Vladimir Sergeevič Solov'ëv

 

Heinrich Michael Knechten

 

Vladimir Sergeevič Solov'ëv

 

Dieser Vladimir Solov'ëv war überhaupt kein Philosoph, darin irrt sich ganz Russland, er war vielmehr ein Alkoholiker und Wüstling! (1)

 

Wer ist dieser Mensch, über den ein derart vernichtendes Urteil gefällt wird? Vladimir Sergeevič Solov'ëv wird am 16.1.1853 in Moskau geboren. In seiner Schulzeit erlebt er eine religiöse Krise. Er empfindet das naturwissenschaftliche Weltbild als wissenschaftlich begründet, während ihm religiöse Aussagen nicht mehr einleuchten. 1869 schließt er das Gymnasium ab und erhält als Auszeichnung eine goldene Medaille. Er studiert Naturwissenschaften, besteht aber eine wichtige Prüfung nicht, und wechselt zur historisch-philologischen Fakultät. Dann widmet er sich ein Jahr lang dem Studium der Theologie, argwöhnisch beäugt, was denn ein Laie unter Priesteramtskandidaten möchte.

 

1874 promoviert er mit einer Arbeit über die Krise der westlichen Philosophie, die er als Argument gegen die Positivisten anlegt. (2) Hier wird deutlich, dass er seine religiösen Schwierigkeiten bewältigt und durch Spinoza, Schopenhauer und Eduard von Hartmann ein neues Verhältnis zur geistigen Welt gefunden hat. Er hat drei Visionen der Sophia (1862, im Sommer und im November 1875). Er lernt die Schriftsteller L.N.Tolstoj und F.M.Dostoevskij kennen. Er liebt Sof'ja Petrovna Chitrovo. Er wird Dozent für Philosophie an der Moskauer Universität, bricht aber bald zu einer großen Reise nach London, Ägypten, Italien und Paris auf.

 

1880 habilitiert er sich mit einer Arbeit über die Kritik abstrakter Prinzipien. (3) Nun hält er Vorlesungen in St. Petersburg, wird aber bereits 1882 freier Schriftsteller. Er nimmt gegen den Antisemitismus Stellung. (4) 1886 besucht er Kroatien und die steirischen Alpen. Er interessiert sich für die Katholische Kirche und gerät darüber in Streit mit den Slavophilen, vor allem mit Konstantin Nikolaevič Leont'ev (1831-1891). Er besucht Baden-Baden sowie Paris und veröffentlicht ein Buch über Russland und die Universale Kirche. (5) Er verliebt sich in Sof'ja Michajlovna Martynova und schreibt ein Buch über den Sinn der Liebe (6)

 

Er besucht Finnland, Schweden, Schottland, Frankreich und die Schweiz. Er hat Kontakt mit der Visionärin Anna Nikolaevna Schmidt. In Moskau liest er öffentlich seine Kurze Erzählung vom Antichrist (7) und wird daraufhin von Studenten der Universität für verrückt erklärt. (8) Er stirbt am 31.7.1900 in Uzkoe, in der Nähe Moskaus. (9) Sein Grab ist beim Neujungfrauenkloster in Moskau, neben dem seines Vaters, des Historikers Sergej Michajlovič Solov'ëv (1820-1879).

 

Theologie oder Anthropologie?

 

Ulrich Schmid urteilt: Als handelndes Subjekt bei der Lösung der metahistorischen Weltaufgabe tritt nicht in erster Linie Gott auf, sondern der Mensch, genauer: der zum Gottmenschentum berufene Mensch. Solov'ëvs Theologie entpuppt sich im Kern als Anthropologie. (10)

 

Trifft dieses Urteil zu? Solov'ëv stellt fest: "Das Werk der Religion ist die Wiedergeburt und Heiligung unseres Lebens, es mit dem göttlichen Leben zu vereinigen. Dies ist vor allem das Werk Gottes, kann aber nicht ohne uns geschehen: Unser Leben kann nicht ohne unser eigenes Wirken wiedergeboren werden." (11)

 

Solov'ëv vertritt den Gedanken der Synergie, des Zusammenwirkens zwischen Gott und Mensch, der sich vor allem bei Johannes Chrysostomos findet. (12) Die Alternative zwischen Theologie und Anthropologie trifft auf Solov'ëv nicht zu. Er entwickelt vielmehr eine Religionsphilosophie, für die er unter anderem theologische Elemente verwendet.

 

Anmerkungen

 

(1)   Vgl. V.V.Rozanov, Pod zolotymi makovkami v Kieve, in: Novoe Vremja, 21.7.1908, Nr. 11622; Okolo narodnoj duši, hg. v. A.N.Nikoljukin u. M.M.Beljaev, Moskau 2003, 325.

(2)   Vgl. V.S.Solov'ëv, Krizis zapadnoj filosofii. (Protiv pozitivistov), Moskau 1874.

(3)   Vgl. V.S.Solov'ëv, Kritika otvlečënnych načal, Moskau 1880.

(4)   Vgl. V.S.Solov'ëv, Talmud i novejšaja literatura o nem v Avstrii i Germanii, in: Russkoe Obozrenie 1885, Nr. 6. Siehe auch: V.S.Solov'ëv, Brief an L.N.Tolstoj, 28.2.1890, in: Ders., Pis'ma, Bd. 4, hg. v. Ė.L.Radlov, Peterburg 1923, 254.

(5)   Vgl. V.S.Solov'ëv, La Russie et l'Église universelle, Paris 1889.

(6)   Vgl. V.S.Solov'ëv, Smysl ljubvi, in: Voprosy folosofii i psichologii 1892, Nr. 14f; 1893, Nr. 17; 1894, Nr. 21.

(7)   Vgl. V.S.Solov'ëv, Tri razgovora o vojne, progresse i konce vsemirnoj istorii, so vključeniem kratkoj povesti ob antichriste i s priloženijami, St. Petersburg 1900.

(8)   Vgl. V.S.Solov'ëv, Brief an die Studenten der Moskauer Universität 1900, in: Ders., Pis'ma, Bd. 4, hg. v. Ė.L.Radlov, Peterburg 1923, 143f.

(9)   Heute gehört dieser Herrensitz des Fürsten Trubeckoj zum Südwesten der Stadt Moskau, Profsojuznaja ulica 123 A und B.

(10)                      Vgl. U.Schmid, Russische Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts, Freiburg i.Br., Basel u. Wien 2003, 31.

(11)                      V.S.Solov'ëv, Duchovnyja osnovy žizni, Predislovie, in: Pravoslavnoe Obozrenie 1884, Nr. 1; Sobranie sočinenij, Bd. 3, St. Petersburg 21914, 301.

(12)                      Vgl. Johannes Chrysostomos, Homilie 5,1 zum 2. Thessalonicherbrief, Patrologia Græca 62, 492D-493B.

 

Vladimir Sergeevič Solov'ëv

 

Werke

 

 

Übersetzungen

 

 

Weiterführende Literatur

 

 

Verweise

 

 

 

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