Die Lehre von Ungrund und Freiheit 2

III.

Böhmes Lehre vom Ungrund nahm nicht sofort endgültige Gestalt an; in "Aurora" finden wir sie noch nicht. Sie wird hauptsächlich in "De Signatura Rerum" und in "Mysterium Magnum" enthüllt. Sie entspricht Böhmes Bedürfnis, das Geheimnis der Freiheit, den Ursprung des Bösen, den Kampf des Lichtes mit der Finsternis zu erfassen. Im dritten Kapitel von "De Signatura Rerum", betitelt: "Vom großen Mysterio aller Wesen", sagt Böhme: "Außer der Natur ist Gott ein Mysterium, verstehet in dem Nichts; denn außer der Natur ist das Nichts, das ist ein Auge der Ewigkeit, ein ungründlich Auge, das in nichts stehet oder siehet, denn es ist der Ungrund; und dasselbe Auge ist ein Wille, verstehet ein Sehnen nach der Offenbarung, das Nichts zu finden" (IV, 284f). Der Ungrund ist also das Nichts, das grundlose Auge der Ewigkeit, und zugleich ein Wille, ein grundloser, abgründiger, undeterminierter Wille. Aber es ist ein Nichts, das "ein Hunger zum Etwas" ist (IV, 286). Zugleich ist der Ungrund die Freiheit (vgl. IV, 287-289). In der Finsternis des Ungrundes entzündet sich das Feuer, und dies ist die Freiheit, die meontische, potentielle Freiheit. Nach Böhme ist die Freiheit der Gegenwurf zur Natur, die Natur aber ist aus der Freiheit hervorgegangen. Die Freiheit gleicht dem Nichts, aber aus ihr geht das Etwas hervor. Der Hunger der Freiheit, der grundlose Wille zum Etwas muss gesättigt werden: "das Nichts macht sich in seiner Lust aus der Freiheit in der Finsterniß des Todes offenbar, denn das Nichts will nicht ein Nichts sein, und kann nicht ein Nichts sein" (IV, 406). Die Freiheit des Ungrunds ist weder Licht, [S. 62] noch Finsternis, noch Gut, noch Böse. Die Freiheit liegt in der Finsternis und dürstet nach Licht. Und die Freiheit ist die Ursache des Lichtes. "Die Freiheit ist und stehet in der Finsterniß, und gegen der finstern Begierde nach des Lichts Begierde, sie ergreifet mit dem ewigen Willen die Finsterniß; und die Finsterniß greifet nach dem Lichte der Freiheit und kann es nicht erreichen, denn sie schleußt sich mit Begierde selber in sich zu, und macht sich in sich selber zur Finsterniß" (IV, 428). Böhme beschreibt apophatisch und antinomisch das Mysterium, das sich in der Tiefe des Seins abspielt, in jener Tiefe, die sich mit dem uranfänglichen Nichts berührt. In der Finsternis entzündet sich das Feuer und dämmert das Licht, das Nichts wird zum Etwas, die grundlose Freiheit bringt die Natur hervor. Da vollziehen sich zwei Prozesse: "Die Freiheit (welche Gott heißet) ist des Lichts Ursache, und die Impression der Begierde ist der Finsterniß und der peinlichen Quaal Ursache. So verstehet nun in diesen zwei ewige Anfänge, als zwei Principia: eines in der Freiheit im Lichte, das andre in der Impression in der Pein und Quaal der Finsterniß; ein jedes in sich selber wohnend. [...] Die Freiheit, als das Nichts, hat in sich selber kein Wesen" (IV, 429). Böhme hat vielleicht als erster in der Geschichte des menschlichen Denkens gesehen, dass die Grundlage des Seins und vor dem Sein die grundlose Freiheit ist, die leidenschaftliche Begierde des Nichts, zum Etwas zu werden, die Finsternis, in der sich das Feuer und das Licht entzündet, d.h., er war der Begründer eines originellen metaphysischen Voluntarismus, wie er dem mittelalterlichen und antiken Denken unbekannt war. (9) Der Wille, d.h. die Freiheit, ist der Anfang von allem. Aber Böhme denkt so, als läge der Ungrund, der grundlose Wille in der Tiefe der Gottheit und vor der Gottheit. Der Ungrund ist die Gottheit der apophatischen Theologie [S. 63] und zugleich der Abgrund, das freie Nichts tiefer als Gott und außerhalb von Gott. In Gott ist die Natur, ein von ihm verschiedenes Prinzip. Die Urgottheit, das Göttliche Nichts ist jenseits von Gut und Böse, von Licht und Finsternis. Der Göttliche Ungrund ist vor der Entstehung der Göttlichen Dreieinigkeit in der Ewigkeit. Gott erzeugt, realisiert sich aus dem Göttlichen Nichts. Dieser Weg des Gott-Denkens ist Meister Eckehart verwandt, welcher Gottheit und Gott unterscheidet. Gott als Schöpfer der Welt und des Menschen ist der Schöpfung korrelativ. Er geht hervor aus der Tiefe der Gottheit, des unaussprechlichen Nichts. Diese Idee liegt in der Tiefe der deutschen Mystik. Ein solcher Weg des Gott-Denkens ist unausweichlich bedingt durch apophatische Theologie. Alles, was Böhme vom Göttlichen Ungrund sagt, gehört zur apophatischen Theologie, nicht zur kataphatischen. Das Nichts ist tiefer und urspünglicher als das Etwas, die Finsternis, die hier noch nicht das Böse ist, ist tiefer und ursprünglicher als das Licht, die Freiheit ist tiefer und ursprünglicher als jegliche Natur. Der Gott der kataphatischen Theologie ist bereits ein Etwas und bezeichnet ein Denken über Sekundäres: "und der Grund derselben Tinctur ist die göttliche Weisheit; und der Grund der Weisheit ist die Dreiheit der ungründlichen Gottheit, und der Grund der Dreiheit ist der einige unerforschliche Wille, und des Willens Grund ist das Nichts" (Von der Gnadenwahl, IV, 504; von mir kursiv gesetzt. N.B.). Dies ist ja der theogonische Prozess, der Prozess der Gottesgeburt in der Ewigkeit, im ewigen Mysterium, das nach der Methode der apophatischen Theologie beschrieben wird. Gerade deshalb ist das weniger häretisch, als es den ausschließlichen Anhängern der kataphatischen, d.h. rationalisierten Theologie erscheint. Böhmes [S. 64] Meditation ist tiefer als alle Aussagen der sekundären und rationalisierten Kataphatik. Böhme spricht vom Weg "aus dem ewigen Grunde zur Natur, als des freien Willens des Ungrundes zum Naturgrunde der Seele" (IV, 607). Die Natur ist stets sekundär und abgeleitet. Die Freiheit, der Wille ist nicht die Natur. Die Freiheit ist nicht erschaffen. "Wenn ich betrachte, was Gott ist, so sage ich: Er ist das Eine gegen der Kreatur, als ein ewig Nichts; er hat weder Grund, Anfang noch Stätte; und besitzet nichts, als nur sich selber: er ist der Wille des Ungrundes, er ist in sich selber nur Eines: er bedarf keinen Raum noch Ort: er gebäret von Ewigkeit in Ewigkeit sich selber in sich: er ist keinem Dinge gleich oder ähnlich, und hat keinen sonderlichen Ort, da er wohne: die ewige Weisheit oder Verstand ist seine Wohne: er ist der Wille der Weisheit, die Weisheit ist seine Offenbarung" (Mysterium Magnum, V, 7). Gott gebärt sich überall und immer, er ist Grund und Ungrund.

Der Ungrund ist vor allem als Freiheit, als Freiheit in der Finsternis zu verstehen. "Darum so hat sich der ewige freie Wille in Finsterniß, Pein und Quaal, sowohl auch durch die Finsterniß in Feuer und Lichte, und in eine Freudenreich eingeführet, auf daß das Nichts in Etwas erkannt werde, und daß es ein Spiel habe in seinem Gegenwillen, daß ihm der freie Wille des Ungrundes im Grunde offenbar sei, denn ohne Böses und Gutes möchte kein Grund sein" (V, 162). Die Freiheit wurzelt im Nichts, im me on, sie ist der Ungrund. "Der freie Wille ist aus keinem Anfange, auch aus keinem Grunde in nichts gefasset, oder durch etwas geformet: [...] sein rechter Urstand ist im Nichts" (V, 164). Der freie Wille hat in [S. 65] sich Gutes und Böses, Liebe und Zorn: "Darum hat der freie Wille sein eigen Gericht zum Guten oder Bösen in sich, er hat sein Gericht in sich, er hat Gottes Liebe und Zorn in sich" (V, 165). Der freie Wille hat auch Licht und Finsternis in sich. Der freie Wille in Gott ist der Ungrund in Gott, ist das Nichts in ihm. Böhme gibt der Wahrheit von der Freiheit Gottes, die auch die traditionelle christliche Theologie anerkennt, eine tiefe Auslegung. Er lehrt von der Freiheit Gottes tiefer als Duns Scotus. "Der ewige göttliche Verstand ist ein freier Wille, nicht von Etwas oder durch Etwas entstanden, er ist sein selbst eigener Sitz und wohnet einig und allein in sich selber, unergriffen von etwas, denn außer und vor ihm ist nichts, und dasselbe Nichts ist einig, und ist ihm doch auch selber als ein Nichts. Er ist ein einiger Wille des Ungrundes, und ist weder nahe noch ferne, weder hoch noch niedrig, sondern er ist Alles, und doch als ein Nichts" (V, 193). Für Böhme ist das Chaos die Wurzel der Natur, das Chaos, d.h. die Freiheit, der Ungrund, der Wille, das irrationale Prinzip. In der Gottheit selber ist ein grundloser Wille, d.h. ein irrationales Prinzip. Finsternis und Freiheit sind bei Böhme stets korrelativ und verknüpft. Die Freiheit ist selber Gott, und sie war am Anfang aller Dinge: "darum sagen wir recht, es sei Gottes, und die Freiheit (welche den Willen hat) sei Gott selber; denn es ist Ewigkeit, und nichts weiters. [...] Erstlich ist die ewige Freiheit, die hat den Willen, und ist selber der Wille" (Psychologia vera, VI, 7). Böhme hat sichtlich als erster in der Geschichte des menschlichen Denkens die Freiheit zum Urgrund des Seins gemacht, sie ist für ihn tiefer und ursprünglicher als jedes Sein, tiefer und ursprünglicher als Gott selber. Das barg in sich ungeheure Folgen für die Geschichte des Denkens. Eine solche Auffassung der Ursprünglichkeit der Freiheit hätte [S. 66] sowohl die griechischen Philosophen als auch die mittelalterlichen Scholastiker erschaudern lassen. Hiermit eröffnet sich die Möglichkeit einer ganz anderen Theodizee und Anthropodizee. Das Urmysterium des Seins ist ein Aufleuchten des Lichtes in der finsteren Freiheit, im Nichts, und ist ein Erstarren der Welt aus dieser finsteren Freiheit. Wunderbar spricht Böhme hiervon in seinem Werk Psychologia vera: "denn in der Finsterniß ist der Blitz, und in der Freiheit das Licht mit der Majestät. Und ist dieses nur das Scheiden, daß die Freiheit ein stilles Nichts ist, welche das Licht annimmt, und die Finsterniß materialisch macht, da doch auch kein Wesen einer Begreiflichkeit ist; sondern finster Geist und Kraft, eine Erfüllung der Freiheit in sich selber, verstehe im Begehren, und nicht außer: denn außer ist die Freiheit" (VI, 14). Es sind zwei Willen: der eine im Feuer, der andere im Licht ("und ist Ein Geist in zwei Unterscheiden mit zwei Willen, da einer im Feuer wohnet, der andere im Lichte", VI, 15). Feuer und Licht sind Böhmes Grundsymbole. "Denn die Finsterniß hat kalt Feuer, so lange bis es die Angst erreicht, dann entzündet sich's in Hitze" (VI, 60). Das Feuer ist der Anfang von allem, ohne das Feuer wäre nichts, es wäre nur der Ungrund: "und wäre Alles ein Nichts und Ungrund ohne Feuer" (VI, 155). Der Übergang vom Nichtsein zum Sein vollzieht sich durch Entzündung des Feuers aus der Freiheit. In der Ewigkeit ist der Urwille des Ungrundes, der Wille, der außer und vor der Natur ist. Fichte und Hegel, Schopenhauer und Hartmann gingen von hier aus, obwohl sie Böhme entchristlichten. Die deutsche idealistische Metaphysik kommt unmittelbar vom Ungrund, vom Unbewussten, sie geht vom Urakt der Freiheit zum Weltprozess über, nicht aber zur Göttlichen Dreieinigkeit wie Böhme. Das Urmysterium des Seins besteht nach Böhme darin, dass das Nichts eine Sucht nach dem Etwas ist. "Der Ungrund ist ein ewig Nichts, und machet aber einen ewigen Anfang, als eine Sucht; denn das Nichts ist eine Sucht nach Etwas: und da doch [S. 67] auch Nichts ist, das Etwas gebe; sondern die Sucht ist selber das Geben dessen, das doch auch nichts ist als bloß eine begehrende Sucht" (Mysterium pansophicum, VI, 413). Böhmes Lehre von der Freiheit ist nicht eine psychologische und ethische Lehre von der Willensfreiheit, sondern sie ist eine metaphysische Lehre vom Urgrund des Seins. Die Freiheit ist bei ihm nicht eine Begründung der sittlichen Verantwortung des Menschen und nicht eine Regulierung der Beziehungen des Menschen zu Gott und dem Nächsten, sondern sie ist eine Erklärung der Genese des Seins und zugleich der Genese des Bösen als eines ontologischen und kosmologischen Problems.

Das Böse entstand aus der schlechten Imagination. Die Magie der Imagination spielt in Böhmes Weltanschauung eine sehr große Rolle. Durch die Imagination wurde die Welt erschaffen, durch sie erfolgte auch der Sündenfall des Teufels in der Welt. Der Sündenfall des Geschöpfes entscheidet sich für Böhme nicht in der menschlichen Welt, sondern im Bereich der Engel, die menschliche Welt entsteht erst später. Sie soll das Tun des gefallenen Engels korrigieren. Den Fall Luzifers beschreibt Böhme folgendermaßen: "Denn Lucifer ging aus der Ruhe seiner Hierarchie aus, in die ewige Unruhe" (Mysterium Magnum, V, 61). Er wird vom hierarchischen Zentrum abgesetzt. Die hierarchische Ordnung wird dadurch gestört. Böhme beschreibt den Fall Luzifers folgendermaßen: "Daß sich der freie Wille im Feuerspiegel besah, was er wäre, dieser Glanz machte ihn beweglich, daß er sich nach den Eigenschaften des Centri bewegte, welche zuhand anfingen zu qualificiren. Denn die herbe, strenge Begierde, als die erste Gestalt oder Eigenschaft, impressete sich, und erweckte den Stachel und die Angstbegierde: also überschattete dieser schöne Stern sein Licht, und machte sein Wesen ganz herb, rauh und streng; und ward seine Sanftmuth und recht englische Eigenschaft in ein ganz streng, rauh, finster Wesen verwandelt: da war es geschehen um den schönen Morgenstern, und wie er that, thaten [S. 68] auch seine Legionen: das ist sein Fall" (V, 41). Der Sündenfall kam vom finsteren Wünschen, von der Begierde, von der schlechten Imagination, von der dunkeln Magie des Willens (vgl. De Signatura Rerum, IV, 317f). Böhme beschreibt den Sündenfall stets mythologisch, niemals in klaren Begriffen. Der Teufel empfindet von seiner falschen Begierde Feuerqualen in der Finsternis. Ohne Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit ist der Ursprung des Sündenfalls und des Bösen unverständlich. Der Sündenfall und das Böse sind für Böhme eine kosmische Katastrophe, ein Moment der Weltschöpfung, des kosmogonischen und anthropogonischen Prozesses, Resultat des Kampfes entgegengesetzter Eigenschaften, der Finsternis und des Lichtes, des Grimmes und der Liebe. Katastrophen gehen der Entstehung unserer Welt voraus, vor unserem Äon waren andere Äonen. Das Böse hat auch einen positiven Sinn innerhalb der Entstehung des Kosmos und des Menschen. Das Böse ist ein Schatten des Guten, das Licht setzt das Sein der Finsternis voraus. Das Licht, das Gute, die Liebe bedürfen zu ihrer Offenbarung des entgegengesetzten Prinzips, des Gegenwurfes. Gott selber hat zwei Antlitze, das Antlitz der Liebe und das Antlitz des Zornes, ein lichtes und ein finsteres Antlitz. "Denn der heiligen Welt Gott und der finstern Welt Gott sind nicht zween Götter: es ist ein einiger Gott; er ist selber alles Wesen, er ist Böses und Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsterniß, Ewigkeit und Zeit, Anfang und Ende: wo seine Liebe in einem Wesen verborgen ist, allda ist sein Zorn offenbar. [...] Die Kraft im Lichte ist Gottes Liebefeuer, und die Kraft in der Finsterniß ist Gottes Zornfeuer, und ist doch nur ein einig Feuer, theilet sich aber in zwei Principia, auf daß eines im andern offenbar werde: denn die Flamme des Zornes ist die Offenbarung der großen – Liebe; in der Finsterniß wird das Licht erkannt, sonst wäre es ihm nicht offenbar" (Mysterium Magnum, V, 38). [S. 69] Böhme schuf die geniale Lehre, dass Gottes Liebe sich in finstrer Umgebung in Grimm, Zorn verwandelt, und von ihr so empfunden wird. Böhme denkt immer in Widersprüchen, Antithesen, Antinomien. Jegliches Leben ist Feuer, aber das Feuer hat zwei Erscheinungen. "Wir wissen, daß ein jedes Leben ein Feuer ist [...] So wissen wir auch, daß der ewigen Leben zwei in zweierlei Quaal sind, und ein jedes stehet in seinem Feuer. Eines brennet in der Liebe im Freudenreich; das andere im Zorne, im Grimme und Wehe, und seine Materia ist Hoffart, Geiz, Neid, Zorn, seine Quaal vergleichet sich einem Schwefel-Geist: denn Aufsteigen der Hoffart im Geiz, Neid und Zorn macht zusammen einen Schwefel, darinnen das Feuer brennet, und sich immer mit dieser Materia entzündet" (Die drei Principien göttlichen Wesens, III, 385). Christus verwandelte am Kreuz Grimm in Liebe. "Am Kreuze mußte Christus diesen grimmigen Zorn, welcher in Adams Essenz war aufgewacht, in sein heiliges, himmlisches Ens trinken, und mit der großen Liebe in göttliche Freude verwandeln" (Mysterium Magnum, V, 133). Die Erlösung fasst Böhme kosmogonisch und anthropogonisch auf, als Fortsetzung der Weltschöpfung.

In seinen Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit bewegt sich Schelling in der Richtung von Böhmes Ideen über Ungrund und Freiheit, obwohl er Böhme nicht immer richtig versteht. Ganz nach Böhme klingen Schellings Worte: "Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ins Licht". Die Urschöpfung ist nichts anderes als die Geburt des Lichtes, als die Überwindung der Finsternis. Damit das Gute aus der Finsternis, aus dem potentiellen Zustand in den aktuellen übergehe, ist die Freiheit notwendig. Das Sein ist für Schelling Wille. Er entwickelt als erster in der deutschen Philosophie den Böhmeschen Voluntarismus. Die Dinge haben ihren Grund nicht in Gott selber, sondern in der Natur Gottes. Das Böse ist nur deshalb möglich, weil in Gott [S. 70] das ist, was nicht Gott ist, weil in Gott der dunkle Wille, d.h. der Ungrund ist. Die Natur ist für Schelling wie für Böhme Geschichte des Geistes, und für Schelling wird alles, was in der Natur, in der objektiven Welt, wahrgenommen wird, durch das Subjekt hindurchgeleitet. Die Idee des Prozesses in Gott, die Idee der Theogonie hat Schelling bei Böhme entlehnt. In seiner Philosophie der Offenbarung macht Schelling heroische Bemühungen, den deutschen Idealismus zu überwinden und zu einem philosophischen Realismus durchzubrechen. Und Böhme ist ihm hierbei behilflich. (10) Schelling versuchte, den [S. 71] pantheistischen Monismus der deutschen idealistischen Philosophie zu überwinden. Er hatte erkannt, dass der Pantheismus mit der Freiheit unvereinbar ist. Die pantheistische Leugnung des Bösen führt zur Leugnung der Freiheit. Das Böse hat nach Schelling seine Grundlage im höchsten Positiven. Das Böse ist die Grundlosigkeit des Daseins, d.h., es ist verknüpft mit dem Ungrund, mit der potentiellen Freiheit. Das alles sind Böhmesche Motive. Fr. Baader war Böhme aber näher; seine Lehre stimmte mehr mit der Böhmes überein. Baader war am wenigsten durch idealistische Losgerissenheit vom Sein vergiftet. Er war es, der Schelling zu Böhme hinführte. Baader war Katholik, aber ein sehr freier Katholik. Er sympathisierte sehr mit der östlichen Orthodoxie. Mit bemerkenswerter Klarheit und Einfachheit rechtfertigt Baader Böhmes dynamische Auffassung Gottes, die im göttlichen Leben eine Genesis zulässt. Gäbe es keine Genese im Selbstbewusstsein Gottes, wäre das göttliche [S. 72] Selbstbewusstsein nicht Leben und Prozess. (11) Die dynamische Auffassung Gottes bedeutet ja auch, dass Gott für uns lebendig, beseelt ist, dass dem göttlichen Leben die Dramatik jeglichen Lebens innewohnt. Das mag wohl mit Thomas von Aquin und der Schultheologie nicht übereinstimmen, entspricht aber der biblischen Offenbarung. Baader gibt eine vortreffliche Definition des Bösen als einer Krankheit, als einer Entstellung der hierarchischen Ordnung, als einer Verschiebung des Zentrums des Seins, nach der das Sein in Nichtsein übergehe.

IV.

Es ist bezeichnend für Böhmes Weltanschauung, dass er die Idee der Prädestination hasste. Hierin war er kein Mensch protestantischen Geistes. (12) Er wollte die Güte Gottes und die Freiheit des Menschen verteidigen, die beide in gleicher Weise von der Lehre der Prädestination untergraben werden. Er war bereit, die Allmacht und Allwissenheit Gottes zu opfern, und anzunehmen, dass Gott die Folgen der Freiheit nicht vorausgesehen habe. Er sagt, Gott habe den Fall der Engel nicht vorausgesehen. Dieses Problem quälte ihn sehr, und in dieser Qual lag die sittliche Bedeutung seines schöpferischen Weges. Aber Böhme sagt hier nicht immer ein und dasselbe, seine Gedanken sind antinomisch und sogar widersprüchlich. Er hatte ein antinomisches Verhältnis zum Bösen. In dieser Hinsicht hat er Ähnlichkeit mit unserem Dostoevskij. Böhme erklärt das Böse, das ihn so sehr quälte, damit, dass im Urgrund des Seins der Ungrund liegt, die finstere, irrationale, meontische Freiheit, eine durch nichts determinierte Potenz. Die finstere Freiheit ist undurchdringlich für Gott, er sieht ihre Resultate nicht voraus und ist nicht verantwortlich für das aus ihr [S. 73] geborene Böse. Die Freiheit ist nicht von Gott erschaffen. Die Lehre vom Ungrund enthebt Gott der Verantwortung für das Böse, das durch Allmacht und Allwissenheit Gottes hervorgerufen würde. Zugleich sieht Böhme den Ungrund in Gott selber. In Gott ist ein dunkles Prinzip, Kampf des Lichtes mit der Finsternis. Man könnte sagen, dass das dunkle Prinzip (dunkel bedeutet hier nicht böse) in der Gottheit, aber nicht in Gott sei. Böhme stellt geradezu extrem das Antlitz des Sohnes, als das der Liebe, dem Antlitz des Vaters, als dem des Zornes, gegenüber. Im Sohn ist kein dunkles Prinzip mehr, er ist ganz Licht, Liebe, Güte. Dann verwandelt sich der Vater in eine Gottheit der apophatischen Theologie. Hier sind gnostische Motive bemerkbar. Aber das Böse, das Böhme so quält, hat für ihn auch eine positive Mission. Das göttliche Licht kann sich erst offenbaren durch den Gegenwurf eines Anderen, eines Entgegengesetzten, der Finsternis. Dies ist die Bedingung jeglicher Aktualisation, jeder Genese. Das Böse ist nicht nur ein negatives, sondern auch ein positives Prinzip. Zugleich bleibt das Böse doch das Böse und muss verbrennen, es muss überwunden werden. Überall in der Natur ist nicht Ruhe, nicht ewige Ordnung, sondern Kampf entgegengesetzter Prinzipien. Dieser Kampf entgegengesetzter Prinzipien hat auch eine positive Bedeutung. Erst durch diesen Kampf offenbart sich das höchste Licht, die Güte, die Liebe. Das Sein ist eine Vereinigung von Gegensätzen, von Ja und Nein. (13) Das Ja ist unmöglich ohne das Nein. Das ganze Sein und die Gottheit selber ist in feuriger Bewegung. Aber dies bedeutet nicht, wie die deutsche idealistische Metaphysik vom Anfang des 19. Jahrhunderts behauptet, dass Gott nur ein Werdender, nur Ziel des Weltprozesses sei. Das Sein ist der Sieg über das Nichtsein. Für Böhme gibt es eine Hölle, aber in ihr gibt es kein Leiden, ebenso wie bei Swedenborg. Böhme hatte bereits eine neue Seele, so dass er nicht mehr wie [S. 74] Thomas von Aquin sagen konnte, dass der Gerechte im Paradies sich durch Anschauen der Qualen des Sünders in der Hölle ergötze. Böhmes Gedanken über Freiheit und Böses bleiben antinomisch. Aus der Intuition des Ungrundes hervorgegangen, fehlte es ihnen an logischer Übereinstimmung und Folgerichtigkeit. Als die deutsche idealistische Metyphysik den Versuch machte, logische Übereinstimmung und Folgerichtigkeit in sie hineinzubringen, vermochte sie die tragische Antinomie des Bösen und der Freiheit nicht im höchsten Bewusstsein zu überwinden, sondern hob sie auf, stumpfte die ursprüngliche, scharfe und brennende Empfindung des Bösen und der Freiheit im Monismus ab. Böhmes Lehre vom Ungrund erklärt aus der Freiheit den Ursprung des Bösen, den Fall Luzifers, der den Sündenfall der ganzen Schöpfung nach sich zog, und zugleich wird der Ungrund in Gott selber hineingetragen und erklärt die Genese, den dynamischen Prozess im Göttlichen Leben. Hier wäre ein Abgleiten zum extremen Monismus und zum extremen Dualismus möglich, was vom Standpunkt der christlichen Offenbarung in gleicher Weise irrtümlich wäre. Böhmes Denken bewegt sich ganz auf der Messerschneide und ist ständig Gefahren von konträren Seiten ausgesetzt, aber seine grundlegende Intuition ist genial, organisch und fruchtbar. Die Lehre von Ungrund und Freiheit steht im Gegensatz zum griechischen Rationalismus, von dem die mittelalterliche Scholastik durchsetzt war und von dem auch die Patristik nicht frei war. Böhme ist als Begründer der Philosophie der Freiheit anzuerkennen, welche die wahre christliche Philosophie ist. (14) Der untragische und rationalistische Optimismus des Thomas von Aquin wird durch die tragische Philosophie der Freiheit abgelöst. Die Freiheit ist die Quelle der Tragödie.

Hegel versuchte, selbst dem Prinzip des Widerspruchs und des Kampfes der entgegengesetzten Prinzipien einen optimistischen Charakter zu verleihen. Er übertrug das Leben in einen Begriff, und machte den Begriff selber zur Quelle [S. 75] von Dramatik und Leidenschaften. Hegel war nach Thomas von Aquin das zweite geniale Aufflackern des Rationalismus. Aber der Philosophie Hegels liegt ein irrationales Prinzip zugrunde. Hegels Gottheit ist ursprünglich eine unbewusste Gottheit, sie gelangt erst in der menschlichen Philosophie, in der Philosophie Hegels selber zu Bewusstsein. Das Irrationale muss rationalisiert werden, in der Finsternis muss das Licht erwachen. Die rationale Erkenntnis des Irrationalen, das dem Sein zugrunde liegt, ist das grandiose Grundthema der deutschen Metaphysik. Die deutsche Philosophie ist der metaphysische Norden. Die Welt ist nicht ursprünglich und natürlich vom Sonnenlicht erleuchtet, sie ist in Finsternis versenkt, das Licht gelangt in das Subjekt durch Versenkung, aus der Tiefe des Geistes. Dies ist der grundlegende Unterschied zwischen dem lateinischen und dem germanischen Denken. Das germanische Denken fasst die Vernunft anders auf als das lateinische. In der germanischen Auffassung steht die Vernunft der Finsternis des Irrationalen gegenüber und muss Licht in sie hineintragen. In der lateinischen, der antiken Auffassung, erleuchtet die Vernunft ursprünglich die Welt wie die Sonne, spiegelt die Vernunft im Menschen die Vernunft in der Natur der Dinge wider. Die germanische Idee geht von Böhme aus, von der Lehre vom Ungrund, von der Freiheit, vom irrationalen Prinzip, das in der Tiefe des Seins liegt. Mit Böhme beginnt eine neue Ära in der Geschichte des christlichen Denkens. Sein Einfluss ist gewaltig, fällt aber äußerlich nicht ins Auge, er wirkt wie ein Katalysator. (e) Offenkundig ist dieser Einfluss nur bei Fr. Baader und Schelling. Aber er ist unzweifelhaft auch bei Fichte, Hegel und Schopenhauer vorhanden. (15) Sehr stark ist Böhmes Einfluss auf die Romantik und auf okkultistische Strömungen. (16) Ohne [S. 76] die genialen Intuitionen Böhmes hätte der Rationalismus der antiken und der scholastischen Philosophie wie auch der Rationalismus der Philosophie der Neuzeit, Descartes' und Spinozas, nicht überwunden werden können. Nur das mythologische Bewusstsein sah das irrationale Prinzip im Sein, das philosophische Bewusstsein hingegen sah stets nur das rationale Prinzip. Böhme führt die Metaphysik zu den Quellen des mythologischen Bewusstseins der Menschheit zurück. Aber das mythologische Bewusstsein selber wird bei ihm von den Quellen der biblischen Offenbarung genährt. Von Böhme geht die Dynamik der deutschen Philosophie und, man kann sogar sagen, die Dynamik des ganzen Denkens des 19. Jahrhunderts aus. Böhme fasste als erster das Leben in der Welt als leidenschaftlichen Kampf, als Bewegung, als Prozess, als ein ewiges Werden auf. Nur bei einer solchen Intuition des Lebens in der Welt war das Erscheinen eines Faust Darwin, eines Marx, Nietzsche möglich. Doch sie standen den religiösen Meditationen Böhmes bereits fern. Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit ermöglicht uns, nicht nur den Ursprung des Bösen zu erklären, wenn auch antinomisch, sie erklärt auch das Schöpfertum des Neuen im kosmischen Leben, die schöpferische Dynamik. Das Schöpfertum ist seiner Natur nach ein Schöpfertum aus meontischer Freiheit, aus dem Nichts, aus dem Ungrund, es setzt diese bodenlose Quelle im Sein voraus, setzt die Finsternis voraus, die zu erleuchten ist. Böhmes Besonderheit bestand darin, dass er den Ungrund, das dunkle Prinzip in Gott selber dachte, statt das Prinzip der Freiheit im Nichts, im Meontischen, außerhalb Gottes zu sehen. Man muss das Göttliche Nichts und das Nichtsein außerhalb Gottes unterscheiden. Aber Böhmes Denken darf nicht in grober Weise aufgefasst werden. Böhme hätte sich nicht damit einverstanden erklärt, dass die Quelle des Bösen in Gott liege. Gerade das quälte ihn ja. Sein Denken bleibt antinomisch, es lässt sich nicht logisch erläutern. Aber sein sittlicher Wille ist rein, er ist auch nicht einen Augenblick durch inneres Böses vergiftet. Böhme ist ein frommer Christ, mit heißem Glauben, mit reinem Herzen. Er vereinte in sich [S. 77] Schlangenweisheit mit Einfachheit des Herzens [vgl. Mt 10,16], mit Glauben. Dessen muss man bei der Beurteilung Böhmes stets eingedenk sein. Böhme war kein Pantheist und kein Monist, wie er auch kein Manichäer war. Carrière sagt mit Recht, dass Böhme weder Pantheist, noch Dualist war.

Schluss