine Nachfolger ließen 1660 bis 1700 eine Festung mit elf Türmen und fünf Gotteshäusern errichten. Bekannt ist der Glockenturm neben der Mariä Entschlafenskathedrale, der 1682-1687 erbaut wurde und an eine trutzige Mauer erinnert. Der Klang der fünfzehn Glocken ist dank der Hohlräume im Glockenturm und wegen des nahen Nerosees 18 Kilometer weit zu hören.

Die Hodegetriakirche (Maria Wegführerin) entstand 1698 unter Metropolit Joasaf. Auffällig ist ihr polychromes geometrisches Ornament auf den Außenwänden. Im Erlöser-Jakob-Kloster am Seeufer befindet sich der Schrein des heiligen Metropoliten Dimitrij von Rostov (1651-1709), dessen Schriften für Predigt und Katechese wegweisend sind. Im Museum ist die Ikone des Lammes Gottes aus dem 16. Jahrhundert.

Dienstag, 21. Juli

Moskau, Altgläubigenkirche Mariä Schutz und Fürbitte, priesterliche Richtung (поповцы).

In Venedig waren liturgische Bücher in griechischer Sprache gedruckt worden. Beim Vergleich mit den slavischen ergaben sich Unterschiede. Patriarch Nikon (Minin; 1605-1681) verfügte 1652, daß eine Angleichung stattzufinden habe, da er die griechischen Varianten für die ursprünglicheren hielt. Er wußte nicht, daß beim Druck nicht die besten Handschriften zugrundegelegt worden waren, sodaß die slavischen Textformen oft besser waren.

Der Brauch bei den Slaven, sich mit zwei Fingern zu bekreuzigen (zum Zeichen der Gottheit und Menschheit Christi) war älter als der Brauch der Griechen, sich mit drei Fingern zu bekreuzigen (zu Ehren der Heiligem Dreieinigkeit). Aber bei beiden Arten weisen die übrigen Finger jeweils auf das andere Geheimnis des Glaubens hin.

Eine Gruppe von Priestern und Gläubigen, die später Altgläubige genannt wurden, vollzog die Reformen nicht mit. Sie wurde jahrhundertelang verfolgt, konnte sich aber behaupten.

1771 schenkte die Zarin Katharina die Große den Altgläubigen ein Grundstück am Rogožskaja Stadttor im Osten der Stadt, damit sie dort ihre Toten bestatten konnten, die an der Pest gestorben waren.

Hier sind heute folgende Kirchen: die nicht beheizbare Sommerkirche Mariä Schutz und Fürbitte, 1790-1792 errichtet, die beheizbare Winterkirche Christi Geburt, 1804 erbaut, und die Kirche des heiligen Nikolaus, 1776 entstanden. Bei der südlich gelegenen Kirche des heiligen Erzengels Michael befindet sich der Sitz des Metropoliten der Orthodoxen Altgläubigenkirche Rußlands.

Liturgie findet in der Kirche Mariä Schutz und Fürbitte teil. Während der Lesungen herrscht absolute Aufmerksamkeit. Gesungen wird nach alter Tradition einstimmig, wobei der Leiter der Sängerinnen und Sänger die betreffende Stelle mit einem langen Stab in einem gewaltigen Notenbuch, das auf einem Pult liegt, anzeigt. Bei den Verneigungen bis zum Boden dürfen die Hände nicht beschmutzt werden, daher gibt es ein Handkissen (подручник). Die Männer tragen Bart und ein langes, leinenes Hemd, das über der Hose von einem gestickten Gürtel zusammengehalten wird. Die Zählschnur für das Jesusgebet ist ein Leiterchen (лестовка). Die Frömmigkeit ist sehr dicht, weil die Gläubigen immer wieder die größten Schwierigkeiten bekommen, wenn sie ihren Glauben bekennen.

Die Altgläubigenkirche des heiligen Nikolaus, priesterlose Richtung (безпоповцы). Sie gehen davon aus, daß es kein gültiges Priestertum mehr gibt und verzichten auf die Feier der Liturgie. Die Ikonostase ist in ihren Kirchen direkt an die Stirnwand des Gebäudes gebaut, weil dahinter kein Altarraum ist. Eine Apsis existiert nicht.

1771 erwarb der Kaufmann Ilʼja Alekseevič Kovylin (1731-1809) ein Grundstück im Norden Moskaus. Dort ließ er den Friedhof der Verklärung Christi (преображенское кладбище) für seine Glaubensrichtung anlegen. 1784-1811 wurden hier ein Männer- und ein Frauenkloster erbaut. 1784-1790 wurde die Kirche des Entschlafens der allheiligen Gottesgebärerin erbaut.

1854-1857 wurde sie umgebaut und ein Seitenaltar, dem heiligen Nikolaus geweiht, eingefügt. 1866 wurde die Kirche den Eingläubigen zugesprochen, die den alten Ritus beibehalten, aber der orthodoxen Kirche angehören. 1867 weihte Patriarch Filaret (Drozdov; 1782-1867) den Hauptaltar des Entschlafens der allheiligen Gottesgebärerin. Den Priesterlosen bleiben kleinere Kirchen. Sie beten hier das Stundengebet: die erste, dritte, sechste und neunte Stunde, die Vesper, die Komplet, das Mitternachtsgebet und die Matutin. Ich erlebe Gebete und Gesänge für einen Entschlafenen. Der offene Sarg steht inmitten der Kirche; es gilt aber als unglückbringend, das Gesicht des Verstorbenen anzuschauen.

Daniil Aleksandrovič wurde 1261 in Vladimir geboren. Er war der Sohn Aleksandrs von der Neva, der 1242 am Peipussee über den Deutschen Orden einen Sieg errungen hatte. Daniil war von 1272 bis zu seinem Tode am 4. März 1303 Fürst von Moskau. Er begründete die Moskauer Linie der Rjurikiden und gründete im Jahre 1282 das Danilovkloster, welches das älteste Moskauer Kloster ist. Im Jahre 1983 gab es der Staat der Russischen Orthodoxen Kirche zurück, die es zum Amtssitz ihres Patriarchen und zu ihrem administrativen Zentrum ausbaute. Hier tagt der Heiligste Sinod, die ständige Bischofskonferenz. 60 Mönche leben hier.

Die älteste Kirche, ursprünglich aus Holz, 1652 Neubau, ist Daniel dem Säulensteher (409-493) geweiht. Er ist der Patron des Danielsklosters. Das Kloster wurde mit einer Ziegelmauer mit sieben Türmen und einer Torkirche umgeben. Im 18. Jahrhundert entstand die Kathedrale der Sieben Ökumenischen Konzilien (Oberkirche)  mit der Kirche Mariä Schutz und Fürbitte (покровъ) als Unterkirche/Winterkirche. Sie wurde 1985 neu geweiht.

1838 errichtete der Architekt Evgraf Tjurin die Dreieinigkeitskathedrale im Stile des späten russischen Klassizismus. Neue Ikonen wurden geschaffen: Links Gregorios Palamas, Mitte Verklärung Christi und rechts Symeon der Neue Theologe. Hier geht es um die Erfahrung des Ungeschaffenen Lichtes, die Verwandlung des menschlichen Lebens, die Teilhabe am unzerstörbaren Sein. Alte Fresken der Patriarchen befinden sich hier.

Ich bilde spontan einen kleinen Chor und wir singen das Troparion zu Mariä Schutz und Fürbitte sowie das Ostertroparion.

Wir werden im Außenamt der Russischen Orthodoxen Kirche von Metropolit Filaret (Bachromeev) empfangen. Aleksandr Karpenko leitet die ökumenische Arbeitsgruppe. Im Gespräch geht es um das gegenseitige Verstehen und um den Frieden der Welt.

Die Stimmung unter den Mönchen ist gespalten. Einige sind ängstlich und erwarten weitere Repressionen durch den Staat. Die meisten aber sind vorsichtig optimistisch. Die Tausendjahrfeier wird zeigen, welche Macht die Kirche darstellt. Der Patriarchenpalast wurde stolz als das „Weiße Haus“ bezeichnet.

Wir Pilger waren damals freudig davon angetan, daß nach den Jahrzehnten der Unterdrückung endlich wieder mehr Kirchen geöffnet sowie mehr Klöster und Geistliche Seminarien zugelassen wurden. Heute allerdings ist die Betroffenheit groß, daß ein Angriffskrieg „religiös“ gerechtfertigt wird.

Das Große Theater (Большой театр): 1781 hatte der Architekt Rosberg das Petrovskijtheater fertiggestellt, das nach der vorbeiführenden улица Петровка benannt war. Anfangs spielte darin die Leibeigenentruppe des Fürsten Pëtr Urusov (1733-1813). Der geniale Impresario Michail Egorʼevič Maddox (1747-1822) förderte Begabungen. Er ließ Lessing, Schiller, Denis Ivanovič Fonvisin (Dennis von Wiesen; 1745-1792) und Molière spielen. 1805 brannte das Theater nieder. Den Neubau übernahm der Staat, und danach geschahen auch mehr Eingriffe durch die Zensur. Schon bald gründete das Theater eine eigene Tanzschule. Es wurde wiederum zerstört, und zwar beim Brand Moskaus im Jahre 1812.Der heutige Bau stammt von 1822-1825, Architekt war Ossip Bowe, im Stil des russischen Klassizismus, mit monumentaler Eingangskolonnade und einer Quadriga aus Bronze auf dem Frontispiz. 1853 brannte die Inneneinrichtung. Sie wurde prunkvoller wiederhergestellt. 1842 leitete Michail Ivanovič Glinka (1804-1857) die Aufführung seiner Oper: „Ein Leben für den Zaren“ (Жизнь за царя). Die Uraufführung war 1836 in St. Petersburg gewesen. In den folgenden Jahren wurden vor allem Opern von Verdi gespielt. Den Durchbruch schaffte Pëtr IlʼČajkovskij mit seinem Ballet Schwanensee (Лебединое Озеро; 1877) und mit seiner Oper Eugen Onegin (Евгений Онегин; 1879). Fëdor Šaljapin, der größte Bassist aller Zeiten, gehörte dem Ensemble 1899 bis 1918 an. Sergej Pavlovič Djagilev (1872-1929) war 1899 bis 1904 künstlerischer Berater des Theaters und inszenierte zahlreiche Opern und Ballette. 1909 stellte er in Paris das Ensemble Ballets Russes zusammen. Die Premiere des Feuervogels von Igor Stravinskij brachte einen internationalen Durchbruch. Djagilev stellte damit das Ballett auf die gleiche Stufe wie die Oper. Er verwendete klassische sowie innovative Elemente und setzte auf eine breite Annahme durch das Publikum, die durch die exotischen Anklänge russischer Tanztraditionen gesteigert wurde.

Mittwoch, 22. Juli Fest der heiligen Olga von Kiev

9.55 Uhr Abflug, 12.15 Uhr Ankunft in Mineralʼnye Vody (Mineralwasser), 1.360 km Luftlinie von Moskau entfernt. In Moskau war es 15 Grad, hier ist es 25 Grad warm. Unsere Dolmetscherin heißt Tatjana (Татьяна).

1817 bis 1864 führten die Zaren im Nordkaukasus einen Krieg gegen die autochthonen Čerkessen und Čečenen, um die völlige Kontrolle über ihr Gebiet zu erlangen. Sie zerstörten ihre Siedlungen, holzten Wälder ab und vertrieben einige hunderttausend Menschen ins Osmanische Reich. Dies nannten sie „Säuberung“ (очищение). Lev Nikolaevič Tolstoj beschrieb die Grausamkeit und Greueltaten der Heerführer und Soldaten in seiner 1912 posthum erschienenen Novelle „Chadži Murat“.

„Zu diesen Gegenden, deren Einwohner gleichzeitig gastlich und räuberisch, gut und roh, großzügig und rachsüchtig, sittsam und barbarisch, ritterlich und wild sind, empfindet man gleichzeitig Vertrauen und Furcht, Zuneigung und Haß, Achtung und Verachtung, Respekt und Schrecken, Bewunderung und Mitleid […] in Anbetracht dessen, daß man in das Land der Čečenen , die das wildeste und unbeherrschbarste Volk des Kaukasus sind, nur gelangen und sich dort aufhalten kann kraft des Rechtes auf Gastfreundschaft.“ (Friedrich Joseph Haass, Meine Reise zu den Alexanderquellen in den Jahren 1809 und 1810. Dr. Friedrich Joseph Haass als Arzt und Naturforscher im nördlichen Kaukasus, übersetzt und bearbeitet von Dietrich M. Matthias, zweite Auflage Aachen 2007, 11f.)

Pjatigorsk (Fünf Berge): Lysaja gorá (735 m),  Mašuk (993 m), Smejnaja (990 m), Beštau (1401 m) und Železnaja gora (853 m). Eine andere Erklärungsmöglichkeit ist die Bedeutung des Bergnamens „Beštau“: fünfgipfliger Berg. Der Ort liegt, je nach Standpunkt, 500 bis 600 m über dem Meeresspiegel. 1780 wurde in der Nähe die Festung Konstantinogorsk angelegt. 1803 entstand wegen der warmen Schwefelquellen der Kurort Gorjačevodsk, 1830 in Pjatigorsk umbenannt.

Michail Jurʼevič Lermontov (1814-1841) wurde wegen seines Gedichtes „Der Tod des Dichters“ über das tödliche Duell Puškins in den Kaukasus verbannt. In Pjatigorsk starb er im Duell durch einen Herzschuß. Zar Nikolaj I. Pavlovič (1796-1855) soll dies folgendermaßen kommentiert haben: „Einem Hunde den Tod eines Hundes!“

1828-1856 wurde die Lazaruskirche erbaut, mußte aber 1884 wegen des schlechten Fundamentes abgerissen werden. Die Neuerbauung geschah 1895-1902. Im Jahre 2000 wurde ein Altar hinzugefügt, welcher dem heiligen Bischof Ignatij (Brjančaninov) von Stavropolʼ geweiht wurde.

1845-1869 wurde die Erlöserkathedrale erbaut, 1936 gesprengt und 2004 bis 2012 neu errichtet.

1884 bis 1898 entstand die Erzengel-Michael-Kirche. Sie war von 1936 bis 1941 geschlossen und wurde seit 1990 restauriert.

Proval: Eine 27 m hohe glockenförmige Höhlung im Berge mit einer warmen Schwefelquelle.

Essentuki (gesprochen: Jessentukí): 1798 errichtete das Russische Reich hier einen Militärposten, der dann zunächst Kosakensiedlung wurde.

Dr. Friedrich Joseph Haass litt unter Hospitalfieber, das durch die verpestete Luft in Krankenhäusern und Lazaretten entstanden war, und war der Ansicht, es ließe sich nur durch eine große Krankheit oder durch eine große Reise heilen. So reiste er in den Kaukasus und untersuchte in den Jahren 1809 und 1810 verschiedene Mineralwässer. Er prägte für die Quellen des nördlichen Kaukasus die Bezeichnung „Alexanderquellen“ zu Ehren des Zaren Aleksandr I. Pavlovič (1777-1825). Er veröffentlichte darüber das Werk: Ma visite aux eaux dʼAlexandre en 1809 et 1810, Moskau 1811. 1810 untersuchte er die Heilquellen Essentukis und eröffnete damit seinen Aufstieg zum Kurort (Vgl. Haass, Alexanderquellen, Aachen 2007, 10.26).

Die Nikolauskirche wurde im Jahre 1826 von Kosaken erbaut. 2003 entstand auf 738 m Höhe. das Frauenkloster des heiligen Georg.

Kislovódsk (Saures Wasser, Säuerling), 821 m über dem Meeresspiegel, liegt in einem engen Talkessel. Es wurden bronzezeitliche Funde der Koban-Kultur (1200 vor Christus) gefunden. 1803 wurde Kislovodsk als Festung gegründet. 1893 wurde von Mineralʼnye Vody bis hier eine 64 km lange Eisenbahnstrecke gebaut. In der Folgezeit wurde eine Eisenbahnverbindung nach Moskau geschaffen. Es war das feinste der nordkaukasischen Bäder. Der Narsán, von den Čerkessen „Riesentrank“ genannt, ist eine starke kohlensäurehaltige Quelle, 21 Grad warm. Im Stadttheater, ehemals Casino, traten Šaljapin und Sergej Vasilʼevič Rachmaninov (1873-1943) auf.

Aleksandr Isaevič Solženícyn (1918-2008) wurde in Kislovodsk geboren. 1945 bis 1953 war er in Lagerhaft. Darüber schrieb er 1968 in seinem Roman: „Der erste Kreis der Hölle“ (В круге первом – Im ersten Kreis). 1953-1957 war er nach Kasachstan verbannt. Er litt an Krebs und wurde mehrmals operiert. Er erzählte davon in dem Roman Krebsstation (Раковый корпус).

1969 wurde er mit der Begründung, er habe ohne Erlaubnis Werke im Ausland publiziert, aus dem >Schriftstellerverband der Sovetunion ausgeschlossen. 1971 vergiftete ihn  ein Agent des KGB (Комитет государственной безопасности – Komitee für Staatssicherheit) mit einem Rizin-Gel, doch der Schriftsteller überlebte diesen Mordversuch.

Berühmt wurde er durch die drei Bände des Romans „Der Archipel GULag“ (Гдавное управление лагерей – Hauptverwaltung der Lager. Dabei handelt es sich um Besserungs- und Zwangsarbeitslager). Bevor noch der erste Band der Trilogie erscheinen konnte, gab eine Bekannte des Schriftstellers das Manuskript an den KGB weiter. Er wurde 1974 verhaftet und am nächsten Tag wegen „Landesverrats“ ausgewiesen und nach Frankfurt am Main ausgeflogen. Die Bekannte beging angesichts der Folgen ihres Tuns Suizid.

Michail Sergeevič Gorbačëv (1931-2022) wurde in Privolʼnoe geboren, das wie Kislovodsk zur Region Stavropolʼ gehört.

Im Zentrum von Kislovodsk stand die Nikolauskathedrale. Bereits 1803 war eine Nikolauskirche aus Holz auf dem Territorium der Festung erbaut worden. 1883-1888 erfolgte die Errichtung der Kirche aus Stein, die 1936 gesprengt wurde. 1991 bis 1998 geschah die Wiederherstellung der Kathedrale.

Die Kreuzerhöhungskirche: 1852 wurde im Zentrum eine kleine Kirche erbaut. 1904 wurde ein neues Gebäude geweiht, das 1936 abgebrochen wurde.

Wir sehen die Bauarbeiten für die Neuerrichtung. Frauen bringen in ihren Schürzen Sand herbei. Sie sind ganz stolz auf die eben fertiggestellte Toilette. Eine Reiseteilnehmerin bekundet ihr Interesse daran. Sie wird mit einer einladenden Gebärde vor die Damentoilette geführt. Nachher erfolgt eine ebensolche einladende Gebärde in Richtung der Herrentoilette, doch sie weigert sich diesmal. Wahrscheinlich wollte man ihr nur den soeben fertiggestellten Bau zeigen.

Der Hauptaltar ist der Erhöhung des Leben spendenden Kreuzes geweiht, der rechte Nebenaltar dem heiligen Heiler Panteleimon. Der Altar wird mit dessen Ikone gesegnet und mit Weihwasser besprengt. Am 4. Oktober 1987 konnte die Kirche eingeweiht werden. Die Fresken im Inneren wurden 1996 fertiggestellt. Wir lernen die grundsätzlichen Handwerke kennen, die für jede Kirche notwendig sind: Eine Kerzenzieherei für die langen, dünnen Kerzen, die vor den Ikonen aufgesteckt werden. Ein alter Ofen zum Backen von Prosphoren (Darbringungsbroten). Eine Ikonenwerkstatt. In der Apsis sind die heilige Olʼga (Helga) und Vladimir (Waldemar) dargestellt, Waräger (Schweden), die vor tausend Jahren das Christentum in die Russischen Lande brachten. An der Westseite der Kirche ist traditionell das Jüngste Gericht dargestellt. An einem Ort mit Heilwasser spielt das Weihwasser eine große Rolle. Engel begleiten den Weg des Menschen.

Vater Sergij: „Unser Kislovodsk hat als Symbol die Sonne. Sonnentage und heiße Herzen haben wir hier viele. Unsere Frauen haben keine Kabale, nur die Liebe.“ (Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Uraufführung 1784 in Frankfurt am Main. Sturm und Drang. Die leidenschaftliche Liebe zwischen der bürgerlichen Musikertochter Louise Miller und dem Adelssohn Ferdinand von Walter wird durch niederträchtige Intrigen zerstört.)

Wir werden bewirtet mit Torte und georgischem Wein „Napareuli“, Sekt (советское шампанское полусухое), Mineralwasser. Zur Vorspeise: Fladenbrot, Schafskäse, Butter, Paprika mit Tomatensoße, Zunge, , Gurken, Tomaten, Zwiebeln, die in Form von Seerosen geschnitzt waren, Basilikum und Oregano. Als Trinkgefäße gab es große und kleine Tonkrügelchen. Das Hauptgericht war Schaschlik, gut gewürzt und zart. Die einzelnen Scheibchen waren mit Zwiebeln und Gurkenscheiben getrennt. Nachtisch: Pfirsiche und Aprikosen mit Schokoladensplittern und Vanille. Zum Schluß gab es orientalischen Kaffee, der feingemahlenen und mit Kardamom und Piment versetzt war, sowie Hefegebäck.

Die Panteleimonkirche wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts mit Mitteln Šaljapins errichtet, 1965 zerstört und 2018 wiedererbaut.

Das Kloster der Dreieinigkeit und Serafims von Saróv: Das Frauenkloster wurde 1895-1902 errichtet. Die Dreieinigkeitskirche stammt aus dem Jahre 1902. 1903 wurde Serafim von Sarov kanonisiert und sein Patronat dem Kloster hinzugefügt.

Donnerstag, 23. Juli

Elbrus: Diese Benennung leitet sich vom georgischen lalbusi – kegelförmiger Berg ab. Es handelt sich um den höchsten Berg des Kaukasus. Der Westgipfel ist 5.642 m hoch, der Ostgipfel 5.621 m. Zum Vergleich: Der Mont Blanc ist nur 4.807,73 m hoch. Es handelt sich um einen Schichtvulkan, dessen letzter Ausbruch vor zweitausend Jahren erfolgte. Auf dem Ostgipfel ist ein Vulkankrater von 250 Meter Durchmesser erhalten geblieben.

Unsere Dolmetscherin bat die Reisenden, gut zu frühstücken, da es in die Berge gehe. Außer mir rührte keiner das Frühstück an. Wir fuhren mit dem Bus bis zur Talstation in 2.300 m Höhe, die Seilbahn brachte uns bis auf 3.500 m Höhe. Hier war ein Skigebiet. Ich fuhr noch mit dem Sessellift bis auf 3.800 m Höhe. Als ich wieder an der Seilbahnstation war, konnte ich nicht weiterfahren, da über einen längeren Zeitraum hinweg Leitern und Seile transportiert wurden. Als ich endlich bei der Gruppe ankam, waren einige zornig und empört, da sie Hunger hatten.

Dennoch waren die Schneelandschaft und der Doppelgipfel des Elbrus in der großen Stille der Bergwelt ein Erlebnis gewesen. Die Aussicht war überwältigend.

Freitag, 24. Juli

Es waren einmal zwölf Räuber,
Ihr Führer hieß Kudejar,
Sie raubten und mordeten gnadenlos,
Vergossen viel Christenblut.

Aus Kiev stahl der Ataman ein Mädchen,
Das war von schöner Gestalt,
Sie liebten sich tagsüber heißentbrannt,
Jede Nacht gingʼs auf Raubzüge aus.

Doch Gott sah nieder in Seiner Huld,
Der Räuber bekehrte sich,
Im Kloster dient Bruder Pitirim
Gott und den Menschen zugleich.

 

Kudejar, vom persischen Chudājār – Von Gott Geliebter, Gottlieb, war eine legendäre Räubergestalt der russischen Folklore des 16. Jahrhunderts.

 

Nalʼčik: Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien. Als die Römer den Kaukasus eroberten, brauchten sie fünfzig Dolmetscher. Berggebiete bewahren alte Kulturen und Sprachen. Der Kaukasus ist wie eh und je ein Vielvölkerterritorium. Am 13. Oktober 2005 überfielen zweihundert čečenische Kämpfer verschiedene staatliche Dienststellen, aber auch einen Kindergarten und eine Schule in dieser Stadt. Es gab mehr als hundert Tote.

Wir werden von der Gemeinde mit Brot und Salz empfangen. Dies ist eine uralte Art, Gäste zu ehren. Der Gast bricht ein Stück Brot vom Laib ab, tunkt es in das Salzfäßchen und ißt es. (Ich hätte das gerne getan, wurde aber von der Gruppe daran gehindert.) Wer miteinander Brot und Salz ißt, steht unter dem Schutz des Gastrechtes. Das gemeinsame Essen ist Ausdruck der Verbundenheit. Die Darbringerin von Brot und Salz trägt handbestickte Kleidung. Es handelt sich um den roten Sarafan. Dies ist ein langes Gewand, das ursprünglich eng anlag, aber wegen Protesten der Orthodoxen Kirche weiter geschnitten wurde. Das Wort Sarafan kommt vom persischen serp, teurer Stoff.

Wir besichtigen die Kathedrale Symeons des Säulenstehers, die 1826 aus Holz und 1851 aus Stein errichtet worden war. Sie wurde im Mai 1928 geschlossen und trotz aller Proteste im Dezember 1928 zerstört. Als Begründung wurde angegeben, daß die Kirche die Atmosphäre eines Kurortes störe. Außerdem gebe es in Nalʼčik nicht eine einzige Moschee. Es sei also ungerecht, daß nur die Orthodoxen eine Kultstätte nutzen könnten. Seit 1943 erfolgte ein Wiederaufbau.

Der Starost (староста – Kirchenältester) hat die Kirchenschlüssel, nicht der Priester.

In der Folgezeit entstanden neben vielen anderen eine Hauptmoschee, die im Jahre 2004 eröffnet wurde, sowie eine Kathedrale der apostelgleichen Maria Magdalena (2004 bis 2010 erbaut).

Ordžonikidze: So hieß die Stadt von 1931-1944 und von 1954-1990, nach dem georgischen Arzt und Politiker Grigol (Sergo) Ordžonikidse (1886-1937), der im Jahre 1921 Georgien und Armenien unter sovetische (sowjetische) Kontrolle gebracht hatte. Der ursprüngliche Name der Stadt war und ist Vladikavkas (Beherrsche den Kaukasus!); denn von hier aus war der Weg nach Georgien frei. 1784 wurde sie als Festung gegründet, neben der ossetischen Siedlung Dsaudžykau.

Bereits in der Antike gab es einen Karawanenweg vom Norden in den Orient, der über den Großen Kaukasus führte. Dies war zwar die kürzeste, aber auch die gefährlichste Verbindung: Steinschlag, plötzlicher Wetterwechsel, Lawinen, Nebel und Überfälle durch Räuber, Bergfürsten und nomadisierende Krieger machten die Wegstrecke zu einer Plage. Daher wurden allmählich mächtige Befestigungen angelegt, um Reisende und Kaufleute zu schützen.

1799 wurde die in Vladikavkas beginnende und über den Großen Kaukasus (der Kreuzpaß ist 2.375 m hoch) nach Tiflis (Tbilisi) führende 207 km lange Georgische Heerstraße eröffnet. Ossetische Kämpfer eroberten daraufhin Vladikavkas und brannten es nieder.

1801 annektierte das Russische Reich Georgien. Die Stadt Vladikavkas wurde wieder aufgebaut, der Zar siedelte, wie in anderen Grenzregionen, Kosaken an, und die Stadt blühte durch den Handel mit Persien auf. 1875 wurde eine Eisenbahnverbindung nach Rostov am Don und später nach Bakú gebaut. 1906 wurde in Vladikavkas „Iron gaset“ – Ossetische Zeitung, die erste Zeitung in ossetischer Sprache, herausgegeben. Diese Sprache gehört zum iranischen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie.

Die Kirche der Geburt der allheiligen Gottesgebärerin wurde 1815 für die orthodoxen Christen ossetischer Sprache erbaut. Die Kirche des heiligen Propheten Elias und die des heiligen Fürsten Vladimir von Kiev entstanden 1890. Die Kirche Mariä Schutz und Fürbitte wurde 1947 erbaut, und zwar auf Initiative der Eltern von Irakli Gudušaurí-Šiolašvíli, der 1933 in Ordžonikidse geboren wurde und seit 1977 als Ilia II. Katholikos der Georgischen Kirche ist.

Wir besuchen das Grab der Starzin Anastasija von Vladikavkas ( 1932), die wegen ihrer hilfreichen Ratschläge und ihrer Art zu trösten verehrt wird. Später wurde hier eine kleine Kirche erbaut.

Wir erhalten Kvas. Dieses Wort bedeutet saurer Trank, Gegorenes, und ist mit dem deutschen Wort „Käse“ etymologisch verwandt. Altes Roggenbrot und Sauerteig werden mit Wasser angerührt. Minze, Johannisbeeren oder Rosinen können hinzugefügt werden. Infolge der Gärung entsteht ein leichter Alkoholgehalt. Die beste Sorte ist der Klosterkvas (монастырский квас).

Das nordossetische Museum trägt den Namen des aus dieser Stadt stammenden Dichters Kosta Chetagurov (1859-1906). Es gibt ein Kunstmuseum mit Werken hiesiger Meister und ein Regionalmuseum, das Gräber, Waffen und Schmuckstücke der Koban-Kultur zeigt, die seit dem 12. Jahrhundert vor Christus in dieser Region verbreitet war.

Vladikavkas ist die Hauptstadt Nordossetiens. Wir wollten von hier aus über die Georgische Heerstraße nach Georgien reisen, doch gab es schwelende Konflikte zwischen Inguschen und Osseten, sodaß unser Bus umgelenkt wurde.

Die inguschische Sprache gehört zur nachischen Sprachgruppe, ebenso wie das Čečenische und das Bacbische, die allesamt Gemeinsamkeiten mit dem Hurritischen und Urartäischen aufweisen. Nach den Mongoleneinfällen entwickelten sich die Wajnachen (Inguschen und Čečenen) zu einer Stammesgesellschaft, die wehrhafter war als eine Adelsgesellschaft, da in dieser nur Adelige miteinander kämpfen. Die Wehrtürme des 14. Jahrhunderts zeugen von dieser Zeit. Die Wajnachen waren zwar  oberflächlich christianisiert worden, übernahmen aber mehrheitlich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert den sunnitischen Islam. Gegen die Zwangskollektivierung gab es erbitterten Widerstand, 1944 deportierte der Geheimdienst NKVD (Народный комиссариат внутренних дел – Volkskomissariat innerer Angelegenheiten) fast alle Inguschen und Čečenen nach Kasachstan, um eine Kollaboration mit den Deutschen zu verhindern. 1957 konnten sie in ihr Siedlungsgebiet zurückkehren.

Im späten 18. Jahrhundert wurden die heutigen Südosseten aus dem Nordkaukasus vertrieben und wanderten nach Georgien aus. 1801 kam Georgien unter russische Herrschaft. Die Bolʼševiken stifteten die Südossetier zum Aufstand gegen die georgische Regierung an. 1918 bis 1920 kamen infolgedessen fünftausend Osseten ums Leben. Wie in der Ukraine, wurde auch hier der Hunger als Waffe benutzt, durch Beschlagnahmung der Lebensmittel, der Vorräte und sogar des Saatgutes. 1921 wurde Georgien wiederum vom nördlichen Nachbarn annektiert. Osseten wurden unterdrückt. Im August 1989 wurde die Verbreitung der georgischen Sprache auch unter Osseten beschlossen sowie die Ansiedlung von Georgiern in Südossetien. Darauf kam es zu Spannungen und zum Krieg. Hunderttausend Osseten flohen aus Georgien und aus Südossetien nach Rußland. 2008 kam es erneut zum Krieg. Rußland erkannte die „Unabhängigkeit“ Südossetiens an.

Wie sich im Folgenden zeigen wird, verlief die Entwicklung in Abchasien vergleichbar.

Samstag, 25. Juli

Um 11.30 Uhr erhalten wir am Flughafen Mineralʼnye Vody ein Mittagessen. Unser Abflug war planmäßig für 13.15 Uhr vorgesehen, verschob sich aber auf 16.55 Uhr. Unser Dolmetscher Valerij wußte dies offensichtlich; denn er schlief im Wäldchen nahe dem Flughafen. Eine Reiseteilnehmerin sollte ihn rechtzeitig wecken, wenn es losginge. Dann fliegen wir nach Tiflis / Tbilisi. Die Russen bezahlen für diesen Flug 13 Rubel, die Westtouristen erheblich mehr. Die 550 km werden in 35 Minuten zurückgelegt. Eindrucksvoll ist während des Fluges der Blick auf den Gipfel des Kasbek (Gletschergipfel). Dieser Berg ist 5.047 m hoch. Dem Mythos nach soll Prometheus, der den Menschen das Feuer gebracht hatte, an diesen Berg gekettet worden sein.

Das georgische Wort tbili bedeutet „warm“. Der Name der Stadt weist also darauf hin, daß an den Nordosthängen des Mtabori bis zu 45 Grad heißes, kohlesäurehaltiges Schwefelwasser aus der Erde sprudelt. Die deutsche Bezeichnung der Stadt ist in arabischen Quellen seit dem achten Jahrhundert als tiflīs bekannt. 1122 nahm Davit der Erneuerer das arabische Emirat Tiflis ein.

Die Stadt erstreckt sich in einer Gebirgsniederung 21 km entlang des Flusses Kura (Georgisch Mtkwari).

Tiflis wurde im vierten Jahrhundert von einem persischen Ethnarchen gegründet. Der persische Einfluß auf die Kultur zeigt sich im Nationalepos „Der Recke im Tigerfell“, von Šota Rustaveli (1172-1216) zwischen 1196 und 1207 verfaßt. Der Titel ist eine Metapher für einen Menschen, der in Leidenschaften eingehüllt ist. Der Inhalt wurde vom persischen Nationalepos Šāhnāma (Königsbuch) von Abū l-Qāsim Firdausī (940-1020) angeregt: Zwei Liebespaare, die arabische Prinzessin Tinatin und der georgische General Avtandil sowie die indische Prinzessin Nestan Daredžan und der georgische Prinz Tariel, der Recke im Tigerfell, bestehen mit der Hilfe des persischen Prinzen Phridon verschiedene Proben und vollbringen Heldentaten, die den beiden Paaren schließlich die Heirat ermöglichen.

o   Der Ritter im Tigerfell. Ein altgeorgisches Epos, Nachdichtung von Marie Prittwitz, herausgegeben von Steffi Chotiwan-Jünger und Elgudsha Chintibidse, Aachen 2005.

o   Der Held im Pardelfell. Eine georgische Sage von Schota Rustaweli, erzählt von Tillmann Spreckelsen, illustriert von Kat Menschik, Berlin 2018.

Dies ist die Zeit der Königin Tamara (1160-1213), als Georgien im Goldenen Zeitalter auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Sie war die Urenkelin Davits IV. des Erbauers / des Erneuerers (1073-1125), verlieh den Bürgern Rechte und sorgte für Rechtssicherheit.

Oberhalb der Altstadt liegt die Festung Narigala aus dem 3. Jahrhundert, die also älter als die Stadt selbst ist. Die Sionikathedrale wurde zwischen 575 und 639 errichtet. Sie ist nach dem Jerusalemer Zionsberg benannt und der Jungfrau Maria geweiht. Hier war bis 2004 der Sitz des Katholikos. Wegen vieler Zerstörungen stammt das heutige Aussehen der Kirche aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Hier wird das Weinrebenkreuz der heiligen Nino (christiana, eine anonyme Christin) verehrt, welche Weinreben mit ihren Haaren zusammenband, um vom Glauben Zeugnis zu geben.

Die Metechikirche entstammt dem 13. Jahrhundert. Der Kirchenname kommt von: Ak me mteri wteche (Hier habe ich den Feind erschlagen). Dies rief König Wachtang I. Gorgasalis im 5. Jahrhundert aus. Hier wird die heilige Šušanik aus dem 5. Jahrhundert verehrt, die für das Christentum und gegen den Zoroastrismus der Perser eintrat und im Gefängnis endete. An diesem Ort residierten bis ins 17. Jahrhundert die georgischen Könige. Die Besonderheit dieser Kirche liegt in der horizontalen und nicht mehr vertikalen Gliederung: Auf halber Höhe umgibt ein querlaufendes Band alle vier Fassaden gleichmäßig und gliedert damit den Bau in eine obere und eine untere Hälfte.

In der Altstadt befinden sich alte Karawansereien mit geschnitzten, überhängenden Balkonen. Im Mittelalter war Tiflis eine der reichsten Städte, da sie am Kreuzungspunkt verschiedener Seidenstraßen lag und starke Befestigungen zum Schutz der Kaufleute aufwies.

Josef Stalin studierte vom September 1894 bis zu seinem Ausschluß im Mai 1899 am Priesterseminar in Tiflis.

Die Georgische Geistliche Akademie bewirkte im 19. Jahrhundert ein Wiedererstarken der georgischen Kultur und legte damit die Grundlage für die heutige Selbständigkeit des Staates.

Die Kirche am Berg Mtazminda ist nach dem heiligen David benannt, der im 6. Jahrhundert als Missionar in Georgien wirkte. Die Kirche wurde zwischen 1855 und 1859 an der Stelle einer viel älteren errichtet. Unterhalb der Kirche befindet sich eine Grotte, in welcher der russische Gesandte und Schriftsteller Aleksandr Sergeevič Griboedov (1795-1829) 1832 bestattet wurde. Er war als Botschafter nach Teheran gesandt worden, um ausstehende Reparationszahlungen Turkestans einzutreiben. Einem armenischen Christen und zwei jungen armenischen Christinnen hatte er 1829 in der russischen Botschaft Asyl gewährt. Islamische Geistliche verbreiteten daraufhin das Gerücht, die Frauen sollten zum Christentum bekehrt werden. Nun wurde die Botschaft gestürmt und 44 Personen, darunter Griboedov, wurden ermordet. – Griboedovs Theaterstück Горе от ума (Verstand schafft Leiden), entstanden 1823, wird gerne aufgeführt.

Zum hundertsten Todestage von Griboedov wurde der Friedhof an der Davidkirche umgestaltet und mit dem Namen „Pantheon“ versehen. Nur berühmte Persönlichkeiten durften hier fortan begraben werden.

 

Auf diesem Friedhof ruht auch die Mutter Stalins, Keteban (Katharina) Džugašvili, geborene Geladse (1855-1937).

Die Anzschis-chatibasilika stammt aus dem 6. Jahrhundert. Die kostbare und alte Christusikone stammt aus dem Kloster Antschi, das heute in der Türkei liegt. Der quadratische Unterbau, die Ziegelbauweise, die entlang des Spitzbogens pfeilförmig auseinanderlaufenden Linien des Mauerwerkes und die vertikal in der Außenfront versenkten engen Mauernischen verraten iranischen Einfluß. 1675 wurde ein Glockenturm erbaut, der das Ensemble anziehend macht: Das graublaue Steingefüge des Glockenstuhles kontrastiert mit dem Ziegelmauerwerk des Unterbaus.

1996 bis 2004 wurde die monumentale Dreieinigkeitskathedrale (Sameba) errichtet. Auf dem Gelände befinden sich heute die Residenz des Katholikos, ein Kloster, ein Priesterseminar und die theologische Hochschule.

Sonntag, 26. Juli Fest der Väter der ersten sechs Konzilien

Liturgie in der Sionikathedrale. Dir georgischen Gesänge wirken wie ein Klang aus ferner Zeit. Sie werden gleichsam heldenhaft vorgetragen. Zwei Chöre respondieren einander.

Wir erleben eine Priesterweihe. Auf die Frage des Katholikos, ob der Diakon würdig sei, erfolgt der mehrmalige Ruf des Chores: ἄξιος (würdig). Der Weihekandidat wird beim Kleinen Einzug mit dem Großen Velum auf dem Kopf von zwei Priestern vor die Ikonostase geführt. Später umschreitet er den Altar.

Ein Flug nach Moskau (750 km) kostet für Einheimische achtzehn Rubel. Sie verkaufen dort Trauben und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse, fliegen zurück und haben dabei noch einen guten Gewinn.

Mzcheta, 20 km nördlich von Tiflis am Zusammenfluß von Kura und Aragvi gelegen, war vom sechsten vorchristlichen bis zum sechsten nachchristlichen Jahrhundert Hauptstadt Iberiens (Ostgeorgiens).

Wem klingeln da die Ohren? Gibt es nicht eine Iberische Halbinsel? Warum die gleiche Bezeichnung? Dieses ist das vom Hiberusfluß (Ebro) durchflossene Land, jenes ist die Gegend, welche Strabon in seinen Γεωγραφικά (XI, 3) beschreibt, ohne die Etymologie anzugeben. (Von Strabon sind weder das Geburts- noch das Todesjahr bekannt. Er lebte bis 20 vor Christus in Alexandreia.) Das Pfefferkraut heißt im Griechischen Ιβηρίς nach seiner Heimat Ιβηρία.

Es gibt drei Erklärungsversuche für die Benennung des kaukasischen Iberiens. Die Griechen bezeichneten die beiden extremsten Landstriche ihrer Weltsicht mit Iberien, um ihren Reichtum hervorzuheben (Tartessos und die Kolchis des Goldenen Vlieses).

Eine andere Hypothese geht vom armenischen Virk / Iverk aus, das Georgien bezeichnet.

Der dritte Ansatz betrachtet den Umstand, daß die Indoeuropäer bei der Erweiterung ihres Siedlungsgebietes die ursprünglichen Sprachen und Kulturen allmählich verdrängten. Am Rande Europas gibt es das Land der Basken. Baskisch ist mit keiner anderen Sprache genetisch verwandt, hat aber strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem Altgeorgischen, insofern es häufig den Optativ (die Wunschform) gebraucht.

Die beiden Iberien erinnern an Gallien, Galicien und Galatien, weit voneinander entfernte ehemalige Siedlungsgebiete, in diesem Falle der Kelten.

Mzcheta war eine wichtige Handelsstadt der Seidenstraße zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer sowie vom Orient über die Georgische Heerstraße in den Norden. Der Ortsname geht auf den legendären Gründer Mzchetos zurück.

Die Kreuzkirche (Džuari) steht mit ihrem Vorgängerbau aus dem 6. Jahrhundert an der Stätte eines Tempels der Feuerverehrer. Es ist ein Tetrakonchos (vier Konchen: Muscheln, Einbuchtungen, Wandnischen) mit Diagonalnischen. Dieses gebaute Kreuz symbolisiert den Sieg des Christentums. Mit den Eckzwickeln gelingt die Überleitung zum Tambour. Damit wurde architektonisches Neuland betreten. Die symbolisch dargestellte Himmelfahrt Christi im Tympanonfeld des Südportals wirkt stilbildend für die folgende Zeit: Ein aus zwei Palmettenwedeln aufsteigendes und von einem Medaillon umrahmtes Kreuz wird von zwei Engeln getragen.

Die Kirche der Leben spendenden Säule (Svetizchoveli) geht auf das vierte Jahrhundert zurück und wurde mehrmals zerstört und wieder aufgebaut. Das heute zu sehende Gebäude stammt aus dem elften Jahrhundert. Die Überlieferung von der himmlischen Säule erinnert an die der armenischen Kathedrale Etschmiadsin. Die Kathedrale war Sitz des Katholikos sowie der Krönungs- und Begräbnisort der georgischen Monarchen. Es handelt sich um eine Kreuzkuppelkirche, die aus gelbem Sandstein erbaut wurde. In der Fassade bedeuten gemeißelte Pfauenfedern die Apostel. Der heilige Georg, der Patron des Landes, ist zu sehen. Für die Fenster der Apsis wurde roter Stein verwendet. An der westlichen Stirnseite der Kathedrale zeigt ein großes Fenster Christus mit Engeln zu beiden Seiten.

Wir werden vom Katholikos Ilia II. empfangen. Wie bei allen anderen Kirchenbegegnungen geht es um zwei Themen: Die Einheit der Christen (Anmerkung: unter Führung der Orthodoxen Kirche) und der Frieden. Wir erfahren auch Zahlen: Für die 200 geöffneten Kirchen des Landes gibt es 300 Priester. Zum Schluß erhält jeder Reiseteilnehmer ein vom Katholikos handsigniertes Buch: Goldschmiedekunst und Toreutik in den Museen Georgiens, Leningrad 1986. Toreutik ist Bildnerei in Metallen, im Gegensatz zur Skulptur, der Arbeit in Stein, Keramik und Holz.

Die Kirche der heiligen Nino wurde im 11. Jahrhundert erbaut. Sie gehört zum Frauenkloster der Verklärung (Samtavro), in dem zwölf Schwestern leben. Ihr vorgelagert ist eine kleine Kuppelkirche aus dem vierten Jahrhundert. Nordöstlich befindet sich ein Ausgrabungsgelände einer Ansiedlung aus dem achten Jahrhundert vor Christus. Gefunden wurden Bronzegürtel und ein Hausaltar. Die Funde aus diesem Areal sind im Museum von Mzcheta zu bewundern.

Kloster Samtavisi: Die erhaltene Kathedrale wurde von 1030 bis 1168 erbaut. Die Ostfassade zeigt das Kreuz als Lebensbaum. Vom Stamm des lebensbaumes zweigen rechts und links je ein hochgestelltes Quadrat ab. Verbindend ist die Zahl Vier: vier Kreuzesarme, vier Ecken des Quadrates, vier Elemente (Luft und Erde, Wasser und Feuer), vier Jahreszeiten, vier Himmelsrichtungen. Das Kreuz verleiht dem gesamten Kosmos Leben. Zur Rechten und Linken des Lebenskreuzes wachsen aus dem „Stamm“ der mittleren Blendarkaden zwei Dreiviertelkreisnischen, die in einem Kreuz münden. So werden die drei Kreuze des Golgothahügels angedeutet. Zugleich sind die beiden flankierenden Kreuze Rhipidia (liturgische Fächer), die sich rechts und links des Opferaltares Golgotha befinden.

Montag, 27. Juli

Uplisziche (Herrenfestung) ist eine Felsenstadt am nördlichen Ufer der Kura. Wohnungen, Paläste, Kirchen und Straßen wurden aus dem weichen Felsgestein herausgeschlagen. Der Ort besteht seit dem ersten Jahrtausend vor Christus, die ältesten erhaltenen Teile der Stadt stammen aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus und tragen späthellenistisches Gepräge: Giebeldreieck und Tonnengewölbe mit unterlegter Kassettendecke. Dies war eine Nekropole mit vorgelagertem Zeremonialplatz. Die Stadt lebte vom Handel der Seidenstraße. Nach dem Zerfall des Byzantinischen Reiches brachen die Handelsbeziehungen zu Westeuropa ab und die Bewohner verließen allmählich die unwichtig gewordene Stadt. Erhalten ist die Dreikirchenbasilika aus dem dreizehnten Jahrhundert.

Gori (Hügel) war im Mittelalter ein Handelsort am Karawanenweg von Konstantinopel nach China (über Trapezunt und Mittelasien). Pompeius belagerte die Festung der Stadt im Jahre 65 vor Christus vergeblich. Am 21. Oktober 1879 wurde in diesem Ort Ioseb Besarionis dse Džugašvili geboren, bekannt unter dem Namen Josef Stalin. Wir besichtigen sein Geburtshaus: eine kleine, ärmliche Hütte. Der Busfahrer hat ein Porträt von ihm an der Windschutzscheibe. Es gibt Ikonen, auf denen er im Gespräch mit der heiligen Matrona von Moskau zu sehen ist.

Dienstag, 28. Juli

Kloster Kinzvisi (Qinzwisi, Qincvisi): In der Hauptkirche ist ein Engel dargestellt. Es handelt sich um den Engel, welcher die Auferstehung Christi verkündet. Er sitzt im Grab. Die Wendung seines Hauptes, die seine Verkündigung begleitet, ist einzigartig. Seine von einem Trauerrand umflorten Flügel bewegen sich leicht. Sein rechter Zeigefinger weist auf das leere Grab. Die gekreuzten Hände verweisen auf die Überwindung des Todes und des Hasses durch das Kreuz. Lapislazuli (Lasurstein) spendete das Blau seiner Kleidung und des Hintergrundes.

Die erhabene Strenge früherer Werke weicht hier einer freieren, lebendigen, poetischen Auffassung der menschlichen Gestalt. Dieses Fresko ist von tief empfundener Menschlichkeit erfüllt. Mit sicherer Strichführung sind die Konturen gebildet, weich das Gesicht modelliert, dazu ein leuchtendes Kolorit verwendet. Dies alles spricht für künstlerische Vollendung. (Vgl. Edith Neubauer, Altgeorgische Baukunst, Leipzig 1976, 104f.)

Levan Partenovič Gotua (1905-1973) erzählt, daß Fürst Schiosch Panaskerteli (benannt nach der Festung Panaskert, Region Tao) Iowane, den gehörlosen Schüler des verstorbenen Kirchenmalers suchen ließ, um ein fehlendes Fresko in der Klosterkirche Kinzvisi ausführen zu lassen. Iowane errät den Wunsch des Fürsten, daß dessen Tochter Lelai, die kurz vor der Heirat steht, das Modell für diesen Engel abgeben soll. Hingerissen von ihrer Schönheit, macht sich der einsame Maler anʼs Werk. Er, der Einsame, hat sich in sie verliebt. Nach ihrer Hochzeit malt er einen Trauerrand um die Flügel des Engels und stürzt sich in die Schlucht hinunter.

o   Леван Готуа, Каменный фазан. Рассказы, Übersetzung aus dem Georgischen ins Russische, Tiflis 1962. Zweite Erzählung: Qincvisis angelosi. Motʼxrobebi. Кинцвисский ангел.

o   Lewan Gotua, Der Engel von Qinzwisi, übersetzt von Ruth Neukomm, in: Georgische Erzähler der neueren Zeit, Zürich 1970; zweite Auflage, Zürich 1984, 245-302.

Hier hatte Marc Chagall Anregungen erhalten!

 

Der Engel von Kinzvisi, 12. Jahrhundert (Quelle: Wikipedia)

 

Um zur Sionikirche von Ateni zu gelangen, 15 km südlich von Gori, müht sich der Bus, einen steilen Felsweg zu erklimmen. Im Bus erhebt sich Gemurre und Kritik, weil das Vorhaben halsbrecherisch ist, doch wir gelangen ohne Unfall hoch zum Felssockel der Kirche.

Die Kirche ist eine Kopie der Kreuzkirche (Džuari) in Mzcheta. Sie entstand im 10. Jahrhundert. An der Nordecke der Westfassade ist Samsons Kampf mit dem Löwen dargestellt (Ri 14, 6). Das Tympanonrelief des Nordportals zeigt zwei gegenüberstehende Hirsche, die aus einem Brunnen trinken; Symbol für die Taufgnade und die Erlösung. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach Dir“ (Ps 42, 2).

Bei den Fresken im Inneren wird die heilige Nino unter die Propheten und Martyrer eingereiht.

Die Fresken der Apsis wirken monumental und streng. Sie sind mit feinen Pinselstrichen ausgeführt und bevorzugen das Blau: Darstellung der siegwirkenden (νικοποῖα) Gottesgebärerin, flankiert von den Erzengeln Michael und Gabriel, darunter die zwölf Apostel und griechische Kirchenväter: Gregorios von Nazianz, Johannes Chrysostomos, Basileios der Große, Athanasios von Alexandreia und Kyrill von Jerusalem.

Für die übrigen Fresken ist ein breiter, flüssiger Pinselstrich charakteristisch; bevorzugt wird der warme Ockerton. Dargestellt sind die zwölf Kirchenfeste und ein Marienzyklus: Verkündigung, Begrüßung Mariens und Elisabeths, Traum Josephs, Geburt Christi, Entschlafen der allheiligen Gottesgebärerin.

Kutaisi ist die Hauptstadt Westgeorgiens, 160 km nordwestlich von Gori gelegen. In Westgeorgien befanden sich die Königreiche von Imeretien und Mingrelien. Die Anfänge dieser Stadt lagen im achten Jahrhundert vor Christus. Von hier aus gibt es eine Schiffsverbindung über den Rioni bis zum Schwarzen Meer. Es entstand ein Handels- und Handwerkszentrum am Karawanenweg von Hellas nach Indien.

Apollonios von Rhodos erwähnte im dritten vorchristlichen Jahrhundert Kytaia als Hauptstadt der Kolchis (Aia). In der Argonautensage war die Kolchis die Heimat der Medea und das Ziel Iasons und der Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies, dem Fell des Chrysomeles, eines goldenen Widders, der sprechen und fliegen konnte. Pragmatischer Hintergrund dieses Mythosʼ ist, daß im Kaukasus Schaffelle verwendet wurden, um Goldstaub aus dem Sand der Flüsse zu waschen.

o   Apollonios von Rhodos, Das Argonautenepos, herausgegeben, übersetzt und erläutert von Reinhold Glei und Stephanie Natzel-Glei, Texte zur Forschung 63f, 2 Bände, Darmstadt 1996, Bd. I, 134: „Die Söhne des Phrixos hatten ein kolchisches Schiff bestiegen und waren aus Aia vom Kytaier Aietes zur Stadt des Orchomenos aufgebrochen, um den unermeßlichen Reichtum ihres Vaters zu holen; denn er hatte ihnen auf dem Sterbebett diese Fahrt aufgetragen“ (II. Buch, 1093-1096).

Auf dem Ukimerioniberg thront die Ruine der gewaltigen Bagratkathedrale, die 1003 vollendet wurde und dem Entschlafen der allheiligen Gottesgebärerin geweiht ist, am Ort der Festung des Königreiches Lasika aus dem 6. Jahrhundert nach Christus. Diese Kathedrale Bagrats III. ( 1014) war ein Zeichen der Repräsentation und der Macht gegenüber den separatistischen Neigungen des Adels. Der Baumeister Bagrats verlängerte den basilikalen Westarm durch einen Narthex (Vorhalle) mit Herrscherempore, die an den Seiten durch zwei Treppentürme zu erreichen war („Thron und Altar“). Das linke Kapitell am Südportal zieren Widderköpfe, ein Adler, der einen Hasen in den Fängen hält, Halbpalmetten und stilisierte Akanthusblätter. Die Kapitelle der Säulen in den Portiken (Säulengängen) schmücken florale Motive, ebenso wie Adler, Stiere, geflügelte Pferde und Löwen.

Mittwoch, 29. Juli

Während der Fahrt platzte bei unserem Bus ein Reifen. Ein Ersatzreifen war zwar vorhanden, aber kein Wagenheber. Ein Reiseteilnehmer hielt einen Mercedeslastwagen an, dessen Fahrer konnte uns aber auch nicht helfen. So mußten wir warten, bis ein Ersatzbus kam.

In Zkaltubo („Heißes Wasser“), 15 km nordwestlich von Kutaisi, bezogen wir das gleichnamige Hotel. Bei der Ankunft gab es kein Wasser. Eine Reiseteilnehmerin betrat das Bad in ihrem Hotelzimmer und stellte fest, daß die Badewanne bis zum Rand mit Wasser gefüllt war. Sie ärgerte sich über diese vermeintliche Nachlässigkeit, ließ indigniert das Wasser durch den Abfluß ablaufen und hatte danach kein Waschwasser mehr auf ihrem Zimmer. Das Wasser war vorsorglich gespeichert worden, als es noch etwas gab. Die mitleidige „Etagenfrau“ (auf jeder Etage des Hotels war eine Frau für alltägliche Dinge zuständig) brachte ihr schließlich Wasser in einem Eimer.

In der Umgebung sind Teeplantagen. Gerade jetzt ist die Teeernte. In Rußland wird außerordentlich viel Tee getrunken. Georgien war in der Vergangenheit der größte Lieferant für Tee. Der „Offizierstee“ aus Georgien war äußerst beliebt. In unserer Zeit (2023) erfährt Teeanbau und -handel in Georgien eine Wiedergeburt.

Der Standardwitz unserer Dolmetscherin war: Was heißt „Teefabrik“ auf Georgisch? – Tschais fabrika.

Kloster Gelati, zehn km nordöstlich von Kutaisi, Das Kloster der Geburt der allheiligen Gottesgebärerin (aus γενεά – Geburt wurde im Georgischen Gelati) gründete Davit der Erneuerer (1073-1125), der aus Kutaisi stammte, als königliches Hofkloster und als Akademie. Das Kloster wurde zum geistigen Zentrum Georgiens. Gelehrt wurden die Freien Künste, welche die Lehrer aus Konstantinopel in neuplatonischem Geist darstellten. Wichtige Werke wurden übersetzt und kommentiert. Handschriften wurden abgeschrieben und mit Miniaturen verziert. Es gab begabte Gold- und Silberschmiede. Das Kloster Gelati war führend und impulsgebend auch für die georgischen Klöster auf dem Heiligen Berg Athos, in Jerusalem (Heiligkreuz) und in Bulgarien (Entschlafenskloster Petritsoni/Bačkovo).

Die Hauptkirche der Geburt Mariens wurde 1125 vollendet. Das Relief unter dem Mittelfenster der Ostapsis zeigt drei wulstförmige Ringe als Zeichen der Dreieinigkeit und der Vollendung. In der Kuppel ist der Pantokrator dargestellt, der wiederkehrende Allherrscher. Darunter die Zwölf Feste, die Werke Christi, das Marienleben und Darstellungen der Heiligen. In der Halbkuppel über der Apsis ist die siegwirkende (νικοποῖα) Gottesgebärerin dargestellt, flankiert von den Erzengeln Michael und Gabriel. Sie trägt über dem bräunlichen Chiton (Unterkleid; Erde, Menschlichkeit) das dunkelblaue, goldgesäumte Maphorion (Schleier, Umschlagtuch; Göttlichkeit) mit drei goldenen Sternen auf Stirn und Schultern als Zeichen der Jungfräulichkeit vor, während und nach der Geburt (Origenes, Kommentar zum Matthäusevangelium 2, 17). Diese Aussage über eine biologisch unmögliche Geburt weist auf die Gottheit Christi. Christus wird als Logos wiedergegeben und trägt dementsprechend ein Philosophengewand. Die Schriftrolle in seiner Linken bedeutet, daß das Evangelium noch nicht verkündet worden ist. Mit der Rechten segnet er, wobei die Finger die griechischen Buchstaben ΙC ΧC (Jesus Christus, wobei C die spätere Form für Σ ist). Die beiden mit weit ausschwingenden Flügeln dargestellten Erzengel tragen in der einen Hand eine Sphärenkugel und in der anderen eine Standarte (Labarum) als Zeichen ihrer kosmischen Macht, wobei aus Gründen der Symmetrie der linke Engel die Sphärenkugel in seiner Linken hält und der rechte in seiner Rechten. Mit der Standarte ist es dementsprechend. Sie tragen kaiserliche Prunkgewänder, Michael in Smaragdgrün und Gabriel in Silberlila.

Die Liturgie wird bildhaft in drei verschiedenen Rängen dargestellt. Der unterste Rang stellt Johannes Chrysostomos als Schöpfer der Chrysostomosliturgie und Basileios als Schöpfer der Basileiosliturgie dar, zugleich Gregorios von Nazianz und Athanasios als Grundleger der Christologie. In der Mitte steht der von je einem Altardienerengel flankierte Altar, auf dem der Diskos mit Christus, dem Opferlamm, steht. Dieser Rang bezieht sich auf die Liturgie, die in unserem Leben gefeiert wird. Der mittlere Rang stellt die Spendung der Heiligen Gaben an die Apostel dar, rechts Kelch mit dem Wein und links Brot. Dies ist die Erste Liturgie, die Jesus Christus mit den Aposteln feierte. Im obersten Rang ist die Himmlische Liturgie mit Christus als Hohempriester abgebildet. Engel schreiten von rechts nach links und führen das Grabtuch Christi mit seiner lebensgroßen Abbildung mit sich. Im südlichen und nördlichen Kreuzarm sind die Zwölf Feste des Kirchenjahres abgebildet. Besonders eindrücklich wird der Threnos, die Beweinung Christi nach der Abnahme vom Kreuz, dargestellt. Sodann Christus, wie er die Pforten des Hades zertritt und den Entschlafenen Leben verleiht. Schließlich die myrontragenden Frauen am Grabe. Die Hetoimasia (Bereitschaft, neugriechisch ausgesprochen: Etimasia): Der leere Thron Christi mit dem Buche des Lebens und der Taube weisen auf die Wiederkunft Christi hin, die es allezeit zu erwarten gilt.

Die Nikolauskirche stammt aus dem 13. Jahrhundert. Der kleine Kreuzkuppelbau thront auf einem torgangähnlichen Geschoß mit seitlichen Arkadenöffnungen, an dessen Nordseite eine steinerne Treppe hinaufführt. Das Untergeschoß der Nikolauskirche diente als Durchgang auf dem Weg von der Akademie zur Hauptkirche. Die Studenten sollten sich in Demut üben und nicht auf ihr Wissen stolz sein; denn vor Gott schwindet eine eingebildete Größe dahin.

Donnerstag, 30. Juli

Kurz hinter Kutaisi finden sich Bäume zu beiden Seiten des Weges, die mit bunten Bändern und Stoffstücken behängt sind. Sie werden hier als „Wunschbäume“ bezeichnet. Das ist aus Tibet bekannt; es handelt sich um Gebetsfahnen. Wir nähern uns einem Wallfahrtsort. In Motsameta (Ort der Martyrer) lebte seit 1956 Archimandrit Tormike. Er öffnete die Kirche wieder, die heute ein freundliches Inneres hat. In diesem Kloster leben vier Priestermönche und ein Mönchsdiakon.

 Nachdem Atheisten die Reliquien der heiligen Konstantin und Davit verspottend durch die Straßen der Stadt geführt hatten, verbargen Gläubige sie. Vater Tormike brachte sie wieder in die Ostapsis der Kirche.

Konstantin und Davit waren Fürsten von Argveti gewesen, die sich gegen die Schreckensherrschaft Marwāns II. ibn Muḥammad (688-750) gewandt und dafür im Jahre 733 mit Stöcken zu Tode geprügelt worden waren. Die Georgier nannten Marwān den Tauben und die Armenier nannten ihn den Blinden, weil er gegenüber dem Flehen um Gnade taub war und Greueltaten nicht sah. Bisher war dem Islam religiöser Fanatismus fremd gewesen, aber Marwān führte ihn ein. Von 744 bis zu seinem Tode war er der letzte Kalif der Umajjaden, die über das Maurische Spanien, ganz Nordafrika, den Kaukasus und den Nahen Osten herrschten (Marokko, Libyen, Tunesien, Ägypten, Palästina, Syrien, das spätere Jordanien, Saˁūdī-Arabien, Iraq und Iran).

Wir befahren an diesem Tag einen Teil der Ossetischen Heerstraße, die Alagir mit Kutaisi verbindet (270 km). Sie wurde 1889 von der Russischen Armee gebaut.

Tkibuli, 25 km nordöstlich von Kutaisi. Vor dem Rathaus steht ein Denkmal Josef Stalins, das in den frühen 1990er Jahren entfernt, jedoch am Ende der 1990er Jahre wieder aufgestellt wurde. 2009 wurde es wiederum entfernt. Die höchste Stelle ist der Mamisonpaß mit 2.820 m über dem Meeresspiegel.

Fahrt über den Ratschapaß, 1200 m hoch. Hinter dem Charistvalastausee taucht die Ortschaft Nikorzminda (Nikolausdom) auf. Die Bischofskathedrale wurde von Bagrat III. zwischen 1010 und 1014 erbaut. Der Form nach ist es ein kreisförmiger Zentralbau, den ein Kranz von sechs Konchen (halkreisförmige, mit einer Halbkuppel überwölbte Räume) umgibt (Sechspaß) mit dem Umriß einer Kreuzkuppelkirche. Dies ist einzigartig in Georgien.

Im Giebeldreieck der Westfassade ist der thronende Christus mit segnender Rechten und mit dem Evangeliar in der Linken abgebildet, umgeben von dem Lebenssymbol der Pinienzapfen, an der Ostfassade die Verklärung Christi, flankiert von den Reiterheiligen Georg und Theodor und an der Südfassade die Himmelfahrt Christi, umgeben von vier fliegenden Engeln. Alle Reliefs sind großfigurig im blockhaft-hieratischen Stil der Kerbschnittechnik ausgeführt.

Im 16./17. Jahrhundert wurde der Innenraum mit Fresken versehen. Typisch für diese späte Zeit ist die Kleinteiligkeit und Fülle der Darstellungen. Während sich die Bilder in frühen Kirchen auf die Darstellung des Wesentlichen beschränken, findet sich hier enzyklopädische Breite wie bei einem Kompendium der Bibel.

Ein Bergarbeiter erzählte, daß er jeweils sechs Stunden arbeitet und zwar abwechselnd in vier Schichten. Er verdient fünfhundert Rubel im Monat. Er hatte einen Plastikkanister mit „bayrischem“ Bier bei sich.

Freitag, 31. Juli

Gagra liegt 65 km nordwestlich von Suchumi. Hier gibt es die Festung Abaata aus dem fünften Jahrhundert mit der Kirche des heiligen Hyapatios aus Gagra ( 325). Alexander Friedrich Konstantin von Schleswig-Gottorf, Prinz von Oldenburg (1844-1932) ließ sich von 1898 bis 1902 in Gagra ein Jugendstilschloß bauen. Er wurde im Jahre 1900 von Zar Nikolaj II. Aleksandrovič beauftragt, die Stadt Gagra zu einem Urlaubs- und Kurort für die russische Elite umzubauen. Dies geschah bis 1903. Zunächst wurde die Ausbreitung der dort häufig vorkommenden Krankheit Malaria eingedämmt. Dann pflanzte man Palmen, Agaven, Zypressen, Zedern, Magnolien sowie Zitronen- und Orangenbäume. Schließlich wurden Papageien und Affen eingeführt.

Dranda liegt 20 km vor Suchumi. Hier befindet sich ein Kloster mir einer Kirche aus dem sechsten Jahrhundert, eine Kreuzkuppelkirche mit vier Säulen. Dieser Bautyp war zu jener Zeit in Byzanz weit verbreitet.

Suchumi ist die Hauptstadt Abchasiens. Diese Hafenstadt liegt am Schwarzen Meer. Als wir nach einer 270 km langen Fahrt beim Hotel Abchasia (Abkhazia) eintreffen, zeigt es sich, daß es abgebrannt war. Dieses Hotel war in den 1930er Jahren erbaut worden und wurde von den Georgiern nach einer Information der spanischen Wikipedia als ihr Eigentum betrachtet. Da sich die Abchasier weigerten, dies anzuerkennen, brannten die Georgier das Hotel nach Angaben der englischen Wikipedia im Jahre 1985 ab. Leider gibt weder die spanische noch die englische Seite der Wikipedia die Quelle für diese Nachrichten an. Warum davon weder der Busfahrer noch die Dolmetscherin wußten, wird wohl immer schleierhaft bleiben.

Die Gruppe wird nachdenklich, zumal uns keinerlei Informationen über die Ursache gegeben werden.

Nach einiger Zeit werden wir zu dem Campingplatz „Sinop“ gefahren und beziehen dort Hütten.

Die Griechen hatte auf dem Gebiet der heutigen Stadt im sechsten Jahrhundert vor Christus die Kolonie Dioskurias gegründet. Byzanz bezeichnete die Stadt als Sebastopolis. In der Folgezeit war die Herrschaft über die Stadt umstritten, abwechselnd waren es Osmanen und Russen. Im Bürgerkrieg 1992 bis 1994 kämpften Russen, Georgier und Čečenen. Letztere verübten schließlich ein Massaker an Georgiern.

Die alte Festung hatte in römischer Zeit die Form eines Vierecks, dessen Ecken durch Wehrtürme abgesichert waren.

Sehenswert ist das Schloß  König Bagrats III., der Abchasien von 978 bis 1014 regierte. Die Mauern haben eine Breite von 1,80 m.

Dyrmit (Demetrios) Gulia (1874-1960) stand am Beginn der modernen abchasischen Literatur. Ihm und seinem Werk ist ein Museum gewidmet, das auch eine naturkundliche und eine historische Sammlung enthält. Wichtigstes Objekt ist die marmorne Flachreliefdarstellung einer Frau mit Kind aus dem fünften Jahrhundert vor Christus, die 1953 vor der Mündung des Flusses Besleti an der Stelle des alten Dioskurias gefunden wurde.

Samstag, 1. August

Rückflug nach Moskau.

Sonntag, 2. August 1987

Flug nach Frankfurt am Main.

 

Bibliographie

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© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2023

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