Die Zeitschrift "Orient und Occident"

 

Klaus Bambauer

 

 

Es ist bekannt, dass N.Berdjajew als Mitarbeiter an der Zeitschrift "Orient und Occident" beteiligt war. In seinem Aufsatz "Berdjajew und die Schweiz" fasst Erich Bryner die Einzelheiten der Entstehungsgeschichte zusammen: (1) "Denken und Schriften des russischen Religionsphilosophen Nikolaj Berdjajew (1874-1948), der 1922 aus Russland ausgewiesen worden war und sich erst in Berlin und dann endgültig in Paris niedergelassen hatte, fanden vor allem in den 1930er und 1940er Jahren in der Schweiz eine rege Beachtung. Der Basler Theologe Fritz Lieb (1892-1970) hatte Berdjajew dazu gewinnen können, an der von Paul Schütz und ihm herausgegebenen Zeitschrift 'Orient und Occident' (Leipzig 1929-1934, J.C.Hinrich'sche Verlagsbuchhandlung, 1929-1943, 17 Hefte) maßgeblich mitzuarbeiten. Als sich Lieb nach seiner Ausweisung aus Bonn kurz nach der Machtergreifung Hitlers 1933 nach Paris begeben hatte, pflegte er mit Berdjajew eine tiefe Freundschaft. In den drei Jahren, in denen sich Lieb in Paris aufhielt, begegnete er seinem russischen Freund fast jeden Tag, und er war bis ins hohe Alter hinein stolz darauf, dass Berdiajew ihm das 'Du' angetragen hatte, eine für russische Aristokraten außerordentlich seltene Geste. Wegen ihrer geringen Abonnentenzahl konnte sich die Zeitschrift allerdings nur kurz halten. 1934 kündigte der Verlag die Zusammenarbeit. Lieb fand nach vergeblichen Verhandlungen mit dem Vita Nova Verlag in Luzern im Gotthelf Verlag in Bern für kurze Zeit einen neuen Partner ('Orient und Occident'. Neue Folge 1936, 3 Hefte), doch auch hier zwangen ökonomische Zwänge bald zur Aufgabe. In der Schweiz hatte die Zeitschrift gerade 35 Abonnenten, in Deutschland war sie vor allem wegen des zweiten Heftes der Neuen Folge mit dem Thema 'Die biblische Botschaft und Karl Marx' von der Geheimen Staatspolizei verboten worden. Die Neue Folge war 'in Verbindung mit Nikolaj Berdjajew' erschienen".

 

Über die Verbreitung von Berdjajews Schriften in der Schweiz äußert sich E.Bryner: "Der Vita Nova Verlag, der 1934 vom deutschen Emigranten Rudolf Roessler (1897-1958) mit Hilfe katholischer Kreise in Luzern gegründet worden war und ein christlich-demokratisches, antikommunistisches und antinationalsozialistisches Programm führte, verlegte – trotz der Ablehnung von 'Orient und Occident' – eine ganze Reihe deutscher Übersetzungen von Büchern Berdjajews. Dazu gehörten die Werke 'Wahrheit und Lüge des Kommunismus' (1934), 'Das Schicksal des Menschen in unserer Zeit' (1935),(2) 'Die Gefährdung des Christentums durch Rassenwahn und Judenverfolgung' (1935), 'Von der Würde des Christentums und der Unwürde der Christen' (1936), 'Vom Sinn und Schicksal des russischen Kommunismus' (1937), 'Der Mensch und die Technik' (1943).

 

In diesen Büchem leistete Berdjajew u.a. eine tiefschürfende Analyse über das Phänomen des Kommunismus, der seiner Meinung nach sehr wichtige Wahrheitsmomente enthält, weil er für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit kämpft, jedoch einer grundfalschen Ideologie verhaftet ist, welche den Geist leugnet, Unmenschlichkeit erzeugt und damit seine Grundansätze ins genaue Gegenteil verkehrt. In seinen Schriften gegen den Antisemitismus kämpfte Berdjajew gegen kleinbürgerlichen, rassenideologischen, ökonomisch-politischen und christlichen Antijudaismus. Mit Fragen einer zeitlosen christlichen Philosophie und Lebenshaltung, der christlichen Anthropologie und Ethik und mit der Kritik christlicher Irrwege beschäftigen sich weitere Schriften Berdjajews in diesen Jahren".

 

Durch diese und zahlreiche Publikationen anderer Autoren wurde der Luzerner Vita Nova Verlag zu einem Zentrum des deutschsprachigen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und den Sowjetkommunismus. Der Verlagsleiter gehörte übrigens zu den wichtigsten Nachrichtendienstlern des 2. Weltkrieges, die in der Schweiz saßen und den Alliierten mit geheimsten Nachrichten dienten, deren Fäden bis ins Führerhauptquartier reichten.

 

Auch andere Schweizer Verlage brachten in diesen Jahren Schriften von Berdjajew über verwandte Themen heraus, so der Gotthelf Verlag in Bern. In ihm erschien das anthropologische Werk "Von der Bestimmung des Menschen. Versuch einer paradoxalen Ethik" (1935). Ein kleines, aber sehr konzentriert geschriebenes Heft "Christentum und Antisemitismus. Das religiöse Schicksal des Judentums", druckte der Verlag der religiös-sozialen Vereinigung der Schweiz in Zürich 1939" (3).

 

Was F.Lieb, seine Biographie sowie seine umfangreiche literarische Sammlung betrifft, so erfahren wir: "Nach der russischen Revolution von 1917 lernte Fritz Lieb wie viele junge Intellektuelle im Westen die russische Sprache. Als Privatdozent der Basler Universität bereiste er mit seinen Russland-Vorträgen ganz Europa und fing an, russische und slavische Bücher über die Kirchen- und Geistesgeschichte, die Religionsphilosophie und Literaturwissenschaft systematisch zusammenzutragen"(4).

 

Nachdem Lieb Deutschland unter abenteuerlichen Umständen verlassen musste, fand er Zuflucht in Clamart bei Paris. Während seiner "Pariser Emigration" gründete Fritz Lieb die antifaschistische Freie deutsche Akademie und brachte zwischen 1935 und 1936 mit seinem Freund, dem russischen Religionsphilosophen Nikolaj Berdjajew, die neue Folge der Zeitschrift "Orient und Occident" heraus. Diese "Blätter für Theologie und Soziologie", die sie zwischen 1929 und 1934 in Leipzig herausgaben, sollten zum gegenseitigem besseren Verständnis des westlichen und östlichen Kulturkreises beitragen.

Diese Mittlerrolle verstand Fritz Lieb auch weiter zu pflegen, als er 1937 dem Ruf als außerordentlicher Professor für Dogmatik und Theologiegeschichte mit besonderer Berücksichtigung der östlichen Kirchen an der Basler Universität folgte.

 

Fritz Lieb schenkte der Basler Universitätsbibliothek nach seiner Rückkehr aus Paris seine russisch-slavischen Bücher, Periodika und Handschriften. Er vergrößerte diese Sammlung bis zum Ende der sechziger Jahre, nach seinem Tode baute seine Frau Ruth Lieb-Staehelin (1900-1986) diese Bibliothek weiter aus. Die Bibliothek Lieb zählte heute rund dreizehntausend Titel und gehört zu den bedeutendsten slavischen Sammlungen im Westen (5).

 

Im Nachlass F.Lieb, dessen umfangreicher Briefbestand von Michael Stricker durchforscht und zusammengestellt wurde, befindet sich auch ein Brief von Lydia Berdjaeva an Lieb sowie von Berdjajews Schwägerin, Eugenie Rapp, die sich sehr um Berdjajews Nachlass gekümmert und den Berdjajew-Biographen D.A.Lowrie maßgeblich unterstützt hat (6).

 

Anmerkungen

 

1) E.Bryner, Berdjajew und die Schweiz, in: Stimme der Orthodoxie Heft, 3/1996, S. 40-47, hier S. 47. Zit. Bryner, Berdjajew. Zu den weiteren Einzelheiten der Beziehung Berdjajews zu F.Lieb sowie zu der Zeitschrift "Orient und Occident" vgl. Stefan G.Reichelt, Nikolaj Berdjaev in Deutschland 1920-1950, Leipzig 1999, S. 119-127.

2) Vgl. die Rezension von Karl Löwith, Sämtl. Schriften Bd. 3, Stuttgart 1985, S. 416-420.

3) Bryner, Berdjajew, S. 47f.

4) Vgl. F.Lieb, Sophia und Historie, Zürich 1962, Die russisch-slawische Bibliothek Lieb in der Universitätsbibliothek Basel, S. 19-30.

5) Vgl. Michael Stricker, Nachlaß Fritz Lieb. Verzeichnis (Publikationen der Universitätsbibliothek Basel Nr. 9), Basel 1990.
Das Verzeichnis dieses Nachlasses gliedert sich wie folgt:
A. Korrespondenz
B. Schriften von Fritz Lieb
C. Der "Orient"
D. "Orient und Occident"
E. Schweizer Zeitung am Sonntag
F. Konferenzen
G. Politische Aktivitäten
H. Lehrtätigkeit
I. Materialien und Lebenslauf
K. Handschriften

6) N.Berdjajew, Selbsterkenntnis, Versuch einer philosophischen Autobiographie, Darmstadt 1953, S. 306f. Eugenie Rapp, die Schwester von Berdjajews Frau Lydia, lebte seit 1914 in Berdjajews Haus in Moskau, später in Clamart bei Paris. Siehe auch Donald A.Lowrie, Rebellious Prophet. A life of Nicolai Berdyaev, London 1960.

 

 

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