Tagebuch 1991

 

Samstag, 5. Oktober

„Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet?“ (Mt 16,26).

Was ist wichtiger, einen „Erfolg“ um jeden Preis anzustreben oder der inneren Stimme zu folgen und meinen Weg in der ruhigen Gewißheit zu gehen, daß er meinen Kräften und Möglichkeiten entspricht?

Samstag, 19. Oktober

Ein Krankenhausseelsorger: „Die Ärzte haben ihren Bereich und ihre Statussymbole. Ich dagegen bin hier ein Nichts.“

Montag, 21. Oktober

„Jesus nimmt dich an die Angel, o Mensch, nicht um dich sterben zu lassen, sondern, damit du durch den Tod das Leben erlangest“ (Kyrillos von Alexandrien).

Eine Karmelitin: „Die mündlichen Gebete werden mit der Zeit trocken. Das Jesusgebet hat mich da gerettet.“

Das Mantra des Karmels ist nada. (Teresa de Jesús, Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta, nada te turbe, nada te espante, solo Dios basta).

Dienstag, 22. Oktober

Meine Schwierigkeit sei es, sagte mir 1967 der Sportlehrer beim Kugelstoßen, meine Kraft umzusetzen.

Donnerstag, 24. Oktober

„Wir sollten uns nackt und wehrlos in die Mitte jener Angst führen lassen, in der wir allein in unserer Nichtigkeit vor Gott stehen“ (Thomas Merton; 1915-1968).

Sonntag, 27. Oktober

Adalbert Stifter (1805-1868), Nachsommer (1857), Frankfurt am Main 1982:

„Ruhe in Bewegung sei die Bedingung eines jeden Kunstwerkes“ (13).

Mathilde: „Wie diese Rosen abgeblüht sind, so ist unser Glück abgeblüht.“

Gustav Freiherr von Risach: „Es ist nicht abgeblüht, es hat nur eine andere Gestalt“ (39).

Mathilde: „Es dürfte hierzu eine ewige Zeit und ein unendlicher Raum nötig sein.“
Von Risach: „Es wird hier, wie überall, gut sein, Ergebung, Vertrauen, Warten“ (360).

Montag, 4. November

Wenn ich etwas sagte, das mir viel bedeutete, das mich im Innersten bewegte, wurde es immer wieder nicht verstanden oder lächerlich gemacht. Mir war nicht bewußt, daß ich nicht alles allen mitteilen durfte. Da ich diese Zusammenhänge nicht verstand, neigte ich dazu, solche Gedanken und Impulse für mich selbst zu behalten.

Das menschliche Zusammenleben wäre einfach, wenn die jeweilige Eigenart respektiert würde.

Ausgeglichen und entspannt einfach sein.

Sonntag, 10. November

Ich wiege 68 kg. Mein Patenkind bemerkte dazu: „Wenn du so leicht bist, wie kannst du denn da tanzen? Deine Freundin hat doch nichts, woran sie sich festhalten kann; du stellst doch gar kein Gegengewicht dar!“

Dienstag, 12. November

Ein Pfarrer: „In der Pfarrei, da ist ein einziger Machtkampf. Du mußt da immer dagegenhalten!“

Sonntag, 17. November

„Der heutige Wanderer vermag den trostlosen Ablauf der Entwicklung nicht zu durchbrechen; er läuft im Grunde seinem eigenen Schatten nach. Der christliche Pilger dagegen kennt eine ganz bestimmte, religiöse, außer ihm liegende Zielsetzung, was etwas grundsätzlich anderes ist.“ (Walter Nigg, 1903-1988, Des Pilgers Wiederkehr, Zürich und Stuttgart 1954, 19).

„Er mied fortan alle zwängerischen Versuche, als Unberufener in ein Kloster einzutreten“ (Nigg, Des Pilgers Wiederkehr, 97; über Benedikt Labre).

„Als ihn wieder einmal ein Stein traf, preßte er nur ein Kruzifix an seine Brust und schaute den Angreifer nicht einmal an. Dann bückte er sich, raffte den Stein auf, küßte ihn und setzte, nachdem er ihn an die nächste Mauer gelegt hatte, ruhig seinen Weg fort“ (Nigg, Des Pilgers Wiederkehr, 104; über Benedikt Labre).

Donnerstag, 21. November, Einführung der allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel

Buße ist Vergangenheitsbewältigung (vgl. Walter Nigg, Buch der Büßer, Olten und Freiburg im Breisgau 1970, 24).

„Das Schweigen ist die Sprache der kommenden Welt“ (Makarios der Große).

Dienstag, 10. Dezember

Hans Sedlmayr (1896-1984) unterschied zwischen einer Wachstumsstörung und einer Krankheit (Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symbol der Zeit, Salzburg 1948; zehnte Auflage Frankfurt am Main 1988, 178).

Über dem Thoraschrein einer Synagoge ist über dem Dekalog geschrieben:

„Wisse, vor wem du stehst!“ (Ps 16,8).

Samstag, 14. Dezember

„Ordo renascendi est crescere posse malis” (Rutilius Claudius Namatianus, 5. Jahrhundert, De reditu suo): Zum Wesen der Erneuerung gehört die Fähigkeit, durch die Übel zu wachsen.

Montag, 30. Dezember

Bei den Familienexerzitien fiel mir viel Gutes auf, aber es gab auch manches Fragwürdige, wie etwa das Festgefahrensein und die Eifersucht der Frommen oder die nachlassende Integrationskraft der Eltern.

Dienstag, 31. Dezember

„Du wirst ein Segen sein“ (Gen 12, 2).

 

© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2023

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